Der Name der Orchidee – Tatort 590 #Crimetime 1140 #Tatort #Bodensee #Konstanz #Blum #Perlmann #SWR #Orchidee

Crimetime 1140 – Titelfoto © SWR, Hollerbach

Der ruhige Bodensee – Chance und Falle

Der Name der Orchidee ist ein Fernsehfilm aus der Kriminalreihe Tatort. Der Film mit Eva Mattes als Kriminalhauptkommissarin Klara Blum wurde vom SWR und Maran Film produziert und in Deutschland am 6. März 2005 zum ersten Mal ausgestrahlt. Diese 590. Folge der Tatort-Reihe ist der 7. Fall von Klara Blum und der 3. Fall von Kai Perlmann. Sie untersuchen den Mord an einem Gärtner und Koryphäen der Orchideenzucht. Dabei geraten sie in den ehrgeizigen Konkurrenzkampf der Orchideenzüchter.

Nachdem das Bodensee-Team aufgehört und dem Schwarzwald-Duo Platz gemacht hat, ist es schön, mal wieder über einen Tatort mit Klara Blum zu schreiben, den ich noch nicht gesehen habe und der aus ihrer Anfangszeit stammt. Aus der Anfangszeit mit Perlchen Perlmann ebenfalls, der Blum zwei Fälle zuvor (in „Bitteres Brot“) zugewachsen war. Und wie war es mit den Orchideen und ihren Züchter:innen? Es steht in der –>  Rezension.

Handlung (1)

Auf der Insel Mainau findet ein großer Orchideenwettbewerb statt. Aus diesem Grund werden wertvolle Orchideen aus aller Welt gezeigt und renommierte Züchter finden sich zu diesem Zweck auf der Insel ein. Helmut Weiss, der verantwortliche Gärtner der Stiftung, hat angeblich eine neue Errungenschaft: Den Roten Frauenschuh. Doch er hat seine Rarität gut versteckt. Niemand hat sie bisher zu Gesicht bekommen und noch bevor der Wettbewerb beginnt, wird Weiss tot im Gewächshaus aufgefunden und die wertvolle Pflanze ist verschwunden. Blum und Perlmann nehmen die Ermittlungen auf.

Dr. Raven, amtlicher Orchideentaxonom und Präsident der Jury, will um jeden Preis den Wettbewerb fortsetzen. Er war sehr gespannt auf die Neuentdeckung von Weiss, die er selbst auch noch nicht sehen durfte und die Weiss vermutlich irgendwo, getarnt zwischen den unzähligen Orchideen der Ausstellung, versteckt hat. Als er Perlmann gegenüber von den Vorzügen der Orchideen schwärmt, nimmt dieser heimlich eine Orchidee mit einer braunen Blüte an sich und verschenkt sie später an seine Kollegin Annika Beck.

Blum sieht sich in den Gewächshäusern um und trifft auf Knut Baginski von der Zollfahndung Konstanz. Er ermittelt nach einem anonymen Hinweis und untersucht, ob Weiss eine Orchidee illegal eingeführt hat, die dem Artenschutz unterliegt. Er soll diesen Roten Frauenschuh der Art Paphiopedilum in Vietnam ausfindig und nach Europa verbracht haben, um ihn gewinnbringend zu verkaufen. Als Blum danach mit Dr. Diana Martini, der weltbesten Orchideenexpertin, spricht, ist diese davon überzeugt, dass Weiss wegen einer Orchidee umgebracht wurde.

Inzwischen stellt der Rechtsmediziner fest, dass Weiss bereits am Boden gelegen hat, als er erschlagen wurde. Kleine Einstichstellen, die zum großen Teil von einer Akupunkturbehandlung stammen, lassen auch den Schluss zu, dass er möglicherweise vor dem Mord betäubt wurde, damit er sich nicht wehren kann.

Zwischen Dr. Klaus Raven und Maximiliane Tausend, von der Veranstaltungsleitung besteht ein Konkurrenzkampf, wer die neu entdeckte Art als erster taxonomisch bearbeitet und ihr damit einen Namen geben darf. Während Blum sich mit Raven im Hotelrestaurant unterhält, sieht sich Perlmann heimlich in dessen Zimmer um, kann aber nichts, für den Fall verwertbares, finden. Auch mit Dr. Diana Martini spricht Blum noch einmal und lässt sich Details über Raven und Weiss erzählen, denn sie kennt beide schon seit Jahren und weiß um die geschäftlichen Beziehungen der beiden zueinander.  (…)

Rezension

Es gab Bodensee-Tatorte, die im Künstlermilieu spielten, solche, die im Bäcker-Milieu angesiedelt waren, jene mit Winzern, mit extrentischen Selbstmordgruppen, einige sind bei den Gastronomen und den Internatszöglingen angesiedelt – und mittendrin die Blumenzüchter; chronologisch allerdings eines der ersten speziellen Milieus, die man mit dem stimmungsvollen Setting der Blumeninsel Mainau ins Visier genommen hat. Wie pittoresk.

Der Titel des Tatorts 590 ist zwar von Umberto Ecos „Der Name der Rose“ abgeleitet, aber so wild wie im Mittelalterkrimi und unter Mönchen geht es unter den Orchideen-Namensbestimmern 2005 nicht zu. Dass die Umgebung so ruhig ist und so schön, lädt sehr dazu ein, bestimmte Milieus herauszuarbeiten. Das kann interessant sein, zumal, wenn die Figuren gelungen sind. Es kann aber auch dazu führen, dass das Infodropping erschreckende Ausmaße annimmt. Dass ich die Namen der einzelnen Orchideensorten einen Tag nach dem Anschauen des Films nicht mehr weiß (von den Namenszusätzen der Bestimmer, in der Fachsprache Taxonomen genannt, abgesehen), obwohl ich in der Schule Latein hatte. Was dabei im Unterricht besprochen wurde allerdings – ähnliches Ergebnis, wenn auch mit viel mehr Abstand.

Mt diesen sehr vielen und verwirrenden Informationen haben wir schon ein  Hauptproblem des verflixten 7. Blum-Tatorts aufgezeigt. Die Spannung leidet unter den  mannigfaltigen, umständlichen Erklärungen, die alle möglichen Personen abgeben müssen, damit sich ein halbwegs facettenreiches Bild des notabene nicht selbsterklärenden Sujets ergibt. Vermutlich für Fans und Fachleute zu oberflächlich, sicher jedoch für Nicht-Blumenzüchter und Nicht-Orchideenliebhaber übertrieben.

Am Team lag’s nicht. Dorothee Schön ist eine der profiliertesten Tatortschreiberinnen und mit einem Drehbuch von ihr entstand nicht nur der wohl beste Blum-Tatort „Herz aus Eis“ (der mit den Internatszöglingen), sondern auch „Bitteres Brot“, ebenfalls ein sehr guter Film vom Bodensee, der  zudem vom selben Regisseur, Jürgen Bretzinger, inszeniert wurde. Aber Bäcker müssen eben nicht so umfänglich beschrieben werden wie Orchidisten oder wie auch immer sich die Fans der schönfarbigen Orchidaceae nennen, die übrigens zu den Spargeln zählen. Gibt es eigentlich schon einen Spargelzüchtertatort, also einen über den Spargel, die man auch essen kann? Ja, aus Münster („Spargelzeit“).

Natürlich sehen wir das Grundmuster aller Befassungen von Menschen auf besonders passionierte Art mit irgendwas, das der Normalo, der sich mit Durchschnittsinteressen durchschnittlich stark befasst, freakig finden kann. Ob Katzenzüchter oder Blumenzüchter, Modelleisenbahner oder Kunstsammler, es gibt immer so etwas wie eine High Society innerhalb der Zunft und natürlich Ausstellungen, auf denen sich ebenjene trifft. Und wo eine Ausstellung, da eine Jury, und wo es um Preise geht, gibt es Eifersucht in Form von Futterneid. Dies kann so schlimm sein, dass man dafür einen Mord begeht. Das Motiv der Täterfigur hier war trotzdem lächerlich.

Man kann es auch übertreiben mit dem weit herholen, von diesem Weither kommt man dann nicht rechtzeitig zurück in den Spannungsbogen und vor allem nicht zur Möglichkeit, den Zuschauer Identifizierung aufbauen zu lassen und eine Figur plausibel zu machen. Nicht in 90 Minuten und nicht, wenn der Film als Whodunit angelegt ist, sodass mehrere Figuren in etwa gleichermaßen mögliche Tatverdächtige abgeben müssen. Beim Thriller ist das was anderes, weil das Publikum den Täter fast von Beginn an kennt. Die Bodensee-Tatorte sind aber, wie alle SWR-Tatorte, in der Regel Whodunits. Offenbar entspricht der Rätselkrimi weitgehend dem, was man im Südwesten als dem Zuschauer konvenierend ermittelt hat.

Im Grunde geht es hier aber nicht übermäßig rätselhaft zu. Das heißt, es ginge nicht rätselhaft zu, wenn man sich nicht eines Tricks bedient hätte, ähnlich wie Klara Blum am Ende. Nur, dass der Trick Nr. 1 funktioniert, bei Nr. 2 habe ich Zweifel. Der erste Trick ist, dass die Figur, die am besten erzählt und gespielt wird, tatsächlich auch Täter_in ist, was man ja nicht vermutet, weil ihr eben so auffällig viel Aufmerksamkeit gewidmet wird und weil sie von Beginn an über alle anderen in der Zunft herzieht. Da denkst sich jeder: Wer so herausgehoben wird, ist niemals Mörder_in. Okay, gut gemacht, zumal – Achtung, Spoiler ab jetzt! – Tanja Seibt die Dr. Martini wirklich gut spielt und sich einreiht in diejenigen Charaktere, die zum Beispiel in Thrillern so hingebungsvoll schräg inszeniert werden können. Fraglos ist die Idee, das hier so zu drehen, ein Plus von „Der Name der Orchidee“. Und Loriot kennt die Orchideenexpertin auch, nur ging es bei ihm um Möpse, nicht um Blumen; um kleine, dicke Hunde, die immer schniefen, als hätten sie Asthma, nicht um Pflanzen, die, wie wir erfahren, allerdings auch zur Erkältung neigen können.

Klara Blum verzeiht man aber auch einen Trick wie den mit dem Tee, obwohl wir nie erfahren werden, wo sie den herhatte und wie sie ihn zu Wasser gelassen hat, wo doch Dr. Martini für die Zubereitung zuständig war. Schwamm oder ein Tässchen pfeilgiftloser Tee drüber. Wie über das erwähnte, höchst unterentwickelte Motiv. Klar, wer so in Orchideen macht, geht auch über Leichen, wie alle, die eine echte Passion für etwas entwickeln können, wenn schlechte Stimmung aufkommt; siehe oben. Ein Hoch auf den Durchschnittshipster, der wird nie zum Mörder, weil ihm dazu das Passionierte im Charakter fehlt.

Sky du Mont hingegen, als Dr. Raven Konkurrent von Dr. Martini, hat sich bestimmt ausbedungen, nur dann mitzuspielen, wenn er zwar verdächtig sein darf, aber nicht den Mordbuben abgeben muss. Ob er nun, wie einige Lästerer behaupten, einfach sich selbst gespielt hat, ist im Grunde egal, solange es zur Figur passt. Er ist also etwas überdrüber, was dadurch unterstrichen wird, dass man ihn immer ganz extravagant leicht von unten filmt oder auch mal etwas von oben, damit das schön gekämmte Silberhaar zur Geltung kommt, aber selten aus einer normalen Perspektive auf Augenhöhe.

Ist aber wirklich okay, weil es eben zu diesem elitären Gehabe  passt, das zu manchen Hobbys passt. Oder zu Berufen, die aus solchen Hobby in Gesellschaften erwachsen können, in denen Dinge einen Wert annehmen, der rein gar nichts mit ihrem Nutzwert zu tun hat, weil in diesen Gesellschaft ein Überfluss an vagabundierendem Kapital vorhanden ist. Das ist ausnahmsweise keine Kapitalismuskritik, im Gegenteil: Gerade an solchen Dingen merkt man, was in einer Gesellschaft der Gleichgemachten fehlen würde. Das reizend Idiotische und Extravagante, das jedes Recht besitzt, faszinierend für diejenigen zu sein, die sich davon faszinieren lassen und für niemanden sonst. Wir müssen also an einer gerechteren Gesellschaft arbeiten, in der Platz für Freaks ist, unter der Bedingung, dass darunter nicht zu viele Mörder_innen sich tummeln.

Was ebenfalls auf Herrenmode zutrifft. Dank Perli, dem einzigen von allen Tatortermittlern, der Modekenntnis zur Wissenschaft ausgebaut hat, erfahren wir, dass die Schuhe des Zöllners nicht zu seiner Gehaltsgruppe passen, was den Zöllner umgehend verdächtig macht. Das ist wahrscheinlich das Lottogewinner-Syndrom, dass sich plötzlich der Lebensstil so ändert, weil man ein paar Nebeneinnahmen aufgrund erwünschter Fehldeklaration von zu verzollenden und außerdem geschützten Pflanzenarten hat. Hirschlederschuhe! Handgedröselt! Der gemeine Rotwild-Hirsch gehören also nicht zu den geschützten Tierarten, aber das weiß ja nun, anders als das Orchideen-Spezielle, wirklicih jeder.

Dass Perlmann mit diesem für Tatortermittler in der Tat außergewöhnlichen Hobby Mode im Inselhotel Mainau Eindruck schinden kann, wie auch mit seinem schwarzen Chrysler-Cabriolet, dessen Frontgrill fast ganz von einem übergroßen deutschen Kennzeichenschild verdeckt ist (obwohl ich glaube, die  verhexte Blonde hat das Cabrio gar nicht wahrgenommen), führt dazu, dass auch mal ein Mädchen mit einem Ermittler anbändeln darf, das nicht zum Verdächtigenkreis gehört.

Und das gehört sich nicht. Yvonne Catterfeld hat überhaupt keine dramaturgische Funktion, sondern dient nur dazu, Perlmann bei seiner Werdung im Fach Frauenheld zu unterstützen. Für mich ist das beinahe so unglaubwürdig wie das Motiv von Dr. Martini. Okay, braune Dreireiher waren damals in. Ich hatte einen braunen Zweireiher von einer recht bekannten Herrenausstattermarke, zu der Zeit. Aber diese quergestreiften Hemden! Man muss nicht jeden Blödsinn mitmachen, nicht einmal in der Mode. Um Yvonne Catterfeld zu beeindrucken, reicht es jedoch, neben einer kaum überbietbaren Sprödheit im Auftreten. Diese, nicht jenes zu Tränen reizende Hemd ist es, was mich an Perlmanns Qualitäten zweifeln lässt. Zählen denn Witz und Charme gar nichts mehr? Kann man mit blondem Haupthaar dies alles ersetzen und selbst gutes Aussehen? Fragen, die beim Anschauen von Bodensee-Krimis immer wieder aufkommen und wirklich existenzrelevant sind, gerade, wenn man nicht dort, sondern in Berlin lebt. Ich kann die Neidgefühle der Blumenzüchter untereinander gut nachvollziehen. Immerhin, ich weiß jetzt, dass eine Orchidee eine ordinäre Baccara-Rose bei Weitem in den Schatten stellt, vor allem an schattigen Tagen.

Finale

Das Thema ist interessant und hat doch dazu geführt, dass „Der Name der Orchidee“ kein besonders interessanter Tatort geworden ist. So etwas passiert immer wieder, wenn die Macher von einem Sondermilieu so angetan sind, dass sie nicht merken, dass die meisten Menschen daran nicht per se einen Riesengefallen finden, sonst wären sie ja alle Orchideenzüchter geworden. Ähnlich, wie Liebhaber von Ärzteschmonzetten lieber Ärzte als Ärtzeschmonzettengucker geworden wären, hätten die Schulleistungen dafür gestanden.

Es liegt aber auch am Sujet selbst. Orchideen stehen einfach nur im Gewächshaus herum, man kann mit ihnen nur wenig Action machen. Und einen Blumentopf aus dem Palmengarten zu klauen, hat einfach nicht den gleichen Impact, wie Kunst in einem richtigen Heist-Movie aus hochprofessionell gesicherten Museen auf eine Weise entwenden, die künstlerischer anmutet als die Kunst selbst und wiederum etwas von moderner Installationskunst hat.

Aber das Wegschmeißen. Am Ende haben sie sich doch nicht getraut, den vermutlich farbgetarnten roten Frauenschuh zu entsorgen, die Reinemachfrau nimmt ihn wieder aus dem Papierkorb, in den Beckchen, die treue Büroseele vom Kommissariat, ihn entsorgen wollte. Dass dieses traumhafte Exemplar am Ende im Müll landet, das wäre doch der zartfühlenden Tatortguckerseele nicht zuzumuten gewesen. Dieser Gag, nicht der Trick von Klara Blum mit dem Tee, der bringt noch einen Extrapunkt. Trotzdem kommt keine Klasse-Bewertung heraus, obwohl ich Blums sanftsichere Art sehr immer sehr mochte und trotz der Erinnerung an einige wirklich sehr gute Bodensee-Tatorte mit ihr.

6,5/10

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Jürgen Bretzinger
Drehbuch Dorothee Schön
Produktion
Musik Markus Lonardoni
Kamera Hans-Jörg Allgeier
Schnitt Roswitha Gnädig
Premiere 6. März 2005 auf Das Erste
Besetzung

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