Frontpage | Briefing 129 | Landespolitik, Berlinwahl 2023
Berlin hat gewählt, liebe Leser:innen. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren. Das Ergebnis kennt nach aktuellen Zahlen vor allem zwei Verlierer und nur einen wirklichen Gewinner.
Hier zu unserer letzten Berichterstattung vor der Wahl:
UPDATE „Die CDU regiert Berlin“ (Aufruf gegen den Rechtsruck) +++ Und doch eine Empfehlung für die Wahl am Sonntag – Berlinwahl 2023 IVa +++ #DWenteignen | Briefing 128| Berlin, Stadtpolitik
Gerade hat Franziska Giffey vor SPD-Mitgliedern wahre Worte gesprochen. Die Regierende Bürgermeisterin wird ein Ergebnis unter 20 Prozent und damit erneut das schlechteste Nachkriegsergebnis für die SPD in Berlin einfahren. Nur 43 Prozent der etwa 27 Prozent, die wohl die CDU gewählt haben, sind überzeugte Wähler:innen, die anderen haben die CDU zur Protestpartei hochgehoben. Darunter leidet auch die AfD, die nicht einmal zweistellig geworden sein dürfte. Aber es gibt auch keinen Auftrag für eine Deutschland-Koalition unter Führung der CDU, denn die FDP ist nach aktuellen Hochrechnungen nicht wieder im Berliner Abgeordnetenhaus vertreten. Das immerhin ist ein zutiefst befriedrigens Ergebnis.
Kann nun die Koalition, die zuletzt Rot-Rot-Grün hieß, weitermachen? Die Grünen liegen nach ARD-Zahlen gleichauf mit der SPD. Das birgt eine sehr große Gefahr. Sollten die Grünen vor der SPD einlaufen, wird Franziska Giffey vermutlich der CDU als kleinerer Koalitionspartner ins Netz gehen, nicht aber zweite Kraft hinter der grünen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sein wollen. Allerdings: Weil eben die FDP möglicherweise nicht als dritter Partner einer neuen Berlin-Regierung zur Verfügung steht, werden die Grünen für eine sogenannte Kenia-Koalition gebraucht. Ein Szenario, auf das wir immer wieder hingewiesen haben, um Menschen, die eine progressive Politik wollen, dazu zu bewegen, dass sie nicht grün wählen, sondern die Linke.
Diese selbst hat sich angesichts ihres desaströsen Gesamtzustandes achtbar geschlagen und, wie unsere häufigeren Leser:innen aus den vorherigen Berichten von uns zur Berlinwahl wissen, auch unsere Stimmen erhalten. Allerdings nur zwei von dreien, in einem Fall war unser allgemeiner Unmut dann doch zu groß, um Unterstützung zu geben. Nach aktuellen ARD-Zahlen kommt die bisherige Regierungskoalition auf 49 Prozent der Stimmen. Fliegt die FDP raus, reicht das allemal, um die Koalition fortzusetzen. Das CDU-Narrativ hingegen, dass die stärkste Partei den Regierungsauftrag hat, ist zwar nicht von der Hand zu weisen, aber nur 35 Prozent der Berliner:innen wünschen sich offenbar eine CDU-geführte Landesregierung. Das sind nach unserer Ansicht schon viel zu viele und eines mutet uns schon seltsam an: Die Berliner Koalition hat nach ihrer Wiederwahl 2021 besser funktioniert als nach ihrem Star im Jahr 2017. Auch, wenn wir Franziska Giffey nie persönlich wählen würden, in einem hat sie recht: In dem einen Jahr seit ihrer Übernahme der Regierungsgeschäfte in Berlin war nicht viel mehr drin, als das, was geleistet wurde.
Tatsächlich? Oh doch. Giffey hat sich dezidiert gegen den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gestellt, und für diesen hatten sich 2021 nicht weniger als 59 Prozent der Menschen in der Stadt ausgesprochen. Diese Ignoranz-Arroganz, typisch für die bauverfilzte Berliner SPD, hat die aktuelle Regierungskoalition mehr Stimmen gekostet als alles andere, mehr als die lahmende Verkehrswende und mehr als die mangels fähiger Lehrkräfte nicht stattfindende Bildungswende. Giffey hat damit das Problem zu verantworten, dass die Koalition, wenn überhaupt, nur mit sehr knapper Mehrheit weiterregieren kann. Vielleicht sollte sie das aber gar nicht mehr, nachdem klar war, dass die CDU vor der SPD einlaufen wird. Vielleicht will sie wirklich die Nr. 2 hinter einem neuen RB Kai Wegner sein, wenn es schon nicht mehr reicht, um selbst dran zu bleiben, weil auch die Grünen stärker sind als die SPD. Deswegen würden wir uns geradezu wünschen, dass die SPD knapp vor den Grünen bleibt, denn dieser Move der SPD wäre ein Desaster für die Mehrheit in der Stadt und würde den ganz leichten Aufbruch, den man zuletzt gespürt hat, radikal abwürgen.
Wir haben unseren Teil getan. Und wir haben keinen Fehler wie den hier empfohlenen gemacht:
Wahlwiederholung in Berlin: Warum uns das geringere Übel in die Sackgasse führt
Wer andere dazu anleiten möchte, ungültig zu wählen, anstatt selbst eine revolutionäre(re) Linke auf die Beine zu stellen, die Chancen auf den Einzug ins AGH hat, der schadet sehr wohl der linken Sache. Eine ungültige Stimme ist bei dieser Wahl eine Stimme für die CDU gewesen, das sollte jedem klar sein. Ein Fernbleiben ebenfalls. Unser Missmut ist riesig, sowohl der Linken gegenüber als auch jenen gegenüber, die solche Rezepte der Demokratieverweigerung empfehlen, ohne eine Alternative zur Verfügung zu stellen. Schon klar: Bei einer Wiederholungswahl dürfen nur Parteien antreten, die auch bei der vorausgehenden Wahl schon dabei waren, wie auch möglichst nur Kandidat:innen antreten sollten, die 2021 ebenfalls wählbar waren. Was sich nicht immer verwirklichen lassen wird. Aber so muss man es auch sehen: Wer eine echte neue Kraft herausbilden will, muss sich eben bis 2026 gedulden. Normalerweise hätte die jetzige Wahl gar nicht stattgefunden und die Partei, die am meisten verloren hat, die SPD, hat sich selbst ins Knie geschossen, weil die von ihr geführte Administration im Jahr 2021 keine den den Anforderungen genügende Wahlorganisation hinbekommen hat. Auch das dürfte bei ihrem Ergebnis von heute eine gewisse Rolle gespielt haben.
Ja, gekämpft haben sie, die Roten aus der Mitte, gestern noch als allerletzte Partei ein Stand in unserem Kiez, heute sogar Wahlwerbung auf unserem Computer mit Giffey höchstselbst. Aber es hat nicht für ein anständiges Ergebnis gereicht, und das hat seine Gründe. Sie liegen nicht in einer zu linken Politik, denn 2021 wurde die bisherige Mitte-Links-Koalition gut bestätigt (insgesamt +2 % gegenüber 2016). Die SPD profitierte aber schon damals nicht vom Rückenwind durch die Bundespolitik, die Olaf Scholz ins Kanzleramt gebracht hat, sondern unterbot das vorherige schlechteste Ergebnis nach dem Krieg noch einmal leicht. Nun blieb der Rückwind vom Bund aus, und auch das wirkt sich natürlich aufs Wahlergebnis der Sozialdemokraten aus. Welcher Faktor in welchem Maße eine Rolle spielt, muss erst analysiert werden, aber dass Berlin nun in Unruhe ist und wir mit etwas Pech den befürchteten Rechtsruck bekommen werden, haben wir vor allem der SPD zu verdanken. Selbst, wenn sie persönlich genauso gut in der CDU Politik machen könnte, damit kann die Regierende Bürgermeisterin nicht zufrieden sein. Sie ist ein Machtmensch, der sich bedenkenlos über den Willen der Bevölkerung hinwegsetzt, ebenso wie über ihre eigene beschämende akademische Vergangenheit. Doch im Prinzip ist sie schon von gestern, wenn sie jetzt nach nur eineinhalb Jahren das Amt als Regierungschefin von Berlin abgeben muss.
Wir schlagen vor, diejenigen, die sich als echt links ansehen, bieten uns im Jahr 2026 eine echt linke Alternative an, die zur Keimzelle einer bundesweiten Bewegung wird, die sozusagen Revolution auf Basis der Verfassung machen möchte, dann werden wir sagen: Endlich! Wir glauben auch nicht, dass die Linke sich in nächster Zeit in die richtige Richtung entwickeln kann, dazu war das Berlin-Ergebnis wohl wieder nicht schlecht genug, auch wenn es ähnlich läuft wie bei der SPD, man verliert von Wahl zu Wahl. Sicher, man kann es, wie Dietmar Bartsch, der Fraktionschef der Linken im Bundestag, es eben getan hat, diese aktuellen Hochrechnungen gemäß ca. 12,5 Prozent schon geradezu als Comeback feiern, aber es waren nun einmal im Jahr 2021 noch14,1 Prozent, daran führt nichts vorbei, und 2017 waren es 15,6 Prozent. Wir sehen nicht, was in nächster Zeit passieren soll, was die Linke erheblich voranbringen könnte. Denn in einem liegt der Artikel, den wir eingebettet haben, ja richtig: Die Linke hat es versäumt, glaubwürdig für eine bessere Wohnungspolitik zu kämpfen und es zugelassen, dass die SPD die Bewegung „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ marginalisiert.
Deshalb gibt es vielleicht doch eine Chance: In die Opposition gehen und sich dort wieder fit machen für die Interessen der Menschen. Dann hätten wir diesen befürchteten Rechtsruck. Trotzdem ist es manchmal besser, sich zu verweigern, als schlechte Politik mitzumachen. Der Spruch stammt zwar von FDP-Chef Lindner, der 2017 im Bund eine Jamaika-Koalition verhinderte, ist aber richtig. Kann die soziale Stadt 3,5 Jahre mit der mittlerweile so rechten CDU an der Spitze vertragen? Vielleicht müssen wir es einfach durchstehen, damit aus diesem Denkfehler beim Wählen, den wohl besonders die „Protestwähler:innen“ begangen haben, Konsequenzen gezogen werden können, die dauerhaft dazu führen, dass es niemals mehr eine Rechtsregierung in dieser Stadt geben kann.
Als vor 25 Jahren zum letzten Mal die CDU die Stadtregierung angeführt hat, waren viele noch gar nicht geboren, die nun schon zum zweiten Mal wählen durften. Sie wissen also nicht, wie es ist, wenn die Konservativen die Stadt mit einem Bankenskandal gegen die Wand fahren, die Folgen jahrzehntelang spürbar bleiben und jetzt einer etwas mehr mittigen Koalition angelastet werden. Sie wissen auch nicht, dass damals noch kein Mietenwahnsinn zu beklagen war, den die CDU damit beantworten will, dass sie noch mehr Luxuswohnungen bauen und ansonsten den Vermietern freie Hand lassen möchte beim weiter nach oben treiben der Preise. Dass sie die Verkehrswende, die so dringend notwendig ist, so gut wie möglich verhindern wird. Lediglich die grünen Innenstadtbezirke können kleinteilig etwas dagegen unternehmen. Und die Verwaltungsreform? Der jetzige Bundes-Generalsekretär der CDU, Mario Czaja, war einmal Chef des Landesamtes für Gesundheit und Soziales. Damals herrschte blankes Chaos inmitten der Geflüchtetenkrise, man schrieb das Jahr 2016 und Czajas Amt war für das Management dieser Krise zuständig. Das Amt geriet bundesweit in die Negativ-Schlagzeilen. Ein weiterer Berlin-Fail, nach dem damals noch nicht fertigen BER und was die Stadt sonst noch alles an Minderleistungen zu bieten hat. Jetzt funktioniert die Aufnahme von noch mehr Geflüchteten einigermaßen reibungslos, unter der linken Sozialsenatorin Katja Kipping, ebenso wie der ÖPNV, ebenso wie der BER. Was sagt uns das? Dass es mit der CDU besser wird? Bei dem, was diese Partei sich schon geleistet hat, um Berlin kleinzukriegen?
Ja, das Gedächtnis der Menschen ist kurz. Komischerweise, denn wir lebten noch gar nicht in der Stadt, als sie von der CDU in die Pleite getrieben wurde. Wohl aber viele, die jetzt „aus Protest“ die Christdemokraten gewählt haben. Und weil das Gedächtnis vieler in dieser Stadt so kurz ist, haben sie sich auch dreieinhalb Jahre CDU-Regierung verdient. Wir finden das zwar ungerecht, aber Menschen, die gegen ihre Interessen wählen, sind ja ein Hauptproblem der Demokratie. Immer schon gewesen. Wenn sie zu weit nach rechts driften, sind sie sogar eine Gefahr für die Demokratie. Das immerhin hat die Polarisierung zwischen CDU und der aktuellen Regierung verhindert: Dass die AfD wieder zweistellig wurde, nach dem schokierenden Ergebnis von 14,2 Prozent im Jahr 2017. Trotzdem wird sie wohl wieder zulegen (2021 lag die AfD nur bei 8 Prozent). Ganz klar, die Berliner:innen haben per Saldo, auch wenn die FDP nicht mehr im neuen AGH vertreten sein wird, einen Tick mehr nach rechts tendiert als 2021 und 2017. Enttäuschung, Ungeduld, Fehler, bundespolitische Einflüsse – es wird nicht leicht werden in den nächsten Jahren. Nicht für die Politik, aus diesem Ergebnis etwas Gutes zu machen und nicht für uns, damit zu leben.
TH