Chinas Immobilien, Chinas Wirtschaft (Statista + Kommentar) | Briefing 413 | Wirtschaft, Geopolitik

Briefing 413 Wirtschaft, Geopolitik, China, Immobilienblase, Immobilienkrise, Aufstiegsgeschichte, Industrie, Gewinne

Wir haben schon eine Weile lang nicht mehr hinter die Kulissen der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt geblickt, von der die meisten annehmen, dass sie bald die größte sein wird. So viele andere Themen, Sie wissen schon. Aber es bleibt wichtig, was in China passiert.

Zuletzt war vor allem davon die Rede, wie China mit seinen Elektroautos etablierte Hersteller in Bedrängnis bringt, aber nicht alles läuft so rund, im Reich der Mitte, wie der Aufstieg von BYD & Co. Der immobilienmarkt ist seit Längerem im Gerede und es kam zu spektakulären Pleiten, die ein Ende des unbegrenzten Wachstums andeuten. Oder war es nur eine Konsolidierung nach stürmischer Expansion?

Infografik: Wie geht es Chinas Immobilienbranche? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Chinas Immobilienmarkt steht unter Druck. Wie die Statista-Grafik zeigt, pendelt die Zahl der fertiggestellten Wohnungen chinesischer Immobilienentwickler seit fünf Jahren um die Marke von sechs Millionen (siehe gelbe Linie) – trotzdem brechen im selben Zeitraum die Gewinne der Branche weg (rote Balken). Seit 2018 sind diese um 50 Prozent gesunken. Beobachter sprechen von einem Platzen der Immobilienbranche Chinas, was die Wirtschaftskraft des Landes beeinträchtigen würde. Datenbasis ist das National Bureau of Statistics of China.

Die Lage könnte sich Ende Januar weiter verschärfen: Dann wird in China darüber entschieden, ob der hoch defizitäre Immobilienentwickler Evergrande gerettet oder liquidiert wird. Medienberichten zufolge könnte auch eine geordnete Liquidation Chinas wirtschaftliche Erholung belasten. In China gäbe es ein massives Überangebot an Wohnungen, was zur Entstehung von Geisterstädten geführt habe.

China hat gestern für das Jahr 2023 ein Wirtschaftswachstum von 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gemeldet. Experten zweifeln allerdings an der Zahl. Möglichkeiten zur Schönfärberei gäbe es in einem autokratischen System wie dem chinesischen viele. Daher ist nicht auszuschließen, dass die in der Grafiken gezeigten, offiziellen Daten zu den Gewinnen und den fertiggestellten Wohnungen ebenfalls kein exaktes Abbild der wirtschaftlichen Entwicklung darstellen.

Immobilienentwickler sind mit der Aufgabe betreut, Flächen- und Gebäudepotenziale zu identifizieren und zu nutzen. Die daraus resultierenden Immobilien werden nach Fertigstellung weiterverkauft oder zahlen direkt auf den Wert des Immobilienportfolios eines Unternehmens ein.

Wissen Sie, was 6 Millionen Wohnungen pro Jahr sind? Auf deutsche Verhältnisse übertragen, also mit einer um den Faktor 15 kleineren Bevölkerung, die 400.000 Wohnungen pro Jahr, die die Bundesregierung bauen lassen wollte, wovon wir aber weit entfernt sind. Allerdings würden in Deutschland dadurch keine Geisterstädte entstehen, sondern die Wohnungsnot würde endlich etwas gelindert. Die Bevölkerung in Deutschland wächst, die Wirtschaft schrumpft, in China ist es umgekehrt.

Wir weisen allerdings seit Jahren auf ein Phänomen hin, das in autokratischen Systemen weit verbreitet ist und zu erheblichen Fehleinschätzungen der Ökonomien des Ostblocks vor der Wende geführt hat: Die Zahlen sind auf teilweise abenteuerliche Art geschönt. In Deutschland müsste uns das noch gut in Erinnerung sein, denn die DDR-Wirtschaft wurde aufgrund falscher Daten für viel stärker gehalten, als sie tatsächlich war.

Ob es in China schon so weit auseinandergeht zwischen offiziellen Zahlen und Realität, wissen wir nicht. Unser Gefühl: Man hat in den wirklich guten Zeiten ein bisschen Speck angesetzt, sich ein Polster geschaffen, das jetzt möglicherweise aufgezehrt wird, weil man während der stürmischen Entwicklung der 1990er und 2000er ein gewisses Interesse daran hatte, kein zu sehr explosionsartig wirkendes Wachstum darzustellen. Unter anderem, um weiter als Entwicklungsland zu gelten und dadurch Unterstützung von den Industriestaaten zu erhalten. Ob die Immobilienwirtschaft in Wahrheit vielleicht schon insgesamt defizitär ist, können wir also auch nicht sagen. Es gibt interessante Modelle wie die Messung des Energieverbrauchs, um den Statistikakrobaten auf die Schliche zu kommen, aber gerade das ist in Bezug auf China ein heikles Thema. Wenn der Energiehunger dieses Landes sich so weiterentwickelt wie bisher, ist an die Erreichung von Klimazielen nicht zu denken.

Die Zeiten dürften also vorbei sein, in denen das offizielle China die Wirtschaftsentwicklung eher zurückhaltend dargestellt hat. Solange aber chinesische Produkte sich immer stärker verkaufen, glauben wir auch nicht an einen richtiggehenden Einbruch, trotz der kriselnden Immobilienwirtschaft. Ein Problem des Herrn Xi Jinping und seiner Gefolgsmänner ist aber, dass man in China und in vielen Teilen der Welt ungeduldig darauf wartet, dass die chinesische Volkswirtschaft diejenige der USA überholt. Dadurch entsteht ein Druck auf die Herrscher in Peking, das in ein paar Jahren endlich zu vollbringen. Es zieht sich sowieso länger hin als vor der Corona-Pandemie prophezeit. Und natürlich geht auch China den Weg aller sich entwickelnden Gesellschaften: Die billigsten Waren chinesischer Hersteller werden schon nicht mehr im eigenen Land  produziert, sondern in Vietnam und anderen südostasiatischen Staaten, die noch mehr Aufholpotenzial haben, notabene noch miserablere Löhne.

Kann eine Immobilienkrise die Wirtschaft Chinas stoppen? Wir glauben das nicht. Auch in China wächst der Schuldenberg, und die Regierung, die unter dem oben erwähnten Druck steht, wird diese Wirtschaft und die Immobilienwirtschaft als eine Schlüsselbranche darin nicht fallenlassen. Die Interventionen des Staates nehmen schon seit einiger Zeit wieder zu, weil man offenbar Korrekturbedarf am irgendwie sehr unkommunistischen häuslichen Mix festgestellt hat. Ein kapitalistisches System ein bisschen zu dirigieren und korrigieren, ist naturgemäß schwierig, wenn es sich erst einmal selbstständig gemacht hat. Spektakuläre Ereignisse wie das zeitweilige Verschwinden eines wichtigen Wirtschaftsführers zeugen vom Kampf zwischen Staat und Kapital um die Herrschaft im Land. Vorerst sitzt die KPCh wieder fest im Sattel und es gibt noch viele Felder, auf denen China den Westen industriell angreifen kann, bis die Story dieses Aufstiegs auserzählt ist. Vor allem wird sie dann noch lange weitergehen, wenn der Westen geopolitisch weiterhin einen Fehler nach dem anderen macht und China sein Modell als die auf den ersten Blick freundlichere Alternative in alle Welt exportieren kann.

TH

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