Frontpage | Medien, ARD, Wirtschaft | Patricia Schlesinger u. a.
Dass es das heute noch gibt: Intendanten bekommen Boni dafür, dass sie es schaffen, Angestellte an die Luft zu setzen und damit das Ausquetschen der Verbliebenen noch mehr zu verstärken, das Programmangebot noch mehr auszudünnen etc. Das ist ein Skandal. Deutschland wird vermutlich das allerletzte Land sein, in dem der menschenverachtende Neoliberalismus endlich aufgegeben wird. Aber erst, wenn gar nichts mehr funktioniert, so konsequent ist man hierzulande immer häufiger, wenn es um negative Entwicklungen geht. Sie werde bis zum bitteren Ende durchgezogen. Am heutigen Morgen hatten wir noch ein Gespräch darüber, warum immer mehr Menschen ihre Jobs schmeißen und in immer mehr Bereichen Versorgungsengpässe entstehen. Hat das etwas mit der Frage nach den Rundfunkgebühren zu tun? Wir kommen darauf weiter unten noch zurück, hier zunächst die Umfrage als ganzer Satz und mit dem Civey-Begleittext:
Sollten die Rundfunkgebühren in Deutschland abgeschafft werden?
Achtung, der tatsächlich über der Umfrage stehende Text lautet dann:
Genau das macht es schwierig, die Frage zu beantworten, auch dazu unterhalb des Civey-Textes noch ein paar Worte.
Frankreichs Parlament hat letzte Woche die Abschaffung der Rundfunkgebühr beschlossen. Bis 2024 soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk dort nun teilweise durch die Mehrwertsteuer finanziert werden. Für die Zeit danach muss die Regierung dann einen gesonderten Plan zur Finanzierung vorlegen. Die Rundfunkgebühr beträgt in Frankreich bislang 138 Euro im Jahr und wird für alle Haushalte fällig, die einen Fernseher besitzen.
Präsident Emmanuel Macron hatte die Abschaffung der Gebühr aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten im Wahlkampf versprochen. Hierzulande fordert die Union schon länger von der Bundesregierung, weitere Entlastungen für die Bevölkerung wegen der hohen Inflation zu verabschieden. Sie wünscht sich vor allem mehr Unterstützung für Rentner und Rentnerinnen sowie Geringverdienende.
Teile der CSU sprachen sich zudem bereits im Mai für eine dreimonatige Aussetzung der GEZ-Gebühr aus, die hierzulande 18,36 Euro im Monat beträgt. Laut Spiegel wollte der parlamentarischer Geschäftsführer der Landesgruppe, Stefan Müller, damit einkommensschwache Haushalte entlasten, die unter den momentanen Preissteigerungen besonders leiden. Zudem forderte er eine grundsätzliche Staffelung des Beitrags je nach Einkommen.
Wir fangen umgekehrt an: Wir haben klar mit „nein“ gestimmt. Allerdings auf Basis der Fragestellung, die sich als verkürzt erwiesen hat. Uns ging es darum, dass der öffentlichrechtliche Rundfunk bestehen bleibt, und dafür sind wir unbedingt. Das ist sogar eine Herzensangelegenheit. Denn öffentlich-rechtlich bedeutet nicht öffentlich im Sinne von staatlich, obwohl das immer wieder von Kreisen, die auf das totale mediale Chaos in Deutschland hinarbeiten, behauptet wird, die gerne von „Staatsfunk“ sprechen (trendet heute wieder auf Twitter, wie wir gerade gesehen haben). Dass bei uns eben Gebühren von den Anstalten selbst erhoben werden, nicht der Staat sie aus Steuern finanziert, wurde sicher auch als Zeichen für deren Unabhängigkeit eingerichtet. Ansonsten hätte man es ja machen können wie bei der Kirchensteuer, allerdings, ohne dass man sich einfach abmelden kann. Dafür gibt es beim ÖRR höhere Voraussetzungen, aber auch Transferbezieher:innen-Gruppen, bei denen das jetzt schon der Fall ist. Diese Gruppe wäre aber größer, wenn alle, die keine Steuern zahlen, auch nicht mehr zur Finanzierung des ÖRR beitragen müssten. Deswegen hätten wir wohl auch bei der verlängerten Frage für „nein“ gestimmt, mindestens aber für „eher nein“.
Vor allem aber wegen des Symbols der Gebühren, die von manchen so gehasst werden. Nicht wegen der 18 Euro, der Staat zum Beispiel zieht für Angebote, von denen die meisten gar nichts haben, auch Geld von den meisten Menschen ein. Sondern wegen der Meinungsfreiheit und wegen der überragenden Möglichkeiten, die ARD und ZDF im Vergleich zu anderen Medien immer noch haben, wenn es um erstklassigen Journalismus, besonders um Reportagen direkt von Ereignissen und aus Ländern rund um den Globus geht. Die Recherchepower der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten ist immer noch beachtlich, während fast alle Printmedien schon mehrere Ausdünnungsrunden hinter sich haben, und sich mehr und mehr aus Servicepools bedienen, um eigenes Personal einzusparen. Das sorgt ganz sicher für eine Verengung und manchmal merkt man das gar nicht, weil Agenturen ihre Artikel auch als Mischprodukte verkaufen, die das Beifügen eigener Textteile durch die einzelnen Zeitungen erlauben. Eine Schwächung der Pressefreiheit wäre auch gegeben, und zwar in erheblichem Maße, wenn es ARD und ZDF nicht mehr gäbe. Diejenigen zum Beispiel, die immer ganz schräge Töne blasen, wenn es um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht, können hingegen das Meiste nicht selbst recherchieren. Sie müssen sich auf die Nachrichten der ARD oder des ZDF verlassen, die sie dann mit einem für sie passenden Framing versehen. Das finden wir sogar legitim, sofern darauf nicht eindeutige Falschbehauptungen aufgebaut werden, aber die Datengrundlage stammt vielfach von den Öffentlich-Rechtlichen.
Ja, aber die Frau Schlesinger! Und noch einige andere. Hier haben wir einen sehr schönen Artikel gefunden, der in etwa unsere Meinung wiedergibt. Andere Medien sollten sich in der Tat hüten, die Sache nur aus Konkurrenzgesichtspunkten zu sehen. Wichtiger ist, dass genug seriöse Medien in Deutschland übrigbleiben, dass man noch von echter Pressevielfalt sprechen kann. Ja, aber die Frau Schlesinger! Gut, hin und wieder leisten sich Intendanten inhaltlich und sogar in Sachen Vetternwirtschaft Fehler, wie es jetzt wohl vorkam, Kontrollinstanzen versagen usw.
Doch das gibt es in der Privatwirtschaft zuhauf und im gesamten öffentlichen Bereich ebenso, und natürlich in der Politik. Auf Deutsch: Das gibt es überall. Wenn man zum Beispiel die vielen Verfehlungen von Politikern betrachtet, könnte das im Grunde nur die Konsequenz haben, dass die Politik abgeschafft wird. Oder die Demokratie. Einige hätten das sicher gerne, aber wäre danach irgendetwas besser? Wenn es gar keine Kontrolle mehr geben würde, weil Diktatur herrschen würde? Auf keinen Fall. Auf dem Welt-Korruptionsindex weisen ausschließlich Demokratien einigermaßen niedrige Werte auf. Weil Menschen nun einmal so sind: Ohne Transparenz und ohne Kontrolle geht es nicht. Kontrolle in diesem Fall durch fachlich geschulte Aufsichtsräte bzw. Rundfunkräte, Transparenz durch entsprechende Verfahren. Ähnlich, wie mehrere NGOen sie für den Parlamentsbetrieb durchzusetzen versuchen. Es kommt darauf an, wie solche Systeme betrieben werden. Selbst, wenn man glaub, man habe die Perfektion erreicht, wird der menschliche Faktor aber immer wieder für Enttäuschungen sorgen. Man kann diese Enttäuschungen gegenüber den aktuellen, unhaltbaren Zuständen in der Politik minimieren, man muss es sogar, um die Demokratie zu erhalten. Doch ein so demokratieförderndes System wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen trägt ganz sicher nicht dazu bei, dass der Politik mehr auf die Finger geschaut wird. Auch dort werden lautstarke Minderheiten sehr gepflegt, aber es kommt in der Regel zutage, dass sie nicht die Mehrheit sind, und das ist wichtig für die Orientierung über die Meinungsbildung im Land.
Last but not least. Es gibt eine weitere Gruppe von Menschen, die am liebsten hätten, dass nicht privater Rundfunk in die Tonne getreten wird. Diejenigen, die für Privatmedien Lobbyarbeit betreiben. Fast an jedem verdammten Tag siegen Angebote der Öffentlich-Rechtlichen auch in der Zuschauergunst. Das ist äußerst misslich für die Privaten, weil es die Werbeeinnahmen kappt. Weniger Reichweite = weniger Einnahmen. Das ist aber nicht ungerecht, weil die Öffentlich-Rechtlichen mit weniger Werbung auskommen, sondern im Ganzen gerecht, weil die Privaten es nicht hinbekommen, ähnliche gute Programme zu entwickeln. Die Nachrichten lassen wir mal außen vor, aber es gilt auch für fiktionale Formate, dass sich ARD und ZDF häufig gegen die private Konkurrenz durchsetzen. Daraus ergibt sich der logische Schluss: Wer gerne ARD- und ZDF-Krimis schaut, und das sind ja doch recht viele Menschen, und gleichzeitig die Abschaffung der Rundfunkgebühren fordert, der ist ein kleiner Miesling. Daher von uns ein klares „Ja!“ zu den öffentlich-rechtlichen Sendern und auch ein „eher ja“ zu der Finanzierung durch Gebühren. Ob die Steuerfinanzierung auch Vorteile hätte, wie z. B. weniger Bürokratie, müsste geprüft werden, so tief können wir nicht einsteigen. Uns geht es um den Erhalt des in toto nach wie vor besten Medienangebots in Deutschland.
Aber bitte endlich mit den Kürzungen aufhören, sonst lässt genau das, was dieses Angebot ausmacht, die Qualität, immer mehr nach und was wird dann kommen? Dass Menschen auch diese Tendenz zum Anlass nehmen, sich negativ zu den Rundfunkgebühren zu äußern. In diese Falle sollte man nicht tappen, sondern als ARD oder ZDF, sondern selbstbewusst in Zeiten hoher Inflation eine Gebührenerhöhung durchsetzen. 22 bis 24 Euro monatlich anstatt 18,36 wären aktuell mindestens angesagt, um die Angebotsbreite und -tiefe zu erhalten. Selbstverständlich nur dann, wenn Transparenz und Organisation verbessert werden. Diese Chance sollte man unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse aus dem Falls Schlesinger nutzen.
TH