Frontpage | Briefing 96 (hier zu 95) | Russland, China, Rohstoffe, Abhängigkeit, Ethik & Macht
„Tralala im alten Jahr, tralala im neuen Jahr!“
Dieser Satz stammt aus einem der besten Filme aller Zeiten. Wir werden auch 2023 Schwierigkeiten haben, die sich 2022 nicht nur abgezeichnet hatten, sondern geradezu eingerichtet wurden. Dazu gehört nach wie vor die Energieversorgung. Die folgende Statista-Grafik macht das deutlich:
Infografik: Russland war Deutschlands wichtigster Öllieferant | Statista
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/deed.de erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Deutschland hat zum Jahresbeginn seine Rohöl-Importe aus Russland vollständig gestoppt. Das gilt bis auf wenige Ausnahmen auch für den Rest der Europäischen Union. Grund hierfür ist der andauernde Angriffskrieg gegen die Ukraine. Noch 2021 war Russland mit Abstand Deutschlands wichtigster Erdöllieferant, wie Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen. Dahinter folgten mit deutlichem Abstand die Niederlande, die USA und Kasachstan. Indes gingen die Einfuhren nach Kriegsbeginn auf zwölf Prozent zurück, wie tagesschau.de schreibt. Das Embargo soll es für das Land schwieriger machen, seinen Krieg zu finanzieren. Folgenlos wird es für die russische Wirtschaft jedenfalls nicht bleiben. 2021 importierten die EU-Mitgliedsstaaten Rohöl im Wert von 48 Milliarden Euro – das entspricht knapp der Hälfte der russischen Ausfuhren.
Diejenigen, die glauben, Russland könne das von heute auf morgen an andere Abnehmer verkaufen, was jetzt wegfällt, irren sich. Auswärts ist immer schwieder als einwärts. Fällt ein Produzent oder Lieferant weg, ist er leichter zu ersetzen, wenn es Dutzende von Lieferanten gibt, als wenn ein Lieferant die Hälfte seiner Abnehmer auf einen Schlag verliert. Brauchen andere Länder so viel zusätzlich Öl? Und wenn ja oder sie machen ein Geschäft damit, es weiterzuverkaufen, wie hoch sind die Preisabschläge, die den Lieferanten dann treffen? Wer ein sich mit kaufmännischen Basics auskennt und weiß, wie Märkte funktionieren, darf zweierlei als gesichert ansehen a.) Die Sanktionen gegen Russland treffen auch die Sanktionierer. Auch wenn es andere Länder gibt, die bei der Beschaffung helfen, auch wenn Öl nicht knapp ist, es wird teurer, wenn ein Lieferant, der immer für recht günstige Marktpreise gesorgt hat, wegfällt oder weggedrückt wird. B.) Es wird auch den Lieferanten treffen, das kann gar nicht ausbleiben. Im Fall des Gases kommt hinzu, dass die Infrastruktur für einen Switch in andere Abnehmerländer erst aufgebaut werden muss. Die Frage ist also nicht, wer leidet, sondern wer leidet mehr in Relation zu seiner Wirtschaftskraft. Wer tatsächlich glaubt, der Westen geht eher in die Knie als Russland, hat keine Ahnung von den ökonomischen Verhältnissen auf der Welt.
Einige, wie die USA, profitieren sogar von der aktuellen Lage. Und in der EU sind andere Länder bei weitem nicht so stark negativ betroffen wie Deutschland. Wir halten es für eine unterkomplexe Entscheidung, dass man seitens der deutschen Regierung nicht darauf verwiesen hat, dass man mehr Öl aus Russland bezieht als irgendein anderes europäisches Land. Die Logik besagt, dass deshalb vorsichtig mit den Sanktionen sein muss, nicht sich als Sieger des Wettrennens „Wer schiebt die meisten Sanktionen an?“ aufführen will. Andere EU-Länder fordern Sonderhilfen oder Ausnahmen, wenn sie in einer solchen Situation sind, nur in Deutschland darf vor allem die Bevölkerung leiden für etwas, das als Verteidigung der Demokratie verkauft werden soll, in Wirklichkeit aber eine weitere Abhängigkeit offenbart: diejenige von den geostrategischen Vorgaben der USA.
In anderen Ländern, in denen das ähnlich ist, macht jedoch die Diplomatie immer einen relativ geschickten, an den Interessen der Menschen im jeweiligen Land orientierten Eindruck. Nur in Deutschland wird die Realität aussieht, nur in Deutschland wird die zudem auf andere arrogant wirkende eigene Rhetorik gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Das ist sowohl arrogant als auch ignorant. Dabei ist man übrigens noch lange nicht am Ende, denn es gibt kaum ein Land, in das die Außenministerin reist, in dem es nicht anschließend lange Gesichter oder sogar Wut auf Deutschland gibt. Das ist nicht ethisch, das ist grunddämlich oder auch grün-dämlich, wenn man nicht auch den entsprechenden Druck auf die verbal Gemaßregelten aufbauen kann. Das kann Deutschland aber nicht. Schlimmer noch, man wird von einigen unter ihnen mehr und mehr abhängig, weil die Rohstoffe aus Russland ersetzt werden müssen. Und wie, wenn China etwas tut, was eine ethische Reaktion herausfordern würde, wenn man seine eigenen Maßstäbe ernstnimmt? Darauf kommen wir noch.
Also viel Spaß dabei, 30 Prozent der Einfuhren sozusagen im Handstreich ersetzen zu müssen, vor allem durch Lieferungen aus Ländern wie Katar, um bei einem durch die Fußball-WM besonders in den Vordergrund getretenen negativen Beispiel zu bleiben. Auf der Liste der größten Exporteure nach Deutschland stehen mit Kasachstan und Libyen noch zwei Länder, die alles andere als Kandidaten für die Auszeichnung „beste werteorientierte Politik sind“. Die Unglaubwürdigkeit, die dadurch von der deutschen Politik vermittelt wird, ist ein weitaus größerer Schaden, als wenn man sich insgesamt etwas dezenter verhalten würde, wohl wissend um die fragile Position eines Landes, das keine eigenen Rohstoffe hat. Wenn die fossilen Energieträger endgültig überflüssig geworden sind, kann man vielleicht etwas offensiver sein, aber bis dahin wirkt es, wie es ist: Die Dokumentation ethischer Standards wird in Wahrheit immer an die Machtposition eines Landes angepasst, nicht an die Situation der Menschenrechte in diesem Land. Kein Wunder, dass immer mehr Länder z. B. nach Atomwaffen streben, unter solchen Umständen.
Und was ist mit China? Hat die Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit einer der härtesten Diktaturen der Welt nicht ganz andere Dimensionen als der Austausch mit Russland?
Infografik: Deutsche Wirtschaft so abhängig von China wie nie | Statista
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/deed.de erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Die deutsche Wirtschaft war noch nie so abhängig von China wie im vergangenen Jahr. Das zeigt der Blick auf den deutschen Handelsbilanzsaldo mit China: Er hat 2021 mit rund 39 Milliarden Euro einen neuen Allzeit-Negativrekord aufgestellt. Die Handelsbilanz bezeichnet den Wert der Warenexporte minus dem Wert der Warenimporte. Ein positiver Wert bedeutet einen Handelsbilanzüberschuss, ein negativer Wert ein Handelsbilanzdefizit. Deutschland importiert also Waren mit einem deutlichen höheren Wert aus China, als es selbst dorthin exportiert.
Hierzulande wird nicht erst seit der geplanten Cosco-Beteiligung am Hamburger Hafen darüber diskutiert, ob und wie die deutsche Wirtschaft ihre hohe Abhängigkeit von China reduzieren soll. Sollte China den Konflikt mit Taiwan eskalieren lassen, gelten internationale Wirtschaftssanktionen gegen China als wahrscheinlich. Das hätte entsprechende negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft.
Wie diese Statista-Grafik zeigt, ist China längst der wichtigste Player im Hamburger Hafen. So liegt der Anteil Chinas am dortigen Containerumschlag bei rund 30 Prozent. Erst mit großem Abstand folgen die USA, Singapur und Russland. In Containern gemessen wurden im vergangenen Jahr im Hamburger Hafen 2,56 Millionen Standard-Container aus und nach China umgeschlagen.
Wie Sie wissen, wurden 24,9 Prozent eines Terminals des Hamburger Hafens an chinesisches Staatsunternehmen verkauftt. Wenn es alleine nach Kanzler Scholz gegangen wären, hätte COSCO sich sogar aus dem Stand eine sichere Sperrminorität von 35 Prozent erobern dürfen. Wir sind schon so gespannt darauf, wie gegen China „Wertepolitik“ gemacht werden soll, zumal wichtige andere Halspartner Deutschlands ebenfalls eine immer stärkere Abhängigkeit von dem Land aufweisen. Sollte China beispielsweise Taiwan angreifen. Wird Deutschland diesem Wirtschaftsriesen dann auch mit der Sanktionskeule eins überziehen wollen oder würde das lächerlich wirken? Und dann sind da noch die Lobbyisten, die Interessen in China oder mit China haben. Die Russland-Connection in der Politik gab es, keine Frage. Aber ohne China lässt sich deutsches Wirtschaften gar nicht mehr denken.
Wenn ein Exportland wie Deutschland mit einem anderen Land ein Handelsbilanzdefizit von fast 40 Milliarden Dollar aufweist, wie Deutschland gegenüber China im Jahr 2021, worauf deutet das wohl hin? Und worauf deutet es hin, dass das Minus tendenziell immer größer wird? Ganz sicher nicht darauf, dass man eine strategische Wirtschaftspolitik für mehr Unabhängigkeit betreibt. Vielmehr ergibt man sich den Ambitionen des Herrn Xi und seiner Mitstreiter bedingungslos. Bedingungslos meint: Schon Kanzlerin Merkel war nicht mutig genug, von China Reziprozität bei Handelstransaktionen einzufordern, als es noch nicht so gefährlich war, das zu tun, wie es heute ist.
Mit Russland war das hingegen nie ein Problem. Beteiligungen an der deutschen Infrastruktur waren punktuell gesetzt und der Preis für günstige Energieträger. Niemand musste vor diesen Beziehungen Angst haben, solange sie nicht zum Spielball der Geopolitik wurden. Bedenken wegen der massiven chinesischen Wirtschaftsexpansion als derjenigen einer besonders rigiden Diktatur ist jedoch allemal angebracht. Was glauben Sie? Wird es gegenüber Ländern wie China einen Ruck geben, wird die Abhängigkeit auch durch Eingriffe der Politik endlich begrenzt oder wird es dasselbe Tralala von Unfähigkeit in dieser Richtung geben wie bisher? Was sagt Ihnen Ihr Gefühl, wenn Sie die Ampelregierung beobachten? Aus welchen Erfahrungen mit der Politik können Sie schöpfen, um zu einem realistischen Urteil zu gelangen?
TH