Hat die CDU bezüglich der Kernkraft recht? (Umfrage) +++ Anteile der Energieträger am Strommix 2022 (Statista) +++ Kommentar | Briefing 180 | Klima, Energie, Umwelt

Briefing 180 | Klima, Energie, Umwelt | Wirtschaft, Kernenergie, Erneuerbare Energien

Nach dem Ausstieg aus der friedlichen Kernkraftnutzung, der in Deutschland am 15. April vollzogen wurde, gehen die Diskussionen erst richtig los, so der aktuelle Eindruck. Das stimmt natürlich nicht: Es wurde nur selten über einen gerade abgehakten Gegenstand so gestritten.

Daraus hat Civey heute (wieder einmal) eine Umfrage gemacht, dieses Mal aber mit Akzent auf die neuesten Meldungen auf die  Union: Machen Sie mit und helfen Sie uns. Warum das nötig ist, schreiben wir unterhalb der folgenden Infos.

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die offene Haltung der CDU/CSU zum Weiterbetrieb von Kernkraftwerken? – Civey

Begleittext aus dem Civey-Newsletter:

Nach der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke am 15. April hat die Union eine neue Debatte um den Atomausstieg angestoßen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach kurz danach in einer Pressekonferenz von einem „folgenschweren Fehler”. Weder Bayern noch Baden-Württemberg seien Alternativen für wegfallende Kohlekraftwerke angeboten worden. Deshalb verlangt er eine Gesetzesänderung, um das bayerische AKW „Isar 2″ in Eigenregie weiter zu betreiben.

CDU-Chef Friedrich Merz nannte die Stilllegung der Atommeiler „eine völlig überstürzte Entscheidung des Bundes”. Er verwies letzte Woche in einer Pressekonferenz auf die bereits erfolgten Preisanstiege und die Notwendigkeit, die weggefallene Energie mit Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen zu kompensieren. Alle denkbaren Alternativen für eine bessere Energieversorgung sollten daher diskutiert werden – auch Söders Vorschlag.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) lehnt einen Weiterbetrieb durch einzelne Bundesländer ab. Sie verwies in der SZ auf die Zuständigkeit des Bundes und „verfassungsrechtliche Aspekte der nuklearen Sicherheit”. Grünen-Chefin Ricarda Lang nannte die Vorwürfe von CDU/CSU „Angstmache”, da die Energieversorgung laut Bundesnetzagentur für die nächsten Jahre gesichert sei. SPD-Chef Lars Klingbeil zeigte sich im Tagesspiegel erleichtert darüber, dass die Union keine energiepolitische Verantwortung mehr im Bund trägt.

Wir haben kürzlich die Meinung der Atomkraftgegner herausgehoben, uns im vergangenen Juli aber auch verständnisvoll gegenüber den Forderungen nach einem Weiterlaufenlassen der damals noch in Betrieb stehenden Meiler geäußert, trotz der hohen Folgekosten, die natürlich, wie alles, auch eine Frage der Berechnungsweise sind:

UPDATE: Kernkraftwerke länger laufen lassen? +++ Folgekosten von Atomstrom am höchsten | Wirtschaft, Umwelt, Klima | Energieträger zur Stromerzeugung und ihre gesamten Folgekosten – DER WAHLBERLINER

Die Auswirkungen der jüngsten Abschaltentscheidungen für den CO2-Ausstoß, wie wurde er in diese Rechnung integriert? Nach unserer Ansicht kaum möglich, ihn sinnvoll zu beziffern, denn die Kausalkette, die nun zu einem höchst unangenehmen Fakt führt, nämlich vermehrter Kohlenutzung,  ist lang und die sogenannten notwendigen Bedingungen für den Eintritt bestimmter Folgen angesichts der Multikausalität auf diesem Gebiet ziemlich unscharf. Messen aber lässt sich der Temperaturanstieg der letzten Jahrzehnte auf der Erde. Daher müssen wir zugeben, uns gefällt die untenstehende Grafik nicht, weil sie bis zu einem gewissen Grad den Gegnern des schnellen Ausstiegs recht gibt. Das ändert nichts, dass wir diese Situation nicht hätten, wäre die Energiewende kräftig vorangetrieben worden. In einem anderen Artikel von heute war eine Umfrage integriert, in der wir selbstverständlich auf Solarenergie und Windkraft als Alternativen für die wegfallenden Atomkraft setzen, nicht auf Kohle. Aber es ist die Kohle, die derzeit das Rennen um den Ersatz-Energieträger macht, zumindest zur Hälfte. Dem Zangengriff aus der Notwendigkeit, den Bezug russischen Gases zu reduzieren und gleichzeitig aus der Atomkraftnutzung auszusteigen, war nicht zu entkommen, ohne den CO2-Ausstoß in die Höhe zu treiben. Jenseits des Wunschdenkens und einseitig ideologischer Positionen gibt es leider keine Wunder und jedes Problem, das unter den Tisch gekehrt wird, bleibt dort liegen und zieht immer weitere Probleme an, anstatt sich von selbst aufzulösen. Kürzlich wurde bezüglich der Atomkraft sogar argumentiert, ihr Anteil ginge weltweit zurück. Das mag stimmen, weil die Gesamtstromerzeugung in den letzten Jahren immer weiter anstieg und nach der Fukushima-Katastrophe kaum weitere Kernkraftwerke ans Netz gingen.

Angesichts der aktuellen Neu- und Ausbaupläne allerorten außer in Deutschland und einigen Ländern, die mit einfach zu erschließenden natürlichen Energiequellen gesegnet sind, dürfte sich dieser Trend aber bald wieder drehen. Das Zauberwort heißt „Energieautonomie“ und beinhaltet bei den meisten hochentwickelten und sehr energieintensiv aufgestellten Ländern nicht nur die Erneuerbaren, sondern auch die Kernkraft.

Infografik: Kohle weiterhin wichtigster Energieträger | Statista

Im vergangen ja ist der Anteil des Kohlestroms laut Statistischem Bundesamt um 8,4 Prozent gestiegen. Braun- und Steinkohle waren für einen Drittel des produzierten und ins Netz eingespeisten Stroms verantwortlich. Verantwortlich für den Anstieg ist vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Insgesamt entfallen über 50 Prozent der Strommenge auf konventionelle Energieträger. 

Erneuerbare Energien kommen auf einen Anteil von 46,3 Prozent – das entspricht einem Wachstum von rund sieben Prozent. Wichtigster regenerativer Energieträger ist die Windenergie mit einem Anteil von 24,1 Prozent. Photovoltaikanlagen steuerten zehn Prozent zum Strommix bei. Wie hoch der jeweilige Anteil ist, hängt stark von der Jahreszeit ab, wie eine weitere Statista-Grafik zeigt. Die deutlichste Verschiebung des vergangenen Jahres fand bei Kernenergie statt. Der Grund hierfür ist die Abschaltung von drei der sechs bis dahin noch im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke zum Jahresende 2021 im Rahmen des Ausstiegs aus der Atomenergie.

Wir finden es großartig, dass sich der Anteil der Erneuerbaren so ungewöhnlich schnell hat steigern lassen, obwohl kaum noch Windkraftanlagen gebaut werden. Rein gefühlsmäßig würden wir den Ausbau der Photovoltaik noch mehr favorisieren, denn sie ist nicht mit doch einigen negativen Begleiterscheinungen verbunden, wie Gefahr für Vögel, vor allem bei Offshore-Anlagen, und der zweifelhafte Mehrwert für die Schönheit der Landschaft. Etwas erratisch in Sachen Erzeugung sind logischerweise beide Quellen, wobei die Windkraft offshore und in der Küstenregion durchaus eine gewisse Gleichmäßigkeit bei der Energielieferung erzielt. Wenn es eines Tages neue weitere Technologien geben sollte, auch die gefahrenarme Nutzung der Kernkraft, wären wir nicht abgeneigt, diesen Techniken eine Chance zu geben. Die von den Grünen als gegeben erwähnte Energiesicherheit  hat nämlich einen Haken: Sie geht mit erhöhter Kohleverstromung einher. Gegenwärtig jedenfalls. Es ist leicht vorauszusehen, dass sich der Trend 2023 fortsetzen wird. So viel kann aus den kaum mehr Anlagen Erneuerbarer Energien nicht mehr rausholen, wie jetzt auf der Atomseite wegfällt. Unsicherheitsfaktor in der Gesamtrechnung bleibt der Gasanteil. Wie und zu welchen Preisen kann weiter kompensiert werden, was nicht mehr aus Russland kommt?

Wir wissen mittlerweile, was eine Energiekrise ist, auch wenn es sich dabei um eine politisch hausgemachte Angelegenheit handelt, nicht um einen echten Mangel. Wir wissen es, weil wir trotz 100 Prozent Ökostrom auf einem Tarif sitzen, bei dem die Kilowattstunde um 85 Prozent über dem Vorjahreswert liegt. Ohne Strompreisbremse wären es sogar 110 Prozent mehr. Das ist schlicht abenteuerlich und wird mit den nächsten Stromrechnungen uns und vielen anderen Verbrauchern auf den Kopf fallen. Wir können auch den Kopf nicht wegziehen, denn heizen müssen wir bis zu einer gewissen Gradzahl. Gerade, wenn wir hier am Schreibtisch sitzen und uns nicht körperlich betätigen.

Wofür wir überhaupt kein Verständnis haben: Wenn Journalisten hämisch über die „LG“ schreiben und den aktivistischen Menschen einfach mals selbst Energie sparen empfehlen. Wir wissen, woher dieser Spin kommt, das macht es aber nicht besser. Wir hatten in Deutschland schon vor den aktuellen Problemen mit die höchsten Energiepreise für Privatverbraucher:innen in Europa, „günstig und klimavergessen“ war hierzulande nie die Realität. Außerdem wird der private Stromverbrauch massiv ansteigen. Was in dem verlinkten Artikel an Einsparungen an die Internet-Gemeinde adressiert wird, wird komplett pulverisiert werden, selbst wenn sich  jeder daran hielte, von der Zunahme von Elektromobilen aller Art in Deutschland.  Wir warten schon darauf, dass man mit statistischen Tricks versucht, diese Konsequenz der wenig ökologischen Mobilitätswende zu verschleiern. Die Bruttostromerzeugung ist aber ein einigermaßen unbestechlicher Messindikator.

Was die Politik im Moment macht, hat also sehr direkte Auswirkungen für uns alle, denn Energiesicherheit und Preissicherheit, Klimaschutz und Geopolitik lassen sich kaum noch unter einen Hut bringen. So ist es, weil die Energiewende verschlafen wurde. Man muss denjenigen, die jetzt auch partout gegen die Atomkraft sind, zugutehalten, dass sie schon lange auf diesen Mangel an Innovation hingewiesen haben. An ihnen liegt es nicht, dass wir jetzt über die Doch-Weiternutzung diskutieren. Wir haben sogar ein Déjà-vu: Ich glaube, wir haben uns hier schon einmal ganz ähnlich geäußert. Das muss, von der Berücksichtigung jetzt angerührten Inflationssalat abgesehen, schon einmal hier so ähnlich formuliert worden sein.

Am Ende steht aber die Wende: Wer hat die Energiewende verpennt? Die CDU-geführte Regierung Merkel. Wer fordert jetzt, letztlich als Konsequenz dieses Versagens, den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke? Die CDU. Hier sehen wir, dass es durchaus einen Unterschied ergibt, von wem eine Forderung kommt. Man denkt freudiger darüber nach, ob etwas daran sein könnte, wenn sie nicht aus der Ecke kommt, die uns die aktuelle Misere beschert hat. Mit der #Rückschrittskoalition in Berlin haben wir ja hier einen ähnlichen Effekt. Die Partei, die Berlin gegen die Wand gefahren hat, vor über 20 Jahren (ebenfalls die CDU) darf sich jetzt mit dem Slogan „Das Beste für Berlin“ wieder den Posten des Regierenden Bürgermeisters schnappen. Wie keine andere Partei versucht die CDU, die Spuren ihrer vergangenen Fails zu verwischen. Nur ist der Merkel-Energie-Fail noch nicht so lange her und die Menschen sollten sich daran erinnern, dass er dazu geführt hat, dass wir jetzt in einem Dilemma stehen, das auch uns Kopfzerbrechen bereitet.

Wir haben deshalb mit „Unentschieden“ gestimmt. Da sind wir bei einer sehr kleinen Minderheit von nicht einmal fünf Prozent, aber wenigstens konsequent, denn das haben wir bei den vorherigen Umfragen schon getan, bei denen wir mitgemacht und die wir hier präsentiert haben. Gerade bei dem Thema gibt es aber zwei richtige Lager: 50 Prozent „eindeutig ja“ stehen ca. 30 Prozent „eindeutig nein“ gegenüber, alle mit einer eher zurückhaltenden Meinung, wie wir, kommen zusammen nicht einmal auf 20 Prozent. Das weist darauf hin, dass das Thema ideologisch recht aufgeladen ist, und zwar von den Seiten der Gegner wie der Befürworter der Kernkraft. Der CDU hilft ihr Pro-Kurs aktuell und das ärgert uns dann doch. Das konnten wir nicht unkommentiert lassen.

Womit Sie uns helfen können, wie eingangs angedeutet? Indem Sie weiter auch bei der Diskussion mitmachen. Wir brauchen noch mehr Ideen, wohl wissend, dass die Zeiten sich derzeit schnell ändern und sich dadurch auch unsere Haltung mit jeder neuen wichtigen Information als justierungsbedürtig erweisen kann. Die Energieversorgung ist bei uns keine ideologische, sondern eine pragmatischer Abwägung zugängliche Thematik – gerade wegen ihrer enormen Wichtigkeit im Hier und Jetzt. Auch hier haben wir eine schöne Utopie im Kopf, aber jetzt muss erst einmal dafür gesorgt werden, dass das Klima geschützt wird, ohne dass das alles wieder mindestens zu Lasten der Ärmeren geht, die eh keinen Spielraum mehr haben. Denn diese Position ist für uns unverrückbar: Es darf nicht jede neue Wendung dazu führen, dass die Mehrheit zugunsten einer profitierenden kleinen Minderheit noch mehr belastet wird. Es ist schon bemerkenswert, wie jede Veränderung der letzten Jahrzehnte exakt darauf hinausgelaufen ist. Daher verstehen wir auch, dass einigen Menschen das alles nicht geheuer ist, was die Politik macht oder sein lässt.

TH

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