Seestück mit Mädchen – Polizeiruf 110 Episode 229 #Crimetime 1125 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Schwerin #Hinrichs #Diekmann #NDR #Seestück #Mädchen #Rembrandt

Crimetime 1125– Titelfoto © NDR

Bunte Blumen für die Toten, Millionengrüße von den Toten

Seestück mit Mädchen ist ein deutscher Kriminalfilm von Helmut Förnbacher aus dem Jahr 2001. Der Fernsehfilm erschien als 229. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110. Es war der erste reguläre Einsatz von Jürgen Schmidt als Holm Diekmann.

Nach der Zählung der ebenfalls von der Wikipedia geführten Liste gilt „Seestück mit Mädchen“ als Nr. 2 von Diekmann, aber es heißt ja auch „regulärer Einsatz“. Groth ist tot. Hinrichs bringt Blumen an sein Grab. Das konnte man so filmen, weil der beliebte Darsteller Kurt Böwe tatsächlich bis kurz vor seinem Tod als Ermittlunspartner von Hinrichs im Einsatz war, aber schon verstorben, als der 229. Polizeiruf gedreht wurde. Alles geht dahin und die Wessis kommen. Dazu noch aus Hamburg. Also auch aus dem Sendegebiet des produzierenden NDR, aber es ist doch ein anderer Schnack. Sind die Einwohner von Meckpomm mehr Nordmenschen oder mehr Ossis gewesen, zwölf Jahre nach der Wende? Vor allem, wenn sie wie Sachsen klingen, also wie Uwe Steimle, der den Hinrichs spielt? Im Film wird das noch einmal aufbereitet und wir bereiten den Film in der –> Rezension auf.

Handlung (1)

Kriminalhauptkommissar Holm Diekmann zieht mit seiner Familie von Hamburg nach Schwerin. Dabei wird ihm vor seinen Augen der Möbelwagen gestohlen. Sein zukünftiger Kollege Hinrichs kann das Mobiliar zwar wiederfinden, allerdings wurde der LKW für eine Straftat genutzt und so ist es inzwischen von Kugeln durchsiebt. Zusätzlich müssen die Diekmanns den tragischen Tod ihrer alten Tante Lena betrauern, die ihnen allerdings unter anderem das kostbare Gemälde „Seestück mit Mädchen“ eines Rembrandt-Schülers hinterlassen hat.

Holm Diekmann möchte das Gemälde gern verkaufen, um mit dem Erlös das Dach seines neuen Eigenheims reparieren zu lassen. Da seine Frau sich weigert, bringt Diekmann auf Anraten seines neuen Kollegen Hinrichs das Bild zu einem Kunstfälscher, der das Original kauft und eine Kopie anfertigt. Kurz darauf wird diese Kopie allerdings gestohlen. Als der Täter herausfindet, dass es sich nur um eine Fälschung handelt, entführt er Diekmanns Tochter, um die Herausgabe des Originalbildes zu erpressen. Diekmann muss seiner verzweifelten und wütenden Frau seinen Betrug eingestehen und das Originalbild besorgen. Er sucht den Kunstfälscher auf und kauft das Bild zurück. Der Entführer meldet sich telefonisch und Diekmann übergibt das Gemälde, ohne allerdings als Gegenleistung Jessica zurückzuerhalten.

Verwundert müssen sowohl Täter als auch Opfer feststellen, dass auch das ursprüngliche Bild nur eine Kopie war. So besteht der Entführer auf das Originalbild und Diekmann verdächtigt Egon Pistor, den Cousin seiner Frau, das Bild während eines Krankenhausaufenthaltes der Tante ausgetauscht zu haben. Recherchen ergeben, dass er bereits dabei ist, das Original an einen japanischen Kunstsammler zu verkaufen. Bevor das geschieht, können Hinrichs und Diekmann eingreifen und Egon Pistor festnehmen. Sie vermuten sogar, dass Pistor beim Tod der alten Dame nachgeholfen hat, indem er absichtlich einen Kurzschluss im Haus verursacht hat, den die herzkranke Frau nicht überlebte. Um das herauszufinden, wird die Leiche exhumiert und pathologisch untersucht. Das Ergebnis beweist eindeutig, dass Tante Lena an einem elektrischen Schlag gestorben ist. Sie konfrontieren Pistor mit den Fakten und so gibt dieser zu, dass die Tante ihn enterben wollte, nachdem sie bemerkte, dass er das Bild ausgetauscht hatte.

Da Diekmann das Originalbild nun besitzt, soll es mit einem Peilsender versehen, dem Entführer übergeben werden. So werden die Ermittler zu einem Bootshaus geführt, wo es zu einem Schusswechsel kommt. Jessica kann befreit und das Bild sichergestellt werden. Einer der Entführer wird dabei erschossen, ein zweiter entkommt unerkannt.

Ellen Diekmann schenkt das Gemälde daraufhin einem Museum, da das Erbstück ihr nur Unglück gebracht hat. Dort stellt man allerdings fest, dass es sich um einen echten Rembrandt handelt und die Stifterin erhält eine sehr hohe Entschädigung. Noch in der Nacht versucht der Dieb, das Bild ein weiteres Mal zu stehlen. Hinrichs und Diekmann können Alex Zucker auf frischer Tat stellen. Er war bereits als Gast zur Beerdigung der Tante gekommen, um sich heimlich nach dem Bild umzusehen. Seine Frau ist die Nichte des Professors, der seinerzeit eine Expertise des Bildes erstellt hatte. Während ihr Onkel eine versteckte Signierung nicht entdeckt hatte, konnte sie den wahren Wert des Bildes ahnen und hatte zusammen mit ihrem Mann und einem Komplizen versucht, um jeden Preis an das wertvolle Gemälde zu gelangen.

Auf der Suche nach den LKW-Dieben konnten die beiden Ermittler zwischenzeitlich einen Landwirt und dessen Sohn überführen.

Rezension

Es ist das Ost-West-Ding, das mehr hervorgehoben wird. Ich finde, das wirkte direkt nach der Wende und mitten in dieser elegischen Stimmung, die Ehrlicher und Kain vom Sachsen-Tatort so gut spiegeln konnten, authentisch, aber musste das 2001 noch? Wir wissen, dass auch Uwe Steimle ein General-Ossi ist, der immer wieder auf dieser Seelenklaviatur der nach eigener Ansicht Benachteiligten klimpert und man soll es nicht glauben, dieses verstimmte Klavier ist auch 31 Jahre nach der Wiedervereinigung noch im Einsatz. Es tourt bei jeder Landtagswahl im Osten und jetzt wird auch noch der 20. Deutsche Bundestag neu zusammengesetzt. Ganz ehrlich, mir geht langsam die Geduld aus, zumal wir alle dieselben sozialen Kämpfe zu führen haben und Ost-Blues kein Grund ist, AfD zu wählen, sondern eher, linke Parteien stark zu machen. Es passiert aber nicht.

In welche Partei hingegen tritt Hinrichs ein, um seine Karriere abzusichern? Die SED ist es natürlich nicht mehr, aber der Bezug auf „damals wie heute“ und „in der DDR waren Beziehungen das halbe Leben, jetzt sind sie das Ganze“ zählen auf jeden Fall zu den Tops des 229. Polizeirufe. Ich gehe davon aus, dass die CDU gemeint ist, vielleicht auch die SPD, die im Norden traditionell und noch immer relativ stark ist. Klar, der neue aus HH ist mit dem Vorgesetzten von Hinrichs in derselben Partei und auch sonst haben sie Gemeinsamkeiten, da fühlt sich der misstrauische Ossi gleich ausgeschlossen. Ich finde das gar nicht so dumm aufgezogen, denn aufs Ganze übertragen, stimmt es ja immer noch, zumal die Besetzung von Topstellen im Osten mit Westbürgern nach der Wende tatsächlich ein großes Thema war. Die „Buschzulage“, wie man das Gehaltsplus im ÖD für das Ausrücken ins Neuland diskriminierend bezeichnete, reizte und außerdem waren die neuen Bundesländer ein Ventil, man konnte viele, für die man keine Verwendung mehr hatte, dort ihr oft mittelmäßiges Wesen oder Unwesen treiben lassen. Einige Politiker kamen dadurch zu einer ungeahnten zweiten oder dritten Karriere.

Die Vetternwirtschaft, der Lobbyismus, die Korruption, diese Themen sind alle nicht ausgestorben, sondern beschäftigen uns gerade im Zusammenhang mit der Union sehr. Aber man hat nicht nur einen Vergleich zwischen den nicht so guten Verhältnissen in der DDR und den nicht so guten Verältnissen nach der Wende gezogen, sondern auch ein ganz beliebtes Sujet der DDR-Polizeirufe in diesem Film aufleben lassen: Den Kunstraub. In den Filmen aus der DDR-Zeit sind es oft leidenschaftliche, aber egoistische, bürgerlich wirkende, nicht hinreichend auf den Sozialismus eingeschworene Sammler-Freaks, die sich Kunstgegenstände aus Museen aneignen, in „Seestück mit Mädchen“ wird ein viel elaborierterer Plot um ein echt falsches und dann wieder gefälschtes Kunstwerk inszeniert, der leider einen Fehler hat: Er wird durch eine Inszenierung verstolpert, die es versäumt, den Verlauf der Sache klar herauszuarbeiten. Der Film ist ansehnlich gespielt und Uwe Steimle zeigt, dass er den  Hinrichs auch ernst und kompetent darstellen kann, letztlich geht es sogar um Millionen, was niemand ahnte und der Running Gag mit der eingeschlagenen Fensterscheibe sorgt für eine gewisse Erheiterung. Der Film setzt aber weniger auf Skurrilität als einige der West-Polizeirufe, die es ab Mitte der 1990er gab, allen voran „Volpe“ vom WDR.

Die Mischung ist nicht so falsch, aber der Ost-West-Kampf wirkt teilweise eben doch bemüht und die Handlung ordnet sich zu sehr Nebensächlichkeiten unter, um als Krimi überzeugend zu wirken. Eigentlich schade,  zumal man den Rückgriff auf die älteren Filme als weitere Verbindung der Epoche vor dem Systemwechsel mit der heutigen hätte darstellen können, zumindest damit, wie beide in der Reihe Polizeiruf 110 dargestellt werden, und auch, wie sich der Spin gedreht hat. Einen Mord hätten die Kunstsammler in der DDR nie begangen, um sich z. B. ein Erbe zu sichern.

Ist es nun ein Problem, dass es in dem Film realistischerweise drei Tätergruppen gibt (Mord an der alten Dame, Kunstraub, Lastwagenklau), die Ereignisse aber auf unrealistische Weise zeitlich sehr eng zusammenliegen oder wäre es besser gewesen, unrealistischerweise einen Zusammenhang zwischen allen Taten zu erstellen und damit dem üblichen Schema zu folgen, das manchen Tatort zu einer für die Zuseher:innen mühsam zu befahrenden Straße voller Plotholes macht, weil es eben kaum möglich ist, dieses alles Verbindende einigermaßen glaubwürdig zu fügen? Unentschieden. Denn das Zerfaserte des Films ist natürlich vor allem darauf zurückzufähren, dass zu viel passiert, was nichts miteinander zu tun hat und damit auch die am Verknüpfen geschulte Erwartungshaltung des Zuschauers auf eine Weise unterlaufen, die jener in der Regel nicht als positive Überraschung empfinden wird.

Finale

Es fehlt das Genialisch-Absurde, das viele der deutschen Premiumkrimis auszeichnet, „Mädchen mit Seestück2 wirkt kontemplativ und eher wie das Leben als wie ein fantastisches Konstrukt. Aber das Leben, wie es ist, mochte ich trotzdem gerne anschauen, weil die Figuren so sympathisch sind. Vor allem Hinrichs wirkt dieses Mal nicht so schräg, sondern mit berechtigten Sorgen belastet, denn wer wird schon gerne wegen seiner Herkunft oder aus Mangel an Integration in eine politische Partei oder weil er ein bestimmtes Hobby nicht mit anderen teilt, zurückgesetzt, wenn er die besseren fachlichen Voraussetzungen mitbringt? Dieses „Clubben“ ist aber auch im Osten sehr ausgesprägt und führt schnell zur Ausgrenzung und zum Mobbing, das habe ich im Osten noch Jahre nach dem Entstehen dieses Films mehr als einmal, sagen wir, beobachten dürfen. Es wird auch hemmungsloser und offensiver ausgelebt, als ich es aus dem Westen kannte. Mobbing ist aber nur dann erlaubt, wenn es die Wahrheit ist und nicht auf bösartigen Charakterzügen derjenigen beruht, die es ausüben.

Gestärkt wird das Personaltableau dadurch, dass mit Roswitha Schreiner eine bekannte Tatort-Schauspielerin und mit Julia Richter ein bekanntes Gesicht als die Frauen der Polizisten mitwirken und dadurch der Film weitere Element von Normalität erhält, die ihn fülliger wirken lassen, wenn man sich schon entschieden hat, die Ermittler und ihr Privatleben so sehr in den Vordergrund zu stellen und sich für die Charakterisierung der Tätergruppe kaum Zeit nimmt. Das zumindest ist anders als in den DDR-Polizeirufen und lässt den Krimi weiter in den Hintergrund rücken. So erfahren wir am Ende nicht einmal, ob der Dieb des nunmehr echten Rembrandts auch so ein Sammlertyp ist, oder ob er sich mit dem Verkauf sanieren wollte, von dem er nicht wissen konnte, dass es letztlich um Millionen geht. Die Charaktere und das Szenario sind reizend, aber aus Letzterem hätte man mehr machen können, in Küstennähe, und aus dem Plot sowieso.

6,5/10

© 2022 Der Wahberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)

(1) und kursiv: Wikipedia

Regie Helmut Förnbacher
Drehbuch Michael Illner
Produktion Reiner Milker
Musik Klaus Doldinger
Kamera Johannes Anders
Schnitt Birgit Levin
Besetzung

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