Gorky Park (USA 1983) #Filmfest 1020

Filmfest 1020 Cinema

Der Zobel, der Mensch: hautlos

Gorky Park ist ein US-amerikanischer Thriller aus dem Jahr 1983. Der Regisseur war Michael Apted, das Drehbuch schrieb Dennis Potter anhand des Romans Gorki Park (Originaltitel: Gorky Park) von Martin Cruz Smith. Die Hauptrollen spielten William HurtLee Marvin und Brian Dennehy.

Von Regisseur Michael Apted haben wir bisher „Gorillas im Nebel“ rezensiert, der fünf Jahre nach „Gorky Park“ entstand, berühmt wurde der Regisseur mit der Countrysängerinnen-Biografie „Coal Miners Daughter“ / „Nashville Lady“ (1980), mit der Sissy Spacek zum Star wurde. Im Vergleich mit diesen beiden Werken wirkt „Gorky Park“ uneben. Die erste Hälfte des Films ist von seltsamen Dialogen gekennzeichnet, die zweite von einem Krimigeheimnis, das immer neue Wendungen aufeinander türmt. Fairerweise muss man sagen, am Ende löst sich alles noch recht logisch auf – zumindest plotseitig. Ob die Handlungsweise der Figuren nicht doch etwas zu unprofessionell ist, für dermaßen versierte Geheimdienstler, wie sie hier auftreten, darf man sich trotzdem fragen. Aber nur, wenn man die Herangehensweise des Mediums Film an die Realität des Verbrechens generell in Frage stellen möchte. Tun wir das? Auf jeden Fall steht mehr zum Film in der –> Rezension.

Handlung (1)

Im Moskauer Gorki-Park werden drei Leichen mit enthäuteten Gesichtern gefunden, die jemand mit jeweils einer Kugel aus einer KGB-Waffe erschossen hat. Die Ermittlungen führt der russische Polizist Arkady Renko, Sohn eines Generals. Er wird schnell auf den Amerikaner William Kirwill und die Russin Irina aufmerksam. Es stellt sich heraus, dass Kirwill der Bruder eines der Opfer ist und den Mörder sucht.

Renko bittet Professor Andreev darum, anhand der Schädel der Opfer ihre Gesichter zu rekonstruieren. Andreev sagt zuerst, er würde keine Aufträge für die Miliz oder für den KGB ausführen. Renko appelliert an die Eitelkeit des Professors und Andreev willigt schließlich ein.
Renko lernt den Unternehmer Jack Osborne im Zuge einer Einladung kennen und stellt fest, dass Irina ebenfalls anwesend ist. Nach einigen Ermittlungen findet Renko heraus, dass Irina mit den Mordopfern befreundet war und fest glaubt, dass diese in die USA ausgewandert sind. Renko und Kirwill stellen jedoch fest, dass hinter den Morden Osborne selbst steht, der mit Pelzen handelt. Er will lebende russische Zobel ins Ausland schmuggeln und dort züchten. Die späteren Mordopfer halfen ihm dabei, die Zobel nach Stockholm zu schmuggeln, und wurden dabei mit dem Versprechen der Ausreise getäuscht. Osborne konnte aber keine weiteren Zeugen gebrauchen. (…) 

Rezension 

Zu den Mängeln des Films zählt, dass die Klimax  wenig überzeugend gefilmt ist. Das liegt vor allem an Lee Marvins Western-Attitüde, mit welcher er einen ziemlich unwahrscheinlichen und unökonomischen Schusswaffengebrauch pflegt. Dafür ist nachfolgende letzte Einstellung, in der William Hurt die gefangenen sechs Zobel freilässt, ein Fest für Tierschützer und beinahe emotionaler als sein Abschied von Irina.

Die Frage, ob gewisse Befremdlichkeiten per Drehbuch in den Film hineingeschrieben wurden, stellt sich natürlich, vor allem dort, wo das Buch zu Ausführungsdetails schweigt. Ein Problem stellt sich glücklicherweise in der deutschen Version nicht: Die Idee, dass die Russen im Film britisches Englisch, die Amerikaner amerikanisches Englisch sprechen, um sie besser unterscheidbar zu machen und dass es offenbar gewisse Unzulänglichkeiten in der Gestaltung der Sprachverwendung dieser Anglo-Russen gibt, fällt weg, in der deutschen Version gibt es keine solchen Unterschiede, wie auch immer sie hätten arrangiert werden können.

Jenseits der etwas flirrenden Handlungselemente und Verhaltensweisen der Figuren muss man sich vergegenwärtigen, dass es sich um einen Film aus der letzten Phase des kalten Krieges handelt. Leonid Breschnew, der langjährige Kreml-Chef, war gerade verstorben, die Ungewissheit über die weitere Entwicklung der Sowjetunion groß, in den USA hingegen war jener Ronald Reagan seit 1981 Präsident, dem man hierzulande gerne mal zutraute, den dritten Weltkrieg zu entfachen – vor allem, bevor er dann den Weg der meisten Realpolitiker ging, etwas ruhiger zu werden, dies vor allem in seiner zweiten Amtszeit. Doch die kalte, leere Atmosphäre jener politischen Hängepartie, befördert von einem beinahe katastrophalen Zwischenfall im Wege der NATO-Übung „Able Archer“ im selben Jahr, in welchem der Film entstand, die spürt man hier deutlich.

Die Realität war auch in Person der weiblichen Hauptdarstellerin Joanna Pacula präsent: Die junge polnische Aktrice war gerade auf einem Gastspiel in Paris, als die polnische Militärregierung das Kriegsrecht verhängte, und sie konnte nicht mehr in ihr Land zurückkehren. Ihr Spiel als vom System verfolgte Studentin hat somit etwas Grundnatürliches. Ob William Hurt als junger russischer Miliz-Offizier ähnlich konsistent wirkt, ist nicht so einfach zu beantworten. Man sollte sein zurückhaltendes Spiel nicht für der „russischen Seele“ entgegenstehend nehmen. Gerade heute nicht, wenn man sich zum Beispiel den aktuellen russischen Präsidenten Putin anschaut, der in der Breschnew-Ära sozialisiert wurde. 

Gewisse Ähnlichkeiten bezüglich der bürokratischen Aura sind unverkennbar, und zu Beginn des Films ist Arkady ein zudem etwas hochmütiger Apparatschik und Sohn eines Generals, voll integriert ins sowjetische System. Aber gerade deswegen kann er es sich wohl erlauben, mit den KGB-Leuten so rüde umzugehen, dass man daraus durchaus ein Glaubwürdigkeitsproblem destillieren kann. Nach unserer Ansicht beherrscht William Hurt, der damals dem Höhepunkt seiner Karriere zustrebte („Der Kuss der Spinnenfrau“, 1985; „Gottes vergessene Kinder“, 1986; „Die Reisen des Mr. Leary“, 1989) diesen kühlen, aber aufrechten Typ, der sich am Ende emotional so sehr einlässt, dass er die eigene mögliche Freiheit für die einer Frau aufgibt – auch bezüglich dieses Ende gibt es bei genauer Betrachtung mehr als nur ein Logikproblem –  sehr gut. Besser gar, als die Amerikaner, die Amerikaner spielen, ihre Rollen ausgestalten.

Wobei man immer zwischen dem Spiel und der Auslegung der Figuren unterschieden muss. Bei Brian Dennehy als US-Cop vereinigt sich beides zu einem Stereotyp, was darin gipfelt, dass immer wieder mal festgestellt wird, dass Arkady ein guter Kerl sei, damit das Publikum nicht doch die Orientierung verliert und der Film nicht zu bedrohlich wirkt. Lee Marvin mit seiner verwitterten Ausstrahlung hingegen ist trotz der teuren Klamotten, die er hier trägt, inklusive einer Zobelmütze, für uns nicht die Idealbesetzung eines smarten und skrupellosen US-Geschäftsmanns, der mit der damaligen sowjetischen Monopolgesellschaft für den Pelzhandel Geschäfte macht und die Genossen auch noch hintergeht, indem er versucht, lebende Zobel illegal in die USA zu schaffen. Für diesen Part hätte ich  mir einen weniger kernigen, simpel wirkenden, glatteren Typ gewünscht.

In dieser Rolle und in vielen anderen Details äußert sich die Naivität des Films, die auf eine Grundschwäche von fiktionalen Spionage-und Geheimdienstkrimis hinweist: Wenn sie ernsthaft sein wollen, können sie in vorgegebener Spielfilmzeit die komplexe, hochgradig komplexe und mit ausgedehnten Netzen durchwobene Wirklichkeit nur höchst unvollkommen abbilden und müssen demgemäß stark vereinfachen. Das macht die James-Bond-Filme auch so reizvoll: In ihnen ist die Ironie so deutlich sichtbar, dass man sich an den allfälligen Simplifizierungen, Unwahrscheinlichkeiten und Stereotypen kaum reiben mag. Eine weitere Möglichkeit ist es, von der Actionseite ans Genre heranzugehen. Das tun amerikanische Filme in der Regel und sind damit auf der sicheren Seite, weil das Zielpublikum diese Filme generell nicht sehr hinterfragt. Oder man baut Genrewerke vom Suspense her auf und reduziert die fürs Publikum relevanten Informationen auf ein Minimum, wie es Alfred Hitchcock in seinen besten Spionagethrillern überzeugend zu handhaben verstand. Dafür wiederum ist eine sehr subjektive Art des Filmens notwendig, von der auch einer der wenigen wirklich guten, „echten“ Spionagethriller profitiert: „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (1966). Die meisten anderen Filme des Genres haben uns bisher aber deshalb nicht begeistert, weil die Figuren, die sich im Top-Agentenmilieu bewegen, sich teilweise wie Amateure verhalten müssen, damit eine halbwegs kompakte und mit dem einen oder anderen Höhepunkt ausgestattete Handlung zustande kommt.

„Gorky Park“ ist aber eher wie ein Polizeifilm aufgebaut, also im Grunde darauf angewiesen, dass ein grausiges Verbrechen schlüssig ausermittelt wird. Polizeifilme, die sich in die Politik und die Geheimdienste hochschrauben, haben (ebenfalls) den unweigerlichen Nachteil, dass sie nicht stringent in gegebener Kürze erzählt werden können. Wir kennen dieses Phänomen aus der TatortAnthologie (heute integriert in „Crimetime“, Anmerkung i. W. der Wiederveröffentlichung 2023), bei diesem Format kommt es immer häufiger zur Involvierung aller möglichen Dienste – und  man spürt immer wieder die Unzulänglichkeit des Bemühens, deren Wirken pointiert und verständlich darzustellen.

Deswegen ist aber „Gorky Park“ kein schlechter Film. Obwohl man 1983 noch nicht in Russland selbst drehen konnte, kommt das Setting Finnland, das man hier verwendet hat, verblüffend der Atmosphäre nah, die man der Sowjetunion in ihren letzten Jahren zurechnet und die heute, im Glamour-Moskau, kaum noch nachvollziehbar scheint. Wo sie die vielen Ladas herbekommen haben, wissen wir nicht, vielleicht wurden ja tatsächlich einige nach Finnland exportiert, nicht nur in die DDR und in geringer Zahl auch nach Westdeutschland.

Die ersten Minuten bis zum Auffinden der enthäuteten Leichen ist tatsächlich gruslig und eisig, doch das Geplänkel zwischen den Ermittlern macht den Film dann schnell etwas kleiner. Das ist schade, bildet aber die Grundlage für die Spannung, die sich im Folgenden ergibt. Auch als der Professor an einem anthropologischen Institut seine Rekonstruktionen macht, kommt wieder echtes Schaudern auf. In einer Szene, in welcher er gerade seine Arbeit am ersten, weiblichen Opfer beendet hat, haben wir’s körperlich gespürt. Diese gespenstischen Momente sind selbstredend viel eindrücklicher und erinnern mehr an traditionelle Horrorfilme als die Computer-Rekonstruktionen, die mittlerweile von versierten Kriminaltechnikern vorgenommen werden können – und die nur den Schluss zulassen, dass man auf  keinen Fall die Köpfe von Leichen finden darf, wenn diese partout nicht identifiziert werden sollen. Selbst dann aber können DNA-Tests noch weiterhelfen, sofern die DNA der betreffenden Personen schon einmal erfasst wurde oder man einen Verdacht hat und Verwandte des möglichen Opfers untersuchen lässt.

Finale

Ein Ausnahmethriller ist „Gorky Park“ sicher nicht, aber er spiegelt gut die  Zeit, in welcher er entstanden ist. Das ist auch keine komplett vergangene Welt. Im Gegenteil, die Entwicklung, die Russland derzeit nimmt, lässt durchaus etwas von der Paranoia wiederauferstehen, die zu Beginn der 1980er Jahre, in den Zeiten des letzten Rüstungswettlaufs in der politisch bipolaren Welt herrschte. Der heutige Kapitalismus hat zwar alles mit einem typisch russischen, barocken Glanz überzogen, die Menschen und die Welt wirken nicht mehr so grau, zumindest nicht in Moskaus Innenstadt oder in den besseren Vierteln von St. Petersburg, aber politisch geht alles rückwärts. Heute könnte man wieder wunderbare Thriller machen, die den Verlust an Demokratie und Transparenz zu einer eisigen, unheimlichen Atmosphäre verdichten, in der Liebe und Vertrauen zunehmend unmöglich werden – und das nicht nur mit Russland als Schauplatz.

Anmerkung anlässlich der Wiederveröffentlichung 2023: Russlands Präsident Wladimir Putin hatte, als der Text geschrieben wurde, bereits die Krim annektieren lassen, aber der aktuelle Ukrainekrieg war damals noch nicht absehbar. In Russland selbst dürfte er eine Verstärkung der autoritären Rechtstendenz bewirken und vermutlich wird er auch die eklatante Ungleichheit weiter erhöhen, die davon spricht, dass man den punktuellen Glanz, der wohl auch weiterhin vorhanden sein wird, nicht mit der Lebenswirklichkeit der Mehrheitsbevölkerung gleichsetzen darf. 

71/100

© 2023, 2017, 2016 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Michael Apted
Drehbuch Dennis Potter
Produktion Bob Larson
Musik James Horner
Kamera Ralf D. Bode
Schnitt Dennis Virkler
Besetzung

 

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