Crimetime Vorschau – Titelfoto WDR / Bavaria Fiction GmbH, Thomas Kost
Sportschau oder am schönen Rhein?
Ich kann es nicht ändern, mich hat der Titel sofort an den legendären Sportschau-Moderator und Reporter Ernst Huberty erinnert. Mit ihm hat der Fall aber nach allem, was ich gelesen habe, nichts zu tun. Vielmehr geht es um die Rheinschifffahrt, die schon längst einmal hätte Bestandteil eines Köln-Tatorts hätte sein müssen. „Warum ist es am Rhein so schön?“ Ja, warum eigentlich, fragen sich die Tatort-Fans. Vielleicht ergibt es sich aus dem Krimi, auch wenn unsere Lieblingscops auf dem Titelfoto ausschauen, als ob das Tauchen im Rhein nicht unbedingt ein Quell reiner Freude sei.
Wir sehen Max Ballauf und Freddy Schenk in ihrem 84. Fall. Für diese Meisterleistung haben sie 26 Jahre gebraucht. Voraus sind ihnen nur noch die Münchener Batic und Leitmayr, die nun auf 88 Filme & Fälle kommen, aber seit 31 Jahren im Dienst sind. Ballauf-Darsteller Klaus J. Behrendt hält sowieso einen besonderen Rekord, weil er schon in Düsseldorf unter Kommissar Flemming angefangen hatte, mithin stehen bei ihm noch ein paar Einsätze mehr zu Buche. Nur ein Team, das sich außerordentlicher Beliebtheit erfreut, kann so lange aktiv bleiben, ohne dass die Zuschauer nicht mehr mitgehen. Wir werden an den heutigen Quoten sehen, ob es immer noch ein gemeinsamer Weg zwischen den Machern, den Darstellern und dem Publikum ist, den sie, den wir alle gehen. In Bayern funktioniert das über 30 Jahren noch, immer wieder eine gute Mischung aus Flops und Tops. In Köln wäre es an der Zeit für einen neuen Tatort, der sich in der berühmten Fundus-Rangliste, sagen wir mal, unter den ersten 20 platzieren kann. Gleichwohl, Ballauf und Schenk liegen bei der Bewertung der aktuellen Ermittler:innen-Teams auf einem sehr starken Platz 5, nur minimal hinter den Münchenern auf Platz 4. Solange das so bleibt, können sie auch über das reale Renteneintrittsalter eines deutschen Beamten hinaus weitermachen.
Der Film changiert zwischen beklemmendem Kammerspiel und packendem Psychothriller mit Nervenkitzelgarantie, nimmt neben Hubertys Perspektive immer auch die Sichtweise seiner Opfer und der Polizisten ein, deren Job es ist, diesen unberechenbaren Narzissten zur Strecke zu bringen. Dies spiegelt sich auch in der kunstvollen Bildgestaltung wider, die einerseits weite Panoramen von Kölns Wasserseite zeigt, andererseits die bedrückende Enge und Dunkelheit, die scheinbare Ausweglosigkeit in den Szenen der Geiselnahme unter Deck. Und endlich zeigen Ballauf und Schenk einmal, dass sie auch nach über 80 Einsätzen noch voll ins Risiko gehen können. Ein Tatort, der keine Minute langweilt. Unbedingte Einschaltempfehlung! – Redaktion Tatort-Fans
Wieso bin ich geradezu berührt, wenn die Kölner so in den Kritikentunnel starten dürfen, in die Enge, die sich aus der Konzentration auf wenige professionelle Stimmen ergibt? Vielleicht, weil ich will, dass sie da gut wieder rauskommen, während ich bei vielen anderen Teams eher distanziert an die Vorschau herangehe, das Daumendrücken ist eine besondere Haltung, die mich wieder darauf verweist, dass ich einmal geschrieben habe: Wenn die beiden nicht mehr da wären, würde dem Tatort mehr fehlen als bei jedem anderen Team. Münster-Fans, pardonnez-moi! Aber die Kölner sind nicht nur ein Teil der Tatort-Legende, das trifft auf Münster auch längst zu, sondern sie halten den Kern des Formats fest in Händen, weil sympathische und überwiegend ernsthafte Ermittler:innen wie sie notwendig für sein Weiterbestehen sind. Das würde ich für die exzentrischen Münster-Variante so nicht unterschreiben wollen. Hingegen gibt es im Moment im weiten Tatortland kein Team, das mich zu häufig nervt. Ein schönes Land in dieser Zeit ist das. Nach dem Genuss der ersten Kritik wagen wir uns aber an die nächste Hürde:
Hoher Spannungsfaktor: Ist Huberty wirklich so unschuldig, wie er sich selbst empfindet? Was sagt das Mädchen von damals dazu? Dieser Tatort lebt von all diesen Fragen, von seiner beklemmenden Spannung von Anfang bis Ende und einem grandios eindringlich spielenden Stephan Kampwirth als Huberty – da verzeiht man auch die ein oder andere kleine Schwäche, wenn die Story etwas zu konstruiert wirkt. Von mir gibt’s deshalb 4 von 5 Elchen. – Simone Sarnow, SWR3-Check
Nun ja, welcher heutige Tatort ist nicht ein wenig überkonstruiert? Doch, gibt es, mir fällt nur gerade keiner ein. Meist vermeidet eine Thriller-anstatt-Whodunit-Anlage zu großen Plotwust, zu viele Abschweifungen. Um einen Thriller scheint es bei „Hubertys Rache“ zu handeln, denn der Täter ist gleich im Spiel und als solcher erkennbar. Entführungsfälle funktionieren nur so, besonders im Kampf gegen die Zeit. Es handelt sich um einen gekränkten Zeitgenossen, der als Charakter für uns analysiert wird, die Tatort-Fans wagen auch schon eine Zuschreibung in Richtung des (pathologischen?) Narzissmus. Die meisten Narzissten versuchen zwar eher, dazuzugehören, als dass sie sich absondern, weil sie die Anerkennung der anderen brauchen, aber es gibt selbstverständlich ganz individuelle Ausprägungen, auch und gerade, wenn sich eine im Grunde uns allen eigene und bis zu einem gewissen Grad sogar gesunde Charaktereigenschaft, die man positiv einsetzen kann, durch Übersteigerung oder durch das Abdriften aufgrund zusätzlicher problematischer Eigenschaften als Persönlichkeitsstörung zeigt. Apropos Narzissmus, wir müssen zum Spiegel und Jürgen Buß kommen (kleiner Scherz, I beg your pardon):
Prostata-Monologe am Pissoir. Captain Chaos hat das Kommando: Der Köln-»Tatort« mit Schenk und Ballauf erzählt von einer Geiselnahme auf einem Ausflugsschiff – und läuft dabei ganz schön aus dem Ruder. – Christian Buß, Der Spiegel
Warum er das tut? Aus dem Ruder geraten oder behaupten, dass alles aus dem Ruder gerät? Lesen Sie selbst. Kann ja wohl auf dem Rhein nicht so schlimm sein, das nächste Ufer ist nie weit. Ich hatte schon so ein Gefühl. Ein Gefühl, dass hier 4 von 10 herauskommen könnten. Ich nehme alles zurück. Das oben war doch kein Scherz. Offenbar ist ein Trigger im Spiel. Schon dieser Titel. Meine Zeit der Bewunderung für solche Titel ist ad hoc vorbei. 4 von 10 für die Wacht am Rhein! Kann ja wohl auf dem Rhein nicht so schlimm sein, wenn mal was aus dem Ruder läuft, das nächste Ufer ist nie weit, oder? Wenn mir jetzt Tittelbach-TV nicht den Tag rettet, er ein perfekter Köln-Tag hatte werden sollen, dann … ja, weiß ich auch nicht. Also tief Luft holen und weiter:
Ausnahmezustand bei der Kölner Kripo. Ein ehemaliger Gymnasiallehrer hat Besatzung und Passagiere eines Ausflugsschiffs als Geiseln genommen. „Ich werde das Schiff in die Luft sprengen, wenn Sie meinen Forderungen nicht nachkommen“, droht er. Wegen Missbrauch einer 14-Jährigen ist er 2012 verurteilt worden. Der Prozess sei ein abgekartetes Spiel gewesen, für das fünf Menschen verantwortlich seien. Sie sollen an Bord gebracht werden… Die Macht einer Kränkung ist der Ausgangspunkt für den 84. „Tatort“ aus Köln, „Hubertys Rache“ (WDR / Bavaria Fiction). In dem Film von Marcus Weiler nach dem Drehbuch von Eva Zahn und Volker A. Zahn inszeniert der Antagonist eine Situation, in der zum ersten Mal er am längeren Hebel sitzt. „Hubertys Rache“ ist kein Nur-Suspense-Thriller; das Motiv für die Geiselnahme und die kriminelle Aktion werden gleichrangig behandelt. Die stärksten Momente hat der Film, wenn sich Crime und Drama gegenseitig hochschaukeln. Bei diesem Fall lässt es sich kaum vermeiden, dass Ballauf & Schenk ihre moralische Entrüstung zeigen und Bär und Behrendt das dazu passende Mienenspiel abrufen. Doch der Film ist so packend, dass kleine Schwächen im spannenden Strudel von Krimi, Thriller & Drama untergehen. Das Finale ist dramaturgisch & emotional stark, und der Zuschauer darf sich bestätigt fühlen. – Rainer Tittelbach, Tittelbach-TV
Ex-Grimmepreis-Juror Rainer Tittelbach hat selbst in die Tasten gegriffen, um mir diesen Sonntag noch einmal zu versüßen. Der Tenor ähnelt dem des SWR3-Checks und wer kann besser moralische Entrüstung zeigen als die beiden Kölner Gemütsmenschen, ohne gleich – sic! – oberlehrerhaft zu wirken? So, wie offensichtlich der Täter in diesem 1195. Tatort, der auch den optimalen Beruf dafür hat. Unser freier Rezensionplatz geht dieses Mal an …
„Tatort: Hubertys Rache“: Das gab es in 25 Jahren noch nie für Ballauf und Schenk. – TV Spielfilm
Wie von anderen Kritiker:innen wird die Darstellung des Huberty durch Stefan Kampwirth gelobt, hingegen der Plot als zu konstruiert bezeichnet. Trotzdem: Daumen hoch! Und so wollen wir diese kleine Vorschau-Runde abschließen. Mit einem doch überwiegend positiven Eindruck von dem, was uns heute Abend erwartet.
Die eigentliche Sensation aber liefern wir selbst und stellen die Nachricht ganz bescheiden, geradezu anti-narzisstisch, ans Ende dieses Textes: Erstmals seit fast zwei Jahren werden wir wieder einen Tatort direkt nach der Premiere rezensieren. Kann man dieses Back-to-the-Roots besser einleiten als mit den so vertrauten Kölnern?
TH
Handlung, Besetzung, Stab
Max Ballauf und Freddy Schenk sind am frühen Morgen am Rheinufer im Einsatz. Hier wurde die Leiche eines Mannes angespült. Er war Mechaniker an Bord eines Ausflugsschiffes und offenbar kurz vor seinem Tod in eine Schlägerei verwickelt. Als sich Hauptkommissar Schenk mit dem Kapitän der „Agrippina“ in Verbindung setzt, bekommt der Fall eine dramatische Wendung: An Bord des Schiffes, das gerade abgelegt hat, ist Daniel Huberty, ein ehemaliger Gymnasiallehrer, der jetzt droht: „Ich werde das Schiff in die Luft sprengen, wenn Sie meinen Forderungen nicht nachkommen.“
Simone Retzlaff | Antje Hamer |
Ingo Retzlaff | Enno Kalisch |
Ira Beckmann | Xenia Snagowski |
Max Ballauf | Klaus J. Behrendt |
Dr. Svenja Poulsen | Christina Große |
Norbert Jütte | Roland Riebeling |
Natalie Förster | Tinka Fürst |
Melanie Novak | Renan Demirkan |
Jana Künitz | Mathilde Bundschuh |
Freddy Schenk | Dietmar Bär |
Amelie Poulsen | Anna Bachmann |
Daniel Huberty | Stephan Kampwirth |
Dr. Roth | Joe Bausch |
Regie | Marcus Weiler |
Kamera | Sten Mende |
Musik | Olaf Didolff |
Buch | Eva A. Zahn |