Crimetime Vorschau – Titelfoto © SWR, Daniel Dornhöfer
Ursprünglich war der Tatort Mainz mit Heike Makatsch als Kommissarin Ellen Berlinger ein „Special“, eine einmalige Angelegenheit, doch mittlerweile gibt es den vierten Fall mit ihr. Wir ziehen die erste Meinung dazu vor, um im Anschluss über die Position von Berlinger im Teamranking zu reflektieren:
(…) Die Story um die vertrackte Dreiecksbeziehung zwischen zwei Best-Agerinnen und einem Ex-Knasti ist klug konstruiert und schauspielerisch überzeugend in Szene gesetzt. Dass die Geschichte auf verschiedenen Zeitebenen spielt, zwischen denen auch noch munter gewechselt wird, hält die Spannung und die Aufmerksamkeit beim Zuschauer hoch. Hier liegt zugleich das einzige größere Manko des Films, denn gerade am Anfang ist es schwierig, die verschiedenen Zeitebenen auseinanderzuhalten und den Kontext der Szenen zu erschließen – dieser wird erst nach und nach ersichtlich. Manch ein ungeduldiger Zuschauer könnte hier schon entnervt aussteigen. Dranbleiben lohnt sich aber, denn man wird mit einem kurzweiligen Krimi und einem launig aufspielenden Ermittlerduo belohnt, das sich allmählich zu finden scheint. Insgesamt starke vier Sterne. – Redaktion Tatort-Fans
Im Grunde handelt es sich also um eine vierte SWR-Schiene (neben Ludwigshafen, Stuttgart und dem Schwarzwald), und das ist ganz schön viel. Dabei hat der Sende schon Probleme, drei Standorte mit guten Drehbüchern zu versorgen, was vor allem Lena Odenthal in Ludwigshafen immer wieder auszubaden hatte, wenn man es so nennen will. Vielleicht denkt man sich auch, die Schwaben-Hauptstadt mit den Ermittlern Lannert und Bootz hat sich einen so herausragenden Ruf erarbeitet, dass nicht alles andere auch noch Spitze sein muss. Der Mensch aus dem Südwesten ist prinzipiell eher von ausgleichender Natur und übertreibt es nicht. Nun ja, gerade die Schwaben sind, was den Perfektionismus betrifft, damit allerdings unzureichend analysiert. Immer daran tüfteln, es noch besser zu machen, das ist tatsächlich am meisten der Stuttgart-Schiene des SWR zuzuschreiben.
Schaut man sich das Ermittler:innen-Ranking des Tatort-Fundus an, spiegelt sich das sehr deutlich: Mit Rang 1 (den haben sich die Stuttgarter von den Saarländern zurückerobert), Platz 16, 21 und 23 performen die Teams des SWR sehr unterschiedlich. Platz 16 hält Lena Odenthal, das ist einfach schwach, für eine so arrivierte Figur, Platz 21 geht an Berg und Tobler, die vermutlich niemals das Renommee der Vorgängerschiene vom Bodensee (Blum, Perlmann) erreichen werden, und der allerletzte Platz, das ist – genau, Berlinger. 0,01 Punkte hinter Tschiller aus Hamburg! Witzigerweise gibt es aber innerhalb des Desasters auch ein Licht, denn, was die Tatort-Fans beschreiben, ist tatsächlich auch in den Bewerungen zu sehen: Wurde der erste Berlinger-Tatort mit 4,81/10 noch als echter Flop angesehen, liegt der zweite mit 5,53/10 wenigstens nicht ganz am Ende der Gesamtrangliste und beim dritten ging es mit 5,83/10 weiter moderat aufwärts. Um die Relationen nicht aus dem Blick zu verlieren: Auch der beste Berlinger-Fall kommt aktuell auf Platz 897 von 1218, steht also im unteren Drittel der Liste. Trotzdem, wenigstens um einen Platz vorzurücken und die rote Laterne an Nick mit dem Tick abzugeben, das sollte machbar sein.
Da hat der SWR also den Glauben an das Potenzial nicht verloren und das zeichnet den Sender auch aus: „Eintagsfliegen“ und Kurzzeit-Engagements gab es dort eigentlich nie, wenn man von dem recht kurzen Einsatz der allerersten Tatort-Kommissarin Marianne Buchmüller (Nicole Heesters) in den späten 1970ern absieht (ebenfalls, wie Berlinger bis jetzt, drei Fälle), die dann aber durch die zweite Kommissarin Hanne Wiegand abgelöst wurde, die wesentlich länger dabei blieb, während es rundum weiterhin nur Männerteams gab. Diese Tradition wurde von Lena Odenthal fortgeführt, die Ende der 1980er, als sie an den Start ging, weiterhin die einzige weibliche leitende Ermittlerin war. Allerdings wurde ihr nach einiger Zeit mit Mario Kopper doch ein Mann zur Seite gestellt. Mittlerweile gibt es sie im Doppelpack mit Johanna Stern zusammen. So ist also Ellen Berlinger anfangs die einzige Alleinermittlerin an 23 Tatort-Standorten in der heutigen Zeit gewesen, außerdem alleinerziehend; aber auch sie hat mittlerweile einen festen Ermittlungspartner mit dem sprechenden Namens Rasch. Zwei Hauptfiguren bilden ja auch die Realität eher ab.
Und worum geht es in diesem vierten Berlinger-Film?
Bibiana Dubinski, Best Ager, wohlhabend und entschlossen, das Leben so lange wie möglich zu genießen, stirbt an einem Insulinschock. Ihre enge Freundin Charlotte Mühlen, weniger wohlhabend, dafür neuerdings glücklich verliebt in den jungen Hannes Petzold, erbt Villa und Vermögen. Zwei Freundinnen im sogenannten besten Alter, eine reich, die andere Erbin, dazu ein 30 Jahre jüngerer Ex-Knasti, der die Erbin umgarnt – ist es Erfahrung, Instinkt oder Fehlschluss, dass bei Ellen Berlinger alle Alarmglocken läuten? Sie ist überzeugt, dass ein Verbrechen geschehen ist, und verdächtigt Hannes Petzold. Aber die Indizien sind wenig belastbar und Staatsanwältin Winterstein stellt den Fall ein. Hartnäckig erkämpft Martin Rascher ein knappes Zeitfenster für weitere Ermittlungen. Die Kommissare kämmen den gesamten Fall nochmal durch und setzten dabei Charlotte Mühlen mit dem Verdacht gegen ihren Liebhaber unter Druck.
Tim Trageser führte Regie beim dritten gemeinsamen Einsatz der Mainzer Kommissar:innen Ellen Berlinger und Martin Rascher. Das raffiniert mit den Zeitebenen spielende Drehbuch um einen Todesfall, den Ellen Berlinger nicht als Unfall akzeptieren will, schrieb Thomas Kirchner. Gemeinsam mit Heike Makatsch und Sebastian Blomberg standen Michaela May, Ulrike Krumbiegel und Klaus Steinbacher in den Episodenhauptrollen vor der Kamera.
Damit zu den weiteren Stimmen, die wir traditionell einholen. Zuerst etwas, was wir immer als ein wenig tricky empfinden: Wenn der SWR3-Check Produkte aus dem eigenen Haus zu bewerten hat:
Tatort Mainz: Überzeugt Heike Makatsch? Heike Makatsch wirkt in ihrer Rolle als Tatortkommissarin Ellen Berlinger fast bieder und ungeschickt. Ihr Partner Sebastian Blomberg als Martin Rascher spielt dagegen den ruhigen, erfahrenen Kommissar. Das hat manchmal ein bisschen was von Polizei-Lehrstunde. Immerhin wird es am Ende noch spannend. Und es ist ja erst der dritte gemeinsame Fall des Tatort-Teams. Da geht noch mehr. – SW3-Check, Caro Knape
Das ist wohl in solchen Fällen das Beste, es eher an den Darsteller:innen festzumachen, ob der Film funktioniert. So schlecht ist die Bewertung dann aber nicht: 3 von 5 Elchgeweihen werden an die Wand gehängt.
Ellen Berlinger ist außer sich. Sie findet es skandalös, wie die Staatsanwältin einen Fall ad acta legt, der für sie sonnenklar ist: Eine steinreiche Witwe, die an einem Insulinschock gestorben sein soll, ihre Freundin als allein Begünstigte und deren neue „Liebe“, ein dreißig Jahre jüngerer Ex-Knasti als möglicher Tatverdächtiger – da muss man doch weitermachen! Doch die Kommissarin hat Ermittlungsfehler begangen. Im „Tatort – In seinen Augen“ (…) werden die Bedingungen der Ermittlungen und deren Verlauf ständig mit reflektiert. Dabei übernimmt Kommissar Rascher nicht nur die Moderatoren-Rolle zwischen Staatsanwältin und Kollegin, sondern agiert zugleich als Supervisor, der Berlingers Vorgehen bei den Ermittlungen nach Unkorrektheiten abklopft. (…) zunehmend komplexer. Der Film ist nicht chronologisch erzählt, sondern springt immer wieder durch die Zeit. Verantwortlich für diesen Bruch mit den „Tatort“-Gepflogenheiten ist Thomas Kirchner. Der Autor und Schöpfer des „Spreewaldkrimis“ hat die Chronologie sprengende, assoziative Narration in der ZDF-Ausnahme-Reihe perfektioniert. (…) Das benötigt etwas Eingewöhnungszeit. Aber das war bei Makatsch als „Tatort“-Kommissarin ja nicht anders. Mit Blomberg jedenfalls gibt es eine Zukunft. – Rainer Tittelbach, Tittelbach-TV
Damit die Eingewöhnungszeit durch gute Begleitung gekennzeichnet ist, hat Rainer Tittelbach selbst die Rezension verfasst und kommt auf 4,5/6. Das ist für Tatortbewertungen dieser Publikation lange Zeit der gefühlte Durchschnitt gewesen, zuletzt ging es aber auch häufiger darüber hinaus, einmal kam es sogar zur vollen Punktzahl. Wir sagen dennoch: Es ist eine durchschnittliche Bewertung für „In seinen Augen“, die wir hier sehen, verbunden mit einem Ansporn zum Weitermachen! Die Chance, dass Berlinger & Rasch sich vom letzten Platz im Fundus-Ranking in ungeahnte Höhen liften, besteht in der Tat, denn drei schwache Filme hat wohl jedes der großen Teams schon geliefert. Allerdings auch dutzendweise solche, die beim Publikum dieser Plattform gut ankamen. Um also richtig nach vorne zu kommen, müsste Ellen Berlinger häufiger im Einsatz sein und sich keinen weiteren „Patzer“ erlauben, wenn man die ersten drei Filme als solche oder, kaum weniger abwertend, als Etüden für eine Anfängerin bezeichnen will.
Christian Buß vom Spiegel, den wir normalerweise nicht auslassen, scheint bereits in der Sommerfrische zu sein und das interessante ist: Wenn er nicht schreibt, gibt es vom Spiegel auch keine Tatortrezension. Wir haben jedoch eine interessante Ersatzstimme gefunden (von dieser Stelle gibt es keine Bewertung):
Wurde der Spielort vom ersten Teil (Freiburg im Breisgau) im zweiten Teil nach Mainz verlagert, dient die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt auch im nunmehr vierten Fall als Kulisse, jedoch ist von einer Event-Platzierung nichts mehr zu spüren. Mehr noch als das: Als letzter «Tatort» vor der Sommerpause zu einem ungewöhnlich späten Termin in der Programmierung (an dem erste Bundesländer bereits in die Ferien aufgebrochen sind), steht die Frage im Raum, ob die Figur der Ellen Berlinger gescheitert ist. Wurde im dritten Berlinger-«Tatort» «Blind Date» im Oktober 2021 immerhin noch das Privatleben der Ermittlerin ausführlich thematisiert, als ein Teil ihrer Persönlichkeit, das sich von ihrem Beruf nicht trennen lässt, findet ein Privatleben der Ellen Berlinger in diesem Film nicht mehr statt. Ellen Berlinger, als Eventermittlerin gestartet, ist in der Masse des deutschen Kriminalfilmes angekommen. – Quotenmeter, Christian Lukas
Es war mir nicht bewusst, dass im Grunde schon Sommerpause ist und dass die Sommerpause sich in der Regel an den unterschiedlich gelagerten Sommerferien aller Bundesländer orientiert, somit also etwa drei Monate dauert. Die absoluten Zuschauerzahlen, das merken wir im Sommer auch an den Zugriffszahlen auf den Wahlberliner, werden wohl nicht ganz so hoch liegen wie zuletzt, aber der Marktanteil ist das entscheidende Kriterium, und wenn er gut über 20 Prozent liegt, hat man beim SWR doch einiges richtig gemacht. Die meisten Tatorte konnten in letzter Zeit zwischen 25 und 30 Prozent der Zuschauer:innen an Sonntagabenden für sich gewinnen, teilweise übernahmen sie die Marktführung sogar beim „jüngeren Publikum“ (14-49 Jahre). Wir werden sehen, wie es vorangeht mit Ellen Berlinger und melden uns nach der Sichtung mit hauseigener Kritik wieder.
TH
Rolle | Darsteller |
---|---|
Ellen Berlinger | Heike Makatsch |
Martin Rascher | Sebastian Blomberg |
Charlotte Mühlen | Michaela May |
Hannes Petzold | Klaus Steinbacher |
Bibiana Dubinski | Ulrike Krumbiegel |
Jasmin Winterstein | Abak Safaei-Rad |
Maja Ginori | Jule Böwe |
Enrico Thiele | Linus Moog |
Funktionsbereich | Name des Stabmitglieds |
---|---|
Musik: | Andreas Weidinger |
Kamera: | Eckard Jansen |
Buch: | Thomas Kirchner |
Regie: | Tim Trageser |