Das Wunderkind Tate (Little Man Tate, USA 1991) #Filmfest 775

Filmfest 775 Cinema

Es ist ein Wunder in uns allen, trotzdem 

Das Wunderkind Tate (Originaltitel: Little Man Tate) ist ein US-amerikanischer Film aus dem Jahr 1991. Es ist der erste Kinofilm, bei dem Jodie Foster als Regisseurin beteiligt war.

Fred Tate hat am Ende des Films wirklich Glück, dass er die oben erwähnte, optimale Erziehung wie ein schönes Puzzle zusammengestellt bekommt – was in ähnlichen Fällen passiert, wenn sie unausgewogen ist, sehen wir an uns, wir schreiben über Filme, anstatt selbst welche zu machen. Spaß! Aber es ist schon eine tolle Idee, dass Kinder so gefördert werden, dass sie ihr großes Potenzial gänzlich entwickeln und abrufen können, dass nichts schiefgeht auf dem Weg vom vielversprechenden Wunderkind zum erwachsenen Genie. Besonders die Musik-Wunderkinder haben unser Bild von Hochbegabten für lange Zeit geprägt, kleine Mozarts. Dass musisch begabte Menschen oft auch einen guten Zugang zur Mathematik haben, ist ebenfalls bekannt. Eine andere Welt sind für uns die Performer und die Maler und Schriftsteller. Dass ein Kind wirklich alles in sich vereint, wie Fred Tate, ist selbst für einen Hochbegabten ungewöhnlich, denn so gleichmäßig wie bei ihm sind die Gaben selbst bei den besonderen Menschen nicht verteilt. Es ist kein Vorwurf, eher Ausdruck eines Zweifels, und er wird ein wenig verstärkt durch den Kontrast, der uns gezeigt wird.

Handlung (1)

Dede Tate (Jodie Foster) ist eine Kellnerin und alleinerziehende Mutter. Als ihr Junge gerade mit Sprechen anfängt, greift er nach einem Teller und sagt „Koffer!“. Die Mutter schüttelt den Kopf und meint: „Nein, Dummerchen, dies ist ein Teller!“ Doch als sie auf die Rückseite des Tellers schaut, erstarrt ihr Blick: Der Hersteller heißt „Koffer“. Ihr Sohn Fred gilt daher seit frühester Jugend als sehr begabt, doch weder in der Schule noch in der häuslichen Umgebung kann sein Intellekt entsprechend gefördert werden. Nach anfänglichem Zögern übergibt Dede ihren Sohn in die Obhut der Wissenschaftlerin Jane Grierson (Dianne Wiest), die ein Förderprogramm für hochbegabte Kinder organisierte. Fred fühlt sich von der Mutter verlassen, besonders in der streng durchorganisierten Welt von Jane Grierson. In einer Fernsehsendung sagt er, dass seine Mutter gestorben wäre.

Dede betrachtet zeitweise Jane Grierson als eine Konkurrentin um die Aufmerksamkeit ihres Sohnes, doch später begreift sie, dass nur beide Frauen gemeinsam Fred eine optimale Erziehung bieten können.

Rezension

Jodie Foster tritt als Tates Mutter Dede beim ersten Besuch im Institut von Mrs. Grierson im ältesten Schlabber-T-Shirt auf, das am Kragen Verschleißspuren aufweist, und drüber eine Fleece-Jacke mit Kapuze. Das ist ein wenig zu dick aufgetragen, zumal sie durch ihren Job in einer Bar weiß, dass es einen Dresscode gibt. Das ist beinahe eine Verunglimpfung benachteiligter Bevölkerungsschichten, weil ihnen unterstellt wird, sie sind so in ihrer eigenen Welt gefangen, dass sie nicht einmal einen Fernseher haben. Besser wär’s gewesen, sie wäre vielleicht ein wenig overdressed oder knapp neben dem richtigen Outfit angekommen als so. Das Gleiche gilt für die Aufmachung von Fred. Es sei denn, man interpretiert dies alles so, dass sie unterschwellig ihr Desinteresse, ja ihre Abneigung gegenüber Grierson und dem ganzen IQ 140+-Betrieb dokumentieren will. Am Ende ist sie ja auch wesentlich besser angezogen, als sei dies ein Anerkenntnis der Tatsache, dass man sich auf halbem Weg entgegenkommen muss, um Fred gerecht zu werden. Dass sie dann auch noch das Klavier versetzt, das Fred so wichtig ist, hätte ebenfalls nicht sein müssen. Die Idee, es an die Wand zu malen, mit der falschen Tastenzahl und anzugeben, die Farbe sei ausgegangen, ist einerseits grausam, aber sie lässt auch schmunzeln.

Roger Ebert hat in seiner Kritik zum Film ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert und erzählt, wie nah er Fred an Jodie Foster selbst angesiedelt sieht, weil er sie kannte und mindestens im Zusammenhang mit einem Film interviewt hat. Für uns ist sie in den bisherigen Filmen, die wir mit ihr gesehen haben und abseits von „Taxi Driver“ in einer Frühreifenrolle, immer dann am besten gewesen, wenn sie das sein durfte, was sie ist – nämlich weit überdurchschnittlich intelligent. Es springt aus jedem Zug ihres Gesichtes, dieses Überdurchschnittliche. Sicher mit ein Grund, warum ihre Schauspielleistungen oft erstaunlich kritisch betrachtet werden, denn die Maßstäbe sind hoch und ein wenig Neid dürfte hin und wieder auch dabei sein. Die Klarheit und Sicherheit, die sie ausstrahlt, sind durchaus eine Herausforderung, wie z. B. in „Das Schweigen der Lämmer“ für den Gefängnisdirektor, mit dem sie aneinander gerät, weil er merkt, dass er es mit einem ihm überlegenen Menschen zu tun hat. Gemildert wird der Eindruck dadurch, dass Foster körperlich eher klein ist, was aber auch zur Unterschätzung führen kann.

Wir müssen uns demnächst noch einmal „Angeklagt“ vornehmen, den ersten Film mit ihr, den wir gesehen haben, denn in ihm spielt sie auch eine Rolle, die nicht ihrem natürlichen Status entspricht. Das haben viele SchauspielerInnen getan, aber eher in die andere Richtung – indem sie Personen verörperten, die weit über ihre eigenen Möglichkeiten hinaus Geschichte geschrieben haben, und das oft recht überzeugend. Aber wir hatten immer wieder dieses doppelt sehen, wenn sie als Dede versucht, so einfach wie möglich zu wirken. Wie weit wir dabei durch die über sie bekannten Fakten und Ansichten beeinflusst sind, ist schwer von der direkten Wahrnehmung im Film zu trennen. Aber da Schauspieler nun einmal ein Image haben, schwingt dieses bei der Beurteilung ihrer Leistungen immer ein wenig mit und man sagt, diese Rolle ist wie für sie gemacht – oder eben nicht.

Die Gefahr, dass nicht alles so wird, wie man es rüberbringen will, wenn man als Schauspieler auch noch Regie führt. Fraglos hat Foster das drauf, der Film hat kaum einen sichtbaren Mangel in der Dramaturgie und der Führung der (anderen) Schauspieler, aber es ist eben die Idee, anhand eines kleinen Jungen auch sich selbst zu vermitteln, sich selbst aber ganz anders zu präsentieren, die sehr, sehr gut gemeint ist und tatsächlich viel Verständnis für die Belange eines außergewöhnlichen, recht ernsthaften und sehr einsamen kleinen Jungen evoziert. Aber wir legen uns jetzt fest und sagen: Foster hat die Regie gut im Griff und ist hinter der Kamera an der richtigen Stelle – aber in diesem Film hätte sie die Mutter von einer anderen Frau, einer Schauspielerin mit einer etwas erdigeren Ausstrahlung spielen lassen sollen. Diese hätte sie dann auch beobachten und genau ins Ziel und zu einer formidablen Darstellung hin dirigieren können, so, wie sie auch den Charakter der Kinderpsychologin als einer eher technokratisch orientierten Person mit ebenfalls guten Absichten mit Dianne Wiest überzeugend auf die Leinwand brachte.

Leider spielt etwas eine Rolle, wofür Foster überhaupt nichts kann. Die tiefe, etwas hohl klingende Stimme, die ihr in der deutschen Synchronisation immer gegeben wird und die ihrer eigenen nicht sehr präzise entspricht. Diese ist etwas rauer, aber vom Grundton heller und hat eine größere Bandbreite. Auf Deutsch hören wir die Stimme einer eher großen, zudem ruhige Autorität, aber auch eine gewisse Distanz und innere Sammlung ausstrahlenden Person, die zu dieser Rolle wirklich nicht passt, da kann sie noch so sehr ein wenig nuscheln oder angedeuteten Slang sprechen. Im Gegenteil, das verstärkt den Eindruck, etwas passt hier nicht.

Bei Adam Hann-Byrd ist das Gefühl eher, dass er Fred Tate als ganz normalen Jungen zeigt, in dem viel mehr steckt, als man denkt. Er wirkt nicht prätentiös oder oberschlau-altklug, wie wir das häufig von Kindern aus Familien kennen, in denen die pädagogisch motivierte Dialogverwendung in der Erziehung übertrieben wird, der Spaß aber wohl etwas zu kurz kommt. Wie auch, seine Mutter ist keine Geistesgröße, die ihr Kind auf die schnelle und etwas abgehobene Spur setzen kann. Demnach sind es auch mehr die menschlichen als die geistigen Qualitäten von Fred, die im Film zum Tragen kommen. Er macht Fehler oder verhält sich unkooperativ im Umgang mit anderen, aber nicht mehr als jedes Kind, das eine bestimmte Prägung hat und auf Situationen trifft, in welcher diese Prägung zu suboptimalem Verhalten führt. Und solche Situationen kann es bei allen, auch sehr offenen und unkomplizierten Kindern geben.

Fazit

„Little Man Tate“, wie „Das Wunderkind Tate“ im Original heißt, ist ein Kritikerfilm – es gibt für ihn keinen Metascore, dafür wurde er zu früh gezeigt, doch die Wertung auf „Rotten Tomatoes“ liegt bei 76 % Zustimmung, bei den dort wertenden Nutzern nur bei 66 %, ebenso in der IMDb: 6,6/10. 

Die USA sind bei allem, was sie nicht sein sollten, ein sehr vielseitiges Land, in das die großen Einwanderergruppen verschiedene Prinzipien und Ansichten mitgebracht haben. So steht das deutsche Genieprinzip nach unseren Eindrücken gleichberechtigt neben dem eher britisch-pragmatischen Ansatz, dass man alles lernen kann. Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte, sondern ist ein sowohl als auch – aber bis zu einem gewissen Grad. Dass Kinder sich ohne gezielte Förderung kaum zu Geistesgrößen entwickeln, die aus ihrer Begabung auch etwas machen können, halten wir für ebenso überwiegend wahrscheinlich wie die Tatsache, dass Vieles tatsächlich Übungssache ist und dass Übung wiederum den Intellekt stimulieren und verbessern kann. Aber da muss natürlich etwas sein und die vielen unglücklichen Genies und gescheiterten Wunderkinder, die es in der Geschichte gab, zeugen davon, dass man im Umgang mit besonderen Menschen nicht nur Fehler gemacht, sondern sie auch böswillig diskriminiert hat. Aber dass man verschiedene Einflussfaktoren emotionaler und intellektueller Art, dass man Fürsorge und Anforderung immer optimal kombinieren kann und der Erfolg ist vermutlich nicht aufzuhalten, das suggeriert es „Das Wunderkind Tate“ ein wenig, muss relativ gesehen werden. Freds Mutter würde es verkraften, wenn aus ihm doch nur ein normaler Pianist oder Mathematiker ohne Nobelpreis werden würde, er selbst vermutlich auch. Aber in Mrs. Grierson erkennen wir auch viele Eltern wieder, die ihren Kindern durchaus Probleme machen können, mit einer zu einseitig auf Förderung zielenden Erziehung.

„Tate“ macht durchaus nachdenklich, was die Darstellungen angeht, ist er nicht frei von Fragezeichen, aber er ist ein wichtiger Film, in dem ein kleiner Mensch als solcher ernstgenommen wird und der grundsätzlich den richtigen Ton zwischen Emotionen, Menschlichkeit und Chancen durch ungewöhnliche Fähigkeiten anschlägt.

77/100

© 2022 Der Wahlberliner (Entwurf 2015)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Jodie Foster
Drehbuch Scott Frank
Produktion Peggy RajskiScott Rudin
Musik Mark Isham
Kamera Mike Southon
Schnitt Lynzee Klingman
Besetzung

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