Crimetime 10xx – Titelfoto © NDR, Marion von der Mehden
Wo ist der Bus?
Wenn dies exakt zu beschreiben wäre, hätten wir vermutlich keine Frage als Überschrift gewählt. Der vorletzte Fall des Kieler Kommissars, der nicht seinen Namen im Titel trägt, ist ein besonders ruhiger und unspektakulärer Vertreter der Reihe. Das muss ja nicht heißen, dass er nicht spannend ist und keine klaren Konturen aufweist. Unser bereits erwähnte Überschrift könnte aber darauf hindeuten, dass doch ein wenig viel Nebel durch den 655. Tatort zieht. Wir sorgen aber für mehr Aufklärung in der –> Rezension.
Handlung (1)
Ein leeres Segelboot wird auf offener See gefunden – an Bord Jacke, Schuhe und Handtasche von Silke Rohweder. Von ihr selbst keine Spur. Alles sieht nach Selbstmord aus. Borowski kommt das komisch vor. Der Eindruck verstärkt sich, als er Silke Rohweders Wohnung untersucht. Die Wohnung ist blitzsauber, es riecht nach Putzmittel. An den Wänden fehlen ein paar Fotos, die offensichtlich heruntergerissen wurden. Hat Silke ihre Wohnung noch einmal so richtig saubergemacht, bevor sie mit dem Boot herausgefahren ist, um sich umzubringen? Wozu? Und wer war auf den fehlenden Bildern?
Die Nachbarn erzählen Borowski, dass Silke seit kurzem einen Freund hatte. Sie können ihn aber nicht richtig beschreiben, da sie ihn nur flüchtig zu Gesicht bekommen haben. Die Überprüfung eines Rezepts in Silkes Handtasche fördert eine weitere Neuigkeit zutage: Silke war schwanger. Und Silkes Mutter bestätigt, dass sich Silke auf das Kind gefreut hat. Warum also der Selbstmord? Immer mehr Indizien bringen Borowski zu der Überzeugung, dass es kein Selbstmord war. Silkes 19-jährige Schwester Maxie verhält sich sehr seltsam. Nachdem sie durch Borowski vom Tod ihrer Schwester erfährt, geht sie in eine Kneipe und zettelt eine Prügelei an, bei der sie krankenhausreif geschlagen wird.
Was weiß sie vom Tod ihrer Schwester, dass sie der Polizei nicht mitteilen will? Hat sie vielleicht sogar etwas mit der Tod der Schwester zu tun und die Prügelei war so etwas wie eine Selbstbestrafung? Doch Maxie schweigt und auch Psychologin Frieda Jung kommt bei ihr nicht weiter. Noch bevor Borowski etwas Brauchbares von Maxie erfahren kann, flüchtet die junge Frau aus dem Krankenhaus. Borowskis Suche konzentriert sich auf das Phantom von Silkes Freund. Silkes Mutter berichtet, dass der Mann Sandor Kovac heißt und angeblich, zumindest hat er das Silke erzählt, für den Geheimdienst arbeitet.
Die Spur führt zu einem toten Uhrmacher mit dem gleichen Namen, der vor einiger Zeit in seinem Auto einem Herzschlag erlag. Offensichtlich benutzt Silkes Freund die Papiere des Toten, die ihm gestohlen wurden und bedient sich seiner Identität. Aber warum? Borowski befragt die Polizisten, die damals die ersten bei dem toten Kovac waren. Einer von ihnen war Claes Möller, der Kovac erstaunlich ähnlich sieht. Eine Tatsache, die seine Kollegen damals auch festgestellt haben. Es verdichten sich die Vermutungen, dass Möller damals Kovacs Papiere gestohlen hat, um sich der Identität des Toten zu bedienen.
Es stellt sich heraus, dass Möller tatsächlich Silkes gesuchter Freund ist. Und die falsche Identität hat er sich zugelegt, weil er verheiratet ist? Hat er Silke ermordet, nachdem sie ihm von der Schwangerschaft erzählt hat? Oder weil sie ihm auf die Schliche gekommen war? Im Hause Möller eröffnet sich den Polizisten ein weiteres Familiendrama.
Rezension
Bereits in der Vorschau hatten wir erwähnt, dass „Das Ende des Schweigens“ von der Tatort-Community eher bei den schwächeren Borowski-Fällen einsortiert wird. Auf jeden Fall handelt es sich um einen konventionellen Whodunit, allerdings verbunden mit der Frage, ob es überhaupt einen Mord gegeben hat. Antwort: Doch, gab es. Und das, was man lange Zeit bezüglich einer Figur vermuten durfte, Selbstmord, erfüllt am Ende eine andere. So weit, so verständlich. Der Film setzt mehr auf Personen als auf Aktionen, das muss, siehe oben, nicht prinzipiell schädlich sein, denn es handelt sich um ein Familiendrama, nicht um eine Räuberpistole oder dergleichen. Aber zu dem Zeitpunkt waren die Kieler Höhenflüge mit Filmen, die anders, nämlich als Thriller, angelegt waren, noch nicht abzusehen und auf mich hat der Titel „Das Ende des Schweigens“ ein wenig sinnbildlich gewirkt. Vielleicht hatte man nach dem Film darüber diskutiert, wie man mit den Ermitller:innen Borowski und Jung weiter verfahren will.
Man kann es nämlich mit bestimmten Merkmalen einer Tatortschiene auch übertreiben und damit die Entwicklung abwürgen: Die leisen, aber weniger literarisch als gestelzt wirkenden und ebenso vorgetragenen Dialoge von Borowski und Frieda Jung, in die auch Chef Schladitz einbezogen wird, ebenso wie die FIgur Cora Rohwedder, hat beim Tatort Grenzen. Sicher, die Darsteller:innen sind dafür geeignet, aber irgendwo wirkt das Ganze auch wie Kunst um der Kunst willen und doch eher künstlich als künstlerisch. Dem stehen Menschen gegenüber, die eher rudimentär im Ausdruck sind, dafür aber mehr Seele zeigen. Offenbar saugt das besondere Verhältnis, das man Borowski und Jung in die Filme hineinschreiben wollte und das auf rhetorischer Finesse beasiert und auf kurzen Sätzen, die mehr verbergen als aussagen, bezüglich des Subtextes aber so klar sein müssen, dass das Publikum nicht mit lauter Fragezeichen dasteht, einige andere Relationen an oder auf, ohne dass sich die Wirkung der betroffenen Figuren voll entfalten kann. Vor allem Susanne Lothar wirkt geradezu verschenkt, weil ihr Auftritt, und es ist ja immer ein Auftritt, für die Dramaturgie des Films fast belanglos ist und von daher überzogen wirkt. Ein Effekt könnte natürlich sein, dass man sie in eine Sache für involviert hält, mit der sie direkt gar nichts zu tun hat. Lediglich die Verhältnisse innerhalb der Familie werden kritisch beleuchtet. Doch wozu? Die Lösung liegt woanders. Das lässt den Film auf eine Weise verschoben wirken und etwas langweilig ist er auch noch.
Zumindest, wenn ich Langeweile als die Unmöglichkeit definiere, Zugang zu den Figuren zu bekommen. Selbst das sehr statuarische einander Umtänzeln von Borowski und Jung leidet unter zu gewollt wirkender Dialogführung, die wiederum dafür sorgt, dass besonders Jung zu klugscheißerisch wirkt. Gleichzeitig wird sie fast als unfähig dargestellt, weil sie Menschen nicht besser einschätzen kann als irgendwer sonst und aus Verdächtigen auch nicht mehr herausbekommt als Schladitz oder Borowski. Wenn man so will, ist das sogar versteckt frauenfeindlich: Viel Getue und nichts dahinter, ist das Signal, ebenso wie bei der erwähnten Cora Rohwedder. Mit wem sich also identifizieren, mitleiden, mitgehen wenigstens? Vielleicht mit Maxie Rohwedder, dem Lost Child der Familie? Ihre Darstellung durch Anna Brüggemann ist zwar die intensivste in „Das Ende des Schweigens“, aber vor allem deshalb, weil die anderen sehr zurückgenommen wirken und Herr „Sandor Kovac“ geradezu fühlbar darstellt, dass er mit einer falschen Identität unterwegs ist, so wenig wirkt er bei sich selbst.
Der Plot ist ein Konstrukt, aber durchaus kein schlechtes: Eine junge Frau erpresst einen Mann, dessen Frau seine Geliebte umgebracht hat, die junge Frau ist die Schwester der Ermordeten. Der Mann ist ein Schlappschwanz, der nicht zu seiner Affäre stehen will und so weit geht, der Geliebten mit falschem Namen gegenüberzutreten, damit sie nicht an seine Familie herantreten kann. Das gelingt ihr allerdings dann doch, weil das mit dem geschickt Lügen und längere Zeit ein Doppelleben führen halt so eine Sache ist. Die Möglichkeiten dieser Handlung werden kaum ausgelotet, und das müsste man unbedingt tun, wenn man dieser Konstruktion noch etwas Neues abgewinnen will. Dafür würde sich wiederum eine Thriller-Abfassung wesentlich besser eignen als der vorliegende Whodunit, denn dann wäre es möglich, z. B. das Verhalten der Ehefrau zu dramatisieren. Wird sie ihren Mann auch umbringen oder, wie wir es im 655. Tatort sehen, doch sich selbst? Oder wird der Schlappschwanz doch irgendwann gewalttätig der jüngeren Schwester der Geliebten gegenüber, die ihn provoziert und ihn verraten könnte? Diese Fragen kann man sich durchaus stellen und daraus eine gewisse Dynamik entwickeln, vielleicht unter Einschluss des Faktors Zeit als Steigerungsmöglichkeit.
Finale
Sicher, ich habe zuletzt viele modernere Hollywoodfilme gesehen, darunter „Verblendung“. Wenn man von dort aus ein paar Jahre ins Tatort-Geschehen zurückgeht, wirkt dieses etwas altbacken, ohne dass mich einer der Jetztzeit-Thriller total begeistert hätte. Es ist eben alles relativ und das Tatort-Bewertungsschema hat lediglich eine Zwanzigstel-Teilung, nicht eine in hundert Punkte, um sich schon optisch ein wenig abzuheben: Die Maßstäbe sind nicht diejenigen, die ich bei Kinofilmen anlege, es gibt auch unterschiedliche Prioritäten. Aber ich konnte mit „Das Ende des Schweigens“ nun einmal nicht so viel anfangen wie mit vielen anderen Tatorten, und das zählt letztlich. Berührt war ich nie, trotz des Lost Girls, das wenigstens etwas Leben hineingebracht hat, weil sie pur und verletztlich wirkt.
Alles andere war mir zu abgezirkelt und das Filming hat die Chancen des Plots wohl auch deshalb nicht nutzen können, weil es sich an jenen notabene zu gestanzen, gleichwohl etwas banal wirkenden Dialogen orientieren musste, die vor allem die Ermittler, und Polizeipsychologin Jung tritt ja fast gleichberechtigt mit Borowski auf, miteinander sprechen. Das manchmal recht Feinsinnige der Kiel-Tatorte entfällt dadurch weitgehend. Was ebenfalls fehlt: Die großartige Atmosphäre, die manche Krimis dieser Nordschiene aufweisen. Die ist für mich sogar konstitutiv. Es handelt sich nur dann um einen richtigen Kiel-Krimi, wenn der Norden düster leuchtet. Richtige Ärgernisse gab es nicht, aber ich ärgere mich manchmal lieber, als mehr oder weniger unbeteiligt vor dem Bildschirm zu sitzen.
5,5/10
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)
(1) Wikipedia
Vorschau: Ein Ereignis ist mittlerweile nicht mehr die Vorstellung eines neuen Tatorts, zumal am heutigen Abend gar keiner Premiere feiert, sondern, dass wieder einmal ein Film ausgestrahlt wird, den wir noch nicht kennen.
Selbstverständlich kann ich mich nicht mehr bei allen Produktionen, die wieder einmal gezeigt werden, daran erinnern, ob ich einen Film schon gesehen haben. Dann gehen wir ins Archiv und hoffen, die Suchfunktion tut das Richtige und übersieht keine Rezension. Unter Berücksichtigung der Richtigkeit der Recherche habe ich „Das Ende des Schweigens“ noch nicht gesehen und es ist ein Borowski-Tatort. So viele Leerstellen gibt es bei den aktuellen Ermittler:innen nicht mehr, das trifft auch auf Borowski zu, insbesondere, weil ich seine Fälle anfangs, als noch so viel zu sichten war, meist vorzog, wenn zu viele in kurzen Abständen auf den Bildschirm kamen, um über sie alle zu schreiben.
Kenner wissen, der Titel weist auf einen frühen Borowski hin, denn seit längerer Zeit steht sein Name immer in der Überschrift. Anders als bei dem Kollegen Bienzle aus Stuttgart war das aber nicht von Beginn an so. Außerdem ist Polizeipsychologin Frieda Jung dabei, das deutet ebenfalls auf einen Film der „ersten Borowski-Phase“ hin. In der zweiten hatte er eine offizielle Ermittlungspartnerin namens Sarah Brandt, in der dritten heißt sie Mila Sahin und ist viel zu jung, als dass sich, wie seinerzeit bei Frieda Jung, über das Dienstverhältnis hinausgehende Ansatzpunkte entwickeln dürften.
„Das Ende des Schweigens“ rangiert in der Fundus-Gesamtliste derzeit auf Rang 520 von über 1170 Filmen, also in der oberen Hälfte. Allerdings bedeutet das beim Borowski-internen Ranking nur Platz 28 von 36, denn, Sie werden es ahnen, die Kieler Tatorte sind überdurchschnittlich hoch angesehen. Leider nicht mehr ganz so herausragend angenommen wie noch vor einigen Jahren, als Höhepunkte wie „Borowski und die Frau am Fenster“ und „Borowski und der stille Gast“ zu den besten Tatorten ihrer Jahrgänge zählten. Aber es reicht nach einer eher durchwachsenen Phase noch für ein gutes Standing. Ob man nun also „Das Ende des Schweigens“ als mittelplusgut ansieht oder als eher schwach, hängt vom Vergleichsmaßstab – und am Ende des heutigen Tages von den persönlichen Eindrücken. Über sie werden wir schreiben, empfehlen den Film aber hier trotzdem schon einmal, denn richtig schlecht sind die Borowskis nie und „Das Ende des Schweigens“ wird offenbar auch selten gezeigt, sonst hätten wir längst einen Artikel dazu im Bestand. Außerdem gibt es ein Wiedersehen mit der früh verstorbenen Susanne Lothar, die zu jedem Film mit ihr, den ich bisher gesehen habe, Wesentliches beiträgt.
Kommissar Klaus Borowski – Axel Milberg
Claes Möller – Thomas Heinze
Cora Rohwedder – Susanne Lothar
Roland Schladitz – Thomas Kügel
Frieda Jung – Maren Eggert
Maxie Rohwedder – Anna Brüggemann
u.a.
Drehbuch – Jörg von Schlebrügge
Regie – Buddy Giovinazzo
Kamera – Roman Nowocien
Musik – Fabian Römer