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Für alle volkswirtschaftlich Interessierten die Nachricht des Tages: Im Juli wird die EZB erstmals seit 2016 ihren Leitzins anheben und damit die nunmehr ewige sechs Jahre anhaltende Nullzinspolitik beenden. 0,25 Prozent sollen es ab Juli sein, der kleinste denkbare Schritt. Auf der Grafik ist er noch nicht zu sehen.
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann unser Kommentar:
Um dem hohen Druck steigender Inflationsraten in den Euro-Ländern entgegenzuwirken, plant die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins ab Juli um 0,25 Prozentpunkte anzuheben. Es wäre die erste Zinserhöhung seit dem Jahr 2011, ab dem Jahr 2016 hatte die EZB eine Nullzinspolitik verfolgt. Auch die Zentralbanken der USA und Großbritannien haben den Zinssatz bereits erhöht, wie die Statista-Grafik zeigt.
Erst im Frühjahr 2020 hatten sowohl die Federal Reserve (Fed) der USA als auch die Bank of England (BoE) den Leitzins zur Abfederung der wirtschaftlichen Corona-Folgen drastisch gesenkt. Der russische Angriff auf die Ukraine bewegt die zentralen Finanzorgane der Länder nun wieder zu einer restriktiven Geldpolitik. Knappere Geldmengen und verteuerte Kredite sollen die Währung wieder aufwerten und dadurch die Inflation dämpfen. Für den Konsumenten bedeutet das wieder sinkende Lebenserhaltungskosten, das Wirtschaftswachstum wird jedoch indirekt ausgebremst.
Angesichts der auch von Statista beschworenen möglichen Dämpfung der Wirtschaftstätigkeit bei einem Mordszinssatz von 0,25 Prozent können wir nur sagen: Ruhe bewahren. Die Grafik hat nämlich in diesem Fall einen entscheidenden Nachteil. Sie greift zeitlich viel zu kurz. Deshalb haben wir für Sie das Langfristpendant aus der Wikipedia gefischt und bilden es hier ab, um erklären zu können, was wir von den neuesten Bewegungen in der Geldpolitik halten:
Diese Wikipedia-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder.
Was zeigt das Histogramm? Die Zinssätze der Zentralbanken von 1954 bis 2014, als die absolute Niedrigzinspolitik der EZB schon drei Jahre lang lief(seitdem repräsentiert sie den niedrigsten Zinssatz aller wichtigen Zentralbanken). Sie sehen auch, mit welch einer Wucht die Zentralbanken früher versucht haben, die Inflation zu bekämpfen, wenn sie in dem Maße auftrat wie derzeit. Davon exakt seit der Bankenkrise nichts mehr zu sehen und die EZB, die einen ziemlichen Haufen wackeliger Volkswirtschaften stützen muss, die im Euro versammelt sind, ist noch einen Tick freizügiger als die Bank of England und die amerikanische Federal Reserve. Die Instrumente der Geldpolitik zur Inflationsbekämpfung wurden drangegeben, um den Staaten durch die Schuldenkrise zu helfen. Wir haben kürzlich die Zusammenhänge auch hier dargestellt, als es um den Preis des Ukraine-Krieges ging. Alles super gelaufen für diejenigen, die Schulden abbauen mussten und miserabel für nicht spekulierende Kleinvermögensbesitzer:innen.
Ein Problem ist, dass die heutige Inflation einen anderen Grund hat als während der 1970er. Damals trafen starkes Wirtschaftswachstum und dann der erste Ölpreisschock aufeinander und man konnte die Konjunktur dämpfen, ohne dass Volkswirtschaften wesentlich litten. Zumindest war das in Deutschland so, die USA schnitten in jenen Jahren schlechter ab. Kein Wunder, bei Leitzinsen von bis zu knapp unter 20 Prozent. Aber jetzt wird schon das eine Prozent als viel erachtet, welches von der Fed derzeit ausgewiesen wird, denn es gibt ja mit der EZB noch eine Zentralbank, die bis jetzt bei Null verblieben ist. Dadurch schwächelt derzeit der Euro etwas. Der Export verbilligt sich in Maßen, aber die Importpreise steigen. und das ist eben nicht einer florierenden Weltwirtschaft zu verdanken, in der die Nachfrage immer neue Höhen erreicht, sondern dem genauen Gegenteil: Blühen tut vor allem die Spekulation, nicht die Realwirtschaft, und mit Rohstoffen wird derzeit ein Riesengewinn erzielt, weil sie in die Krisen- und Kriegsspekulation eingetreten sind. In dieser Reihenfolge.
Das Ganze ist aus dem Ruder oder Gleichgewicht und mit 0,25 Prozent Zinsen wird die EZB es ganz sicher nicht einfangen. Das ist Symbolpolitik für diejenigen, die der EZB vorwerfen, dass sie z. B. zugunsten Frankreichs und der dortigen Wahlen schlicht gar nichts tut. Dort ist die Inflation aber auch um mehr als 2 Prozent niedriger als in Deutschland, weil die Energiepreise nicht so steigen. Der Atomstrom mag sein, was er will, aber das Land bestimmt eben über die Energiepreise weitgehend selbst, in Deutschland ist das nicht der Fall. Doch es bleibt dabei: 0,25 Prozent sind Augenwischerei. Vielleicht wirkt das Symbol ein wenig, Marktpreise beinhalten ja auch viel Psychologie, aber eine Beruhigung an der Inflationsfront sollte man sich dadurch nicht erhoffen.
Was die Märkte vom schuldengetriebenen Wachstum der US-Wirtschaft in den Trump-Jahren hielten, haben sie übrigens auch dokumentiert: Trotz der höheren Zinsen in den USA wurde der Dollar gegenüber dem Euro nur unwesentlich stärker – erst jetzt, bei einem Stand von 1,05 Dollar / 1 Euro tut sich etwas und das dürfte auch der wesentliche Antrieb der EZB sein: Nicht die hiesigen Verbraucher vor Inflation zu schützen, sondern den zuletzt deutlichen Schwächekurs des Euro etwas zu bremsen, die hiesige Währung vor weiterem Wertverfall zu schützen. Ein Argument, das die Verfechter der Niedrigzinspolitik regelmäßig außer Acht lassen, dass eine Währung dadurch immer weicher wird. Dass dieser Effekt in den letzten Jahren nicht so deutlich zu Buche geschlagen ist, wie das in früheren Zeiten der Fall gewesen wäre, liegt daran, dass alle großen Volkswirtschaften ähnliche Probleme haben, nur ist das Ausmaß nicht exakt gleich. Einen kleinen Bonus zugunsen der USA sahen die Märkte durchaus, auch wenn die dortigen Staatsschulden viel zu hoch sind. Man traut der Wirtschaft zu, diese Verschuldung stemmen zu können. Irgendwann einmal jedenfalls. In Europa ist hingegen gar zu offensichtlich, dass die EZB sich nicht gerührt hat, weil jede Bewegung Chaos in angeschlagenen Volkswirtschaften hätte auslösen können. Zumindest nach Ansicht der EZB.
Zuletzt stand der Euro 2017 so tief wie jetzt, seinen Höchststand von etwa 1,45 zu 1 erreichte er am Beginn der Bankenkrise (2008), als es aussah, als seien die USA besonders stark betroffen. Das relativierte sich in der Folgezeit, weil in den USA regierungsseitig weitaus deutlicher in die Wirtschaft eingegriffen wurde als in Europa, um sie wieder auf Kurs zu bringen.
TH