Frontpage | Briefing 81 | Waffen, Atombomber, Sanktionen
Heute ist der geopolitische Freitag – das Briefing als Sammler zu aktuellen und interessanten Themen über Deutschland hinaus. Ob es beim Freitag bleiben wird oder ob der Samstag besser geeignet ist, um diese Schiene innerhalb des Briefing-Formats zu veröffentlichen, muss sich noch zeigen, aber zwei Teile sind ebenfalls denkbar.
Die Welt ist ziemlich verrückt, das bedarf wohl keiner Erläuterung mehr. Kriege, Krisen, politisches Versagen, das ist das politische Gepräge nach 22 Jahren im 21. Jahrhundert. Wer hätte das gedacht? Niemand. Gewiss nicht nach Auflösung der Blöcke und auch vor 20, vor 10 Jahren noch nicht in der Form, wie es jetzt immer tiefer in unseren Alltag einsickert. Das ist es vor allem, was uns schockiert. Dass es uns mehr und mehr direkt betrifft. Manchmal müssen wir deshalb auch von der geopolitischen Lagebeschreibung aus wieder einen Abstecher nach Deutschland macht. Vor allem, wenn diejenigen es tun, die wir zu Wort kommen lassen und kommentieren wollen. Wir waren immer dafür, die Dinge in möglichst großen Zusammenhängen zu betrachten, also trennen wir jetzt nicht die Zusammenhänge künstlich auf.
Manchmal ist es gut, wenn ein Artikel zuerst entworfen und erst am Folgetag veröffentlicht wird, günstigenfalls können wir dann passende Neuigkeiten einbinden. So wie heute die Frage, ob man die Sanktionen gegen Russland aufheben solle. Gegenwärtig macht die EU das Gegenteil, wie Sie vermutlich wissen:
Als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine hat die EU bereits diverse Sanktionen gegen Russland verhängt. Zu den Strafmaßnahmen gehören gezielte restriktive Maßnahmen gegen Personen und Unternehmen, Wirtschaftssanktionen und Visamaßnahmen. Infolge der vermehrten Angriffe Russlands auf die ukrainische Infrastruktur hat die EU gestern ein neuntes Sanktionspaket gegen Russland beschlossen.
Bundeskanzler Olaf Scholz versprach am Mittwoch bei seiner Regierungserklärung im Bundestag, dass die Strafmaßnahmen so lange verschärft werden, wie Russland seinen brutalen Angriffskrieg in der Ukraine fortsetze. Für Unionsfraktionschef Friedrich Merz genügt dies nicht. Er forderte von der Bundesregierung mehr Unterstützung, etwa in Form von Lieferungen von Kampf- und Schützenpanzern an die Ukraine.
Teile der Linken wie Sahra Wagenknecht halten die Sanktionen indes für wirkungslos, da diese den Krieg nicht beenden würden. Der Linken-Wirtschaftsexperte Klaus Ernst verweist zudem auf die so gefährdete Energieversorgung in Deutschland. AfD-Parteichef Tino Chrupalla verlangte in der Bundestagsdebatte am Mittwoch ein Ende der Sanktionen gegen Russland. Deutschland als Land ohne Rohstoffe könne es sich nicht erlauben, ständig wirtschaftliche Strafmaßnahmen zu erlassen.
Das liest sich wieder wunderbar nach Querfront, nicht wahr? Ja, was Russland angeht, sehen vor allem Ostdeutsche die Sache anders als Westdeutsche, das dürfte der Hauptgrund für diese Übereinstimmung sein. Auch Ministerpräsidenten von der CDU tendieren ja in diese Richtung, anders als Friedrich Merz. Derzeit gibt es wieder die übliche Zweidrittel-Eindrittel-Konstellation. Viele sind klar gegen die Aufhebung von Sanktionen, eine beachtliche Minderheit klar dafür. Dazwischen liegt nicht viel, aber wir finden es aller Ehren wert, wenn jemand sich hier „unentschieden“ äußert, denn das dürften Menschen sein, die besonders differenziert über die Situation nachdenken. Leider tun das nicht alle und eine der Personen, die sehr einseitig auf die Lage blickt, was uns wiederum sehr leid tut, wurde im Civey-Begleittext erwähnt. Wir meinen nicht Friedrich Merz, obwohl er auch ziemlich einseitig veranlagt ist: Immer, wenn ein Vorteil für das Kapital herausgeschlagen werden kann, ist Merz einer der ersten an der Spritze.
Und wir? Wir schreiben ganz am Ende des Beitrags kurz auf, wie wir abgestimmt haben. Vielleicht ist es angesichts des zuvor hier Niedergelegten sogar überraschend.
Wenn zum Beispiel jeden Donnerstag der Newsletter jener bestimmten deutschen Politikerin erscheint, ist man als Linker, anders als bei Merz, den man kennt und einschätzen kann, auch konstnerniert darüber, wie dicht Wahres und Quatsch, klug Vorgetragenes und auffällige Widersprüche so dicht beieinander liegen wie bei kaum jemandem sonst. Wir müssen, wenn wir eine solche Nachrichtensammlung zur Grundlage eines Leitkommentar machen, diese Inhalte so besprechen, wie wie sie vorgetragen wurden. So vollständig wie möglich. Denn es wäre unfair einerseits und viel zu affirmativ andererseits, sich nur das herauszupicken, womit wir übereinstimmen oder was uns gerade mächtig nervt. Heute, vom Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels aus also gestern, hat diese Politikerin in ihrer Wochenpost einiges zum Ukrainekrieg zu Protokoll gegeben.
Sie beklagt eingangs des Newsletters, dass es in Deutschland massive Reallohnverluste gibt. Die Inflation, die wachsende Armut! Das stimmt, wir haben bereits darüber berichtet. Wir sind absolute derselben Meinung und haben die Bundesregierung dafür mit scharfen Worten wahlweise unfähig, irre oder kriminell genant. Und dass nun wirklich Geld für anderes gebraucht werde als für die Anschaffung von F35-Tarnkappenbombern made in USA, ist durchaus eine nachvollziehbare Schlussfolgerung aus all dem. Wir waren immer gegen dieses gigantische Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro, haben aber auch gesagt: Den Auftrag der Landesverteidigung muss die Armee erfüllen können. Mittlerweile muss die Regierung noch viel tiefer in die Tasche greifen, um wenigstens zu verhindern, dass das Licht in vielen Haushalten ausgeht und die Menschen in der Kälte sitzen. Alles hausgemachte Krise. Und wird zurecht kritisiert. Aber zu den F35-Bomberin gibt es noch etwas mehr aus dieser Richtung:
Zumal ich den Zweck des Rüstungsdeals fast noch schlimmer finde als die gigantische Mittelverschwendung: Mit den F35-Tarnkappenbomben sollen im Ernstfall nämlich die in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen transportiert und abgeworfen werden können. Damit erhöhen wir doch nicht unsere Sicherheit, damit machen wir uns im Ernstfall selbst zur Zielscheibe! Ich finde diese Politik absolut verantwortungslos. Atomare Aufrüstung bringt keine Sicherheit, im Gegenteil: Je mehr Staaten nach Atomwaffen streben, desto größer wird das Risiko eines unkontrollierbaren Konflikts zwischen Atommächten, der Millionen Menschenleben kosten und die Welt
Betet uns dieselbe Person nicht fast in jedem ihrer Newsletter vor, dass Russland überhaupt nicht zu besiegen sei, weil es Atommacht ist und es deshalb komplett sinnlos ist, den Abwehrkampf der Ukraine zu unterstützen? Wir setzen noch eins drauf: Noch nie wurde ein Atomstaat territorial angegriffen. Atomstaaten kann man nur wirtschaftlich besiegen, deswegen finden die heutigen Kriege immer mehr auf wirtschaftlichem Gebiet statt. Mit Deutschland erneut als Verliererstaat, wie es im Moment mal wieder ganz eindeutig der Fall zu sein scheint. Die Logik dieser Ansicht ist nicht, dass ein Angreifer, der anders nicht mehr vorankommt, seine Atomwaffen wirklich einsetzt. Wie Russland in der Ukraine. Will uns das jemand ernsthaft erzählen, der ziemlich auf Putins Seite steht? Dass Russland um der Ukraine Willen einen Erstschlag zu führen bereit ist?
Muss aber nicht, wenn man das glaubt und offenbar auch noch für nachvollziehbar hält, gerade deswegen die atomare Abwehrbereitschaft der NATO-Staaten gesichert werden? Denn wer Putin dies in der Ukraine zutraut, der müsste konstatieren, dass derlei auch in Deutschland passieren könnte, hätte es keinen atomaren Schutzschirm. Und überall sonst, wo es diesen nicht gibt. Die Gefahr ist vor allem auf dem Glacis der ehemaligen SU groß, wie wir an diversen Konflikten Russlands mit den umgebenden Nachfolgestaaten von Republiken der SU sehen. Genau da ist ein eklatanter logischer Bruch in der Argumentation dieser Politikerin festzustellen. Wem man den Einsatz von Atomwaffen zutraut, dem muss man doch wohl als Antwort darauf dem russischen Machthaber ausrichten lassen, dass man bereit ist, das Gleichgewicht der Abschreckung intakt zu halten. Was immer man der Bundesregierung an Fehlern zurechnet, für eine Tatsache kann sie nichts: Dass Putin sich ständig damit brüstet, Russland habe das modernste und schlagkräftigste Atomwaffenarsenal der Welt und partout nicht der übrigen Welt den Gefallen tun will, dass er klar sagt, dass dies nur für defensive Aufgaben gedacht ist. Angesichts der moderaten Fähigkeiten seiner konventionellen Streitkräfte könnte diese technische Überlegenheit ein Bluff sein, wie es oft bei Leuten der Fall ist, die beteuern, ganz sicher nicht zu bluffen.
Dass das Gleichgewicht des Schreckens heute wieder so eine zentrale Bedeutung hat, ist mehr als betrüblich, es ist die Zerstörung des ganzen Entspannungsprozesses, der immerhin während der Zeit der Blöcke begonnen hat. Es sind die Atommächte USA, Russland, China, die diese Spirale zu verantworten haben, im Fall der USA natürlich deshalb, weil sie nicht vernünftig und auf Augenhöhe mit anderen umgehen können, die auch imperialistisch denken. Und dass Deutschland in die Rolle einer Teil-Atommacht hineinwächst, weil es US-Atomwaffen mit eigenen Flugzeugen herumschleppen kann – nun ja. Man kann es aufbauschen und schrill damit Panikpolitik machen oder es als nachrangig ansehen in Sachen Erhöhung der Weltkriegsgefahr. In Wirklichkeit werden strategische Atomwaffen darüber entscheiden, ob es zu einem Dritten Weltkrieg kommt, nicht die Raketen, die von Flugzeugen aus abgeschossen werden. Diesbezüglich muss man außerdem im Moment eher befürchten, dass Russland versucht, die Lücke zwischen gar keine Atomwaffen einsetzen und mit strategischen Waffen eine unkontrollierbare Kausalkette in Gang bringen tatsächlich die schmutzige, kleinere, aber gegenüber dem gegenwärtigen Abnutzungskrieg immer noch weitaus wirksamere taktische Atomwaffe einsetzt, um in der Ukraine endlich den Sieg zu erringen.
Witzig in dem Zusammenhang finden wir immer die Militärexperten, die uns erzählen, was Russland noch alles im Köcher hat, auf konventionellem Gebiet. Warum setzt es dann diese Reserven, diese Überlegenheit nicht ein, um eine schnelle Entscheidung herbeizuzwingen? Nur, weil Putin nicht zugeben will, dass er einen Krieg führt? Deshalb lässt er sich auf diesen morastigen und bald klirrenden Winterstellungskrieg ein, den gerade die Russen doch gut kennen und von dem sie wissen, dass er den Eroberern in der Regel nicht hilft, sondern denen, die im eigenen Land kämpfen? So, wie einst die Russen selbst gegen Napoleon und Hitler, wo ihnen der Winter sehr zu Hilfe kam, um nicht zu schreiben, sie rettete? Allein dies wäre ein Verbrechen, Menschen unnötig bluten zu lassen, während man in Wirklichkeit mit mehr Material und Soldaten den Krieg schon hätte beenden können. Es wirkt geradezu sadistisch, stattdessen immer weitere Zerstörungen anzurichten.
Fakten sind eine Sache, zumal, wenn sie nicht belegbar sind. Die Logik ist eine andere. Ein Blitzsieg hätte Putin in den russischen Olymp gehoben und er hätte sich ungestraft mit Peter dem Großen vergleichen können. Aber dieses unwürdige Schauspiel mit so viel Leid, das in der Ukraine stattfindet? Das werden auch viele Russen in der Nachbetrachtung als der Sache nicht wert empfinden, zumal wirtschaftliche Möglichkeiten Russlands auf Jahrzehnte beschädigt sein werden. Ja, es wird einen Switch im Westen geben, der z. B. aus einer Energiepartnerschaft mit Deutschland eine Abhängigkeit zulasten Russlands macht. Und zwar eine von China und von anderen neuen Abnehmern, die ihre eigenen Interessen verfolgen, ohne groß nach Putins Befindlichkeit zu fragen, wenn sie Russland am Gängelband haben, weil es im Westen geächtet wird. Die Alternative wäre, durch Preisdumping wieder ins Geschäft zu kommen. Aber es wird nicht werden wie zuvor, so viel ist sicher.
Dass der Westen sich anders aufstellt, gerade Deutschland, dafür werden die USA sorgen. Sie treten lieber gegen China und Russland zusammen an, als Westeuropa eine zu enge Bindung an Russland zu ermöglichen. Und mit dem Angriff auf die Ukraine hat Putin ihnen den Gefallen getan, das jetzt endlich mit viel Druck und mit nachvollziehbaren Gründen durchsetzen zu können. Putin hat auch Deutschland damit in eine wirklich unmögliche Lage gebracht, denn alles, was hier in den letzten Jahren oberschlau ausgedacht und sogar in die Wege geleitet wurde, um etwas eigenständiger handeln zu können als früher, ist futsch. Auch in der EU, wo man teilweise entschieden gegen Nord Stream 2 war, ist die Häme über dieses deutsche Desaster nicht gerade gering.
Beinhaltet der Druck der USA, beinhaltet diese Häme jedoch Sabotage? Hat man das überhaupt noch nötig, speziell von amerikanischer Seite? War Nord Stream 2 nicht schon vor dem Anschlag auf die Röhre politisch und damit auch wirtschaftlich zerstört? Wenn wieder Frieden ist, hat dieser Schaden hingegen keine dramatische Auswirkung mehr, er ist relativ schnell behebbar. Wer hatte also ein Interesse daran, durch die Sabotage an einer ohnehin nicht arbeitenden Gaspipeline das Konfliktpotenzial zu erhöhen? Die Bundesregierung hält sich merkwürdig bedeckt und hier hat die Person, an deren Argumenten wir uns gerade entlang hangeln, wiederum richtig gehandelt, indem sie eine diesbezügliche Anfrage im Parlament gestellt hat. Die Berliner Zeitung hat beschrieben, wie es es bisher gelaufen ist, warum das ziemlich merkwürdig daherkommt und wieder einmal Spekulationen und Verschwörungstheorien Vorschub leistet.
Nord-Stream-Anschlag: Wagenknecht zweifelt an Aufklärungswillen der Regierung (berliner-zeitung.de)
Wäre Russland der Hauptverdächtige in Sachen Nord-Stream-Anschlag, würde die Bundesregierung dann zögern, Ermittlungsergebnisse zu veröffentlichen? Wir sind doch hier nicht in einem Strafverfahren, in dem die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten geschützt werden müssen. Vielmehr könnte man doch mehr Durchhalte- und Heizenergie-Sparwillen erzeugen, wenn man Russland die Sache anhängen könnte. Was wäre der Chef der Bundesnetzagentur, Herr Müller, froh darum.
Merke: Man muss zwischen Verschwörungstheorien unterscheiden, die absurd sind und solchen, denen Seltsamkeiten in offiziellen Darstellungen geradezu auf die Sprünge helfen. Letzteren nachzugehen, ist eine Kernaufgabe der Medien, ist Journalistenpflicht, aber man darf nicht zu abhängig von bestimmten politischen Einflussclustern sein, um dieser Aufgabe wirklich nachkommen zu können.
Fragen wir uns also: Warum werden manche Vorgänge nie zufriedenstellend an die Öffentlichkeit vermittelt? Warum wird so vieles hinter dem Berg gehalten? Was sind die wichtigeren Interessen? Gschaftlhubereien und politische Schweinereien oder die Demokratie und deren Schutz davor, dass ihr immer mehr misstraut wird? Für uns ist die Antwort eindeutig, deswegen geben wir hier auch immer wieder Artikel der Aufklärer und Kämpfer für mehr Transparenz weiter, von Abgeordnetenwatch, Finanzwende, Lobbycontrol etc.
In diesem Fall, wenn auch natürlich mit dem Willen, die Bundesregierung an den Pranger zu stellen und in der Hoffnung, eine politische Schweinerei unter Freunden feststellen zu können und damit dem Ansehen der NATO zu schaden, betätigt sich die Politikerin, die wir meinen. Es geht erst einmal um die Fakten, dann um deren Bewertung. Bekommt man keine Fakten an die Hand, obwohl es anscheinend welche gibt, hat man allerdings das Recht, darüber zu öffentlich nachzudenken, warum das wohl so ist.
US-Atombomben abziehen statt Atombomber kaufen | Revue (getrevue.co)
Wir meinen natürlich Sahra Wagenknecht, die bereits zweimal erwähnt wurde. Dass sie sich zu allem äußert, was nicht rechtzeitig auf die Bäume kommt, hat den unbestreitbaren Vorteil, dass man einen Leitfaden für den heißen Scheiß der letzten Tage hat und dass er vor dem Vergessen bewahrt wird. Dass er stinkt, reicht in diesen die Sinne verstörenden Zeiten alleine nicht. Das kann SW: sehr, sehr penetrant sein und nie nachlassen im Eifer. Wir müssen ja nicht in allem derselben Ansicht sein wie sie. Das sind wir auch nicht, wie man oben herauslesen kann.
Was uns aber durchaus nicht kalt lässt, in diesem gerade ziemlich kalten Winter und dabei ist es uns wurscht, ob sie wirklich sozial denkt oder die aktuellen Zustände als Aufhänger für ihre Neigung zu dem Despoten P. verwendet: Dass sie immer den sozialen Ansatz nimmt, um alles andere in den erwähnten Zusammenhang zu stellen. Es geht auch gar nicht anders und die Bundesregierung wäre verdammt gut beraten, uns nicht – pardon! – bluffen zu wollen mit schrägen Spins und einer „Wertepolitik“, die eh von Doppelstandards oder gar gestaffelten Standards strotzt, sodass sie nicht einmal in guten Zeiten den Glanz der humanistischen Unwiderlegbarkeit ausstrahlen würde.
Sondern, dass sie sich stattdessen mit aller Kraft um die Genesung eines Landes und die Sicherung seiner Menschen vor Armut kümmert, das wie kein ein anderer großer Industriestaat, die wie keine andere Bevölkerung in einem Land des Westens unter der gegenwärtigen Lage leidet. In dieser Lage zeigt sich auch, was Vorgängerregierungen schon angerichtet haben, aber das ist kein Grund und gerade dies ist kein Grund, nicht endlich eine Bewegung in die andere Richtung einzuläuten. Geht das? Ja. Findet es statt? Sahra Wagenknecht wird sich dazu einlassen und wir werden nachzeichnen, inwieweit wir mitgehen und wo wir abweichen.
Zu den Abweichungen noch ein Absatz. SW fordert permanent Friedensinitiativen von der Bundesregierung, obwohl sie weiß, dass diese jetzt nicht allzu viel ausrichten kann, denn: die Atomstaaten! Die müssen es regeln. Außerdem hat Kanzler Scholz gerade eine Initiative angedeutet, die auf die Nachkriegsordnung gerichtet ist. Obwohl das für uns überhaupt nicht ersichtlich ist, hat das offizielle Russland behauptet, es käme dadurch ein eine Bittstellerposition. In diese kommt es wirklich, wenn Putin und sein Gefolge so weitermachen. Wir haben oben erwähnt, wem gegenüber.
Es könnte viel schlimmer kommen als oben kurz umrissen. Ließe sich die Kernfusion wirtschaftlich nutzbar machen, wäre sie der größte technische und geopolitische Gamechanger seit der Erfindung der Schusswaffen. Vielleicht der größte überhaupt. Kein Land, auch nicht die USA, wird anderen Ländern deren Nutzung verbieten können. Dann wäre Russland mit seiner institutionellen und institutionalisierten Rückständigkeit am Ende, denn die meisten seiner Rohstoffe würden nicht mehr benötigt und man könnte niemanden mehr damit erpressen. Anstatt, dass Putin daraus den Schluss zieht, endlich für mehr Diversifizierung zu sorgen, wie die arabischen Staaten es tun, indem sie sich im Westen einkaufen, macht jeder Oligarch mehr oder weniger, was er will und was Putin genehm ist, weil es seine Macht sichert. Dies letztlich zum Schaden von Russland selbst. Strategische Wirtschaftspolitik ist in Deutschland Mangelware, aber bezüglich Russlands springt ihre völlige Abwesenheit geradezu ins Auge.
Sehen Sie, jetzt haben wir auch etwas behandelt, was Sahra Wagenknecht Ihnen nicht schreibt, weil sie auf dem Gebiet ziemlich von Putins mysteriöser Strahlkraft geblendet ist. Der Westen hat alle Chancen, nach wie vor.
Was heißt das wohl für Deutschland? Sich an Russland auszurichten, das für die Zukunft keine Ideen hat oder an den USA, die immer wieder zeigen: wo wir sind, ist vorne. Ob uns das gefällt, aus einer linken Position heraus, ist nicht die Frage. Das tut es nicht, wir würden uns mehr Unabhängigkeit wünschen. Aber was wir uns antun, wenn wir uns weiterhin an Politikern und Strategien von gestern wie jenen des konservativen Geheimdienstlers Wladimir Putin orientieren, liegt au der Hand und beweist sich gerade: Wir würden mit Russland zusammen immer weiter verlieren. Den schlau ausgedachten, aber schon durch die Krimbesetzung 2014 im Grunde fragwürdig gewordenen Mittelweg hat Putin uns abgeschnitten. Jetzt heißt es, zähneknirschend die Realitäten, auch die strategischen Vorteile der USA durch den Ukrainekrieg, anerkennen und vor allem endlich Geld in die Zukunft, in Forschung, klimaneutrale Technologie und soziales Wohlergehen der Menschen investieren und aus der EU mehr machen als einen Krämerladen, in dem jeder nur noch seinen kleinen Vorteil sucht. Im nächsten Briefing werden wir den Fokus wieder etwas kleinteiliger aufs Innere richten und warum da nicht endlich etwas passiert, wovon man sagen kann: das passt, das hat Zukunft, darauf lassen wir uns gerne ein und freuen uns darüber, Positives berichten zu können.
Und wie haben wir oben abgestimmt? Wir finden die Entwicklung, die Deutschland derzeit nimmt, schrecklich und müssen leider konstatieren, dass wir mit Herrn Merz dieses Mal einer Meinung sind, die Ukrainer müssen so lange kämpfen können, wie sie selbst es für richtig halten. Und was ist mit den Sanktionen? Tja. So sehr wir die Folgen kritisieren, auch die persönlichen, es ist zu spät, eine andere Akzentuierung vorzunehmen. Wie Sahra Wagenknecht abgestimmt hätte, ist wohl klar: Alle Sanktionen sofort aufheben. Weil doch: wir leiden hier! Ja, tun wir. Und die Bundesregierungen haben über Jahrzehnte hinweg Riesenfehler gemacht, zum Beispiel bei der Vernachlässigung der Energiewende. Aber wir sind, anders als SW, nicht dafür, dass Wladimir Putin die Ukraine als Geschenk unter den Weihnachtsbaum gelegt wird.
Deswegen unsere grundsätzliche Zustimmung zu Waffenlieferungen. Die Sanktionen jetzt aufzuheben, würde einem Machtmenschen wie Putin natürlich genau ins Konzept passen und es wäre genau die Schwäche, die er vom Westen erwartet hat. Falsch an diesen Sanktionen ist vor allem, dass sie die Ungleichheit bei uns im Land weiter vergrößern, eine weitere Entsolidarisierung bewirken. Die Bewältigung der Kosten wird überwiegend auf dem Rücken der Ärmeren ausgetragen. Das werfen wir der Bundesregierung vor. Aber jetzt die Sanktionen aufzuheben, wäre geopolitisch eine weitere Niederlage des Westens, der sich im neuen Jahrtausend ohnehin nicht mit dem Ruhm gelungener Aktionen bekleckert hat. Die Bundesregierung hat uns, die Mehrheit, zu Geiseln ihrer Politik gemacht und treibt Millionen Menschen in die Sorgen und wird viele von uns finanziell ruinieren, die Corona noch einigermaßen überstanden haben. Dies aber, weil diese Politik wieder einmal klassistisch ist und außerdem der Begriff strategische Wirtschaftspolitik in Deutschland weitgehend unbekannt ist. Nicht jedoch, weil man der Ukraine nicht helfen sollte.
Wirkungslos sind die Sanktionen nämlich nicht. Sie wirken gegen alle Beteiligten. Aber der Westen hat mehr Möglichkeiten, sie kurzfristig abzufedern. Die hohen Devisenreserven von mehr als 600 Milliarden Dollar, die Fans von Wladimir Putin als kluges Management ins Feld führen und die der russischen Bevölkerung in den letzten Jahren abgepresst wurden, sind bei einem Land dieser Größenordnung schnell weg, wenn es Krieg führt. Selbst in Deutschland kostet allein die sehr unvollkommene Energiepreis-Bremspolitik 300 Milliarden Euro, hinzu werden weitere kriegsbedingte Hilfen in Deutschland und für ausländische Staaten sowie krisenbedingte zusätzliche Subventionen für die Wirtschaft kommen. Die Zeitenwende-Kosten für mehr Rüstung gar nicht eingerechnet. Wenn Putin seine Reserven andererseits gar nicht einsetzt, um der eigenen Bevölkerung zu helfen, sollte sich diese Bevölkerung unbedingt fragen, mit wem sie es zu tun hat. Die Wahrheit hinter den hohen Reserven ist zudem eine, die viele Linke gar nicht beachten können, weil ihnen das Sachgebiet fremd ist: Russland kann sich nicht verschulden wie die USA oder westeuropäische Staaten, weil es nicht deren Bonität hat und nicht deren Wirtschaftskraft, die bisher suggeriert, dass u. a. Anleihen immer irgendwie bedient werden können. Und wenn es durch Direktkäufe der Notenbanken, also der EZB ist.
Das ist keine saubere Geldpolitik, aber sie funktioniert bisher, weil die EU im Ganzen, mit Deutschlands AAA-Bonität als Kraftwerk, das Potenzial hat, so etwas durchzuziehen. In Russland liegt die Inflation schon länger hoch und würde sich zur Hyperinflation ausweiten, wenn Putin ähnlich wie die EU vorgehen, sich also quasi durch Gelddrucken selbst finanzieren wollte. Daher die hohen Fremdwährungsreserven, nicht, weil klüger gewirtschaftet wird und mehr Möglichkeiten erarbeitet werden als in den USA mit ihren geringeren eigenen Reserven. Allein die Idee, es könnte so sein, ist angesichts der höchst unterschiedlichen Wirtschaftskraft beider Länder lächerlich. Das heißt nicht, dass uns die Schuldenpolitik nicht irgendwann zu allem anderen auf den Kopf fallen wird und je mehr Krisen es gibt und je mehr Schulden dadurch gemacht werden, desto wahrscheinlicher wird das Szenario. Doch darunter wird auch Russland leiden, wenn es nichts anbieten kann als Rohstoffe, die aufgrund von Rezession im Westen dort nur zu niedrigen Preisen abzusetzen sind. Es ist alles miteinander verwoben, das darf man nie vergessen.
Das gilt auch für die Wirkungen der aktuellen Sanktionen, daher: vollkommener Unsinn, dass sie nur uns treffen und Russland nicht. Daher und weil dieser Weg nun einmal beschritten wurde und nicht ohne sehr großen Gesichtsverlust des Westens geändert werden kann, weil sie sehr wohl auch Putin treffen: Die Sanktionen müssen beibehalten werden.
Der grundsätzlich richtige Protest, diese betreffend, muss sich gegen die Lastenverteilung richten und gegen die Kopflosigkeit der deutschen Politik bei der Antizipierung solcher Situationen, die ebenso zu beklagen ist wie die mangelhafte Einstellung auf die aktuelle Lage. Leider ist „Mangel an strategischer Wirtschaftspolitik“ ein ziemlich abstrakter Protestgrund, für die meisten Menschen. Deswegen müssen die sozialen Härten, die viele von uns über die Maßen und andere ungerechterweise kaum spüren, der Motor größerer Proteste sein, als es sie bisher im Jahr 2022 gab.
TH