Black Box – Polizeiruf 110 Episode 399 #Crimetime Vorschau #Polizeiruf110 #Polizeiruf #Magdeburg #Brasch #MDR #BlackBox #Familie

Crimetime Vorschau – Titelfoto © MDR / filmpool fiction, Conny Klein

Schon wieder ein Krimi „in der Familie“. Damit dürfte nicht schwer zu erraten sein, was mit „Black Box“ gemeint ist. Ganz langsam, nach sehr vielen Dramen dieser Art. Selbst wenn manche von ihnen gut inszeniert waren oder gewesen sein sollten, kommt in uns der Wunsch nach einem handfesten Berufsverbrecher-Krimi auf. Darin dürfte es ohne allzu viel Psychologie ruppig und knallig zugehen.

Für diesen Wunsch kann freilich der MDR nichts, der DIE Brasch wieder alleine ins Rennen schickt, nachdem sie nun mehrere Ermittlungspartner weggebissen hat. Blöd in dem Zusammenhang, dass sich Berichte über diese Wechsel lesen, als sei die Realität zwischen Claudia Michelsen, Sylvester Groth, Matthias Matschke nicht viel anders gewesen. Vielleicht sollte man das Method Acting nicht zu sehr übertreiben und vor allem nicht auf das übertragen, was hinter der Kamera läuft. Für mich hat das dazu geführt, dass ich die ohnehin besonders düsteren Magdeburg-Polizeirufe mittlerweile als Stolpersteine empfinde, wie die NDR-Tatorte mit Mrs. Lindholm, die sich ursprünglich in Hannover abspielten.

Sicherlich ist es richtig, dass die beiden ARD-Sonntagabendkrimis ein breites Spektrum an Charakteren und Tönen zeigen, aber Kritik ist nie ganz objektiv und selbstverständlich fließen persönliche Vorlieben in sie ein. Anders als die Profis, die in Deutschland immer noch zu sehr einen Duktus pflegen, der wirkt, als ob sie eine übergeordnete Position als Schiedsrichter:innen hätten, geben wir das hier aber unumwunden zu. Selbst auf den ersten Blick objektiv wirkende Elemente wie schlechte Dialoge oder ein verbauter Plot werden nicht von allen gleich empfunden. Selbstverständlich gilt das umso mehr dafür, ob man mit der Darstellung von Figuren gut klarkommt oder nicht.

Da muss es bloß etwas geben, was die eigene Black Box triggert, und schon wird’s erheblich schwieriger, drüberzustehen. In solchen Fällen kann man froh sein, wenn man wenigstens eine Ahnung davon hat, was dieses unangenehme Gefühl, das ich zum Beispiel bei den Brasch-Polizeirufen habe, hervorruft. Arroganz, Überheblichkeit, Diskriminierung anderer spielen dabei sicher eine Rolle. Viele Zuschauer:innen, Beobachter:innen, Rezensent:innen haben damit überhaupt kein Problem. Kommt es daher, weil es ihre Welt spiegelt, weil es für sie nicht hinterfragt mehr oder weniger selbstverständlich ist oder daher, dass ich besonders empfindlich auf bestimmte Übergriffe reagiere? Alles eine Frage der Wahrnehmung und der Maßstäbe. Nun erst einmal zur Handlung, danach die „Stimmen“:

Handlung

Der 21-jährige Adam Dahl fährt nach einem Partywochenende in Berlin mit seinem Freund Tomi im Zug zurück nach Magdeburg. Die beiden sind glücklich und verliebt. Doch die Stimmung kippt schlagartig, als Christof Oschmann zu dem jungen Paar ins Zugabteil steigt. Etwas wird in Adam ausgelöst – nicht genau zu benennen, wodurch. Aber es ist das, wonach Kriminalhauptkommissarin Doreen Brasch später verzweifelt sucht – das, was man „Trigger“ nennt. Adam Dahl erschlägt Christoph Oschmann. Später kann er nicht sagen, warum er das getan hat. Intuitiv spürt Brasch eine Verbindung zu Adam und möchte ihm helfen, die Wahrheit herauszufinden.

Kritiken

Es ist zugegebenermaßen gewagt, einen Krimi zu inszenieren, der den Täter schon zu Beginn auf dem Silbertablett serviert und die Frage des Motivs in den Mittelpunkt rückt. Dieser Polizeiruf zeigt, dass sich das Risiko lohnt. Natürlich kann „Black Box“ kein klassischer Whodunit sein, aber dennoch – oder gerade deswegen – fesselt der Film von der ersten bis zur letzten Minute. Die kaputten Familienverhältnisse im Hause Dahl werden nach und nach entlarvt, bis das spektakuläre Finale dann alles bis dahin Vorstellbare sprengt.
(…) Auch wenn seine [des Täters, Anm. TH] psychischen Leiden komplex sind und hier viele Fachbegriffe fallen, mit denen der Laie wenig anfangen kann, ist die gesamte Inszenierung nicht auf eine akademische Vorlesung, sondern auf eine straffe, dynamische Dramaturgie ausgerichtet. (…) Ein überragender Abschluss der Sonntagskrimi-Saison im Ersten. – Redaktion Tatort-Fans

Letzte Woche hieß es bereits, der aktuelle Berlinger-Tatort sei eigentlich zu spät in der Saison gezeigt worden, umso mehr trifft das aber dann auf den Polizeiruf zu, der heute Abend Premiere feiern wird, denn einige Bundesländer haben bereits Sommerferien. Berlin noch nicht, aber wir halten uns ja nicht (s. o., Wahrnehmungen, Maßstäbe) für das Bundesland, an dem die ARD ihre Sommerpause ausrichten muss. Und was wir allgemein zu den Magdeburg-Polizeirufen geschrieben haben, muss nicht für die letzten beiden gelten, die wir noch nicht gesehen haben, ebenso wie die aktuellsten Tatorte.

Das Filmfest, Corona, der Ukraine-Krieg, das alles bindet uns mental und bezüglich der Zeit, die wir zum Schreiben zur Verfügung haben, doch recht stark und war notabene nicht vorhersehbar. Deswegen glaube ich nicht, dass mich ausgerechnet ein Brasch-Polizeiruf dazu bringen wird, wieder sofort nach der Premiere eine Kritik zu schreiben, wie es jahrelang nach neuen Tatorten üblich war, manchmal noch sonntagsabends. Aber auch hier gibt es mittlerweile in Problem, das früher nicht vorhanden war: Die Langversion der Filme, die „Spätversion“, wird erst einen Tag später ausgestrahlt. Trick dabei: Wer nicht schon vorher an die Filme herankommt, kann das echte Ganze gar nicht direkt sonntagsabends beurteilen, inklusive der Szenen, die man dem 20:15-Uhr-Publikum vorenthalten will. Das alles setzt Crimetime derzeit ein wenig ins Hintertreffen und Sie, liebe Leser:innen, müssen damit leben, dass ich hin und wieder darüber „öffentlich“ reflektiere. Nach diesem Hindernislauf zur nächsten wichtigen Stimme im Konzert der Kritiker:innen:

Das ist harter Tobak: Im Polizeiruf Magdeburg gehts um die nackte Manipulation von Menschen, um Machtspielchen und verdrängte Erlebnisse. Auf der Couch einschlafen ist da nicht drin. – Stefan Scheurer, SWR-Check

Ich kenne auch eher die sogenannte angezogene, manchmal gut gekleidete Manipulation, insofern gruselt es mich jetzt schon, wenn ich sie mir nackt vorstelle. Am Ende der Kritik heißt es: Wenn man dem Sonntagabendkrimi noch einmal eine Chance geben möchte, dann JETZT! In großen Lettern. Dabei kann es nur zu fünf von fünf Elchen kommen. Oha. Haben wir uns vorhin zu weit aus dem Fenster gelehnt? So, wie wir die nächste Stimme kennen, wird sie vermutlich ins Lob einstimmen:

Um einen Mord ohne Motiv geht es im „Polizeiruf 110 – Black Box“ (MDR / filmpool fiction), dem fünfzehnten Einsatz von Claudia Michelsen als Kommissarin. Selbst der Täter weiß offenbar nicht, weshalb er einen fremden Mann im Zug mit einem Nothammer brutal zu Tode gedroschen hat. Die Ermittlungsarbeit ist eng mit der seelischen Verfassung der Kommissarin verbunden. Auch sie weiß, wie verhängnisvoll Erinnerungslücken sein können. Das Ermitteln und das Analysieren der Fakten finden vor allem in ihrem Kopf statt. Ein besonderer Reiz liegt in der Diskrepanz zwischen den exzellent recherchierten Ermittlungs-Ergebnissen und den Schlussfolgerungen, die Brasch aus ihnen zieht. So bleibt „Black Box“ – trotz gängiger dramaturgischer Dichotomien – 90 Minuten lang (psychologisch) spannend. (…) Einziges Manko: Die Konstruktion, die final aufgedeckt werden muss, ist kompliziert. Und der Weg dorthin – voller Gedanken- und Ermittlungssprünge – mitunter auch. – Rainer Tittelbach, Tittelbach-TV

Für dieses einzige Manko zieht der Chef von Tittelbach-TV, der dieses Mal wieder selbst schreibt, allerdings 1,5 Sterne ab und kommt auf eine Durchschnittswertung. Ich glaube, man drückt sich eher dadurch aus, als dass man z. B. „Ausnahmeschauspieler:innen“ zu stark kritisiert oder gar das Konzept einer Tatort- oder Polizeiruf-Schiene infrage stellt. Mag sein, dass es daher kommt, dass mindestens zwei der Tittelbach-Autoren in einer etwas schwierigen Position sind: Sie waren oder sind auch in der Jury für die Grimmepreis-Vergabe und daher m. E. aufgerufen, etwas vorsichtiger oder wohlwollender zu formulieren, als das z. B. Christian Buß im „Spiegel“ manchmal tut. Daher beginnen die Wertungen auch erst bei 3/6, ähnlich wie bei uns (weniger als 5/10 nur in Ausnahmefällen), obwohl wir keine solchen Rücksichtigen nehmen müssen. Wir gehen schlicht davon aus, dass Tatorte und Polizeirufe per se kein Schund sind unde begründen daher Bewertungen Wertungen sehr ausführlich. Oft spielen dabei politische oder gesellschaftliche Aspekte eine Rolle. Und damit zum erwähnten Herrn Buß:

Der große Brainfuck vor der Sommerpause. Wer ist hier der Psycho? Die traumatisierte Kommissarin steigt ins Innenleben eines Totschlägers hinab. »Polizeiruf«-Schocker über verblasste, verdrängte und falsche Erinnerungen. – Christian Buß, Der Spiegel

Ist Brainfuck jetzt etwas anderes als Mindfuck? Es gibt Tage, an denen selbst ich kaum noch Lust habe, Neues zu lernen. Es ist einfach zu viel, im Moment. Insofern bin ich doch eher froh für die Sommerpause, vielleicht lässt sich in ihr ja das eine oder andere nacharbeiten und weiteres Wissen ansammeln.

Es gibt also ein paar Gründe, an diesem Brainfuck von »Polizeiruf« dranzubleiben. Der banalste ist: Es ist der letzte neue Sonntagskrimi vor der Sommerpause. Hoffen wir, dass Claudia Michaelsens Psycho-Kommissarin Brasch nicht auf die Idee kommt, in den großen Ferien ihre Probleme auszutherapieren. Es fällt schwer, sie uns als glücklichen Menschen und gute Ermittlerin zugleich vorzustellen. Aber das ist vielleicht eher unser Problem als ihres. – Buß, a. a. O.

Sehen Sie, der Herr Buß hat ein ähnliches Problem wir wir, und da vor der Sommerpause die Zeit für Ehrlichkeit gekommen scheint, deklariert er es auch als seines. Ich muss an dieser Stelle wieder einmal darauf hinweisen, dass wir schrittweise sichten, also uns von Zitat zu Zitat hangeln, nicht alles vorher lesen und uns dabei schon eine Dramaturgie für diese Vorschau-Artikel ausdenken. Buß gibt übrigens 7/10. Das ist immerhin mittelplusgut, denn bei ihm geht es wirklich bei 1 los und Gnade den Filmen, die mit einer solchen Punktzahl bedacht werden. Die sind echt schlecht.

Dann jedoch, wenn man den leider viel zu oft Geschmacks-unsicheren Magdeburg-Krimi schon längst aufgegeben und ein Daumen-nach-unten-Urteil festzustehen scheint, passiert etwas Seltenes. Als hätte man die Macher hinter den Kulissen heimlich ausgetauscht, folgt ein fantastisches Finale, das nicht nur ästhetisch, sondern auch erzählerisch ganz anders ist, als die 80 Minuten davor. Der „Polizeiruf 110: Black Box“ endet mit einer Wendung – und die ist ebenso sensibel wie mitreißend inszeniert, dass der letzte Krimi vor der Sonntagspremieren-Sommerpause einen doch irgendwie angefasst zurücklässt. Vielleicht ist zum Finale ja das Unterbewusste mit den Machern durchgegangen und hat alle zuvor nach „Schema F“ ausgearbeitete TV-Krimi-Psychologie über den Haufen geworfen. – Eric Leimann, Prisma Online

Der Film erinnere an Hitchcocks „Spellbound“, schreibt Leimann, nur, dass das, was damals neu war und in diesem Klassiker auf etwas platte Weise übersetzt wurde, in den 77 Jahren seitdem im deutschen Fernsehkrimi unzählige Male durchexerziert wurde. Aber dann das Ende! Und wieder der Grundtenor, dass Magedburg-Polizeirufen eine schwierige Angelegenheit sind. Ich bin immer wieder froh, wenn es mir nicht alleine so geht. Man möchte ja trotz aller in Anspruch genommenen Individualität auch kein Sonderling sein. Nicht immer jedenfalls.

TH

Besetzung und Stab

Hauptkommissarin Doreen BraschClaudia Michelsen
Polizeihauptmeister RecknagelDavid Ruland
KasparErik Michael
Beno ZubakHilmar Eichhorn
Adam DahlEloi Christ
Kerstin ZubakEva Weißenborn
Edita BunowskiMelanie Toth
Dejan BogunovicZlatko Maltar
VollzugsarztThomas Bartholomäus
KarinaJenny König
Tomislav BogunovicKai Müller
Kriminalrat Uwe LempFelix Vörtler
Marianne KurthJulia Blankenburg
RichterinChristine Rollar
Christof OschmannHelge Tramsen
Klaus-Volker DahlSven-Eric Bechtolf
Staatsanwalt WegnerMarc Dresander
Putzfrau CarmenAnna Politzer
Professor KrappDominik Schiefner
Günther MárquezPablo Grant
Dr. Sabine BräunlichSusanne Böwe
Bianca DahlCorinna Kirchhoff
RegieUte Wieland
KameraEeva Fleig
MusikOli Biehler
BuchZora Holtfreter


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