AfD: 2024 stärkste Kraft in Ostdeutschland? (Umfrage, Verweise, Kommentar: Aufstieg, Gründe, Verbot der AfD) | Briefing 260 | PPP (Politik, Parteien, Personen), Gesellschaft

Briefing 260 | PPP, AfD, Wahlen in Ostdeutschland 2024

An der Diskussion über die AfD führt derzeit nichts vorbei, wenn man sich Gedanken über die Demokratie macht. Daher liegt es nah, dass bereits auf die Landtagswahlen im Osten der Republik vorausgeblickt wird, die im Jahr 2024 das politische Gesicht des Landes erheblich verändern könnten.

Civey-Umfrage: Für wie realistisch halten Sie AfD-Chef Tino Chrupallas Aussage, die AfD könne nächstes Jahr in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stärkste Kraft werden? – Civey

Wir hatten uns hier anhand des CDU-Verhaltens der AfD gegenüber zuletzt  Gedanken zum Thema gemacht:

Lässt der AfD-Hype nach? Blick auf die bröckelige Brandmauer der CDU: Vanilleeis und Kopftuch! +++ (…) | Briefing 253 Collection | PPP Politik, Personen, Parteien | Geopolitik – DER WAHLBERLINER

Heute haben wir einen guten Artikel zum Thema Friedrich Merz, die CDU und die AfD gefunden, es handelt sich um den Tagesanbruch von  T-Online:

Ein ungeheurer Verdacht (msn.com)

Darin wird in etwa die Meinung vertreten, die wir auch haben: Wenn z. B. auf kommunaler Ebene wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen, die auch im Sinne der Bürger sind, sollte es doch möglich sein, dafür Mehrheiten jenseits der AfD zu organisieren.

Nun zum Civey-Begleittext zur Umfrage:

Zum Auftakt des AfD-Parteitages bekräftigte der Co-Partei-Vorsitzende Tino Chrupalla den Machtanspruch seiner Partei. Angesichts der hohen Umfragewerte könne die AfD „Regierungsverantwortung übernehmen”, sagte er am Freitag in Magdeburg. Er sei optimistisch, dass die AfD nächstes Jahr bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stärkste Kraft werden könnte. 

Neben dem positiven Umfragetrend führte Chrupalla „Disziplin, Einigkeit und Harmonie” der Partei als Grund für den Erfolg an. Der Politologe Wolfgang Schroeder sieht das ähnlich. Für ihn wirke die Parteispitze seit Jörg Meuthens Austritt „konsolidiert”, sagte er am Wochenende der FAZ. Der ideologische Konflikt wurde „zugunsten des rechtsextremen Flügels” beseitigt. Auf dem AfD-Parteitag wurden Kandidat:innen wie Maximilian Krah auf die Liste für die Europawahl gesetzt, welche laut Verfassungsschutz „extremistisch” seien und „verfassungsfeindliche Positionen” vertreten, berichtete das Handelsblatt. 

Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang kritisierte die AfD vorgestern in der ARD als „unsoziale Partei, die destabilisieren wolle”. Sie verwies auf den von mehreren Parteimitgliedern geforderten EU-Austritt Deutschlands, was ihr zufolge ein wirtschaftliches Fiasko wäre. CSU-Chef Markus Söder forderte die Union in der Welt am Sonntag erneut auf, sich klar von den der AfD abzugrenzen und auf die eigenen Stärken zu konzentrieren. Zugleich sollte man den ostdeutschen Ministerpräsidenten dafür „mehr inhaltliche Beinfreiheit” zugestehen.

Die AfD hat sich also nach rechts konsolidiert, wie nach jeder ihrer Führungskrise. Keine Überraschung insoweit. Aber wir werden in der Schlussfrage noch einmal darauf zurückkommen. Es wird auch 2024 möglich sein, im Osten ohne die AfD zu regieren, denn eine absolute Mehrheit wird sie nirgends erlangen. Wir haben zwar mit „überwiegend wahrscheinlich“ gestimmt, was die Möglichkeit angeht, dass die AfD in dem einen oder anderen dieser Länder stärkste Partei werden wird, aber das heißt nicht, dass man sie regieren lassen muss. Es in den oben verlinkten Artikeln kommt die Gegenmeinung nicht zu Wort, die etwa so lautet: Wie wirkt eine Demokratie auf die Menschen, in denen von der CDU über die FDP, die SPD und die Grünen bis hin zur Linken sich alles bis sonstwohin verbiegen müssen, nur um gemeinsam die AfD von der Macht fernzuhalten?

Es wäre vielleicht gar nicht so falsch, eine Lagersituation entstehen zu lassen, wie es sie früher einmal gab: Auf der einen Seite die AfD, die FDP und die Union und auf der anderen Seite die linksbürgerlichen oder mittigen Parteien. In der Union gibt es aber viele, die diesen Kurs ihrer Parteispitze wohl nicht mittragen würden und die für sich in Anspruch nehmen können, mit einem mittigeren Kurs Wahlen gewonnen zu haben, wie Hendrik Wüst in NRW und Daniel Günther in Schleswig-Holstein. Aber das war eben im Westen. Ob das im Osten auch funktionieren würde, weiterhin einen Kurs à la Merkel zu fahren?

Wir haben Zweifel. Die CDU ist von allen Parteien derzeit in der schwierigsten Lage und in die hat sie sich gebracht, weil sie das Entstehen der AfD befördert hat. Die Gründe dafür geben wiederum eher den Diskussionteilnehmer:innen recht, die kritisieren, dass die CDU nach rechts eine zu große Lücke gelassen hat. Oder hätte auch eine viel mehr rechts wirkende Kanzlerperson, als Angela Merkel es war, diese Erweiterung des Parteienspektrums nach rechts nicht hätte verhindern können? In den meisten europäischen Ländern gibt es Parteien, die in etwa die Positionen der AfD vertreten, was vor 20, 30 Jahren noch nicht der Fall war.

Wir befürchten, da ist etwas im Gang, was jenseits wahltaktischer Überlegungen in Bezug auf die CDU liegt. Es gibt eine große Reserve von Menschen im Land, die zum Beispiel zuletzt oder schon länger überhaupt nicht mehr gewählt haben. Das sind ganz sicher eher konservative und rechte Bürger:innen als Linke, denn auf der linken Seite ist der Mobilisierungsgrad auch dann hoch, wenn keine Partei so recht passen mag, wie zuletzt bei uns. Die CDU ist zwar noch die größte Partei in Deutschland nach aktuellen Umfragen, aber sie hat von allen das größte Dilemma: Sie kann noch erheblich an Wähler:stimmen verlieren, während z. B. SPD und Linke schon ziemlich ausgezehrt sind und die FDP ihre Kernwählerschaft von 6-8 Prozent wohl in den meisten Fällen für sich gewinnen oder zurückgewinnen wird. Die Grünen müssen zwar nicht befürchten, viele Stimmen an die AfD zu verlieren, dafür haben sie ihr Potenzial aber derzeit ausgeschöpft. Die meisten, die mit den Grünen sympathisieren, werden auch wirklich zu den Wahlen gehen, aber wenn die einst durchaus linke Partei nicht anfängt, sozialere, kompetente und weniger elitär wirkende Politik zu machen, ist unter gegenwärtigen Umständen nicht viel mehr zu holen, als sie derzeit in Umfragen erzielen, 14 bis 15 Prozent. Im Osten wesentlich weniger, dort werden sie als Gegenmodell zum Rechtstrend auch kaum wahrgenommen und werden die Landtagswahlen 2024 mit ihren Themen vermutlich nicht dominieren.

Wir finden den oben verlinkten T-Online-Artikel also gut, weil er schlüssig wirkt, nicht, weil man nicht in die andere Richtung ebenso schlüssig argumentieren könnte. Vor allem sollte man einen Fehler nicht machen: Die Aggressionen unterschätzen, die sich besonders im Osten angestaut haben, aber nicht nur dort. Die Gereiztheit der Menschen macht sich nach unseren Beobachtungen gar nicht so sehr daran fest, dass nun im Alltag alle übereinander herfallen, sondern eher darin, dass man immer mehr aufpassen muss, wenn es um Politik geht, dass daran nicht Freundschaften zerbrechen. Bei uns hat sich das erstmals anhand des Themas Corona gezeigt, aber es setzt sich jetzt mit dem Ukrainekrieg fort und mit dem Klimawandel und was es sonst noch an Krisengegenständen gibt.

Die AfD ist demagogisch, das Wort fehlt in den meisten Diskussionsbeiträgen. Sie leugnet alles, was den Menschen Angst macht, als nicht existent und damit liegen ihre billigen Lösungen auf der Hand: Was es nicht gibt, das muss auch nicht zu Verhaltensänderungen führen. Man kann sich also ganz darauf konzentrieren, Europa zur Festung zu machen, beispielsweise. Wo es keine Migrationsbewegungen aus Klimagründen gibt, da gibt es auch keine Notwendigkeit, Menschen in Not zu helfen. Selbst, wenn sich das alles nicht mit extrem rechten Positionen, mit Rasissmus und Faschismus, verbinden würde, wäre es aufgrund der Tatsache gefährlich, dass in Deutschland viel zu wenig zukunftsorientiert gedacht wird und die AfD suggeriert, das sei genau richtig so. Und leider hat die Regierung Merkel sehr wohl daran einen Anteil, weil sie trotz oder gerade wegen ihrer gefühlten Mittigkeit, wohl eher aber wegen ihrer Gefälligkeit und der Tatsache, dass Opportunismus geschätzt wird, solange er nicht mit Veränderungen verbunden ist, die Menschen eingelullt hat, anstatt sie für die anstehenden Aufgaben zu sensibilisieren und aus diesen Aufgaben eine positive Vision für die Zukunft zu entwickeln. Leider hat sich daran mit der Ampel wenig geändert. Es wird reagiert, nicht agiert, es sieht alles nach Stückwerk aus, nicht nach einem Konzept. Und so sehr wir Olaf Scholz dafür schätzen, dass er in Sachen Ukrainekrieg rhetorisch auf dem Boden bleibt und so vorsichtig ist, wie es unter gegebenen Umständen möglich ist, seine Nachteile kommen an dieser Stelle zutage: Wo es darum geht, Menschen zu begeistern für den notwendigen Wandel und um Vertrauen dafür zu werben, dass eine aktive, veränderungswillige Politik die einzige ist, die dafür sorgen kann, dass sich eben nicht zu viel ändert. Klingt vielleicht paradox, aber es geht ja um die Lebensqualität, und die lässt sich nur bewahren, wenn an einigen Stellschrauben jetzt erheblich gedreht wird.

Wenn die anderen Parteien aber jetzt aus Angst vor der AfD nicht mehr wagen, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen, dann hat die AfD bereits ein wichtiges Ziel erreicht, nämlich diesem Land zu schaden, indem sie zur Desintegration der Gesellschaft beiträgt. Die Überlegungen, wie der Rechtstrend gestoppt werden kann, gehen aber über die AfD hinaus, die ja nur ein Phänomen dafür ist, dass etwas in dieser Gesellschaft grundlegend falsch läuft. Dazu hat die CDU natürlich viel beigetragen, aber viele haben es sich auch zu bequem gemacht und waren froh, von der Politik weitgehend unbehelligt zu bleiben. Da werden wir uns jetzt etwas anderes einfallen lassen müssen, wir können es nicht der CDU und deren Umgang mit der AfD überlassen, ob die Demokratie des Landes fällt oder stehen bleibt. Vielleicht geht die Diskussion endlich in eine progressivere Richtung, wenn es tatsächlich so kommt, dass 2024 im Osten das System ins Wackeln gerät. Dann wären diese Wahlen der Höhepunkt der AfD-Entwicklung, aber auch der Wendepunkt. 

Oder sollte man sie doch verbieten lassen? Einen Fall wie die AfD gab es bisher in der BRD nicht. Sie wurde immer stärker, je weiter sie nach rechts rückte. Jetzt, so sie in Teilen als verfassungsfeindlich gilt, ohne dass das für die Gesampartei festgestellt wurde, ist sie so erfolgreich, dass die Demokratie durch ihr Verbot ebenso viel Schaden nehmen könnte wie dadurch, dass man sie weiter wachsen und weiter nach rechts rücken lässt. Eine ganz ungünstige Konstellation, demokratietechnisch gesehen, auch wenn man sich aus verfassungsrechtlicher Sicht geradezu wünschen müsste, dass sie so eindeutig verfassungsfeindlich ist, dass ein Verbot gar nicht ausbleiben kann. Und selbst dann, wenn diese Verfassungsfeindlichkeit einwandfrei festgestellt ist, heißt das noch nicht, dass im Falle eines Verbots die Demokratie nicht ebenso erheblichen Schaden nehmen würde wie im Falle eines Trotzdem-Nichtverbots. Um zumindest dies klar zu sagen: Der Aufstieg der AfD wäre nur durch bessere Politik der anderen Parteien zu verhindern gewesen, nicht durch das BVerfG zu einem Zeitpunkt, in dem die Verfassungsfeindlichkeit für die Gesamtpartei nicht ganz eindeutig hätte festgestellt werden können. Das BVerfG ist nicht dazu da, Politikfehler und Defizite auch bei den sogennanten demokratischen Parteien auszugleichen, wie es im Wege seiner Entscheidungen zu anderen Themen schon festgestellt hat. Wir sind in dieser Sache allerdings nicht so zwiespältig, wie sich der Absatz lesen mag, wir weisen nur auf die Gefahren hin, die dadurch entstanden sind, dass die anderen es nicht geschafft haben, die AfD kleinzuhalten. Wir sind klar dafür, die AfD verbieten zu lassen, wenn das BVerfG es gut begründen kann. Gerade bei einer Partei, die man im Osten schon fast als Volkspartei bezeichnen kann, muss diese Begründung aber unumstößlich sein und wir hoffen, dass dabei dem BVerfG nicht seine Änderung in Sachen Rechtsprechung zum Parteienverbot auf die Füße fallen wird, die es in der Causa NPD vorgenommen hat: Einst reichte die verfassungsfeindliche Haltung einer Partei aus, um ein Verbot zu begründen, im Fall der NPD spielte plötzlich auch die Relevanz eine Rolle. Sie sei zu klein, um verboten werden zu müssen, hieß es, kurz zusammengefasst. Beobachter:innen gehen aber davon aus, dass sie nicht verboten wurde, weil sie gespickt mit V-Leuten des Staates ist, die dann möglicherweise aufgeflogen wären. Im Falle der AfD wäre es dann nämlich so: Nicht nur die Verfassungsfeindlickeit, sondern auch die Relevanz würde eine Rolle beim Verbot spielen, wenn Ersteres der Fall ist, denn Letzteres ist ganz unzweifelhaft gegeben. Das würde aber bedeuten, dass man die AfD auch deshalb verbietet, weil sie so erfolgreich ist, anders als die NPD, die man hat bestehen lassen, weileh kaum jemand sie wählt, Verfassungsfeindlichkeit hin oder her. Das meinen wir, wenn wir von einer Lage sprechen, in der die Demokratie wohl auf jeden Fall Schaden nehmen wird, egal, wie man nun weiter mit der Partei verfährt. Das BVerfG ist an dieser Zwangslage, genau wie die Politik, nicht unschuldig. 

Beheben lässt sich dieser Demokratieschaden nur durch eine gemeinsame Anstrengung einer Zivilgesellschaft, die aktiver werden muss, nicht durch die gegenwärtige, uninspirierte Politik und auch nicht durch ein Gericht, dass durchaus dazu neigt, opportunistische Entscheidungen zu treffen, die auch damit zu tun haben, dass es nicht mehr die unanfechtbare Stellung als letzte Instanz der Grundrechtebewahrung hat wie in seiner von epochalen, wenn auch oft kontrovers diskutierten Urteilen geprägten Anfangszeit. Hinter dem Schaden, den die AfD anrichtet, werden also weitere Schäden sichtbar, die nicht so sehr öffentlich diskutiert werden und die mit einem Verlust an Qualität und Ernsthaftigkeit bei der Bewahrung der Demokratie und der im GG niedergelegten Staatsprinzipien zu tun haben. 

TH

 

 

 

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