Frontpage | Briefing 87 (hier zu 86) | Wirtschaft, Gesellschaft, Klimakrise
Wir werden dieses Jahr noch viele Jahresrückblicke sehen, aber Sahra Wagenknecht hat den ihren schon an ihre Abonnent:innen geschickt. Daher wissen wir, neben anderen gepfefferten Ansichten, die sie zwischen Fakten und Behauptungen zu einer Anklage gegen alle verdichtet, die machen, nicht nur kritisieren, was sie über die „Letzte Generation“ denkt:
Man sollte die “Letzte Generation” nicht kriminalisieren, aber wie soll man Proteste von Aktivisten sympathisch finden, die sich nicht trauen, sich mit den Mächtigen anzulegen? “Denn tatsächlich“, so schreiben Malte Heidorn und Jan Marose in ihrem lesenswerten Artikel, „sind die Selbstanmaßung der Aktivisten und die Verachtung des Lebens stinknormaler Bürger die zentralen Probleme von Gruppierung und Protestform.” Ich denke jedenfalls auch, dass die “Letzte Generation” ihre Haltung und Protestform grundlegend verändern sollte, “wenn sie dem Klimaschutz nicht weiter einen Bärendienst erweisen und die Mehrheit des Landes verprellen will”:
Die größten Flops und Lügen 2022 – Mein ganz spezieller Jahresrückblick | Revue (getrevue.co)
Und hier unser vorheriger Bericht zur „Letzten Generation“:
Nein, wir werden in diesem Leben wohl politisch nicht mehr zusammenkommen mit Sahra Wagenknecht. Auf Ideen wie sie und die Autoren im Cicero muss man erst einmal kommen. Aber der Reihe nach und vielleicht die Basics zuerst. Was man wieder einmal eindeutig sieht, ist die Bewegungsfeindlichkeit von Menschen wie Sahra Wagenknecht und ihr alles, auch das Linke, überragender Konservativismus, ihre Bürgerlichkeit oder das Durchmessen der Bürgerlichkeit hin in Richtung rechten Populismus. Wie sie argumentiert, könnte jede:r AfD-Politiker:in argumentieren.
Bei ihr müssen die Klimakämpfer:innen allen Ernstes nachweisen, dass sie Probleme haben, ihre Stromrechnung zu bezahlen, damit ihr Protest von Sahra Wagenknecht als genuin akzeptiert wird. Von jemandem, der mit steilen Ansagen und Thesen in Büchern Millionen verdient, ohne jemals selbst politisch etwas auf den Weg gebracht zu haben. Im Grunde das gleiche Muster, das schon FFF aushalten muss, obwohl es langsam nachlässt mit dieser Form der Kritik. Ja, wir sehen auch, dass gerade in Deutschland führende FFF-Köpfe aus der Oberschicht kommen, aus einem erzkapitalistischen Umfeld. Luisa Neubauer und ihre – Cousine? – Carla Reemtsma vor allem. Aber deswegen ist die Bewegung an sich nicht falsch.
Wagenknecht versucht den Pfleger, der im von der „LG“ verursachten Stau steht, allen Ernstes gegen die Klimaproteste auszuspielen. Klar, die Aktivist:innen könnten sich auch an Politiker:innen ankleben, irgendwer hat das gerade gefordert. Ein bisschen praxisfern, aber wir verstehen schon, was gemeint ist. Klar muss die Politik adressiert werden, das tut die „LG“ aber auch. Und wie sie sich mit den Kapitalisten anlegen soll, das muss Sahra Wagenknecht erst selbst einmal vormachen. Hat sie sich je in einem Kampf gegen das Kapital ins persönliche Risiko begeben, wie die Aktivist:innen der „LG“ es tun? Freier Flug für freie Bürger:innen, das ist Sahra Wagenknecht wichtiger als die Symbolik, die von den Aktionen der „LG“ ausgeht. Nein, das ist kein Klassenkampf von oben, das ist schlicht und ergreifend Aufmerksamkeit für eine der wichtigsten Angelegenheiten überhaupt erregen. Wenn wir das schreiben, dann stimmt es schon deswegen, weil wir wirklich wissen, was Klassenkampf von oben bedeutet und wie er die Menschen am unteren Rand der Gesellschaft niederdrückt. Das wissen wir, weil wir bei einem sozialen Träger arbeiten, beispielsweise. Hat Sahra Wagenknecht überhaupt je Einblick in die Welt der wirklich Benachteiligten gehabt?
Aber klar, wer eh schon gegen den Klimakampf war, der kann sich die „arbeitende Klasse“ aneignen und die Erneuerbaren sind auch nur dann gerne gesehen, wenn sie als Vehikel für die Brandmarkung von Versäumnissen der Regierung herhalten. In Wirklichkeit spürt man bei Wagenknecht und ihren Gefologsleuten die Angst heraus, dass russische Rohstoffe eines Tages bedeutungslos werden könnten. Und das werden sie. Wir waren schon lange für die Erneuerbaren, als das Gas noch kein geostrategischer Zankapfel war, wir brauchen unsere Haltung jetzt also nicht zu ändern. Aber sich jedes retardierte und vorgestrige Geplänkel zu eigen machen, das in einer rechtskonservativen Zeitschrift wie „Cicero“ gegen Klimaaktivist:innen vorgebracht wird, das brauchen wir auch nicht. Da Sahra Wagenknecht aber schon fast mit der Springerpresse verheiratet ist (was sagt eigentlich OL dazu?), ist auch ein Flirt mit dem Cicero kein Thema. It’s all in the Game von Menschen, die nicht verstanden haben, worum es geht.
Ein weiteres Problem bestimmter Linker offenbart sich um die Ecke. Im Cicero-Artikel wiederum ist ein Hinweis auf einen weiteren Text enthalten, in dem die „LG“ dafür kritisiert wird, dass eine der Gettys aus den USA sie unterstützt. Das ist genau derselbe Spin wie: „Reporter ohne Grenzen“, die immer wieder auf Missstände bei der Meinungs- und Pressefreiheit hinweisen, werden von den USA unterstützt, also ist alles, was sie machen, grundsätzlich im Sinne des US-Imperialismus. So gesehen, ist alles, was supranational passiert, grundsätzlich falsch, denn die USA sind fast überall der größte Zahler. So denken einige Altlinke ja auch. Falsch. Wichtig ist, was sich zeigt. Und solange es die richtigen Probleme aufzeigt und die Fakten nicht widerlegbar sind, die dabei eine Rolle spielen, ist es richtig und bleibt richtig, selbst, wenn die USA damit geostrategische Interessen verfolgen sollten. Die kann man sich übrigens sogar zunutze machen, man ist nicht nur dieses arme Opfer, das die SW nahestehenden Verschwörungstheoretiker:innen in der Linken immer konstruieren. Und wer die Power hat, ist immer irgendwie dabei, das gilt ja mittlerweile mehr und mehr auch für China. Solche Spins, die außerdem Hauptzwecke und Nebeneffekte nicht auseinanderhalten können, sind zu einfach, genau so, wie den Aktivismus von Menschen der Mittelschicht oder der oberen Mittelschicht grundsätzlich als wertlos zu verdammen. Sie haben Ressourcen, die andere nicht haben, sie werden teilweise auch finanziell von ihren Eltern unterstützt, das ist alles richtig. Das gilt für Millionen von Menschen aber auch, die die sich für überhaupt nichts als die eigene Nase einsetzen. Und jetzt fragen Sie uns mal, was wir besser finden: Diese Ressourcen für eine wichtige Sache einsetzen oder sie ganz egoistisch verwalten.
Von ganz unten kann der Protest nicht kommen, das weiß SW auch, wenn sie überhaupt noch in dieser Welt verortet ist. Dort nämlich hat eine falsche Politik seit Jahrzehnten für einen sozialen Kahlschlag gesorgt, der diese Ressourcen so gut wie zerstört hat. Aber das kann man nicht Menschen anlasten, die sich hier und heute für eine bessere Klimapolitik einsetzen. FFF-Aktive haben bereits mehrfach betont, dass sie auch die soziale Komponente sehen. Sie haben zum Beispiel „DWenteignen“ unterstützt. Wir haben das zum Anlass genommen, zu einer ihrer Demos zu gehen. Dabei haben wir nicht darüber nachgedacht, ob wir gerade im richtigen Cluster des Klassenkampfes unterwegs sind, denn die Ziele sind richtig. Für deren soziale Abfederung haben soziale Bewegungen und damit auch wir zu sorgen, weil wir uns der Mietenbewegung nahestehend fühlen.
Es ist unglaublich, wie SW sich zu den Spaltern stellt und damit das Geschäft der Rechten betreibt. Wir haben, bevor wir aus der Linken ausgetreten sind, noch zu bedenken gegeben, dass wir einen viel integrativeren Ansatz brauchen, um links wieder auf Kurs zu bringen. Die Antwort war: Wenn hier die Gesellschaftslinke sich breit macht, trete ich aus. Wir müssen nicht betonen, dass wir das Gespräch mit einem Funktionsträger aus der Wagenknecht-Ecke geführt haben. Was da an Energie für Dinge draufgeht, die mit Klassenkampf rein gar nichts zu tun haben, kann sich nur vorstellen, wer es aus eigener Anschauung kennt. Wir sind dann ausgetreten und, wie erwartet, hat man uns aus dieser Ecke keine Träne nachgeweint. Und kaum ist das passiert, wird wieder die nächste Bewegung angegriffen, die mehr tut als sich in Talkshows den Hintern für viel Geld platt zu sitzen. In fast jeder Talkshow, die man sich nur vorstellen kann. Dieses „Klassenkampf von oben“-Ding ist wirklich eine krasse Nummer, die vor allem zeigt, dass SW vor allem eines im Sinn hat: So zersetzend wie möglich unterwegs zu sein. Die sozial Diskriminierten sollen sich bloß nicht einbilden, dass sie mit ihr eine wirkliche Fürsprecherin haben. Denn das Argument können wir mit ihrem eigenen widerlegen: Sie hat niemals materielle Not gelitten und war von den sozialen Problemen niemals betroffen, die so viele von uns zu gewärtigen haben. Viele, die trotzdem die Notwendigkeit auch des Klimakampfes erkennen, und zwar auch der Form, wie die LG ihn bis jetzt führt.
Im Cicero ist auch von „Kunstschändung“ etc. die Rede. Das ist eine glatte Falschdarstellung, bis jetzt wurde kein Kunstwerk durch die LG beschädigt. Und das bisschen Dreck auf den Glasrahmen, oh, oh. Wie schrecklich. Das ist doch kein Kampf gegen das Kapital. Uns ist nicht bekannt, dass Sahra Wagenknecht aktiv durch terroristische Akte gegen das Kapital angegangen wäre. Das ist nämlich, wenn man selbst nicht ganz oben an den Hebeln der Macht sitzt, die einzige Möglichkeit, Kapitalist:innen tatsächlich zu treffen. Alles andere kann nur heißen, der Politik Beine zu machen, und das versucht die LG, wie es FFF versucht, wie es eine der wenigen echten Graswurzelbewegungen in Berlin, „DWenteignen“ bei der Wohnungspolitik versucht. Und dabei gerade steckenbleibt, übrigens. Wir können daher auch die Verzweiflung junger Menschen verstehen, die merken, dass sich einfach nichts ändert.
Wo SW recht hat, das ist die schändliche Performance der Bundesregierung in Sachen Klimapolitik, die sie komplett für die Sanktionspolitik geopfert hat, das muss weiter diskutiert werden. Das muss auch den Aktivist:innen klar sein, dass man nicht alles auf einmal haben kann. Aber uns ist nicht bekannt, dass Sahra Wagenknecht zu Zeiten der Regierung Merkel eine besonders dezidierte Fürsprecherin der Renewables gewesen wäre. Denn das hätte ja bedeutet, dass weniger russisches Gas nach Deutschland verkauft wird. Nicht so wenig wie gerade jetzt, aber in abnehmendem Maße, auf längere Sicht.
Wir glauben in der Tat, vor allem im Osten hätte eine Liste Wagenknecht Erfolg. Wer AfD wählt, wer Cicero liest, der kann auch SWs Argumenten sehr gut folgen und sie richtig finden. Aber der Spin, Klimakampf gegen Klassenkampf auszuspielen, der geht noch einmal über alles hinaus, was wir bisher von dieser Seite ertragen mussten, in den letzten Jahren. Das ist abgehoben. Das ist zukunftsfeindlich. Das bringt uns auf jeden Fall in eine Position, die „LG“ noch deutlicher zu verteidigen, solange sie nicht Gewalt gegen Menschen anwendet. So, wie wir von Beginn an „FFF“ gegen Spins unterstützt haben, die in Wirklichkeit nichts weiter als erzkonservativ waren. Damals war es deutlicher zu sehen: „Geht zur Schule“ etc. Jetzt kann es sich hinter vorgeblich sozialen Argumenten verstecken und macht sich die Wut von Menschen zu eigen, die konkret von einer Aktion der „LG“ betroffen waren. Könnte uns auch mal so gehen, keine Frage. Aber mit etwas Abstand muss man doch wieder den Sinn erkennen. Wir sind uns fast hundertprozentig sicher, dass SW seinerzeit auch eine scharfe Gegnerin von Greenpeace und der Anti-AKW-Bewegung gewesen wäre, wäre sie im Westen sozialisiert worden. Hingegen hätte sie den ökologisch übelsten Kapitalismus aller bisherigen Zeiten, den „sozialistischen“ Staatskapitalismus, der niemanden wohlhabend und viele krank machte, super gefunden bzw. hat genau das getan.
Im Grunde sind ihre Argumente banal und gehen ganz leicht unter die Gürtellinie. Wir sind wirklich keine Verteidiger von Habeck und den anderen, aber der krude Destruktivismus, die Unfähigkeit, sich den Problemen der Zeit in Zusammenhängen anzunehmen, die SW hier wieder vorführt, verrücken selbst diese Position. Wir halten uns dann bestenfalls zurück, denn die ersten Abschnitte des Wagenknechtschen Jahresrückblicks befassen sich ja mit den echten und vorgeblichen Fails der Regierung u. a. in Sachen Ukrainekrieg. SW könnte nicht regieren, denn dann wäre sie gezwungen, Realitäten vollumfassend anzuerkennen und sich nicht rauszupicken, was gerade passt. Das tun natürlich alle, wenn sie argumentieren. Aber die, die Verantwortung tragen, können sich nicht so über alles und jeden stellen. Und die Klima-Aktivist:innen und alle, die sich wirklich bewegen, tragen auch Verantwortung. Zum Beispiel dafür, dass sie strafrechtlich belangt werden können oder dass tatsächlich jemand zu Schaden kommt, weil sie eine Situation erzeugen, durch die Rettungskräfte am Einsatz gehindert werden oder Ähnliches. Gab es bisher aber nicht. Der einzige Fall, vor wenigen Monaten in Berlin geschehen, bei dem das in Rede stand, ist mittlerweile zugunsten der „LG“ geklärt.
Wir haben uns bei den „LG“-Aktionen bisher übrigens nicht gefragt, ob sie links sind. Wir finden nur, sie zielen auf die richtigen Probleme. Aber sich ständig die Argumente von Rechten zu eigen zu machen und sie als Sorge um die Menschen zu bemänteln, die „den Laden am Laufen halten“, das ist rechts. Das ist eine hinterlistige Form von rechts, die auch auf die Kämpfe innerhalb der Partei „Die Linke“ ein Licht wirft: Ein Licht, das sehr gut erhellt, dass es bei diesem Hauen und Stechen, das die linke Sache in Deutschland in eine aussichtslose Lage gebracht hat, keine Unschuldigen gibt. Schon gar nicht gilt das für Sahra Wagenknecht. Die Art, wie sie argumentiert, kann in Menschen, die sich damit auseinandersetzen müssen, wie manipulativ und zutiefst selbstgerecht das ist, den Zorn hochsteigen lassen. Es ist durchschaubar, aber nicht für die Kernanhängerschaft von Sahra Wagenknecht. In einer Situation wie dieser ist Distanz von Menschen, die nicht nach vorne denken können, erste Bürgerpflicht.
Der Klimawandel aber geht uns alle an. Wir müssen nicht alles gutheißen, was vielleicht noch von der „LG“ kommen wird. Sich für sie auszusprechen, das, was sie tun, wohlwollend zu kommentieren oder sie zu interviewen, heißt bis zu einem gewissen Grad sogar, mit ins Risiko zu gehen. Gut möglich, dass wir uns auch von deren Aktivist:innen einmal wegen einer bestimmten Aktion distanzieren müssen, denn die Gefahr, dass alles immer spektakulärer werden muss, um noch Aufmerksamkeit zu erregen, sehen wir selbstverständlich.
Aber bis jetzt ist man am „hier heiligen die Mittel den Zweck nicht mehr“ noch nicht angekommen. Diese Grenze ist noch nicht überschritten. Für uns ist sie immer dann überschritten, wenn Egotrips zu deutlich erkennbar werden und Solidarität zu wenig eine Rolle spielt. Wie beispielsweise bei Sahra Wagenknecht. Bei ihr ist die Grenze überschritten. Wir sind schon gespannt, wann sie Artikel aus der „Jungen Freiheit“ und „Tichys Einblick“ zitieren wird, um ihre Positionen zu stützen. Als vor Jahren Linke sich an den Kopf fassten und in den sozialen Medien schreiben „Halt (endlich) die Klappe, Sahra“, fanden wir das noch sehr überspitzt und es ging um andere Themen. Und jetzt? Lasst sie reden, sie entlarvt sich bloß selbst. Solange Sahra Wagenknecht noch in der Linken ist, werden wir diese Partei nicht mehr wählen, auch nicht bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl, die uns bald wieder ins Haus steht. Das ist hiermit endgültig beschlossen, obwohl wir noch überlegt hatten, ob wir nicht doch einen Unterschied zwischen Bundestagswahlen und Wahlen in Berlin machen sollten, damit Mitte-Links-Stadtregierung ihre holprige, aber immerhin nicht in allen Bereichen unambitionierte Arbeit fortsetzen kann. Ein Rechtsruck wäre noch schlimmer. Im Bund ist das anders, weil die Linke sowieso keinen Einfluss hat. Wenn sie weg ist, wird ein Problem sowieso bleiben: Wer führt in diesem Land den Klassenkampf? Millionärinnen, die über Mittelstandskids herziehen, weil sie Mittelstandskids sind, sie also wegen ihrer sozialen Herkunft diskriminieren, sicher nicht. Die dann in der Parteilinken den Ton alleine angeben werden, leider auch nicht.
TH