Wieder Lebensmittelinflation bei fast 20 Prozent +++ Der Umsatzrückgang im Einzelhandel, das nie ausreichende Budget, der EDEKA-Kampf +++ Politik zum Abgewöhnen und neu denken | Briefing 199, 185 | Wirtschaft, Gesellschaft, Politik

Briefing 199, 185| Wirtschaft, Gesellschaft, Verbraucher, PPP (Politik, Personen, Parteien)

Im März waren es 22,3 Prozent, im April immer noch 17,4 – wir reden von der Lebensmittelinflation in Deutschland. Es wird nicht (viel) besser, außerdem muss man bedenken, dass der Basiswert ständig steigt, das heißt, der letztjährige Vergleichswert, sodass auch ein leichter Rückgang, etwas längerfristig betrachtet, erst einmal wenig aussagt. Außerdem gibt es bekanntlich, vor allem bei Frischlebensmitteln, saisonale Schwankungen.

Weiterhin handelt es sich um Durchschnittswerte, worauf im folgenden Artikel zu Recht hingewiesen wird – wer bestimmte Produkte kauft, muss noch viel mehr als die oben erwähnten 17,4 Prozent innerhalb eines Jahres an Preiserhöhungen schlucken, im wörtlichen und übertragenen Sinne:

Wie hohe Lebensmittelpreise das Kaufverhalten verändern – und was man dagegen tun kann | WEB.DE

Es nützt dem Durchschnittsverbraucher nichts, wenn High-End-Champagner möglicherweise preisstabil geblieben ist und somit dämpfend auf die Lebensmittelinflation einwirkt:

Dabei sind die angegebenen Teuerungsraten nur Durchschnittswerte. Je nach Lebensmittel ist die Schwankung sehr groß. Bei Speiseölen stiegen die Preise seit April 2022 um 28 Prozent. Bei Schnittkäse gar um 42 Prozent, auch Weizenmehl wurde um 40 Prozent teurer. Äpfel hingegen fielen im Preis um 4 Prozent.

Oder eben die Äpfel. Die wurden aber 2020, 2021 viel teurer, daran erinnern wir uns noch gut. Es hatte etwas mit Ernteerträgen zu tun. Irgendeinen Grund gibt es sowieso immer, um an der Preisschraube zu drehen:

Dieser Vergleich mit dem Vorjahresmonat verdeckt jedoch die längerfristige Preisentwicklung. Denn Anfang 2022 hatte die starke Teuerung infolge des Krieges in der Ukraine bereits eingesetzt. Daher hat die Verbraucherzentrale einen erweiterten Vergleich vorgenommen – mit Juni 2021. Im Vergleich zu diesem Zeitpunkt ergeben sich weit höhere Preissteigerungen. So sind etwa Nudeln seitdem um 48 Prozent teurer geworden, Weizenmehl um 70 Prozent und Speiseöl gar um 73 Prozent.

Korrekterweise müsste es heißen: Die Teuerung hat schon vor dem Ukrainekrieg begonnen, wenn auf den Juni 2021 Bezug genommen wird. Was uns darauf hinweist, dass schon die Corona-Pandemie als willkommener Anlass dazu diente, die Grundversorgungsinflation anzuheizen. Dass das nicht alles mit erhöhten Produktionspreisen zu tun haben kann, dürfte auch eher naiven Menschen längst klar geworden sein, es bestätigt sich sogar durch Studien aus der Wirtschaft, die normalerweise kein Interesse daran hat, andere Konzerne anzurempeln:

Wer wie stark an den gestiegenen Preisen verdient, ist nicht immer klar nachvollziehbar. Ein wenig Licht ins Dunkel brachte erst im April eine Studie des Kreditversicherers Allianz Trade. Dabei kam heraus, dass die Preissteigerungen in den Lebensmittelgeschäften nicht nur auf gestiegene Energiepreise zurückzuführen seien. Etwa ein Drittel der gestiegenen Kosten seien weder durch teureres Öl und Gas, noch durch gestiegene Löhne erklärbar.

Es sind auch vor allem die Lebensmittelkonzerne, die für die Preissteigerungen verantwortlich sind. Die Händler wehren sich teilweise immerhin, wie man am epischen Kampf von EDEKA gegen zwischenzeitlich 17 Hersteller sehen kann, die zwischenzeitlich oder dauerhaft ausgelistet wurden. Wir hatten im vorherigen Artikel zur Sache darüber berichtet.

Der scharfe Umsatzrückgang im Einzelhandel, die Lebensmittelinflation, das nie ausreichende Budget, der EDEKA-Kampf und Politik zum Abgewöhnen und neu denken | Briefing 185 | Wirtschaft, Gesellschaft, Politik – DER WAHLBERLINER

Der Einzelhandel im Ganzen hatte zuletzt das Nachsehen und musste 8,4 Prozent reale Einbußen gegenüber dem Vorjahresmonat verkraften. Das Ganze wird also wieder unter freundlicher Billigung und Förderung durch die Politik auf den Kosten der Händler und der Verbraucher ausgetragen. Anders als in etwa sortierteren, weniger neoliberalen Ländern, wird nicht einmal warnungsweise auf bestimmte Produkte eine Preisbremse gesetzt, wie zum Beispiel auf die Brotpreise die geradezu davonschießen. Wer die politische Relevanz dieser Entwicklung nicht erkennt, der hat ein analytisches Problem.

Die Studienautoren erklärten dies stattdessen durch „übermäßige Gewinnmitnahmen“, die in Deutschland noch stärker ausgeprägt seien als irgendwo sonst in Europa. Dabei hätten die Hersteller die Preise weit stärker erhöht als die Einzelhändler, so die Verfasser der Studie.

Warum wird bei uns so zugeschlagen? Weil die hiesige Politik nicht im Verdacht steht, den Verbrauchern ernsthaft zu helfen und den Konzernen Grenzen aufzuzeigen.

Viele Kommentatoren suchen alle möglichen Gründe für den Wiederaufstieg der Rechten und den enormen Verdruss der Menschen über die Ampel-Politik. Wir sagen: Das Meiste davon sind Petitessen, Schlaglichter des Politikbetriebs, die in diesen Krisenzeiten auch schnell wieder vergessen sind.

Aber der Krieg in der Ukraine und die deutsche Beteiligung daran, die ganz sicher weiter zunehmen wird, das bleibt vorerst. Die Nachwirkungen der Corona-Krise, die in Deutschland eben nicht gut gemanagt wurde, die sind nicht so schnell überwunden. Und die Sorge wegen der Preisentwicklung.  

Dies alles hat das Kaufverhalten verändert. Das ergab kürzlich eine Untersuchung von IFH Media Analytics und Media Central. 87 Prozent der Befragten haben sich demnach bei ihren Einkäufen mehr an den wöchentlichen Angeboten orientiert, als sie dies bisher taten. Jeder zweite Befragte gab sogar an, auf die Angebote angewiesen zu sein.

68 Prozent erklärten, die Angebote zu nutzen, um sich andere Dinge leisten zu können. Dabei entwickeln die Menschen unterschiedliche Strategien, um mit den gestiegenen Preisen umzugehen. Fast jeder zweite Kunde gab in der Studie an, wegen kurzfristiger Angebote neuerdings auch Geschäfte zu besuchen, in denen er bisher nicht eingekauft hatte.

Deswegen machen wir heute auch ein paar Verbrauchertipps auf, die Sie bitte wieder dem oben verlinkten Artikel entnehmen.

Wie hohe Lebensmittelpreise das Kaufverhalten verändern – und was man dagegen tun kann | WEB.DE

Nicht, weil wir mit unserer Zeit nichts besseres anfangen könnten, sondern aus den im Artikel genannten Gründen haben wir unser Kaufverhalten in den letzten Jahren, schon vor dem Ukrainekrieg, massiv verändert, sodass der Puffer jetzt nicht mehr so riesig ist. Sprich, wir können nicht mehr so viel optimieren. Neben allem, was es an guten Tipps in dem Artikel gibt und was uns bekannt vorkam, haben wir schlicht unseren Radius erweitert. Wir fahren mittlerweile auch auf die andere Seite unsere Berliner Wohnbezirks, weil bestimmte Handelsketten dort zwei Märkte im Abstand von nur ein paar Metern haben, in unserem Bezirksteil hingegen gar keinen. Ökologisch ist das auch vertretbar, weil in der Regel mit dem Fahrrad, und Bewegung kommt so ganz ohne Training zustande, einfach, weil der Alltag immer fordernder wird. 

Außerdem kommt es zwangsläufig zu Einschränkungen der Menschen auf anderen Gebieten, wenn das Optimieren der Einkäufe augereizt ist. Und das merkt die Wirtschaft, darauf kann die Politik sich felsenfest verlassen. 

Zudem: es fehlt der Aspekt der Freiwilligkeit, und das macht Menschen reizbar, die, anders als diese in Relation zu ihrer Leistung weit überbezahlten Politiker, die Preissteigerungen nicht locker wegstecken können. Der Zwang zu immer weiteren Optimierungsschritten und, wenn das nicht mehr reicht, zu echten Einschränkungen bei der Grundversorgung geht nicht spurlos am Zustand der Gesellschaft vorüber. Auch Kanzler Scholz, den wir wegen seiner einigermaßen vorsichtigen Ukraine-Politik häufig verteidigen, oder, um es etwas niedriger zu hängen, dem wir in dieser Sache zustimmen, lässt sich mittlerweile zu Statements herab, die belegen, dass er nicht etwa eine andere Einstellung hat als die klassistischen Grünen und die das Gemeinwohl verachtende FDP, sondern lediglich – sic! – vorsichtiger ist, sodass es länger dauert, bis sie sichtbar wird. Kürzlich hat er jedoch verkündet, dass man nicht alle kostenseitigen Kriegsfolgen wegsubventionieren kann, nicht auf Dauer.

Das ist genauso klassistisch wie die bekannten Einlassungen von den grünen Snobs, welche die aktuelle Regierungsbank bevölkern, wenn man etwas genauer hinschaut. Denn von wegsubventionieren kann beim überwiegenden Teil der Mehrkosten sowieso keine Rede sein.

Auf eine Weiswe liegt er richtig, die er aber nicht gemeint hat:

Die Subventionen helfen vor allem denjenigen, die eh schon mehr als genug haben und fließen größtenteils indirekt in die Kassen der Konzerne und von deren Aktionären. Die Verbraucher werden z. B. durch die Strom- und Gaspreisbremse ein wenig entlastet, aber nicht etwa dadurch, dass die Preise endlich gedeckelt werden, sondern eben durch Subventionen, die sie ja nicht behalten dürfen, sondern direkt an die Versorger weitergeben dürfen.

Was übrig bleibt, sind trotzdem exorbitante Preissteigerungen, die jeder selbst tragen muss und die weit oberhalb der Lohnentwicklung liegen. Letztes Jahr kam es in Deutschland zu einem Reallohnverlust von 4,1 Prozent. Das ist der höchste Wert mit einer Tendenz zur persönlichen Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Was wiederum bedeutet, nur die Deckelung bestimmter wichtiger Preise würde hier eine echte Entlastung bringen und die oben erwähnte Krisengewinnlerei ein wenig begrenzen.

So vorzugehen, das ist in vielen Ländern Europas auch üblich, aber nicht im neoliberal-klassistischen Deutschland. Das macht auch der Kanzler aber nicht, der bekanntlich ein nicht ganz skandalferner Teil des hiesigen Lobbybetriebs ist. Also sagt er im Grunde den Bürger:innen, sie sollen sehen, wie sie die dicke, ungenießbare Suppe auslöffeln, die ihnen die Politik auch noch selbst eingebrockt hat, denn ein großer Teil der aktuellen Inflation, vor allem jene auf dem Energiesektor, ist hausgemacht und viele Verbraucher:innen sind gerade in der Phase, in der sie trotz sinkender Einkaufspreise für die Versorger auf den superteuren Verträgen sitzen, die ebenjene Versorger ihnen vor ein paar Monaten reingedrückt haben, als es keine Ausweichmöglichkeiten hin zu günstigeren Mitbewerbern gab.

Die Politik hat offenbar nicht im Blick, dass sie für ein paar Tropfen auf den heißen Stein, die auch noch zeitlich begrenzt wirken, keine Dankbarkeit von den Bürger:innen erwarten darf. Wir erwarten hingegen Rekordgewinne bei den Produzenten in vielen Branchen, teilweise in astronomischer Höhe. Das freut die Inhaber der DAX-Papiere und anderer Aktien, aber nicht die Mehrheit, die gar keine Möglichkeit hat, an dieser künstlich angetriebenen Hausse teilzunehmen, die überwiegend aus Krisengewinnen generiert wird.

Insofern ist es auch okay, dass die Ampel für ihre Art der Regierungsarbeit abgestraft wird. Der Dilettantismus in manchen Ministerien ist da bloß noch der gefühlte Gipfel des Berges. Er weist aber auf etwas anderes hin, was uns langfristig noch sehr beschäftigen wird: Die weiterhin entsetzlich planlose Wirtschaftspolitik in diesem Land. Die Politik ist es hier schlicht nicht gewöhnt, strategisch zu denken und lässt sich von Partikularinteressen und deren Vertreter:innen an der Nase herumführen. Wenn zusätzlich zur Inflation auch noch massiv wertvolle Arbeitsplätze verlorengehen, wird sich zeigen, wie groß das Desaster wirklich ist, dessen Wurzeln so lange zurückliegen. Wurzeln, die man bis mindestens in die Ära Kohl zurückverfolgen kann.

Im Grunde ragen sie bis in den Gründungsmythos der BRD hinein. Der besagt, dass die Wirtschaft am besten läuft, wenn man sie einfach machen lässt. Das stimmte nie so ganz, der Eindruck entstand vor allem durch die Sonderbedingungen der beiden ersten Nachkriegsjahrzehnte. Heute stimmt es weniger denn je, wenn man genauer hinschaut. Es wird aber politisch immer noch so unbedarft und liebedienerisch dem Kapital gegenüber gehandelt wie damals. Das ist tödlich für den Wohlstand der Mehrheit in diesem Land. Wir haben uns in letzter Zeit einige schöne internationale Statistiken zu wirtschaftlichen Gegebenheiten angeschaut. Ganz vorne dabei ist Deutschland nur beim Alkoholkonsum der Bevölkerung. Na denn Prost, solange der Stoff, aus dem die Alltagsfluchten gemacht sind, noch bezahlbar ist.

TH

Über die enorme Lebensmittelinflation von 22,3 Prozent im März 2023 haben wir bereits berichtet und dabei auch erwähnt, dass dies gerade im Bereich günstiger Waren noch nicht das Ende der Fahnenstange ist, weil gerade sie von diesem Auftrieb besonders betroffen sind.

Wie die Politik die Menschen in den Ruin treibt – Nahrungsmittelinflation bei 22 Prozent | Briefing 173 – DER WAHLBERLINER

 Das heißt, die Discounter- und Eigenmarken der Lebensmittelhändler ziehen noch deutlicher an, und das trifft vor allem Menschen, die nach Jahren der realen Kaufkraftverluste schon kaum noch finanziellen Spielraum verbuchen konnten, bevor die Inflation jetzt richtig zugeschlagen hat.

Im vergangenen September haben wir uns dem Thema schon einmal gewidmet, damals lag die Lebensmittelinflation bei 15 Prozent:

Lebensmittelinflation fast 15 Prozent +++ Wende in der Ukraine? +++ Heißer Herbst +++ Wo die Leoparden brüllen +++ Atomkraftstreckung +++ CDU-Parteitag, soziales Jahr +++ Royals und Normalmenschen | Briefing 29 – DER WAHLBERLINER

Nun folgen die Konsequenzen. Der Lebensmitteleinzelhandel und der Einzelhandel im Ganzen haben die größten realen Umsatzrückgänge seit 1994 zu verkraften. Das Jahr folgte auf die Rezession von 1993, die wir als „Wiedervereinigungskater“ bezeichnen möchten.

Die Hauptursache dafür sind die hohen Lebensmittelpreise, die um 22,3 Prozent gestiegen sind. Vor allem ärmere Familien sind davon betroffen und müssen bei der Qualität ihrer Nahrungsmittel sparen. Der Artikel zitiert den wissenschaftlichen Direktor des IMK, Sebastian Dullien, der diese Entwicklung für bedenklich hält und eine Erholung des privaten Konsums erst ab 2025 erwartet. Der Artikel nennt auch einige Faktoren, die die Kaufkraftverluste der Verbraucher mildern könnten, wie höhere Löhne und Inflationsausgleichprämien. Der Artikel schließt mit einem Ausblick auf die schwierige Lage des Einzelhandels, der einen realen Umsatzrückgang von 8,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat verzeichnet hat. Im Lebensmittelbereich waren es 10,3 Prozent.

Verbraucher sparen deutlich bei Lebensmitteln – Größtes Umsatzminus seit 1994 (msn.com)

Fünf verlorene Jahre für die Verbraucher, sagte Sebastian Dullien vom IMK. Da kommt es höchst ungünstig, dass Kanzler Scholz gerade gesagt hat, dass man nicht ewig den Preisauftrieb durch Subventionen wird dämpfen können. Nein, das wohl nicht, da stimmen wir sogar zu. Also muss endlich, wie in vielen anderen Ländern, der Preistreiberei selbst, mit der exorbitante Gewinne für Konzerne erwirtschaftet werden, eine Grenze gesetzt werden. Die Subventionen heizen die Inflation ja weiter an und wer an diesen Subventionen nicht teilnimmt, hat das Nachsehen. Aber das Wort Preisdeckel geht im neoliberal versifften Deutschland ja überhaupt nicht, wie man schon an der Diskussion um die Mieten gesehen hat.

Lieber lässt man die Leute auf der Straße sitzen. Oder hungern. Vielleicht lässt sich der Preisauftrieb im Moment noch durch den Kauf der günstigsten aller günstigen Produkte auffangen oder mit einem konsequenten Angebotsmanagement, für das man aber schon wieder fit und mobil und bei der Zuhilfenahme moderner Technik einigermaßen auf der Höhe sein muss. Schlechte Voraussetzungen gerade wieder für die Ärmsten, während Wohlhabende sich einen Spaß daraus machen können, diesen auch noch die Schnäppchen wegzujagen, weil sie häufig etwas schneller und mit größerer Reichweite agieren können. Wenn also für die Armen, und das werden ja immer mehr, die Spielräume ausgereizt sind  und an den Tafeln, die ja keine Staatsersatzleistungen sein sollen, auch kein Platz mehr ist, was dann?

Dann wird es Umsatzrückgänge geben, die tatsächlich darauf zurückzuführen sind, dass Menschen hungern. Wir haben darüber schon 2021 geschrieben, im Rahmen der auffälligen Veränderungen im Kaufkraftgefüge während Corona. Was jetzt läuft, übertrifft die damaligen Verwerfungen aber bei weitem.

Wir nehmen auch gerne mal uns selbst als Beispiel, natürlich ohne konkrete Summen, weil wir uns dann doch nicht komplett in die Karten schauen lassen wollen.

Seit dem Jahr 2020 haben wir unser monatliches Einkaufsbudget für den Grundbedarf um exakt 40 Prozent erhöht. Im Jahr 2023 wollten wir den Budgetzuwachs auf 5 Prozent begrenzen, aber Ende 2022 war längst klar, dass das wieder nichts wird, also haben wir noch einmal 10,5 Prozent zugegeben. Eigentlich sind es seit 2023 mehr als 40 Prozent Plus, weil ab 2022 variable, „leistungsbezogene“ Budgetanteile hinzugekommen sind, die aufaddiert werden und bisher vor allem mit sportlicher Tätigkeit einhergehen. Wenn die daraus erwachsenden Anteile aus Wetter- oder Gesundheitsgründen etwas schmal ausfallen, sind es aber immer noch ca. 45 Prozent mehr, die wir monatlich für den Grundbedarf ausgeben, als das 2020 der Fall war, in guten Monaten jedoch über 50 Prozent mehr.

Und wissen Sie was? Es tritt nicht etwa Entspannung an der Ausgabenfront ein, sondern wir müssen immer härter kalkulieren.

Das kommt auch daher, dass die Inflation künstlich kleingerechnet wird. Nicht jedes Jahr kauft man einen neuen Fernseher, nur, weil die Fernseher immer günstiger werden, insbesondere aufgrund der nach  unserer Ansicht falschen Verrechnung des technischen Fortschritts mit den Preisen für real beziehbare Modelle. Wir haben schon seit Längerem beim Grundbedarf eine viel höhere Inflation als die zuweilen kaum der Rede werte Gesamtteuerung während der 2010er, aber hellhörig wurde die Öffentlichkeit erst, als sie zweistellige Werte erreichte.

Der Internet-Handel bricht ja nun auch ein, obwohl er von dem generellen Trend zum online bestellen profitiert. Dieser Zuwachs  war auch bei uns vor allem seit dem ersten Corona-Jahr 2020 zu verzeichnenl und läuft außerhalb des oben erwähnten Budgets, weil er in der Regel nicht den Grundbedarf betrifft.

Genau da haben wir jetzt auf die Bremse getreten, weil es nicht mehr anders geht. Wir werden im Jahr 2023 vermutlich um ca. 50 Prozent weniger für Versandartikel ausgeben als 2022, um nicht bei den nächsten Strom- und Gasrechnungen baden zu gehen, obwohl wir uns einkommenseitig immer ein wenig voran bewegt haben, in den letzten Jahren. Reicht aber alles nicht.

Unser ver… Stromprovider knöpft uns seit April 85 Prozent mehr ab als letztes Jahr und wir kommen gegenwärtig nicht aus dem Vertrag raus. Der Zeitpunkt der Preiserhöhung war sehr schlau angesetzt, weil damals alle ihre Geschäft mit der Lage gemacht haben, während Neukunden mittlerweile wieder deutlich günstiger abschließen können. Ohne die Strompreisbremse hätten wir sogar eine Teuerung von 110 Prozent, auf dem Energiesektor. Wir profitieren also in geringem Umfang von einer Subvention, fahren dabei megaschlecht, anstatt, dass endlich der Deckel auf die Preise getan wird. Und das nach Jahren einer zwar nicht kompletten, aber doch spürbaren Optimierungsstrategie.

So entstehen Umsatzverluste für den Handel. So entsteht Politikverdruss, wenn nicht Politikverachtung, bei den Verbraucher:innen. Denn diese Preisspirale, die sich bei hohen Lohnabschlüssen fortsetzen könnte, hat die Politik ganz alleine verschuldet. Sie ist nicht marktbedingt, sondern beruht auf der Spekulation der Konzerne, den Ukrainekrieg weidlich ausnutzen zu können. Was sie tun, so sehr es geht. Diesen Typen, die uns versorgen sollen, sind wir in Wirklichkeit ziemlich egal. Was geht, wird durchgezogen.

Symbolisch steht dafür im Moment der Preiskampf von EDEKA, die mit nicht weniger als 17 Produzenten im Clinch liegen. Vielleicht lässt das genossenschaftliche Modell es nicht zu, dass die Preise so gestaltet werden wie bei den Konzernfilialisten, aber bisher waren bestimmte Produkte überall zum gleichen Preis zu haben. Die Absprachen waren deutlich zu bemerken. Jetzt kämpft EDEKA also für alle, wenn sie sich gegen die Hersteller stemmen. Wir wollen das nicht idealisieren, aber dass dieser Kampf von einer Einkaufsgenossenschaft gewagt wird, nicht von einem Konzern, dass man dafür riskiert, noch mehr Umsatz wegen der Auslistung beliebter Produkte zu verlieren als die Konkurrenz, ist im Grunde typisch. Da gibt es einen gewissen Unterschied bei der Herangehensweise an das gesamte Thema Lebensmittelversorgung. Deswegen bleiben wir auch solidarisch und kaufen trotz des Fehlens einiger Produkte überwiegend bei EDEKA, wenn es um Lebensmittel geht. Wir finden, EDEKA sollte viel mehr mit diesem Kampf an die Öffentlichkeit gehen. Aber das wird vermutlich deshalb nicht in der möglichen Lautstärke getan, weil man sich ja doch irgendwann wieder einigen will. Es ist eben doch wieder anders als Mieter vs. Vermieter.

All das aber geht an unsere Existenz. Die Ökonomen haben wieder einmal Fehlprognosen abgegeben, laufen aber erneutin die Falle, weil sie den Substanzverlust der letzten Jahre unterschätzen. Wir glauben nicht, dass sich der Handel so schnell erholen wird, denn wo nicht genug Reserve ist, um Preisaufschläge abzufangen, da ist eben nicht genug Reserve, zumal man Lebensmittel nicht auf Raten kaufen kann. In der Regel jedenfalls. Und die Lohnerhöhungen decken im Moment nicht die Inflation ab. Im Jahr 2022 gab es mit 4,1 Prozent den höchsten Reallohnverlust seit dem Bestehen der Bundesrepublik. Wenn vor allem die Kerninflation sich nicht dämpfen lässt, die derzeit bei über 5 Prozent liegt, was in diesem Bereich sehr viel ist, werden die Lohnzuwächse, die gerade vereinbart worden sind, bald wieder aufgezehrt sein, im wörtlichen und übertragenen Sinne.

Dass ein gewerkschaftsnahes Institut wie das IMK heraushebt, was die Gewerkschaften gerade für ihre Mitglieder und alle tarifgebundenen Arbeitnehmer:innen erreicht haben, verstehen wir. Aber die Lebensmittelinflation ist und bleibt derzeit 3-mal höher als der höchste Lohnabschluss und mehr als doppelt so hoch wie die Erhöhung, die mit der Umstellung von Hartz IV auf Bürgergeld kam. In dem Bereich wurde außerdem jahrelang zuvor alles künstlich kleingerechnet, sodass diese Erhöhung ebenfalls  schon lange nicht mehr die Inflation abdeckt. An der Grenze des Existenzminimums ist eine solche Entwicklung besonders bedenklich.

Jetzt rächt sich, dass seit Jahren am unteren Ende gespart wird, während woanders das Geld wirklich sehr locker sitzt, zum Beispiel jetzt wieder bei den Militärausgaben. Krieg und Spiele wären ja möglich, wie der Umgang anderer Staaten mit der Krise belegt, aber in Deutschland heißt es Krieg statt Brot. Das ist nicht einmal eine Pointierung, denn Brot zählt zu den Lebensmitteln, bei denen die Teuerung am schärfsten zu spüren ist. Wir würden ja mehr Kuchen anstatt Brot essen, aber der Kuchen geht leider denselben Inflationsweg wie das Brot.

Auf dem Gebiet für Dämpfung sorgen, geht für die Politik gar nicht. Weil dies eben ein neoliberal vergurktes Land ist, in dem von Jahr zu Jahr Menschen weniger zählen und Profite für wenige das Mantra ist der herrschenden Kaste sind, der die Politik willig folgt.

Endlich erreicht die Botschaft aber auch die Wähler:innen der Grünen, denen es bisher offenbar komplett egal war, was Politikerfiguren wie Robert Habeck mit den weniger betuchten Menschen in Deutschland anstellen. Endlich gehen die Umfragewerte auch für diese Partei in den Keller. Klima können sie ja auch nicht, nebenbei bemerkt. Aber auch Kanzler Scholz muss aufpassen. Noch ein paar scholzige Äußerungen zu den Subventionen, die man nicht als missverständlich abtun darf, und die Ampelkoalition wird schon nach der laufenden Legislaturperiode Geschichte sein. Dann kriegen wir wieder eine CDU-geführte Regierung. Im Grunde ist das genau der Moment für erhebliches Selbstmitleid. Wir haben keine echte Alternative. Es sei denn, wir schauen nach links und engagieren uns für eine Politik, die neue Kräfteverhältnisse in ebenjener Politik entstehen lassen. Jedem, dem die eigene Zukunft und die seiner Nachkommen wichtig ist, empfehlen wir, genau das zu tun. Nicht dasitzen und denken: Ohgottogottogott, was soll das noch werden.

Okay, das lässt sich manchmal nicht vermeiden. Despressive Phasen sind derzeit absolut berechtigt, auch ohne diesbezügliche persönliche Disposition. Aber alle, die Kapazitäten, die Ressourcen dafür haben, raus und schauen, wo man sich einbringen kann. Die Politik wird es nicht für uns richten. Das hat sie noch nie getan, wenn es wirklich darauf ankam. Wir müssen die Politik geradebiegen, soweit das den verkrümmten Persönlichkeiten, die darin unterwegs sind, möglich ist. Oder sie austauschen. Passen Sie bitte mehr auf, wen Sie wählen! Wir wissen, es ist schwierig, denn von den aktuell im Bundestag vertretenen Parteien ist keine in der Lage, ein wirkliches Rezept anzubieten. Deswegen geht es ja auch darum, Politik neu zu denken. Mit zivilgesellschaftlichem Widerstand, nicht nur für den Klimaschutz. Und mit dem Bündeln von Kräften anstatt ideologischem Klein-Klein links von der SPD.

TH

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