Todes-Bande – Tatort 556 #Crimetime 1118 #Tatort #Hamburg #Casstorff #NDR #Tod #Bande

Crimetime 1118 – Titelfoto © NDR

Should old acquaintance be forgot?

Todes-Bande ist ein Fernsehfilm aus der Kriminalreihe Tatort der ARD und des ORF. Regie führte Thomas Bohn bei dem vom Norddeutschen Rundfunk produzierten und am 25. Januar 2004 im Programm Das Erste erstmals ausgestrahlten Krimi. Für Kriminalhauptkommissars Casstorff (Robert Atzorn) ist es der 7. Fall, in dem er ermittelt.

Die Handlung in einem Satz ohne Auflösung: Vom Betrachten des Acryl-Lack-Todes in der Gerichtsmedizin bis zur Arrestierung seines Sohnes nach einer Demo hat’s Jan Casstorff nicht weit, alles spielt sich im selben, großen Präsidium ab, doch bei der Demo kam ein Polizist ums Leben und Casstorff und Kollege Holiceck steigen in eine Inszenierung ein, die von einem soziophoben Autonomen handelt und von der Zeit, als wir alle noch ganz jung waren. Wie wir heute zu dem Film stehen, verrät die –> Rezension.

Handlung

Während Thorsten Beckershoff, ein junger Polizist, bei einer Demonstration in der Hamburger Innenstadt eine Apotheke bewacht, wird er von drei Vermummten schwer verprügelt. Für Casstorff ist der Fall von besonderer Brisanz, da sein Sohn Daniel ebenfalls an der Demonstration teilnahm und wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ vorläufig festgenommen wurde.

Durch eine Überwachungskamera steht der Polizei Material über die Tat zur Verfügung, und schnell führt die Spur zu dem Autonomen Robby „King“ Bastner. Eine Fahndung wird eingeleitet, das BKA übernimmt den Fall.

Als Hauptkommissar Casstorff zusammen mit Daniel den verletzten Polizisten im Krankenhaus besucht, trifft er auf dessen Freundin Angela Meerbaum und ihre drei besten Freunde, die sich schon aus Schulzeiten kennen. Es sind Thomas Wichelhaus, der Besitzer der Apotheke, die Beckershoff bewacht hat, Michael Loose, ein Bauunternehmer, und der Staatsrat Michael Pfeiffer. In ihrer emotionalen Aufgewühltheit reagiert Angela Meerbaum äußerst ungehalten auf Casstorffs und Daniels Besuch. Kurz darauf erliegt Beckershoff seinen Verletzungen.

Während die Ermittlungen in der Autonomenszene voran schreiten, ahnt Casstorff, dass mehr hinter der Tat stecken könnte, und beginnt im näheren Umfeld des Toten zu ermitteln. Unterdessen wächst wegen Daniels Verhalten bei der Demonstration auch der Druck auf Casstorff. Sogar der Staatsrat schaltet sich ein.

Bei ihren Nachforschungen stoßen Casstorff und seine Kollegen Holicek und Graf auf seltsame Ungereimtheiten. So lebte Thorsten Beckershoff deutlich über seine Verhältnisse, und seine Ex-Freundin, die Mutter seines Kindes, verliert kein gutes Wort über ihn.

Casstorff und sein Team beginnen private Motive und Hintergründe der Tat zu entwirren, die ein neues Licht auf den Fall werfen.

Rezension mit Auflösung

Mit Robert Atzorn als Jan Casstorff warm zu werden, ist nicht so einfach. Vielleicht ist es aber auch nicht so gedacht, dass es so einfach sein soll. Nach den swingenden, singenden Legenden Stoever und Brockmöller wollte der NDR wohl Kante zeigen. So begegnet uns ein immer schlecht rasierter Typ mit strenger Miene, strengen Ansichten, die dann doch wieder durchbrochen werden und dann wieder einer doch sehr vorstellbaren Art, Fälle in die Hand zu nehmen. Er ist das Missing Link, das von den Jazzcops zu Cenk Batu führt, und er hat immerhin 15 Fälle aufzuweisen, gefilmt in den Jahren 2001 bis 2008. „Todes-Bande“ als 7. Fall steht ziemlich genau in der Mitte. Wir sind sehr gespannt, ob Tschiller so lange durchhalten wird. Und verglichen mit dem, was uns aus HH gegenwärtig aufgetischt wird, sind die bisher gesehenen Atzorn-Krimis aus dem kriminalistischen Feinkostladen.

Eigentlich ist es eine schöne Vorstellung – starke Freundschaften halten ein Leben lang und immer wieder hilft man einander. Die Sozialisierung ist ähnlich, die Werdegänge – nicht ganz gleich, aber doch in einem bestimmten Rahmen des Wohlanständigen. Wenn einem der Mitglieder einer solchen Clique etwas geschieht, dann überlegen sich die anderen, was zu tun ist und leiten Dinge in die Wege, die sie schlussendlich nicht mehr kontrollieren können.

Zuerst haben wir also über diese hanseatische Peergroup nachgedacht, den Staatsrat, den Bauunternehmer, den Apotheker – und die Prinzessin. Etwas hat uns angesprochen, weil wir ähnlich ticken. Wir setzen eher auf wenige, sehr starke Freundschaften als auf tausend belanglose Bekanntschaften, die sich nie beweisen müssen. Beziehungen, die dafür stehen, anstatt austauschbare Facebook-Freunde, die wertvolle Lebenszeit fressen und keinerlei soziale Bedeutung haben. Okay, Facebook ist ein Extrembeispiel und das gab es 2004 noch nicht, als „Todes-Bande“ entstand, aber Sie wissen, was wir meinen.

Kann eine Gruppe aber so funktionieren, wie sie hier dargestellt wird? Kann es sein, dass drei Jungs, wenn sie ins Erwachsenenalter übertreten, nacheinander dieselbe Frau lieben und keiner es dem anderen neidet? Erst als ein Außenstehender in dieses Netz (-werk) einbricht, wird’s gefährlich. Für den Außenstehenden. Jede Clique hat ihre eigenen Strukturen, und warum soll es das unter Kindern nicht geben, dass drei kleine Ritter, ein Burgfräulein, unter dessen Turm alle stehen und gemeinsam ein Ständchen singen? Doch, doch, Kinderherzen sind so groß, das geht.

Aber dann, wenn sich das männliche Ego in der Pubertät regt, geht’s dann auch noch? Schwieriger vorzustellen, ehrlich geschrieben. Das ist ein Geheimnis langanhaltender Männerfreundschaften, dass die Frau des jeweils anderen ein Tabu ist. Wenn dieses gebrochen wird, kann es in der Tat zu Verbrechen kommen. Andererseits sind die Jungs auch irgendwie Jungs geblieben. Die nassforsche Art, wie jeder seinen Teil dazu beiträgt, den Eindringling schachmatt zu setzen, ist wirklich gut konstruiert. Okay, der Dienststelle des bei der Demo umgekommenen Polizisten hätte auffallen müssen, dass es an dessen Einsatz per namentlicher Sonderanforderung Seltsamkeiten zu bemerken gibt. Da hätten die Ermittlungen schneller und einstimmiger laufen dürfen, auch zwischen den Dienststellen. Schließlich haben auch die Kollegen des toten Polizisten Beckershoff ein Aufklärungsinteresse und sollten sich nicht in Rangeleien mit den Kriminalern ergehen.

Aber noch einmal zur Gruppe – jeden einzelnen dieser Typen gibt es jedenfalls. Ganz besonders der Apotheker und der Staatsrat wirkten schlüssig. Vermutlich hat er Jura studiert, das würde passen. Auch das Mädchen bzw. die junge Frau ist uns schon mal begegnet, im wirklichen Leben. Wo war das? Vermutlich erinnert sie uns an mehrere Mädels aus der Schule oder von der Uni und bündelt sie zu einer verwöhnten und etwas verstiegenen Person, die sich dem an den Hals schmeißt, der sie ausnutzen will, während die Gentlemen leer ausgehen. Dies allerdings ist in der Realität die Ausnahme, weil sich dort meist findet, was den gleichen Stallgeruch hat. Nur der Bauunternehmer kam uns etwas zu profillos vor, aber er hat die Firma ja auch geerbt, der Vater war sicher ein rauerer Bursche.

Schade, dass das Ende des Falles wieder so herbeizitiert ist. Da eine echte Ermittlung wohl zu lange gedauert hat, wird eine Art Geständnis ohne direkte Vernehmung inszeniert, mit technischen Mitteln des BKA. So kann man’s auch lösen, wenn die Spielzeit zu Ende ist. Hat uns nicht überzeugt. Hingegen glauben wir wohl, dass die Prinzessin nichts ahnte von der Hilfestellung, die man ihr gegen den Blutsauger aus der Unterschicht angedeihen ließ.

Den Acryl-Lack-Fall hätte man sich sparen können, auch wenn er als Running Gag eingesetzt wird, um die Zeit zu füllen. Wir hätten lieber mehr Einfühlung in die Charaktere gesehen, die haben uns nämlich durchaus interessiert. Vielleicht sogar mit ein paar Rückblenden ins Verhältnis Angela Meerbaum   Thorsten Beckershoff. Wahlweise: Rückblenden à la „Spiel mir das Lied vom Tod“, in dem nur Umrisse einer großen Freundschaft erkennbar sind, die mit der Zeit immer klarer werden. Spaß! Aber man hätte wirklich daran feilen können, anstatt durch das Fotoalbum mit passender Musik schon im Vorspann anzudeuten, worauf es hinauslaufen wird, sodass der Fall eine seltsame Mischung aus formalem Whodunit und gefühltem Howcatchem wurde.

Der Fall an sich und dieses Personaltableau sind gut, auch die Verbindungslinie zu Casstorffs Sohn inklusive Globalisierungsgegnern und Bowling for Columbine ist okay, auch wenn sie vollkommen neben dem Fall herläuft, nachdem zumindest klar ist, dass Daniel nichts mit dem Polizistenmord zu tun hat. Vielleicht gibt es da eine unterschwellige Botschaft: Hier die jungen Menschen, die sich Gedanken um die Gesellschaft der Zukunft machen, da die anderen, die nur in ihrer privaten Suppe schwimmen und sich eine Demo sogar zunutze machen, um einen Racheakt durchzuführen. Die Globalisierungskritik ist heute aktueller denn je, Seilschaften werden auch nie unmodern.

Finale

Stilistisch hat sich der Hamburg-Tatort sehr flüssig und nicht sprunghaft weiterentwickelt. Die Art der Inszenierung passt genau zwischen die am Ende schon recht schön bebilderten, aber konventionellen Stoever-Brockmöller-Fälle und die stylischen Batu-Tatorte.

Über den Kommissar Casstorff mit seiner etwas zischenden Ausdrucksweise und der manchmal recht unsympathisch wirkenden Ausstrahlung müssen wir noch ein wenig nachdenken. Vielleicht hilft uns die ARD dabei, indem sie noch ein paar Fälle von ihm zeigt, die uns ein besseres Gesamtbild vermitteln. Was ist Konzept, was ist vielleicht ein Mangel an genau der Einfühlung, die er in einer Szene behauptet: „Ich spüre das“. Das gerade vermittelt er nämlich nicht. Die Figur wirkt, trotz Sohn und vielen Statements, die sich daraus ergeben, für unseren Geschmack einen Tick zu hermetisch.

Alles in allem ist „Todes-Bande“ ein überdurchschnittlicher Tatort und daher: 7,5/10.

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

Regie Thomas Bohn
Drehbuch Thomas Bohn
Produktion Kerstin Ramcke
Musik Hans Franek
Kamera Karl-Heinz Valier
Schnitt Inge Bohmann
Premiere 25. Jan. 2004 auf Erstes Deutsches Fernsehen
Besetzung

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