Kleiner Dealer, große Träume – Polizeiruf 110 Episode 182 #Crimetime 1119 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Bilewski #Speth #SDR #Dealer #Traum

Crimetime 1119 - Titelfoto © SDR

Kleine Dealer, große Träume ist ein deutscher Kriminalfilm von Urs Odermatt aus dem Jahr 1996. Der vom SDR produzierte Fernsehfilm erschien als 182. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110.

Immer und immer noch gibt es Neues, manchmal schlummert es eben so lange und kommt erst zutage, wenn zum 50. Polizeiruf-Jubiläum wirklich alle Sender, die jemals Polizeiruf-Episoden produziert haben, etwas davon auspacken. So auch der SWR, der nun den 182. Polizeiruf namens „Kleiner Dealer, große Träume“ gezeigt hat. Ob auch die Macher der Spielfilmsparte beim Süddeutschen Rundfunk große Träume hatten, als dieser, wie viele andere Westsender nach der Sicherung der Krimireihe aus dem Osten, Mitte der 1990er einstiegen? Wie es weiterging und viel zum Film steht in der –> Rezension.

Handlung (1)

Atze Pöhlein, Inhaber der Diskothek Roxi, findet seine Freundin Bibi nackt auf der Straße, nachdem sie mal wieder Heroin genommen hat. Er ahnt, dass sie die Drogen von Drogenbote Richie erhalten hat, sucht ihn auf und erwischt ihn mit einem Kilogramm Heroin. Er bedroht Richie mit einer Waffe und nimmt das Heroin an sich. Zunächst plant er, den Stoff zu vernichten, will dann jedoch den Verkauf an die eigentlichen Dealer selbst übernehmen, um Bibi mit dem Geld einen Entzug in einer Schweizer Klinik zu ermöglichen. Sie ist in der neunten Woche schwanger und will endlich clean werden; beide wollen eine Familie gründen.

Bei der Stoffübergabe ist überraschend die Polizei, darunter Vera Bilewski und ihr Partner Heiner Speth, anwesend. Die Dealer schießen auf Vera, die am Arm getroffen wird, während Atze mit dem Heroin davonläuft. Heiner bringt ihn nach längerem Sprint zu Fall. Beide kennen sich, war Atze doch einst mit Heiners Schwester zusammen, die ebenfalls heroinabhängig war und sich noch minderjährig das Leben nahm. Atze überzeugt Heiner davon, nicht auf Vera geschossen zu haben, und Heiner lässt ihn laufen, nachdem er zuvor die Drogen an sich genommen hat.

Heiner verwischt die Spuren, so löscht er die Videobänder, die die Drogenübergabe zeigen. Vera wird misstrauisch und gibt die Kassetten der Polizeitechnik. Die stellen fest, dass die Bänder ursprünglich bespielt waren und erst nachträglich gelöscht wurden. Die Dealer wenden sich unterdessen an Richie, der die konfiszierten Drogen von der Polizei zurückkaufen soll. Bald wird klar, warum die Polizei am Tag der Drogenübergabe vor Ort war: Richies Ex-Freundin Anja, die das gemeinsame Kind aufzieht, wusste, dass Richie an dem Abend ein großes Ding drehen will. Da sie im Roxi beobachtete, wie Richie immer jüngere Frauen zum Drogenkonsum brachte, zeigte sie Richies Pläne bei der Polizei an. Dass nun Atze erwischt wurde, tut Anja leid.

Zufällig lernt Vera Atzes Mutter kennen und erfährt schließlich beim Besuch von Heiners Mutter, dass Heiners Schwester und Atze einst ein Paar waren. Heiner gerät unterdessen immer mehr in Schwierigkeiten. Nach einer mit Atze durchzechten Nacht wacht er neben Richies Leiche auf. Anschließend wird er von den Dealern zu ihrem Chef Dr. Weihrauch zitiert, der ihm deutlich macht, auf einem Rückkauf des Stoffs zu bestehen. Der jedoch befindet sich in Heiners Büro. Vera wiederum hat ihm in der Zwischenzeit die Mitarbeit am Fall entzogen, da er die Ermittlungen wissentlich behindert hat, um Atze zu decken.

Bibi, die von Richie nun nicht mehr mit Heroin versorgt wird, leidet am kalten Entzug. Atze bringt sie zu seiner Mutter, wo er auf Vera trifft. Vera will ihn festnehmen, doch kann Atze der infolge der Schießerei einen Gips tragenden Vera leicht entkommen. Vera hat für die weiteren Ermittlungen zunächst Heiner entlastet, der für den Zeitraum von Richies Ermordung ein Alibi hat. Eines Abends steht Heiner vor ihrer Tür. Er hat bei den Ermittlungen Fehler gemacht, wie er zugibt, will sich nun jedoch rehabilitieren. Der Stoff soll den Dealern zum Kauf angeboten werden, wobei die Polizei die Übergabe für eine Festnahme nutzen soll. Vera stimmt zu. Am Ende können die Dealer tatsächlich festgenommen werden. Heiner lässt Atze mit dem Geld für die Drogen entkommen, da nur so Bibis Entzug finanziert werden kann. Heiner verteidigt sein Vorgehen vor Vera, sei das Drogengeld doch so gut angelegt. Vera meint nur, dass sie nun tatsächlich nichts mehr für ihn tun könne.

Rezension

Ja, wie ging es weiter? Gar nicht, leider.  Als Kommissarin Vera Bilewski ermittelte sie [Angelica Domröse, Anm. TH]  ab 1994 für den SDR in der Krimireihe Polizeiruf 110, darunter in der umstrittenen Folge Samstags, wenn Krieg ist. Die Zusammenarbeit endete jedoch nach zwei weiteren Folgen, da der Südwestrundfunk (SWR) nach dem Zusammengehen des Süddeutschen Rundfunks mit dem Südwestfunk am 1. Oktober 1998 keinen Polizeiruf mehr für die ARD produziert hat. Die Schauspielerin, die als Paula aus „Paul und Paula“ (1973) berühmt wurde, ging 1980 aber schon in den Westen und musste sich nicht nach der Wende neu eingewöhnen.

Der erste der beiden Filme mit ihr hieß „Samstags, wenn Krieg ist“ und gilt als eine der umstrittensten Nachwende-Polizeirufe. Vermutlich hat man etwas gewagt. Ich finde, auch „Kleiner Dealer, große Träume“ ist ein gewagter Film, denn er verbindet auf eine damals weder in Tatorten, noch in anderen Polizeirufen übliche Weise Humor und Drama, vielleicht sogar Tragik. Nicht, dass der Dealer, der vermutlich den Titel hergegeben hat, so eine tragische Figur ist, als er stirbt, er ist ja ein richtiger mieser Möpp. Aber dass eines seiner Opfer am Schluss nicht safe ist, sondern es aussieht, als ob sie es nicht ohne harten Entzug in einer Klinik schafft, nachdem sie zuvor lange Zeit auf der Kippe stand, ist eben ein Stoff, über den man normalerweise keine Witze macht. Dies ist auch der Unterschied zu den witzigen Landpolizei-Folgen aus Volpe (WDR), die 1995 starteten und zum Team Offenbach des HR, das ebenfalls Ende der 1990er die Polizeiruf-Landschaft bereicherte.

Um die Balance zu wahren und falsche Töne nicht überhand nehmen zu lassen, musste die Regie sehr kundig sein und die Darsteller*innen so gut, dass man als Zuschauer sofort umschalten kann, wenn es erforderlich ist. Und das geht tatsächlich, zumindest war es bei mir der Fall. Aber welch ein Ensemble. Angelica Domröse war damals schon, sagen wir, etabliert und spielt stellenweise, als hätte sie eine leichte Form von Parkinson, was ihre Rolle als leitende Ermittlerin ebenso irritierend wie faszinierend wirken lässt, aber die damaligen Jungschauspieler:innen Nadja Uhl, Kathrin Angerer, Dominic Raacke, Götz Otto und natürlich Jürgen Vogel rocken diesen Film und werden unter der Hand von Urs Odermatt zu kleinen Giganten des verfickten Alltags zwischen Drogen und Träumen. Es gibt auch ein paar Wischer und Übertreibungen, aber die betreffen nicht die Darstellungskunst der zuvor Genannten.

Nicht umsonst kann „Kleiner Dealer, große Träume“ in der IMDb mit einer Durchschnittsnote von 7,2/10 überzeugen, die für einen Polizeiruf einen Spitzenwert darstellt und meine Haltung bestätigt, dass es sich hier um eine besonders gelungene Episode der Reihe handelt. Ein bisschen Widerwille ist auch dabei, wenn ich das schreibe. Warum? Weil ich bis vor Kurzem nicht wusste, dass der SDR ebenfalls drei Polizeirufe produziert hat und diese Erkenntnis wieder eine leichte Koordinatenverschiebung bewirkt. Sicher, ich habe mir die Liste aller Folgen, die man in der Wikipedia einsehen kann, oft angeschaut, anschauen müssen, wegen der historischen Einordnung der Episoden und der Zahl der Fälle der einzelnen Ermittler und weiterer wichtiger Fakten, ich glaube, ich habe auch schon einmal nach Sendern sortiert, aber dabei mein Augenmerk eben nicht auf die Südwestdeutschen gelegt. Ja, aber warum ging es nicht weiter, nach „Kleiner Dealer, große Träume?“

Die Zusammenarbeit endete jedoch nach zwei weiteren Folgen, da der Südwestrundfunk (SWR) nach dem Zusammengehen des Süddeutschen Rundfunks mit dem Südwestfunk am 1. Oktober 1998 keinen Polizeiruf mehr für die ARD produziert hat.

Offenbar unterschrieb man damals nicht langfristig oder Angelica Domröse bekam eine Abfindung. Klar, durch das „Zusammengehen“ sollte ja Geld gespart werden, außerdem brachte jeder der Sender bereits eine Tatortschiene mit (Stuttgart vom SDR und Ludwigshafen vom Südwestfunk). Aber 2002 richtete man eine dritte Schiene ein, nämlich den Konstanzer Polizeiruf. Ohne ihn hätte auch etwas gefehlt und in der Tat stellten in den 2000ern alle Westsender bis auf den NDR und den Bayerischen Rundfunk ihre Polizeirufschienen ein. Mit dem Münster-Tatort bekam der WDR nach dem Ende der fiktiven Kleinstadt Volpe wieder etwas Witziges hinzu, 2011 folgte als dritte Schiene der Dortmund-Tatort. Der Hessische Rundfunk stellte die Murot-Filme als Ausdruck des Willens zum Besonderen auf die Beine, nachdem die Frankfurt-Tatorte mit Sänger und Dellwo viel Renommee erlangt hatten. Der NDR blieb dabei, weil sein Sendegebiet um den Nordosten, um Mecklenburg-Vorpommern, erweitert wurde und produziert heute den berühmten Rostock-Polizeiruf. Nur München, wo sie immer schon eigenwillig waren, gibt es sowohl einen sehr anerkannten Tatort als auch einen zuweilen herausragenden Polizeiruf und es ist somit die einzige Stadt, in der beide Reihen ein Zuhause haben.

Dieser historische Exkurs musste sein, da ich höchstwahrscheinlich nicht der einzige bin, der die Verbreitung der Reihe nach der Wende noch nicht vollständig auf dem Schirm hatte.

Finale

Der Exkurs sollte nicht das Nachdenken über den Film ersetzen, aber was wir darin sehen, können wir recht einfach als amüsant, abwechslungsreich und auch als berührend beschreiben. Überrascht hat uns vor allem Dominic Raacke, den wir von den Berliner Tatorten her gut kennen. Ob er froh war, einen Macho wie Till Ritter spielen zu dürfen, nach dem leicht clownesken Speth im Südwest-Polizeiruf? Ich vermute schon, dass ihm die spätere Rolle besser lag, aber er wirkt auch nicht gequält als Nr. 2, die mehr durch die Ermittlungen stolpert und sich prügelt, als sie souverän zu gestalten. Mein Star in diesem 182. Polizeiruf ist jedoch Nadja Uhl, die mit ihrer Darstellung am meisten dazu beiträgt dass der Wechsel zwischen Komik und Tragik funktioniert, ohne dass ich Bauchschmerzen wegen falscher Töne bekommen hätte. Die hatte ich schon, dies jedoch angesichts der Evidenz des Schicksals ihrer Figur, denn so unspektakulär wie sie rutschen sicherlich viele Menschen in die Abhängigkeit und das Drumherum und die Typen, die keinen Boden unter den Füßen finden, wirken nicht so stylisch wie in der Neuverfilmung von „Christiane F.“ als Amazon-Prime-Serie.

Am Schluss war wieder Nachdenken angesagt. Bedienen Drogendealer nur einen vorhandenen Markt oder gehen Fieslinge wie der kleine Dealer Ritchie gezielt auf labile Menschen zu und locken sie in die Sucht? Ich fürchte, es ist von beidem etwas, so, wie es Süchtige in allen Gesellschaftsschichten gibt. Welche, bei denen man das kaum versteht und welche, bei denen es beinahe wie eine logische Konsequenz ihrer Biografie wirkt. Die einen ermöglichen eine Unterflächenwirtschaft, die uns um die Ohren fliegen wird, wenn es so weiterläuft wie bisher, den anderen muss mit aller Kraft geholfen werden, damit sie nicht aufgesogen werden von diesem Strom des illegalen Drogenkonsums, den viele unverantwortliche Beteiligte und jene, die nichts dagegen tun, organisieren. Das Nachdenken ist bei mir noch nicht abgeschlossen, weil der Film noch einmal die Seite des Leids in den Vordergrund gestellt hat, obwohl oder gerade deshalb, weil er so viele besondere Typen zeigt.

8,5/10

© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Urs Odermatt
Drehbuch Klaus-Peter Wolf
Friedhelm Zündel
Produktion Ulrich Bendele
Musik Norbert J. Schneider
Kamera Fritz Moser
Schnitt Christiane Krafft
Besetzung

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