Crimetime Vorschau – Titelfoto © SWR, Benoit Linder
Der heutige Tatort beginnt fünf Minuten später als üblich, nämlich um 20:20 Uhr. Ist dies schon die spektakulärste Nachricht zur Nr. 1225 „Unten im Tal“?
Kleines Jubiläum im Südwesten: Zum zehnten Mal ermitteln Hauptkommissarin Franziska Tobler (Eva Löbau) und ihr Kollege Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) als Tatort-Team der Kripo Freiburg vor idyllischer Schwarzwald-Kulisse. Und diese wird zur Feier des Tages besonders in Szene gesetzt, denn der neueste Fall „Unten im Tal“ wurde vom 09.11. bis zum 04.12.2021 fast ausschließlich im Schwarzwalddorf Menzenschwand gedreht. Und darum geht’s: Ein „Cold Case“ holt die Ermittler nach fast anderthalb Jahrzehnten wieder ein. 2009 verschwand die Teenagerin Rosa Winterfeld aus dem Dorf, nun wurde ihre Leiche gefunden – alte Wunden reißen wieder auf, neue kommen hinzu.
Tatort Folge 1225: Unten im Tal – Tatort Fans (tatort-fans.de)
Wir müssen es wohl als einen Tatbestand festhalten, der sich nicht so schnell ändern lässt, eine Sache aus der Rubrik „Im Laufe der Zeit“. Nach mehr als 1150 Rezensionen für die Rubrik „Crimetime“, überwiegend Tatorte und Polizeirufe, ist unser Interesse an den Krimis nicht mehr so überragend, dass wir sofort nach der Erstausstrahlung rezensieren. Vielleicht kommt das alles mal wieder, aber unser derzeitiger Akzent im Film- und Fernsehbereich liegt auf „Filmfest“, wo wir gleich mehrere Schwerpunkte gesetzt haben – und trotzdem erst bei etwa 900 Artikeln angelangt sind. Die Genese des deutschen Films, der Film noir, der natürlich auch ein Subgenre des Krimis ist, beispielsweise, damit sind wir aktuell sehr zugange. Vielleicht ist aus dieser spannenden Beschäftigung heraus auch der Eindruck entstanden, die Tatorte sind zuletzt einander ähnlicher geworden und nach einer Zeit der Innovation in den 2000ern und 2010ern erreichen wir mit der Reihe wieder eine Phase wie in den 1980ern und frühen 1990ern, als die Aufbruchstimmung des ersten Jahrzehnts verflogen war, dann kam die Wende und brachte eine seltsame Generation von Tatorten hervor, die den Test der Zeit nicht besonders gut bestanden haben; vielleicht, weil man am Suchen war und noch keine moderne Form, keine signifikante Weiterentwicklung der Reihe etablieren konnte.
Gerade Tobler und Berg, die eigentlich so unauffällig wirkenden Schwarzwald-Ermittler zählten zu den letzten, die sich mit dem Film „Ich hab im Traum geweinet“ noch etwas getraut haben, aber das Publikum war weniger begeistert. Das Experiment ist im Tatort mittlerweile in den Mainstream übergegangen und hat zu einer Art Mischform aus den früheren Konventionen und Elementen geführt, die zunächst als innovativ und diskutabel galten.
Das ist eine ganz normale Entwicklung. Manches Neue bewährt sich, anderes nicht. Die größten Veränderungen, so mein Eindruck, ereignen sich mittlerweile nicht mehr beim Filming und den Plots, sondern bei der Besetzung neuer Teams, zum Beispiel ausschließlich mit Ermittlerinnen oder (im Polizeiruf) sogar mit einem homosexuellen Kommissar. Das ist alles richtig und wichtig, trotzdem sollte Identitätspolitik kein Ersatz für inhaltlichen und formalen Fortschritt sein. Andererseits schreibt sich das viel leichter, als es zu bewerkstelligen ist: Auch das Kino ist auf eine Weise in eine Sackgasse geraten, aus der zumindest der Mainstream-Film nicht so einfach herausfinden wird – während die Avantgarde schon alles gemacht hat, was sich in diesem Medium denken lässt, so scheint‘s.
Veränderungen kommen oft in Schüben, derzeit gibt es keinen solchen Schub. Wir erwarten aber auch in nächster Zeit keine bahnbrechenden Neuerungen und, um den Bogen zu Tobler und Berg zu schlagen: Sie sind mit ihrer klassischen Mann-Frau-Aufstellung in gleichberechtigter Position mittlerweile eher ein konservatives Duo. Dessen aktuellen Fall, den Tatort Nr. 1225 mit dem Titel „Unten im Tal“, besprechen wir weiter anhand der üblichen Stimmen:
Na klar, Spannungsfeuerwerke und wilde Verfolgungsjagden darf man vom Team Berg/Tobler nicht erwarten. Und so ist auch „Unten im Tal“ ein ruhig, aber intensiv inszenierter Landkrimi, der dem Label „Schwarzwald-Tatort“ vollauf gerecht wird. Die beklemmende Atmosphäre des Misstrauens, die im Dorf herrscht, wird glaubwürdig vermittelt; die manchmal schroff und rau, manchmal mystisch wirkende Natur tut ihr Übriges. Zwar wird die Geschichte niemanden vom Hocker hauen, aber für einen Tatort im guten Durchschnitt reicht’s.
Tatort Folge 1225: Unten im Tal – Tatort Fans (tatort-fans.de)
Wir schreiben und lesen ja immer absatzweise, aber komisch, wie schon diese erste Kritik schon unsere Erwartungen bestätigt. Das weist uns auch auf etwas hin, was der SWR bisher versäumt hat: Anders als die Bodensee-Vorgängerin Klara Blum hat das Duo Tobler und Berg noch keinen herausragenden Krimi wie „Herz aus Eis“, der als einer der besten Tatorte aller bisherigen Zeiten gilt, in seiner Werkliste.
Die Bilder, mit denen es losgeht, „unten im Tal“, im wahrsten Sinne der Worte, sind von einer Schönheit, dass man sofort aufbrechen möchte in den Schwarzwald. Am besten noch gleich in der Nacht, damit man dieser Stimmung nachspüren kann, die die Kamera für uns einfängt: dem Erwachen der Wiesen im Frühnebel, den tropfenden Eiszapfen. Eine Form von Ruhe in der Natur, die man sehen und nicht nur hören kann. (…) Die Stärke von „Unten im Tal“ liegt in der Ruhe und Nüchternheit, mit der die Regisseurin und ihr Kameramann Andreas Schäfauer diese bekannte Geschichte entfalten. Sie lassen die herbe Landschaft miterzählen vom Wesen ihrer Bewohner. Und am Ende sitzt einem die Kälte tief in den Knochen, da kann das Gasthaus Löwen noch so anheimelnd in die dunkle Nacht leuchten.
Bisher fand ich den Schwarzwald, wie er bei Tobler und Berg wirkt, gar nicht so lyrisch-schön, wenn man mittendurch fährt ist er das ja auch nicht und scheint es am Ende des Films ebenfalls nicht zu sein. Die Geschichte selbst scheint der Klassiker aus dem Dorf zu sein, aus der Enge, der allzu dichten Nachbarschaft ohne Vertrautheit oder vertrauen und von der Jugend, die da weg will. Eine Geschichte, die so alt ist wie der Film selbst oder älter. Der Heimatfilm wollte diesem Trend entgegenwirken, die Faszination für die Städte bremsen, aber wir haben es hier ja mit einem nüchternen Krimi des Jahres 2023 zu tun, da wird gezeigt, was ist und daraus geht ohne verbale Manipulation hervor, dass sich nichts geändert hat.
Und was schreiben die Kritiker:innen aus dem eigenen Haus?
Es muss nicht immer einen neuen Mord für einen Tatort geben –„Unten im Tal“ beweist, dass auch ein neu aufgerollter Fall unfassbar spannend sein kann. (…) Der Tatort „Unten im Tal“ hält uns unsere Vorurteile eiskalt vor. Das macht ihn so ehrlich und immer wieder überraschend. Ein spannender Fall, nachvollziehbare Ermittlungsarbeit und ein unvorhersehbares Ende machen diesen Krimi absolut sehenswert. Dazu die tollen Bilder des winterlichen Schwarzwaldes. Auch wenn die spritzigen Ermittler-Dialoge fehlen, nimmt einen der Tatort von der ersten bis zur letzten Minute mit und regt zum Nachdenken an, über Wölfe und schwarze Schafe.
Tatort-Kritik: „Unten im Tal“ mit Tobler und Berg – SWR3
Dafür werden vom SWR-Check 4 von fünf Elchen aufgestellt. Nachdem zuletzt ein LU- oder Stuttgart-Tatort nur eine mittlere Wertung von dieser Seite bekamen, war es wohl Zeit für etwas mehr Zuneigung. Das ist natürlich nur eine leicht boshafte Lesart, die darauf abhebt, dass Kritiken, die aus dem Haus kommen, in dem auch die Produktion eines Films angesiedelt ist, dem Verdacht ausgesetzt sind, mehr um ihre Unabhängigkeit kämpfen zu müssen als andere, die ihre Meinung zu Tatorten abgeben. Dabei ist die Funktion der Tittelbacher auch nicht ohne, denn immerhin sind sie mit der Grimmepreis-Vergabe verbandelt und schreiben zur Nummer 1225 folgendes:
Ein ungeklärter Fall aus der Vergangenheit löst in einem Dorf im Schwarzwald eine neue Tragödie aus: In der „Tatort“-Episode „Unten im Tal“ (SWR) wird die Leiche eines vor Jahren verschwundenen Mädchens gefunden, und während Franziska Tobler und Friedemann Berg sich bemühen, die damaligen Ereignisse zu rekonstruieren, wird noch eine wichtige Zeugin getötet. Drehbuch-Autorin Nicole Armbruster hat ein kniffliges Familien- und Dorfdrama erdacht, das von Regisseurin Julia Langhof unaufgeregt und bildstark inszeniert wird. Die Handlung wird durch den genauen Blick auf die Psychologie der Figuren getrieben, nicht durch Körperlichkeit und Action. Spannend ohne Effekthascherei, dazu unter anderem mit Cornelius Obonya und Inka Friedrich vorzüglich, wenn auch „unbadisch“ besetzt.
Tatort – Unten im Tal – Kritik zum Film – Tittelbach.tv
Dafür werden 4,5/6 Sternen verteilt, das ist im Rahmen dessen, was für Tatort üblicherweise ausgekehrt wird, eine mittlere Wertung.
Die 1981 geborene Regisseurin Julia Langhof gewann mit ihrem innovativen Langfilmdebüt „Lomo – The Language Of Many Others“ (2017), dem Porträt eines Jugendlichen, der sein Leben den „Followern“ widmet, einige Preise. Ihrem auch in seinen Naturbildern (mit frei laufendem Wolf!) stimmungsvoll fotografierten „Tatort“-Debüt (Kamera: Andreas Schäfauer) merkt man an, dass Langhof eine große Sensibilität für die Inszenierung junger Charaktere mitbringt. Sowohl die in Rückblenden erzählte Rosa wie auch deren in der Gegenwart fast gleich alte Tochter Toni, die sich nicht an ihre Mutter erinnern kann, werden in wenigen kurzen Szenen gleichermaßen prägnant und anrührend gezeichnet.
Trotzdem ist „Unten im Tal“ kein Jugenddrama, denn alle Generationen dieses Schwarzwälder Winterstücks tragen ihre Geheimnisse und Konflikte in die Handlung hinein. Alle kommen im angenehm zurückhaltend „getexteten“ Krimistück authentisch rüber. Dass diese Dorfgemeinschaft nicht so „geschwätzig“ ist, wie sie in vielen anderen deutschen Krimis wohl wäre, tut der Authentizität der Ermittlungen und des Films ausgesprochen gut. Damit darf man sich beim zehnten Schwarzwald-„Tatort“ auf ein eher leises Land- und Familiendrama freuen, das zwar nicht ganz so verstiegen und intensiv ist wie der geniale Vorgänger „Die Blicke der Anderen“, aber immer noch über dem Durchschnitt des bundesweiten „Tatort“-Niveaus mitspielt.
Da rächt es sich wieder. Dass wir nicht mehr alle neuen Tatorte zeitnah anschauen. „Die Blicke der anderen“ haben wir noch nicht rezensiert. Er steht aber als einer der nächsten Filme der Reihe auf unserer To-Watch-List. Hingegen meinen wir, Sie nun hinreichend über „Unten im Tal“ und die Meinungen dazu informiert zu haben und geben noch ein paar Infos weiter:
TH
Handlung
Franziska Tobler und Friedemann Berg steigen in einen Cold Case ein, der vor mehr als einem Jahrzehnt unaufgeklärt blieb. Sie hoffen, einer Familie endlich Ruhe zu verschaffen, und treiben damit einen Außenseiter in die Enge. Regisseurin Julia Langhof und Autorin Nicole Armbruster erzählen eine Geschichte von Verdrängung, unterdrückter Schuld und fehlgeleiteten Interpretationen.
Familie Winterfeld erlebte vor Jahren eine Tragödie, als Tochter Rosa, noch Teenager aber selbst schon Mutter einer Tochter, spurlos verschwand. Nun wird in der Nähe des Schwarzwald-Dorfs Rosas Leiche gefunden. Wie damals ermitteln Franziska Tobler und Friedemann Berg. Wie damals beschuldigt Meike Winterfeld den mehrfach vorbestraften Werner Tröndle. Der hat wegen anderer Straftaten eine Gefängnisstraße abgesessen und lebt jetzt wieder im Dorf, auch wenn die meisten nichts mit ihm zu tun haben wollen. Franziska Tobler und Friedemann Berg rekonstruieren von neuem Rosas letzten Abend, nicht nur mit der Familie, sondern auch mit Rosas Freund Axel und ihrer besten Freundin Elif. Inzwischen erwachsen, stehen die beiden dieser Rekonstruktion kritisch gegenüber. Franziska Tobler und Friedemann Berg hoffen trotzdem auf neue Erkenntnisse. Und tatsächlich – mit dem heutigen Blick der jetzt Erwachsenen verschiebt sich die Wahrnehmung der Ereignisse.
Besetzung und Stab
Hauptkommissarin Franziska Tobler – Eva Löbau
Hauptkommissar Friedemann „Frieda“ Berg – Hans-Jochen Wagner
Meike Winterfeld – Inka Friedrich
Josef Winterfeld – Cornelius Obonya
Antonia Winterfeld/Rosa Winterfeld – Carlotta Bähre
Axel Leibing – Tonio Schneider
Franz Leibing – Rainer Furch
Werner Tröndle – Aurel Manthei
Elif Topcu – Canan Samadi
u. v. a.
Drehbuch – Nicole Armbruster
Regie – Julia Langhof
Kamera – Andreas Schäfauer