UPDATE: Russland liefert wieder Gas, aber nicht viel (Statista + Kurzkommentar) | Frontpage | Wirtschaft, Geopolitik | Gas aus Russland oder nicht?

Frontpage | Wirtschaft, Geopolitik | Gaslieferungen aus Russland nehmen rapide ab

26.07.2022: It’s the Energy, Stupid! Das könnte das Motto dieser Wochen, Tage und Stunden sein. Zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit zeigen wir die aktuelle Russland-Gaslieferungs-Grafik auf aktualisiertem Stand, wie Statista sie gerade anbietet. Heute gibt es davon wieder eine neue Version:

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Nach Abschluss von Wartungsarbeiten fließt wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland, wenn auch nicht viel, wie die Statista-Infografik auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts zeigt. Und es könnte bald noch weniger werden. Bereits in der vergangenen Woche hatte Russlands Präsident Wladimir Putin gedroht, die Lieferungen zu drosseln. Nun will der russische Gaskonzern Gazprom die Gaslieferungen durch die Ostseepipeline auf 20 Prozent des Maximums senken. Robert Habeck unterstellt Putin, ein perfides Spiel zu spielen. „Er versucht, die große Unterstützung für die Ukraine zu schwächen und einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben. Dafür schürt er Unsicherheit und treibt die Preise„, so der Bundeswirtschaftsminister.

Falls man überhaupt dieses Keil-Bild gelten lässt, muss man es mindestens präzisieren oder korrigieren: Der Keil sitzt ohnehin tief drin in der Gesellschaft, man kann ihn höchsten noch tiefer hineintreiben, und das tut Russlands Präsident gewiss mit Absicht, das sehen wir auch so. Die Schwächen unserer Demokratie sind seine Stärke, nicht die Stärke seines eigenen Systems. Deswegen schauen wir auch genau hin, wer hierzulande mit welchen prorussischen Argumenten unterwegs ist. Bei einigen tritt die Heuchelei von Jahren jetzt voll zutage: Es geht ihnen nicht um die Ärmeren, sondern darum, Putins Geschäft zu betreiben.

Gleichwohl legt die Gaskrise noch einmal mehr als Corona offen, woran es bei uns mangelt: An einer Politik, die vorausschauend und den Menschen dienlich ist. Das Mindeste, wenn man Sanktionen gegen ein Land einführt, ist doch wohl, sich zu überlegen, ob man sie selbst durchhalten kann, ohne dass einem der Laden um die Ohren fliegt und Millionen von Menschen übermäßig leiden müssen. Selbst, wenn von heute auf morgen alle Sanktionen gegen Russland aufgehoben würden oder sogar gerade dann: Putin würde genau dort weitermachen, wo er sich jetzt festgesetzt hat, nämlich in der Strategie der gegenseitigen Schädigung. Wären es nicht die Sanktionen des Westens, könnte man das Gas-Monopoly immer noch mit Waffenlieferungen des Westens begründen. Es ist nach unserer Ansicht mittlerweile egal, was hierzulande weitergetrieben oder geändert wird, es kann nur reagiert, nicht agiert werden. Es sei denn, man würde wirklich aktiv in den Ukrainekrieg eingreifen, aber das will ja niemand.

Inzwischen wird aus der russischen Führung heraus ganz offen kommuniziert, was wir doch, wenn wir ehrlich sind, schon längst ahnen konnten und was sich zu Kriegsbeginn mit dem Marsch auf Kiew bereits abzeichnete: Russland will die Ukraine komplett unter Kontrolle bringen. Sei es durch eine Regime Change oder deren Vernichtung mit anschließender Russifizierung. Damit ist auch klar, dass die russische Kriegsführung derjenigen schlechter historischer Vorläufer an imperialistischer Grausamkeit in nichts nachsteht. Und was wir schon länger so sehen: Über was wollen diejenigen, die sich hier mit Aufforderungen zum Verhandeln hervortun, eigentlich verhandeln? Russland sieht sich in einer Position der Stärke oder suggeriert dies wenigstens, und so, wie das Regime gestrickt ist, wird es aus dieser Position heraus oder der unbedingten Aufrechterhaltung des Narrativs, das eine solche Position gegeben sei heraus, nicht tatsächlich verhandeln, sondern einen Diktatfrieden durchsetzen wollen. Die hiesigen Putinisten werden dann sagen: Na bitte, da wurde doch klug verhandelt, der Krieg ist zu Ende.

Wie groß die Verwerfungen in Russland sind, ist schwer einzuschätzen, aber die Bevölkerung im Griff zu behalten und Proteste zu verhindern, ist dort allemal leichter als in demokratischen Systemen wie unserem. RT-Sendeverbot hin oder her, von vielen Seiten wird hierzulande weiterhin prorussische Propaganda betrieben. Auch wir stellen immer wieder Meinungen dar und besprechen sie, die von den Standard-Deutungen abweichen und unsere eigenen Ansichten auf die Probe stellen. Aber wenn wir einen Schritt zurücktreten und uns einfach nur anschauen, was ganz offensichtlich und unwiderlegbar ist, dann sehen wir keine Stärke darin, einen Eroberungskrieg zu führen und gleichzeitig eine Chance nutzen zu wollen, um ein dem eigenen immer noch weit überlegenes Gesellschaftsmodell zu beschädigen. Das hat auch etwas von Größenwahn, wenn man bedenkt, wie schwach Russland trotz seiner großen Fläche und seines Rohstoffreichtums wirtschaftlich und bezüglich der politischen und sozialen Teilhabe der Mehrheitsbevölkerung dasteht.

Die politischen Schwächen und die offensichtliche ethische Unglaubwürdigkeit des Westens bei vielen seiner geostrategischen Handlungen rächen sich gerade, aber dass das hohle und triste System Putin, das von Paranoia lebt, sich aus dem Gas-Monopoly heraus als überlegen etabliert, ist eine aberwitzige Idee.

Diese Idee wird sich nicht durchsetzen lassen, gleich, wie der Ukraine-Krieg endet und ob wir uns den Hintern abfrieren, weil viele Jahre falsche Bundespolitik, geben wir’s doch zu, auch für uns ziemlich bequem waren. Das System Putin aber ermöglicht gar keine Suche der Zivilgesellschaft nach dem richtigen Weg, sondern basiert auf negativen Zuschreibungen gegenüber anderen, nicht auf positiven Ideen für die eigene Gesellschaft. Da ist nichts drin für eine bessere Welt. Keine Vision, keine Strategie außer einer imperialistischen Restitution und dem Verkauf von Rohstoffen.

Kein Wunder, dass vor allem Menschen in unserem Land, die es nicht mit dem konstruktiven Denken, sondern mit dem Wunsch nach möglichst viel Unruhe und sozialer Zerstörung haben, den Nachteilen von Putins System gegenüber komplett ignorant sind. Was sie dabei nicht bedenken: Eine weniger auf fossilen Rohstoffen basierende Wirtschaft ist nicht nur möglich, sie wäre auch ohne den Ukrainekrieg eine dringende Notwendigkeit zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen gewesen. Also, warum nutzen wir die Krise nicht? Schluss mit dem Gas-Junkietum, auch wenn es von der Bundesregierung zu lange zu sehr gefördert wurde.

Was die Bundesregierung aber tun muss: Ihre Fehler insofern eingestehen, als sie die Menschen ernsthaft entlastet und dabei eine gerechte Verteilung der Fehlerursachen gewährleistet: Wir haben mitgemacht. Dadurch haben wir auch eine Mitverantwortung. Aber in der Form, wie die Kostenexplosion jetzt läuft, kann sie nicht einfach auf die Bürger:innen abgewälzt werden, denn eine Regierung wird auch dafür gewählt, vorausschauend zu agieren und Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. Der Eindruck, dass sie einen dahingehenden Plan hatte, als sie ihren für die Mehrheit im Land sehr riskanten Weg beschritt, vermittelt sich uns nicht, und das muss gerade gegenüber den begabten Kommunikator:innen in der Regierung klar kommuniziert werden.

TH

22.07.2022: Heute beginnen wir den Tag mit einem Info-Artikel. Wir wissen schon fast nicht mehr, wo wir anfangen, so viele wichtige Statistiken erreichen uns, aber im Vorgriff auf das große Wochen-Briefing ist diese die wichtigste von allen.

Außerdem soll ja heute wieder rusissches Gas durch Nord Stream 1 fließen. Die Grafik gibt den Stand von gestern, dem 20.07.2022, wieder:

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Derzeit kommt in Deutschland kaum noch russisches Gas an. Das zeigt die Statista-Infografik auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts. Während über die Jamal-Pipeline ohnehin seit Monaten kein Erdgas geliefert wird, sind zuletzt auch die Durchflüsse von Nord Stream 1 und Transgas auf nahezu null Gigawattstunden gefallen – in beiden Fällen sind Wartungsarbeiten für die Unterbrechung des Gasflusses verantwortlich. Im Fall von Nord Stream 1 sollen diese am kommenden Donnerstag abgeschlossen sein. Ob sich die Gasflüsse dann normalisieren ist aber fraglich. Putin droht bereits mit eingeschränkten Lieferungen, sollte Russland eine in Kanada reparierte Turbine nicht zurückerhalten.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist der Umfang russischer Erdgaslieferungen nach Deutschland in den Fokus politischer und gesellschaftlicher Debatten gerückt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat als Reaktion auf die gesunkenen Gaslieferungen kürzlich die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. „Es liegt eine Störung der Gasversorgung vor, daher ist dieser Schritt erforderlich“, sagte Habeck Medienberichten zufolge auf einer Pressekonferenz. Gas sei von nun an ein knappes Gut. Die Preise seien jetzt schon hoch und wir müssten uns auf weitere Anstiege gefasst machen. Deutschland ist auf fossile Energie aus Russland angewiesen, wie eine weitere Statista-Grafik zeigt.

Die Leitung Transgas steht kaum im Fokus der Öffentlichkeit, aber wenn man sie einbezieht, wie Statista es getan hat, sieht das, was die Grafik zeigt, besonders dramatisch und nach mächtig kalten Füßen im nächsten Winter aus. Deswegen werden die nächsten Tage besonders spannend werden. Bedeutet das Ende der Wartungsarbeiten tatsächlich, dass das Gas wieder ungestört und in früheren, vertraglich vereinbarten Mengen fließt? So recht daran glauben mögen wir im Moment nicht. Erpressung gehört im Moment zum Kriegsgeschäft und Putin würde Deutschland zu gerne damit demütigen, dass Nord Stream 2 nun doch nach seinem Willen in Betrieb gehen wird. Um vielleicht bei der nächsten Gelegenheit Gegenstand eines erneuten Erpressungsversuchs zu werden.

Die Entscheidungen, die jetzt zu treffen sind – wahrlich, einfach sind sie nicht. Aber die Lage in Sachen Gas versinnbildlicht etwas, womit wir uns hier schon länger befassen: Mit Politikfehlern, die uns irgendwann auf den Kopf fallen werden. Dazu haben wir Nord Stream 2 übrigens nicht gerechnet, sondern darin ein Kompensationsangebot der früheren Bundesregierung zugunsten Russlands gesehen, um Dinge auf friedliche Weise voranzubringen und Vertrauen aufzubauen oder zu erhalten. Die wirtschaftliche Fragwürdigkeit des Projekts wäre allerdings offensichtlich gewesen, wenn die Regierung Merkel die Energiewende stärker vorangetrieben hätte.

TH

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