Romeo is Bleeding (USA 1993) #Filmfest 825

Filmfest 825 Cinema

Parodien sind nicht parodierbar

Romeo Is Bleeding ist ein US-amerikanischbritischer Thriller von Peter Medak aus dem Jahr 1993. Die Hauptrolle spielte Gary Oldman.

„Der Film noir ist das ironischste aller Genres und ist daher nicht parodierbar“. So hat es Roger Ebert in seiner Kritik zum Film sinngemäß ausgedrückt („you can’t kid a kidder). Dies würde bedeuten, dass „Romeo Is Bleeding“ auf einem fundamentalen Irrtum basiert, denn es ist offensichtlich, dass er den Film noir aufs Korn nimmt. Aber ist es wirklich eine Parodie? Und ist der Film noir so ironisch? Dies und mehr klären wir in der –> Rezension.

Handlung (1)

Der Polizist Jack Grimaldi ist in einem Zeugenschutzprogramm tätig. Er verkauft seine Informationen über Zeugen an den Mafioso Falcone. Grimaldi ist mit Natalie verheiratet und hat die junge Sheri als Geliebte.

Eines Tages soll er die Russin Mona Demarkov beschützen, die er attraktiv findet. Falcone will ihren Tod, aber Demarkov kann entkommen. Sie wendet sich später an Grimaldi, der für eine hohe Geldsumme ihren Tod fingieren soll. Da Grimaldi die gewünschten Informationen über Demarkov Falcone nicht rechtzeitig liefert, lässt dieser ihm von seinen Leibwächtern eine Zehe abschneiden und seine Familie bedrohen. Jack bringt Natalie in Sicherheit und vereinbart einen Treffpunkt mit ihr, den sie zweimal im Jahr aufsuchen soll. Außerdem macht er Schluss mit Sheri.

Unmittelbar nachdem Grimaldi Mona Demarkov falsche Papiere besorgt hat, versucht sie, ihn zu töten. Grimaldi verfolgt Demarkov und schießt auf sie, aber es ist die gefesselte Sheri, die er tötet. Er läuft entsetzt davon. Demarkov hat sich einen Arm amputieren lassen und täuscht mit Sheris Leiche ihren eigenen Tod vor, indem sie den Arm zu der Leiche legt, alles mit Benzin überschüttet und anzündet. Die Russin bringt Falcone in ihre Gewalt und zwingt Grimaldi, den Mafioso lebendig zu begraben.

Als sie sich mit einem letzten Sexualakt voneinander verabschieden wollen, werden Grimaldi und Demarkov von der Polizei überrascht und verhaftet. Nach der Gerichtsverhandlung, bei der Demarkov freigesprochen wird, entreißt Grimaldi einem Polizisten die Waffe und tötet die Russin. Seine umstehenden Ex-Kollegen gratulieren ihm zu diesem Schuss. Er wird selbst in dem Zeugenschutzprogramm untergebracht und übersiedelt nach Arizona. Dort wartet er vergeblich auf seine Frau.

Rezension

Die klassischen Films noir sind in der Regel große Dramen, meist im Umkreis des professionellen Verbrechens angesiedelt. Sie sind schicksalsschwer und im Gegensatz zu den meisten anderen Genres sind die Protagonisten häufig von Beginn an einem Schicksal ausgeliefert, dem sie sich nicht entgegenstellen können. Sie mögen den Ort wechsen, neue Identitäten annehmen, doch ihr Verhalten macht sie am Ende zu Verlierern und eine echte Wandlung ist nicht möglich. Es gibt natürlich die Light-Variante mit einem guten Ende, aber dann ist es kein echter Film noir, sondern allenfalls eine stilistische Adaption des Genres.

Den obigen Absatz möchten wir anlässlich der Veröffentlichung der Rezension im Jahr 2022 ergänzen: Es gibt auch den „kleinen“ Noir mit teilweise sehr rudimentären Figuren. Und es gibt viele Filme, die u. E. zu Unrecht als noir bezeichnet werden.

Sicher liegt in vielen der im Film noir gezeigten Figuren und Biografien eine Ironie, die man wörtlich als Ironie des Schicksals bezeichnen kann. Aber das Genre an sich ist uns bisher nicht in erster Linie durch Ironie aufgefallen, welche Richtung Parodie oder Persiflage tendiert. Demgemäß gibt es spätestens seit den 1960er Jahren eine Tendenz, den Film noir eben doch zu parodieren, und wir halten das für sehr gut möglich – exemplarisch vorgeführt anhand der Verwendung von Ausschnitten aus vielen Film-noir-Klassikern und deren Kombination mit neu gedrehten Szenen in „Tote tragen keine Karos“ („Dead Men Don’t Wear Plaid“) von 1980 mit dem beliebten Komiker Steve Martin in der Hauptrolle.

In den 1990ern gab es zudem eine Tendenz zu stilistischen Übertreibungen und Kontrasten, die u. a. durch den Kultregisseur Quentin Tarantino auf die Spitze getrieben wurde. Wenn „Pulp Fiction“ keine Parodie auf den Film noir ist, dann haben wir Film als Medium nicht verstanden – und dieser Film, den wir für den Wahlberliner rezensiert haben, ist so beliebt, dass man ihn zu den AAA-Kultmovies rechnen darf.

Angesichts der wendungsreichen und teilweise absurden Handlung von „Romeo Is Bleeding“ überrascht es nicht, dass Quentin Tarantino das Drehbuch verfasst hat. Peter Medak, der Regisseur, ist hingegen ein weniger bekannter Name und es ist schon möglich, dass der Stil, den er hier zeigt, mehr will, als er kann.  

  • Die drei Frauen. Die Ehefrau des hochgradig korrupten Polizisten Jack Grimaldi, die Freundin, die Profikillerin stehen für drei Typen, die im Film noir gängig sind: Die treue Gefährtin, die meist unter dem Geschehen, dem Milieu, ihrem Mann leidet, aber den Weg mit ihm geht, wie wird von Annabella Sciorra verkörpert; die Teaserin, ein manchmal nicht sehr beschlagener Typ, wie ihn Juliette Lewis sehr gut spielt, mit ihrer Mimik, die wie für solche Gestalten geschaffen ist; schließlich der mordende Vamp, verkörpert von Lena Olin – die am meisten überzeichnete Figur im Film, die sich einen Arm abtrennt, um nach dem Verbrennen der Leiche von Grimaldis Freundin glauben zu machen, sie sei die Tote. Die Besetzung der drei Damen ist hervorragend – jede wirkt auf ihre Art sexy und bei Mona Dermakov (Olin) hatten wir das bemerkenswerte Gefühl, dass es Spaß machen könnte, sich diesem gefährlichen Vamp für eine wilde Nacht auszuliefern und den Thrill, der von ihr ausgeht, als Angstlust zu spüren. Soweit wir uns erinnern, haben wir etwas Ähnliches in nun über 200 Rezensionen für den Wahlberliner bisher nicht geschrieben.
  • Gary Oldman als Polizist und Kameradenschwein. Der Brite, der selbst in desolaten Verhältnissen aufgewachsen ist, zwischenzeitlich Alkoholprobleme hatte und gemäß seiner Frauenbiografie einer längerfristigen Bindung unfähig scheint, ist wie geschaffen für diese Figur eines Gesetzeshüters, der zu seiner Aufgabe eine sehr lockere Bindung hat und es sogar in Kauf nimmt, dass durch seine Indiskretionen, mit denen er sich bei einem Mafiaboss pro Auftrag ein Zubrot von 65.000 Dollar verdient, Kollegen getötet werden. Er will das zwar vermeiden, aber letztlich lässt er sich von dem von Roy Scheider gespielten Mafiaboss recht leicht zwingen, weiterzumachen. Außerdem ist er jeder sexuellen Verführung zugeneigt und hat diesbezüglich auch keine Gewissensbisse. An der Figur stimmt im Grunde alles, auch, wie er zu Beginn und am Ende der Rahmenhandlung mit einer neuen Identität im Nichts verweilt und auf seine Frau wartet. Der Mann wirkt charakterschwach und ziemlich trashig und das kauft man der Figur aufgrund von Oldmans Darstellung ab. Das Wort vom schmierigen und geschmierten Cop findet in diesem Grimaldi seine gültige Verkörperung.

Was kann also falsch sein, wenn die Besetzung so gut funktioniert? Es ist die Handlungsführung und es sind einige Dialoge, die weit vom Niveau der Tarantino-Filme entfernt sind, auch wenn die Dialoge ja offensichtlich von Tarantino stammen. Gewisse statuarische Sätze zum Beispiel des Paten wirken eher zynisch als parodistisch, zum Beispiel, wenn er über die Pazifisten als die eigentlich moralisch Korrupten referiert, weil sie andere für sich kämpfen lassen. Mag sein, dass das in der einsetzen Clinton-Ära noch witzig gewirkt hat, aber nach den enervierenden Säbelrassel-Zeiten von George W. Bush hat man das unangenehme Gefühl, der Mann glaubt, was er sagt, und die Nation, welcher er angehört, glaubt es auch. Die parodistische Wirkung solcher Sätze ist jedenfalls gering.

Ein wichtiger Unterschied zu Tarantinos Inszenierungsstil ist gewiss nicht ein Mangel an Übertreibung, an spritzendem Blut, an rasch aufeinanderfolgenden Twists – die sind in manchen Tarantino-Filmen noch ausgeprägter als in „Romeo Is Bleeding“. Es ist das Timing. Die Szenen wirken zu beliebig, nicht zugespitzt genug, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie etwa dem Autounfall, den Grimaldi verursacht weil Mona Demarkov in mit ihren Beinen in den Schwitzkasten nimmt, nachdem er ihr Handschellen angelegt hat. Es ist dieses Gefühl, da fehlt die absolute Konsequenz in der Umsetzung das hat viel mit dem Schnitt zu tun, aber auch mit dem Gefühl dafür, wie man einen Film macht, der sich von einem blutigen Höhepunkt zum nächsten bewegt. „Romeo Is Bleeding“ bewegt sich auf einem dramaturgischen Plateau und eilt nicht von Gipfel zu Gipfel und fängt den  Zuschauer zwischen diesen Gipfel elegant auf, wie Tarantino es in seinen besten Werken so gut vermag.

In der Tat, auf die trashige Weise, wie sie in den 1990ern aufkam, ist der Film noir nicht leicht zu parodieren und es wird einen Grund haben, dass es nur wenige Regisseure gibt, die das können. Es ist möglich, „Romeo Is Bleeding“ ist jedoch stilistisch nicht konsequent und straff genug. Manche Dialoge sollen statuarisch-komisch wirken, sind es aufgrund der Ausgestaltung der Szenen, in denen sie gesprochen werden, aber nicht.

Typische Film noir-Elemente wie die Auflösung der chronologischen Erzählweise zugunsten von Rückblenden wirken eher wie Zitate denn wie inhaltlich parodierend. In der Regel ist es so, dass sie im Film noir so verlaufen: Ein Mann ist in einer bestimmten Situation und wird plötzlich mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Es wird in die Phase seines Lebens zurückgeblendet, in der die Verbindung entsteht, die anfangs als vorhanden gezeigt wird. Wenn dies abgearbeitet ist, manchmal geschieht das in mehreren Etappen, zwischen denen sich auf der ersten Ebene immer wieder etwas ereignet, das parallel zur Vergangenheitsebene die Dinge zuspitzt, dann geht die Handlung mit dem finalen Shodown weiter. Es mag parodistisch gemeint sein, dass am Ende Grimaldi wieder in diesem Laden am Rande der Wüste steht und auf seine Frau wartet, dass nichts mehr passiert, als dass er wartet und ahnt, er wird lebenslang umsonst warten. Das ist natürlich kein Film noir-Ende und auch keine sinnfällige Parodie eines solchen.

Es ist eher ein ernster, trauriger Moment, in dem die Hauptfigur sich bewusst wird, dass sie ihr Glück verraten und verkauft hat und mit leeren Händen dasteht. Dem können wir nichts Komisches abgewinnen und damit findet ein auf Übertreibung angelegter Film sein stilles und melancholisches Ende, das außerdem bei näherer Betrachtung sehr moralisch ist – und auch das unterscheidet „Romeo Is Bleeding“ von Tarantinos Filmen, die eine solche Bewertung nicht ohne Weiteres zulassen und uns das Entdecken einer simplen und eindeutigen Prämisse verwehren.

Finale

„Romeo“ heißt der Polizist wohl, weil er immer der körperlichen Liebe hinterherrennt und weil er behauptet, wir besitzen nicht die Liebe, sondern sie besitzt uns – ebenfalls ein Zitat, das nicht witzig, sondern eher betrüblich wirkt. Es weist zwar auf die Grundstruktur des Film noir hin, dessen Figuren nicht die Herren ihres Schicksals sind, aber es ist keine ironische Brechung, es sei denn, man sieht sie darin, dass der Mann von Liebe keine Ahnung hat.

Es gibt weitere Film noir-Stilelemente wie die Narration (erstklassig eingesetzt z. B. in „Frau ohne Gewissen“ / „Double Indemnity“ aus 1944), doch diese wirkt in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung wieder nicht auf ironische Weise etwa einen bestimmten Film auch inhaltlich zitierend, sondern eben nur als allgemeine Anspielung auf die Art und Weise, wie der Film noir gestaltet ist.

Das heißt nicht, dass wir „Romeo is Bleeding“ für komplett verfehlt halten – als moralisch angehauchtes Drama über die wirklichen Werte, mit denen sich US-Filme ja gerne auf genau die Weise befassen wie hier, indem sie Geld gegen Liebe und Bindung stellen, ist er nicht so schlecht. Und wegen der Frauen natürlich. Daher noch knapp 7/10. 

69/100 

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

Regie Peter Medak
Drehbuch Hilary Henkin
Produktion Hilary Henkin,
Paul Webster
Musik Mark Isham
Kamera Dariusz Wolski
Schnitt Walter Murch
Besetzung

 

 

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