UPDATE 5: Wagenknecht und der Kampf der Meinungsforscher +++ AfD-Verbot (Leitkommentar) +++ WWW: Wo kommen die Wagenknecht-Wähler her? +++ Langfristige Relevanz +++ Die Entstehung des BSW | Briefing 405 Trend Update 5 | PPP Politik, Personen, Parteien

Briefing 405-UD 5 Trendthema, PPP, Wagenknecht, BSW, Positionen, Kritik, Gründung, Ausrichtung, Relevanz, langfristige Wirksamkeit, Wählerpotenzial von anderen Parteien, Umfrageklatsche und AfD-Verbot, Umfragehype folgt

Im vorausgehenden Update hatten wir eine Umfrage von Forsa besprochen, die eher eine Sensation war als das, was jetzt wieder von der Konkurrenz an Meinungsforschung geliefert wird:

Die neuen Insa-Umfragen legen nah: Ohne das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) oder die AfD kann die Regierungsbildung in Thüringen und Brandenburg kompliziert werden. Die politische Landschaft in Thüringen und Brandenburg könnte vor einer potenziell signifikanten Veränderung stehen. Das geht aus den neuesten Insa-Umfragen im Auftrag der „Bild“-Zeitung hervor. Demnach könnte die Bildung einer Regierung ohne die Beteiligung der Alternative für Deutschland (AfD) oder des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) kaum möglich sein. (Quelle)

In Thüringen werden dem BSW demnach 17 Prozent der Wählerstimmen zugeschrieben, in Brandenburg 13 Prozent. In Sachsen scheint es ein wenig anders auszusehen: Hier könnte eine Regierung unter Führung der CDU gebildet bzw. die bisherige fortgesetzt werden, indem es zu einer „Kenia-Koalition“ kommt. Frappierend ist aber nicht, dass INSA nun vergleichsweise hohe Zustimmungswerte für das BSW ausweist, sondern der sehr große Unterschied zur im Update 4 besprochenen Forsa-Umfrage. Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte, aber das Problem an diesem Auseinanderklaffen sind die weitreichenden Folgen.

Wir haben das im vorherigen Update (unten angehängt) dargestellt: Nur, wenn das BSW gute Erfolgschancen hat, ergibt es Sinn, Wagenknecht aus taktischen Gründen zu wählen, um die AfD zu bremsen. Man sieht das an der Thüringen-Umfrage von INSA: Die AfD liegt unter Einbeziehung des BSW fünf Prozent unterhalb des Forsa-Wertes, was bedeutet, hier wirkt die Anwesenheit des BSW sich aus, in der Forsa-Umfrage hingegen so gut wie gar nicht.

Die Konsequenzen gehen aber noch über die Wahltaktik hinaus: Auch die Stellung zu einem AfD-Verbot kann sich danach bemssen, ob die AfD ohne ein solches Verbot unaufhaltsam wäre. Da das BSW bis jetzt nicht im Verdacht steht, selbst in Verbotsnähe zu kommen, wäre dessen Erfolg auch ein Beleg dafür, dass die politische Bekämpfung der AfD möglich ist und man zumindest nicht ganz so  in Hektik sein müsste, sondern eine solide Pro-Verbot-Argumentation erstellen, weitere Nachforschungen und Enthüllung wie die jüngste Correctiv-Recherche zu dem Geheimtreffen in Potsdam beinhalten könnte. Je mehr solche Tatbestände man sammelt, desto mehr Erfolgsaussichten jat ein Verbotsfahren. 

Hier zu  unserer jüngsten Artikelreihe über die AfD.

Wir zeichnen hier nicht detailliert nach, dass die verschiedenen Institute vielleicht eine eigene Agenda haben, warum sie das BSW hypen oder bashen und ganz sicher werden sich vor den ostdeutschen Landtagswahlen die Umfragen noch aneinander annähern. Gegenwärtig aber besteht große Unsicherheit darüber, welche Rolle diese neue Partei in Deutschland spielen kann – und damit auch Unsicherheit darüber, welcher der beste Weg ist, die Demokratie zu schützen. Wir haben gerade eine Petition gegen Björn Höcke unterschrieben und werden uns, unabhängig von dem, was das BSW nun tatsächlich verändern wird, nicht mehr davon abbringen lassen, alle denkbaren Verbote gegen die AfD zu befürworten. Man  kann diese Verbote befürworten und dennoch sagen, der politische Kampf gegen die Rechten muss geführt werden. Ds eine schließt das andere nicht aus. Wir haben im Kopf, dass wir die Positionen des BSW weiteranalysieren wollen, das steht auf der Agenda für eines der nächsten Updates.  

Da wir aber die „Klatsche“ von Forsa hervorgehoben haben, müssen wir den erratischen Ausschlag in die andere Richtung nun auch zumindest kurz besprechen.

TH

Nachdem so viele, auch wir, über das Potenzial der Wagenknecht-Partei BSW spekuliert und ihr im Osten grundsätzlich ein zweistelliges Potenzial für die Landtagswahlen des Jahres 2024 zugerechnet hatten, nun der Knall: Eine aktuelle Forsa-Umfrage sieht das BSW in allen drei Ländern, in denen dieses Jahr gewählt wird, nur bei 4 Prozent (Sachsen, Thüringen, Brandenburg).

Die AfD verliert logischerweise bei so wenigen BSW-Anteilen kaum oder gar nicht. Man hat sogar den Eindruck, es trifft eher die anderen Parteien, wenn auch in einem so geringen Maße, dass die typische Umfragen-Toleranz von bis zu zwei Prozentpunkten, die die Institute selbst als Fehlerquote reklamieren, keine exakten Rückschlüsse darauf zulässt, welche Partei nun überhaupt an das BSW verlieren. Intern, soweit wir informiert sind, geht man hingegen davon aus, die Fünfprozent-Hürde im ersten Anlauf zu nehmen. Zumindest bei den erwähnten Landtagswahlen. Wir haben die mittlerweile vieldiskutierte Forsa-Umfrage hier für Sie verlinkt: Sonntagsfrage – Umfragen Landtagswahlen (Wahlumfrage, Wahlumfragen) (wahlrecht.de). Gegenwärtig sind die aktuellen Forsa-Umfragen vom 11.01.2024 für den Osten farbig unterlegt.

Nun erinnern wir uns an einen Artikel in der „Welt“, den Forsa-Chef Manfred Güllner schon am 27.10.2023 gegeben hat, nachdem der Verein gleichen Namens gegründet worden war, der jetzt zur Partei geworden ist. Wagenknecht-Partei: „Absolut abenteuerlich“, sieht der Forsa-Chef die Umfragewerte – WELT

„Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, sieht die geplante neue Partei der bisherigen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht derzeit „deutlich“ unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde. Umfragen, die ihr bereits nach ihrem Auftritt am Montag einen zweistelligen Wert bescheinigten, halte er für „absolut abenteuerlich“, sagte Güllner den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Mittwoch.“

Wir fanden diese Einlassung seinerzeit etwas kurios, weil sie auch Umfragen als unrealistisch markierte, die von seinem eigenen Institut durchgeführt wurden. Im weiteren Verlauf führt Güllner das „klägliche Scheitern“ von „Aufstehen“ als Beleg dafür an, dass auch eine Wagenknecht-Partei nicht so viel Potenzial habe, wie ihr von vielen zugerechnet werde. Wir haben seinerzeit die Gründung und Entwicklung von „Aufstehen“ intensiv mit unseren Artikeln begleitet und immer hervorgehoben: Ein Webfehler dieser „Bewegung“ ist, dass man sie eben nicht als Liste Wagenknecht wählen kann.

Dass der Chef eines Meinungsforschungsinstitut diesen deutlichen Unterschied nicht sehen will, bestätigte uns darin, dass er irgendeine Agenda verfolgt, dass er aus Gründen, die nicht im Artikel stehen, logischerweise, die Chancen des jetzigen BSW kleinreden will und ihm deshalb vielleicht sogar die Umfragen aus dem eigenen Haus nicht ins Konzept passen. Es ist bekannt, dass Forsa als SPD-nah gilt und vielleicht dachte dessen Chef daran, dass auch die SPD Wähler:innen an das BSW verlieren könnte. Das waren unsere damaligen Gedankengänge. Außerdem gab es auch in der „Welt“ Artikel, die die Chancen von Wagenknecht viel höher einschätzten. Dass Wagenknecht und die Springerpresse eng kooperieren, ist natürlich ebenfalls bekannt und für uns einer von mehreren Aspekten, die uns das BSW oder Wagenknecht als Person nicht besonders sympathisch machen, zumal der Anstrich, hervorgerufen durch die vielen Bezahlinhalte, sehr kommerziell ist. Wir sind übrigens gespannt, ob sie sich als Parteiführerin immer noch für ihre Interviews bezahlen lassen wird.

Dass die meisten BSW-Wähler:innen von der Linken und der AfD kommen würden, hat hingegen auch Güllner so gesehen. Es bestätigt sich in der untenstehenden Grafik, die den Kern des 2. Updates bildet. Der Knaller kommt aber jetzt (Quelle wie oben):

„In einer am Dienstag veröffentlichten Forsa-Umfrage für die Sender RTL und ntv gaben nur drei Prozent an, eine Wagenknecht-Partei „auf jeden Fall“ zu wählen. 17 Prozent würden für sie „vielleicht“ stimmen. Für die mit 74 Prozent große Mehrheit käme die Wahl einer solchen Partei allerdings nicht infrage.

Im Osten war die Zustimmung größer: Acht Prozent würden sie dort „auf jeden Fall“ wählen, 25 Prozent „vielleicht“, 62 Prozent „eher nicht, bzw. auf keinen Fall“. Im Westen würden hingegen nur zwei Prozent die Partei „auf jeden Fall wählen“, zwei Prozent „vielleicht“, 78 Prozent „eher nicht“.“

Das heißt,

  • Obwohl es die Partei damals noch gar nicht gab,
  • obwohl mittlerweile die Protestwelle in Deutschland immer höher schwappt und das BSW sich als Protestpartei sieht,
  • obwohl der Forsa-Chef das Potenzial des BSW niedrig einschätzt, war es nach seinem eigenen Institut im Oktober 2023 glatt doppelt so hoch wie in den Januar-Umfragen, die gerade veröffentlicht wurden.

Ist das seltsam oder ist es komisch? Wir wollen einmal nicht davon ausgehen, dass die aktuelle Umfrage manipuliert oder, vorsichtiger ausgedrückt, nicht ganz repräsentativ ist. Wir haben auch noch einmal nachgeschaut, ob wir die untenstehende Grafik einer möglichen Wählerwanderung von den anderen Parteien hin zum BSW falsch verstanden haben und dass nicht das Abgangspotenzial im Ganzen, sondern die prozentualen Anteile dargestellt wurden, nach denen sich die Abgänge der anderen Parteien bemessen. Nein, da haben wir wohl keinen Fehler gemacht. Bei der möglichen anderen Lesart hätte die Gesamtzahl nur bei höchstens 100 liegen dürfen, sie beträgt aber 140 (ohne mögliche Zugänge für das BSW aus dem großen Cluster der Nichtwähler:innen). Hinzu kommt, dass die prinzipiell BSW-Wahlbereiten sich nach vielen Umfragen seit Ende Oktober 2023 eher vermehrt haben, gegenüber den Forsa-Werten, die im zitierten Artikel genannt sind, wenn man wiederum anderen Umfragen glaubt.

Was also nun? Die von uns und natürlich von vielen anderen diskutierte Idee, dem BSW bei den Landtagswahlen im Osten taktische Stimmen zu geben, um die AfD zu bremsen, wäre nach diesen Forsa-Umfragen obsolet. Man würde diese Stimmen verschenken.

Vielleicht gibt es doch eine Erklärung für diese Entwicklung. Eine Erklärung, die leider alles andere als angenehm ist und sich in Umfragen oft nicht spiegelt, die zum Beispiel von Civey veranstaltet werden, also nicht repräsentativ sind und erst mit einem Algorithmus „repräsentativ gemacht“ werden müssen. Dieser Algorithmus funktioniert bei der Sonntagsfrage allgemein ganz gut, aufgrund großer Erfahrung damit. Aber vielleicht ist in den letzten Monaten ein Effekt eingetreten, der bei vielen unter dem Radar gelaufen ist, auch bei uns: Die Welle nach rechts ist mittlerweile so stark, dass die von der Welt als „sozialkonservativ“ betitelte BSW-Partei davon nicht mehr profitieren kann, weil sie nicht weit genug rechts ist, nicht eindeutig genug. Man beim Thema „Soziales“ auf der Webseite schon die Leistungsempfänger:innen hübsch ausgeklammert, um nach rechts anschlussfähig zu bleiben, aber offenbar kommt Soziales derzeit gar nicht gut an, und auch die Wagenknechtsche Definition von berechtigter Migration ist vielen Rechten noch zu weich.

Deshalb befürchten wir einen weiteren Effekt: Nämlich, dass die jüngsten Correctiv-Recherchen, die wir hier besprochen haben:  zwar die AfD-Gegner bestätigen werden, aber die Befürworter die Reihen noch fester schließen lassen werden. Da sind vermutlich genug Leute dabei, die auch für eine Potsdamer Wannseefkonferenz II den Daumen gehoben hätten. Wenn es stimmt, was Güllner ebenfalls gesagt hat, nämlich, dass die AfD das rechtsradikale Potenzial in Deutschland im Wesentlichen bündelt (und daher auch an das BSW nicht viel abgeben wird), dann lassen sich daraus folgende Schlüsse ziehen:

  • Das uns gut bekannte Narrativ der Wagenknecht-Anhänger, dass die AfD-Wähler:innen im Wesentlichen oder mehrheitlich ja alle nur gequälte Bürger:innen auf dem Protestweg sind, wäre obsolet. In der Linken wurde das diskutiert, als Wagenknecht noch Mitglied war. Nazis oder nur protestierende Bürger? Das Ergebnis wäre dann eindeutig: Es gibt zumindest im Osten einen ähnlich hohen Anteil von Nazis wie in den 1930ern.
  • Es bedeutet auch, dass es im Osten durchgängig ein rechtsradikales Potenzial von einem Drittel der Wahlberechtigten geben müsste. Die Frage an die Ostdeutsche Wagenknecht kann nur sein: Wie konnte es dazu kommen, in einem System, das von ihr und anderen doch immer noch als das bessere Deutschland dargestellt wird? Vom neuen sozialistischen Menschen offenbar nichts zu sehen.
  • Nach der Correctiv-Recherche ist diese Umfrage für uns ein weiterer Grund, ein AfD-Verbot doch für besser als das „politische Stellen der AfD“ zu halten, also das Verbot zumindest zu versuchen. Entscheidet das BVerfG anders, dann wäre es eben vorerst nicht zu ändern.
  • Wenn eine braun-blaue Mehrheit die Demokratie zerstören möchte, dann muss jedenfalls eine demokratische Minderheit die Demokratie schützen.
  • Das BSW als Instrument dafür zu verwenden, um genaue dies zu tun, unbeschadet seiner Positionen,könnte ein Fehlschlag werden. Dann wird es eben richtig konfrontativ und im Osten wird vielen Menschen ihre neue politische Heimat weggenommen. Es darf dann nicht mehr nach der Zahl der möglichen Wähler:innen entschieden werden, sondern nur noch danach, ob die AfD verfassungsfeindlich ist. Und die Anzeichen dafür werden ja immer deutlicher. Wagenknecht selbst hat geäußert, ein Verbotsverfahren sei aussichtslos, wie ja Wagenknecht sowieso alles weiß, also auch gelernte Verfassungsrechtlerin ist, aber wir sind da aktuell nicht so sicher. Wir werden die Entwicklung natürlich im Auge behalten.
  • Wie schon einmal, könnte es sein, dass die Bevölkerung in Deutschland nicht dabei helfen wird, die Demokratie zu schützen. Manche Artikel des Grundgesetzes sind nicht änderbar, das wissen wir. Andere könnten sehr wohl an eine neue rechte Politik angepasst werden, sei es durch Umformulierung, wenn es eine rechte Zweidrittelmehrheit aus Union, AfD und FDP geben sollte, sei es durch Auslegung. Dann wird es sich auch rächen, dass das BVerfG ohnehin mehr oder weniger von der breiten Masse unbemerkt über Jahre hinweg konservativer geworden ist, besonders der Zweite Senat trifft fast nur Entscheidungen gegen eine progressive Politik.
  • Selbst die unveränderbaren Artikel des GG sind, da müssen wir leider mit uns selbst doch ganz ehrlich sein, nur dann ein ewiger Schutz der Demokratie, wenn sie von den Institutionen verteidigt werden und die Verfassung selbst Bestand hat. Wie viele gute Verfassungen in etwas wackeligen Demokratien sind schon gekippt, beseitigt worden? Die Demokratie in Deutschland ist mittlerweile wackelig, das sollte uns langsam allen klar werden.

Im Grunde befassen wir uns jetzt schon wieder mehr mit der AfD, müssten also zwei gegenwärtige Artikel-Reihen zusammenführen, aber es lässt sich ja nicht vermeiden, weil das BSW ja vor allem in diese Richtung zielen will.

Im BSW wird eine Koalition mit allen Parteien außer der AfD für denkbar gehalten. Wenn das BSW aber keine Wirkung erzielt, dann ist das auch dieses Statement wirkungslos. Also muss der Schutz der Demokratie wieder mehr in Richtung Justiz gedacht werden. Wir sind da noch nicht ganz mit uns selbst einig, weil wir natürlich unsere Position, die zuletzt eher darauf ging, dass ein Verbot der größere Schaden gegenüber einer politischen Bekämpfung der AfD darstellen würde, überdenken müssen.

Es wäre nicht die erste, in den letzten Monaten, und das ist unangenehm. Es ist unangenehm, weil man zwar immer den politischen Kern im Blick haben und als richtig einordnen kann, aber es gibt in diesen unruhigen Zeiten immer mehr Positionen für uns, die wir ständig hinterfragen müssen. Die jüngste Correctiv-Recherche, der ungebremste weitere Aufstieg der AfD trotz BSW, das muss beinahe dazu führen, dass man ebenfalls radikaler wird, aber den Schutz der Demokratie betreffend. Bevölkerungsteile, die ganz bewusst Antidemokraten wählen, also die Möglichkeiten der Demokratie ausnutzen,  um sie abschaffen zu können, sind außerdem selbst schuld, wenn man ihnen diese Wahlmöglichkeit wegnimmt. Wir wollten gerne im Osten so gut wie alle mitnehmen, natürlich auch die bis zu 20 Prozent, die zuletzt im Westen für die AfD gestimmt haben (Hessenwahl Herbst 2023). Aber es wird wohl nicht gehen. Die Verfassung und die Demokratie sind wichtiger als das, was die vielen Rechten im Land gerne als Terror einer braunen Mehrheit etablieren und es als Demokratie bezeichnen würden.

Das Demokratieverständnis dieser Menschen darf nicht unser Maßstab sein. Sondern, dass wir eine Verfassung haben, die Grundrechte schützt, und das in hohem Maße. In höherem Maße, als es gegenwärtig an einigen Stellen der Fall ist, wenn man sie mittig auslegt und nicht konservativ. Diese Verfassung zu erhalten, ist unser demokratischer Auftrag. Damit endet naturgemäß das Verständnis für die Rechten, die Parteien wählen, in denen Umsturzgedanken kursieren. Sie machen es uns auch leicht, indem sie immer mehr freidrehen und ihr wahres Gesicht zeigen.

Vielleicht werden die Wahlen anders ausgehen, vielleicht wird das BSW doch in den ostdeutschen Ländern eine wichtige Rolle spielen. Aber man sieht, welche Gefahren darin liegen, sich auf eine politische Lösung des Rechtsrucks zu verlassen und welche Unwägbarkeiten sich darin spiegeln. Das kommt davon, wenn man Kompromisse eingehen will, um die AfD politisch zu bremsen. Zum Beispiel eine Partei wählen, die man eigentlich auch nicht für eine wirklich zielführende Alternative zur Alternative hält, programmatisch gesehen (bzw.  als Möglichkeit in Betracht ziehen, wie andere wählen könnten, wir sind 2024 nicht „an der Reihe“).

Es kommt eben von der demokratischen Gesinnung her. Weil man denkt, Demokratie ist ja eine Vereinbarung, ist Kompromiss und man darf nicht den politischen Willen zu vieler missachten, indem man die Partei ihrer Wahl verbietet. Vielleicht muss man es nun doch.

Eine ganz andere Frage, die uns beschäftigt: Wäre ein Verbotsverfahren gegen die AfD noch abzuschließen, bevor die Landtagswahlen im Osten stattfinden? Und was wäre anders, wenn es erst danch zum Verbot käme?

Wir bleiben auch an diesem Thema dran, weil es so wichtig ist für uns alle.

TH

Wir stellen Ihnen nunmehr das neue WWW vor. Oder die WWW-Frage: Wer wählt Wagenknecht? Heute Nachmittag haben wir in einem Artikel darauf hingewiesen, dass es mittlerweile wenig Sinn ergibt, die Wahlumfragen, vor allem im Osten, ohne Einbeziehung des BSW abzuhalten, etwa zeitgleich traf eine Grafik von Statista ein, die belegt, warum das BSW jetzt mitgedacht und mit abgefragt werden muss.

Dieser Artikel ist ein weiteres Update zu diesem Beitrag: UPDATE 2: Langfristige Relevanz der Wagenknecht-partei BSW? (Civey + Kommentar) +++ Gründung und nach der Gründung der Wagenknecht-Partei am Montag, den 08. Januar 2024 (Newsletter SW + Leitkommentar + Interview-Kommentar), der auch unten angehängt ist.

Infografik: Wer würde die Wagenknecht-Partei wählen? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Mit der offiziellen Gründung der politischen Partei “Bündnis Sahra Wagenknecht” (BSW) am 8. Januar 2024 ist die Trennung der prominenten Politikerin von der Linkspartei nun endgültig. Mitglieder der ersten Stunde sind unter anderen der ehemalige Linken-Abgeordnete Fabio De Masi und der frühere Oberbürgermeister von Düsseldorf Thomas Geisel (ehemals SPD). Aber nicht nur aus der Riege der Spitzenpolitiker:innen zieht es einige zu der neuen Partei, auch unter den Wähler:innen erwägen viele das BSW bei der nächsten Bundestagswahl zu wählen.

Wie die Statista-Grafik auf Basis der Umfragedaten des ZDF-Politbarometers aus dem Januar 2024 zeigt, spricht die Wagenknecht-Partei Wähler:innen an beiden Seiten des politischen Spektrums an. Etwa 52 Prozent der Personen, die das BSW “Auf jeden Fall” oder “Wahrscheinlich” wählen würden, sind bisherige Anhänger:innen der Linkspartei. Mit 36 Prozent den zweitgrößten Anteil machen AFD-Anhänger:innen aus, Freie Wähler folgen mit 17 Prozent. Am wenigsten Zuspruch erhält die Parteineugründung von den Wähler:innen der Grünen (vier Prozent). Parteiübergreifend ziehen etwa 21 Prozent der Umfrageteilnehmer:innen die Wahl des Bündnis Sahra Wagenknecht in Erwägung.

Die Umfragedaten versprechen zwar gute Aussichten für die Bundestagswahl 2025, allerdings braucht es für bundesweiten Erfolg mehr Mitglieder, die sich organisieren und auch auf Landesebene engagieren. Zunächst will das Bündnis dafür rund 450 neue Mitglieder aufnehmen, heißt es in der Pressekonferenz zur Neugründung.

Es hatte sich abgezeichnet. Als die Wagenknecht-Partei noch eine Eventualität war, konnten sich höchstens 20 bis 25 Prozent der Menschen, die in Umfragen ihre Stimmen abgegeben haben, vorstellen, eine solche Partei zu wählen. Jetzt, wo es das BSW gibt, sind es bis zu 40 Prozent. So viele Wähler:innen wird diese Partei nicht für sich gewinnen können, zumindest nicht zu Beginn. Aber es ist schon erstaunlich, was die obige Grafik aussagt.

Für so hoch (mehr als 50 Prozent) hätten wir die möglichen Abgänge von der Linken nicht eingeschätzt, denn Wagenknechts Partei ist nun einmal nicht links. Uns beweist das nicht so sehr, dass das BSW Wähler von rechts und von links anzieht, sondern, dass eine ganze Reihe von Wähler:innen der Linken eben nicht gesellschaftlich links war, wie die Funktionäre:innen der Partei es weit überwiegend sind. Dadurch wird eine Verschiebung zwischen Basis und Parteispitze sichtbar, von der Kenner der Partei längst wissen, dass es sie gibt. Wagenknecht ist im Prinzip an der Basis mehrheitsfähig gewesen, nicht aber bei der Eroberung von Spitzenämtern. Das musste zu Spannungen führen, weil die Parteispitze die Basis nicht proportional abgebildet hat. Da sich nun die Wege getrennt haben, könnte das nun der Fall sein. Die nächsten Probleme sehen wir aber schon voraus: Was macht eigentlich die Kommunistische Plattform noch in einer Partei, die versucht, die  Grünen gesellschaftspolitisch zu überholen, aber mit Sozialismus nichts mehr am Hut hat? An das BSW kann sie aber auch nicht andocken, denn das BSW ist nicht universalistisch, sondern sozialdemokratisch mit einer deftigen nationalistischen Prise. Das ist nur ein Beispiel für auch nach Wagenknechts Fortgang noch bestehende Unstimmigkeiten.

Die Linke tut aber so, als ob man diesen Abgang in Ruhe verschmerzen könne. Nach unserer Ansicht könnte das BSW die Linke sogar in Teilen des Ostens, möglicherweise auch in Berlin, sofort überflügeln, wenn auch vermutlich nicht aus den Parlamenten verdrängen. Nicht, weil 52 Prozent der Wähler:innen der Linken sich einen Wechsel vorstellen könnten, es werden am Ende nicht ganz so viele sein. Sondern vor allem, weil das BSW in erheblichem Maße Stimmen von der AfD abziehen könnte. Jene, die keine rein neoliberalistische Gesellschaft wollen und denen vielleicht auch die jüngsten Enthüllungen über die AfD doch des Schlechten zu viel sind, die aber gerne etwas mehr Nationales im Programm der Partei ihrer Wahl hätten, könnten für das BSW stimmen.

Klassische Linke sind das nicht, aber auf sie zielt das BSW ja auch nicht ab. Eher auf die vielen Menschen, vor allem im Osten, die die Linke als Protestpartei gewählt hatten, als die AfD ihr diesbezüglich noch nicht den Rang abgelaufen hatte. 36 Prozent der AfD-Wähler:innen wären im Osten aber auf jeden Fall mehr als 10 Prozent aller Wähler:innen. Ziehen wir auch hier wieder diejenigen ab, die sich am Ende anders entscheiden werden oder für die „vorstellbar“ noch lange kein klares „Ja“ ist, würde das BSW alleine durch das Abziehen von Wähler:innen der Linken und der AfD ein zweistelliges Ergebnis generieren können. Die 17 Prozent von den Freien Wählern spielen im Osten eher eine geringe Rolle, weil die Partei dort noch nicht stark ist, eher wiederum die 15 Prozent von der SPD und die 10 Prozent vom CDU-Klientel. Das wären zusammen wiederum etwa 5 Prozent aller Wählerstimmen, die abgegeben werden, wenn man defensiv rechnet. Wir hätten bei der SPD mit einem etwas höheren, bei der Union mit etwas niedrigeren Anteilen gerechnet, FDP und Grüne sind in diesem Zusammenhang vernachlässigbar.

Eine weitere Wähler:innengruppe wurde in der Grafik nicht berücksichtigt, weil nur erforscht wurde, wie viel anderen Parteien eventuell abgeben müssten: Die Nichtwähler:innen. Es gibt bestimmt immer noch einige, die sich für die Demokratie reaktivieren lassen, die zwar politisch nicht sehr interessiert sind, vielleicht lang enicht mehr gewählt haben, aber Wagenknecht wählen könnten, wenn sie nicht mehr für die Linke antritt. Schwer einzuschätzen, wie viel Zuspruch  noch aus diesme Lager kommen wird, aber eine Protestpartei aktiviert immer auch einige, die bisher nach ihrer Ansicht gute Gründe hatten, dem Politikbetrieb und damit leider auch der Demokratie den Rücken zuzuwenden.

TH

Weitere Analysen und Meinungen zum BSW:

Mit der Wagenknecht-Partei BSW haben wir uns in den letzten Tagen bereits ausführlich auseinandergesetzt, zuletzt hier: UPDATE: Nach der Gründung der Wagenknecht-Partei am Montag, den 08. Januar 2024 (Newsletter SW + Leitkommentar + Interview-Kommentar). Heute schreiben wir das nächste Update dazu in Form einer Umfrage:

Civey-Umfrage: Gehen Sie davon aus, dass es der neuen Partei „Das Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) gelingen wird, sich dauerhaft in der Parteienlandschaft zu etablieren? – Civey

Am Montag wurde offiziell die neue Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht” (BSW) gegründet. Die Namensgeberin sprach der Zeit zufolge beim Gründungstreffen von einem historischen Tag und schrieb dem BSW das „Potenzial zu, die Politik sowie „das bundesdeutsche Parteienspektrum grundlegend zu verändern”. Auf einer Pressekonferenz wurden Wagenknecht und die ehemalige Linkenfraktionschefin Amira Mohamed Ali als Doppelspitze vorgestellt. 

Linken-Co-Chef Martin Schirdewan reagierte eigenen Angaben nach „entspannt” auf die Parteigründung seiner ehemaligen Parteikollegin. Laut FR betrachtet er das BSW nicht als Konkurrenz, da es sich seiner Ansicht nach nicht um eine „neue linke Formation” handle. Die Linke hatte nach dem Parteiaustritt von zehn Abgeordneten, darunter Wagenknecht, ihren Fraktionsstatus im Bundestag verloren. Im Juni werde das BSW erstmals an der Europawahl teilnehmen. Im Herbst folgen dann drei Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. 

Laut BSW-Webseite möchte die neue Partei denjenigen eine Stimme geben, die sich von der aktuellen Politik schlecht vertreten fühlen. Sie möchte diejenigen ansprechen, die sich „Respekt vor der individuellen Freiheit und eine offene Diskussionskultur, statt Bevormundung und Cancel Culture” wünschen. Zudem setzt sich das BSW dem RND nach für einen höheren Mindestlohn, höhere Freibeträge und einen stärkerer Spitzensteuersatz ein. Wahlforscherinnen und Wahlforscher gehen laut RBB momentan davon aus, dass die neue Partei viele sogenannte Protestwählerinnnen und Protestwähler sowie Teile der AfD-Wählerschaft an sich binden könnte.

Wir glauben nicht, dass die Linke wirklich entspannt ist, das BSW betreffend. Schließlich hat dessen Gründerin die Linke verlassen, weil sie sich dort mit ihren Positionen nicht durchsetzen konnte, obwohl in dieser Partei wirklich einige sehr schräge Positionen toleriert werden, die freilich keinen Zuspruch in weiten Teilen der Bevölkerung finden. Die Linke bremst sich damit selbst, das steht außer Frage. Wir haben im ersten Update und dem Ausgangsartikel ausführlich dazu Stellung genommen, dass wir das BSW nicht für eine bessere Linke halten und skeptisch sind, den Novitätswert des politischen Angebots betreffend. Das gilt aber für die einzelnen Positionen, die es überwiegend bei anderen Parteien auch zu finden gibt oder die ein Grücktriff auf frühere Positionen derselben sind, nicht für die Kombination rechts und klassisch-sozialdemokratisch in ein und derselben Partei.

Für diese Kombination war offenbar noch Platz im politischen Spektrum, vor allem im Osten dürfte das BSW keine Probleme haben, bei den nächsten Wahlen umgehend in die Landtage einzuziehen. For the better or worse: Der AfD ein paar Prozente wegnehmen, aber die Regierbarkeit des Lands noch mehr erschweren, es sei denn, das BSW geht sofort mit der Union zusammen. Wwer eine solche Wahl treffen will, der soll das tun und wird bald merken, dass er einer Chimäre von einer echten Alternative aufgesessen ist. Nichtsdestotrotz könnte es im Verlauf der nächsten Jahre auch so kommen, dass das BSW sich in der Form entwickelt, dass es gerade durch seine Mischkombination einer national-sozialen Politik etwas bietet, was andere nicht bieten können, weil sie zum Beispiel zu neoliberal sind, wie der gesamte rechte Block von FDP, Union und AfD.

Wir wiederholen an dieser Stelle nicht die Analysen des Ausgangsartikels und des Updates, haben uns das Weiterdenken in dieser Richtung aber vorgemerkt. Heute geht es um die Wiedergabe eines Stimmungsbildes. Dieses Stimmungsbild finden wir durchaus nicht überraschend und verständlich: Die Meinungen gehen weit auseinander.  Von denen, die  bisher abgestimmt haben, trauen dem BSW längerfristig eine wichtige Rolle zu: 42 Prozent (ja, auf jeden Fall oder eher ja) und einen Tick mehr glauben das eher nicht oder gar nicht (44 Prozent). Dazwischen liegen etwa 14 Prozent Unentschiedene. Derzeit unterliegt die Umfrage starken Schwankungen, innerhalb von wenigen Minuten ändern sich die Zahlen nicht unerheblich. Wir haben uns zu den Unentschiedenen gestellt.

Ob das BSW Erfolg haben wird, hängt von vielen Faktoren ab, die wir derzeit nicht einschätzen können. Wir können nur sagen, dass wir dieses politische Angebot bisher kritisch sehen, aber uns sehr wohl vorstellen können, dass es aus taktischen Gründen im Osten Sinn ergeben könnte, diese neue Partei zu wählen, aber der langfristige Erfolg ist eine andere Kategorie. Er hängt sehr davon ab, wie sich die im Namen wiedergegebene Galionsfigur der Partei verhalten wird, wie sehr sie die Menschen überzeugen kann. Protestieren kann sie ganz gut, insofern ist das BSW eine Protestpartei, aber wie wird es aussehen, wenn dem BSW aufgrund der Zersplitterung des Parteiensystems, zu der es selbst beiträgt, schon bald Regierungsverantwortung zuwachsen sollte?

Dieser Lackmus-Test ist nicht so einfach zu bestehen für eine Partei, die so viel fordert, was auf der einen oder anderen Ebene kaum umsetzbar ist. Wie, wenn Wagenknecht von innen Widerstand erwachsen sollte und sie die Nerven erneut verliert? Oder wenn sich die politisch-wirtschaftliche Lage in Deutschland beruhigen sollte und der Protest abebbt? Dass es schlecht läuft, ist ja im Grunde eine Voraussetzung dafür, dass Parteien wie das BSW erfolgreich sein können. Um ehrlich zu sein: Diese Quelle, aus der sich Wähler schöpfen lassen, der allgemeine Unmut, der wird nicht so schnell vorbei sein. Deutschland wird sich vorerst nicht sehr erholen, wenn die Politik keine wesentlichen Änderungen vornimmt, und dazu hat die Ampel nach unserer Auffassung nicht die Substanz. Vor allem das Ukraine-Dilemma hängt wie ein Mühlstein an der hiesigen Regierungspolitik oder an der aller „Altparteien“.

Auch dazu haben wir uns mit einer Umfrage als Aufhänger geäußert: Frieden 2024 in der Ukraine? (Umfrage + Leitkommentar: Das Ukraine-Dilemma). Freilich könnte ein schneller Friedensschluss, auf welcher Grundlage auch immer, dieses Dilemma beenden. Doch die Schäden werden noch lange sichtbar bleiben.

Eher sehen wir die beiden andere Probleme als Stolpersteine für das BSW: Marginalisierung der Positionen durch Verantwortung oder interne Probleme. Man versucht, Letzteres durch eine momentan geradezu grotesk wirkende Begrenzung der Aufnahme von Neumitgliedern zu verhindern, aber das wird nicht ewig gutgehen, denn eine Spendenpartei anstatt Mitgliederpartei ist das genaue Gegenteil von mehr Freiheit, offenem Diskurs, Mitmachdemokratie und was sonst noch auf der BSW-Webseite ausgestellt wird.

TH

Das oben verlinkte Update ist hier angehängt, ebenso der Ausgangsartikel (08. und 05.01.2024).

Update vom 08.01.2024

Heute ist das BSW, das Bündnis Sahra Wagenknecht, also gegründet worden. Der Name des Vereins, der die Vorbereitung der Gründung gesteuert hat, wurde also übernommen …

Das ergibt Sinn. Auch, dass ihr Name darin enthalten ist.

Auch, dass sie eine der beiden Vorsitzenden ist, neben der Ex-Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali?

Ich fand es, sorry, schon ein wenig affig, dass sie so getan hat, als ob sie das jemand anderem überlassen wollte, eventuell jedenfalls. Nur so funktioniert eine Partei, die erstmals in der BRD und erstmals in der deutschen Geschichte überhaupt den Namen der Gründerin im Namen trägt. Selbst die sehr personenbezogenen „Bewegungsparteien“ anderer Länder sind nicht so offen eine Show für eine einzelne Politikern oder einen einzelnen Politiker, sondern haben wohlklingende oder pathetische Bewegungsnamen wie „La France insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon.

Warum gerade die Nennung dieser linksnationalistischen Bewegung in Frankreich?

Weil sich SW (Sahra Wagenknecht) und Oskar Lafontaine bei der Konzeption des BSW bei ihrem Freund aus dem Westen viel abgeschaut haben. Ich glaube, dieses Projekt hat Vorbildfunktion, auch wenn in Frankreich dadurch der FN / das RN (Front National / Rassemblement National) und damit der Rechtsdrall nicht aufzuhalten waren, dass man es mit einer Links-Rechts-Kombination versucht hat. Sollte allen zu denken geben, die glauben, das BSW sei die vernünftigere Alternative zur Alternative, also der AfD. Ich weiß, ich habe mich auch schon in die Richtung geäußert, dass unter bestimmten schlechten Umständen die Wahl des BSW taktisch eine Option wäre, um die AfD aufzuhalten. Würde ich nicht vollkommen ausschließen, wenn ich jetzt im Osten zu wählen hätte, die Landtagswahlen 2024 meine ich. Aber wenn, dann nur mit eiskaltem taktischem Herzen, nicht als Fan von Sahra Wagenknecht. Von der darf man sich nicht aufheizen lassen.

Mit Fabio de Masi ist ein weiterer Prominenter der Linken vorne dabei und saß heute in der Bundespressekonferenz, in der die Parteigründung verkündet wurde. Er soll der Spitzenkandidat des BSW werden für die Europawahl im Juni 2024. Die erste Wahl, bei der das BSW antreten wird.

In einer Hinsicht ist de Masi dafür eine erstklassige Wahl: Er war schon einmal Abgeordneter des Europaparlaments für die Linke und kennt sich mit dem Brüsseler Betrieb aus,  hat ihn auch kritisch hinterfragt, wie der Film „Europa als Beute“ zeigt, für den er interviewt wurde. Europa als Beute der Lobbyisten, war mit dem Filmtitel gemeint. In diesem Sinne auch sein Engagement in Sachen Wirecard-Skandal im Bundestag. Das passt zusammen.

Er ist also ein Gewinn für das BSW – und nach einem zwischenzeitlichen Rückzug auch für die deutsche Politik?

Er ist ein wirtschaftspolitisches Schwergewicht im Rahmen des linken Spektrums gewesen, bevor er sich zurückzog, er wird dem BSW noch helfen können, wenn Sahra Wagenknecht an das Ende ihrer im Grunde komplett widersprüchlichen Mix-Ideologie gelangt. Fabio De Masi: Einst Kloputzer, jetzt Spitzenkandidat (msn.com). Allerdings ist er kein Sozialist, sondern ein Linkskeynesianer, daher hat wohl auch der politische Gegner sich mit dem Respekt nicht so schwergetan. In der Bankenkrise und danach tendierte er für meine Begriffe nicht im europäischen Interesse, sondern im Interesse seines am Nachnamen erkennbaren Heimatlandes. Dabei gab es in Wirklichkeit nie eine echte Austeritätspolitik in Europa, das haben uns auch Fabio de Masi und Co. gerne verschwiegen. Nur in Deutschland gab es sie, und das heutige Ergebnis kann jeder für sich selbst bewerten. In Europa galt: Whatever it takes. Das ganze ist glattes und zudem vielschichtiges Parkett, passt irgendwie auch dazu, dass de Masi sich von der Linken verabschiedet hat und jetzt, trotz anderslautender Aussagen, wieder politisch aktiv werden wird. Wenn CDU-Chef Merz recht hat, nachdem sein Partei das BSW-Potenzial analysierte und dabei in etwa bei meiner Ansicht herauskommt, dann wird er wieder in den Bundestag einziehen.

Merz hält das BSW aber auch für überflüssig.

Das versteht sich von selbst. Er sieht auch ein paar abgängige CDU-Wähler, vor allem aber Verluste bei der AfD. Ich verweise auch auf die Analyse dazu im unten angehängten Ausgangsartikel. Ich denke, das stimmt im Wesentlichen, auch die SPD muss aber aufpassen und natürlich versucht Merz, den möglichen Schaden für die eigene Partei durch das BSW kleinzureden. Riesig wird er aber nicht sein, außerdem steht dem der Gewinn durch die vermutliche AfD-Abbremsung gegenüber. Wir wollen aber hier nicht zu viel über die Wahlaussichten spekulieren und wem das BSW wie viele Stimmen wegnehmen kann.

Dann ins Aktuelle und Grundsätzliche: Linkspopulismus, Wertkonservatismus, Wirtschaftsdemokratie,
Antimilitarismus

Bei Links ohne Populismus in dem Sinne, wie er bei uns negativ belegt ist, bei Wirtschaftsemokratie und echtem Antimilitarismus würde ich mich wiederfinden. Wertkonservativismus insofern, als es bestimmte Werte gibt, die eine Gesellschaft zusammenhalten oder eine diverse Gesellschaft im entscheidenden Moment zusammenführen, nicht im Sinne von rückwärtsgewandter Leitkultur.

Das klingt doch recht vielversprechend.

Ich zweifle an der obigen Zuschreibung. Mir ist zum Beispiel Wirtschaftsdemokratie besonders wichtig, mir fiel aber bisher nicht auf, dass Wagenknecht gewerkschaftsnah in dem Sinne ist, wie die Gewerkschaften als Urheber der Wirtschaftsdemokratie in Deutschland nie außer Acht gelassen werden dürfen. Freilich sind sie heute diesbezüglich indiskutabel. Die Geschichte aber gesagt, dass die Wirtschaftsdemokratie ein Übergang zum Sozialismus sein sollte. Eine evolutionäre, keine revolutionäre Entwicklung. Von solchem Gedankengut ist Wagenknecht meilenweit entfernt. Selbst von mehr Mitbestimmung hält eine autoritär ausgerichtete Person wie sie nach meiner Ansicht recht wenig. Es geht ihr auch nicht um den Klassenkampf, sondern um eine in ihrem Fall maternalistische Konzeption des Handelns der Politik für alle, nicht mit dem Einzelnen.

Der Antimilitarismus?

Wladimir Putins Handeln faktisch zu unterstützen, ist kein Antimilitarismus. Da liegt ein grundsätzliches Missverständnis seitens einiger naiver Generalpazifisten vor. Die Leute im Osten, die russlandnah sind hingegen wissen genau, dass sie, wenn sie Wagenknecht wählen, vor allem eine Hasserin des Westens, keine Pazifistin wählen und das ist für diese Wähler auch okay, denn sie denken genauso. Schreiben wir es der narzisstischen Kränkung durch bestimmte Komponenten der Wendepolitik zu, aber es geht natürlich tiefer, dass SW bei diesen Menschen etwas zum Klingen und Schwingen bringt. Das näher zu beschreiben, führt hier zu weit.

Pazifismus, der Aggressionen belohnt, solange sie von vermeintlichen Freunden ausgehen, ist ethisch eine ganz miese Sache. Es gibt wunderschöne Filme darüber, wie Menschen vor dem Dilemma standen, als sehr, sehr friedliebende Personen, u. a. aus religiösen Gründen vollkommen der Gewalt abhold, plötzlich vor der Wahl zwischen Selbstverteidigung und sich überrennen und vertreiben lassen standen. Die meisten haben mit Tränen in den Augen erkannt, dass sie sich verteidigen müssen, wenn sie überleben und ihre Existenz behalten wollen. Etwas wie Tränen und Mitleid werden Sie bei SW nicht sehen, für niemanden. Sie ist nicht nur unnahbar, wie viele schreiben, ich halte sie für ziemlich kalt. Und Pazifismus ist etwas, das vom Herzen ausgeht, nicht von politischem Kalkül. Sorry, dass ich den Begriff mit Antimilitarismus gleichgesetzt habe, aber im Grunde ist er ja gleich.

Wir müssen jetzt nicht alle obigen Begriffe detailliert durchgehen. Linkspopulismus ist für mich dann gegeben, wenn eine echte linke Politik populistisch vermarktet wird, aber für mich ist SW nicht echt links, weil dazu eine viel menschenfreundlichere Gesamthaltung zählt. Wertkonservativismus in dem Sinne, dass sie da nicht weit von der AfD entfernt ist, was die Beurteilung einer modernen, offenen Gesellschaft angeht: absolut ja. Dass das bei ihr so krass ausgeprägt ist, wie es sich in den letzten Jahren gezeigt hat, hätte ich auch nicht gedacht, als ich 2016 in die Linke eintrat (und 2021 wegen Wagenknecht, aber auch wegen ihrer verpeilten, im sozialistischen Sinne weichgespülten Gegner wieder austrat).

Diese Einschätzung betrifft die Person von SW. Aber wie sieht es mit dem Parteiprogramm aus?

Das Parteiprogramm ist so verfasst (bzw. das, was auf der Webseite als Kurzprogramm zu sehen ist, ein längeres Programm soll erst ausgearbeitet werden), dass ganz viele Menschen werden nicken können, aber, wie im Ausgangsartikel geschrieben, es ist nicht neu. Es beschreibt. Schon der Linken habe ich angekreidet, dass sie nur einen Forderungskatalog aufstellt, die Menschen aber nicht mit einer Roadmap mitnehmen will, die besagt, dass wir dies und das exakt tun müssen, um einen möglichen Effekt der Verbesserung zu erzielen. Ich glaube an den Prozess, nicht an das Statement. Jedenfalls nicht an das Statement als Ersatz für den Prozess.

In der Opposition geht es zwangsläufig um das Statement.

Nicht unbedingt. Karl Marx sah das ganz anders, aber nicht nur er. Es gab auch konservativere Utopien und Visionen. Deren Abwesenheit, die Tatsache, dass man keinen Entwurf mehr begutachten und für sich annehmen kann, ist ein Teil der generellen Fantasielosigkeitspolitik in Deutschland. Ich glaube, als Helmut Schmidt sagte, wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen, war dieses Land erledigt. Es bekam noch einmal eine Story verpasst durch die Wiedervereinigung, aber das war’s dann. Und SW ist wirklich nicht die Person, die ein neues Narrativ der Zukunft mit Ausstrahlung in die Gegenwart oder aus der Gegenwart heraus kreiert. Sie ist genauso einfallslos wie die anderen. Von wegen Wirtschaftsdemokratie und so. Daraus kann man zum Beispiel einen Drive entwickeln, aus mehr Wirtschaftsdemokratie. Sehe ich bei ihr nicht. Heißt nicht, dass es immer so bleiben muss. Aber Menschen werden im Alter allgemein nicht innovativer, sondern konservativer. Dafür ist sie selbst ja ein schlagendes Beispiel. Also müsste sie andere ranlassen, im BSW, um progressiv zu sein. Kann sie das? Auch daran zweifle ich, denn plötzlich stünden junge Mensch mit Ideen im Vordergrund. Die sehe ich, bei allem Desaster, das sich die Linke in den letzten Jahren selbst eingebrockt hat, eher noch dort als im BSW. In der Linken gibt es auch nicht viele Ideenmenschen, zumindest keine mit Einfluss, aber die Linke ist für Veränderungen offener und vielgestaltiger als eine Partei, die auf eine einzige Person zugeschnitten ist, die nicht mit aller Energie innoviert, sondern mit hoher Publikumswirksamkeit kritisiert.

Diese Publikumswirksamkeit braucht es aber vielleicht, um einst auch etwas wie Verbesserungen erreichen zu können.

Der Start ist insofern gut, als das BSW aus dem Stand mehr Stimmen einfangen dürfte, als es der ersten AfD-Generation gelungen ist. Die damaligen Gründer kannte kaum jemand, es war genau umgekehrt wie beim BSW: Diese Partei hat ihre Typen gemacht, sich immer wieder erneuert und gehäutet, leider in die falsche Richtung, Wagenknecht hingegen ist die Macherin des BSW. Das hat von Beginn an etwas Statisches. Wenn eine große Partei Positionen revidiert, eine Weltanschauungspartei, ist das ein demokratischer Kampf. Wenn SW Positionen räumen würde, ganz ohne demokratische Diskussion, dann wäre das für ihre Wähler:innen Verrat. Wenn ein Name Programm ist, dann hängt das Programm ganz von den Ansichten der Namensgeberin ab. Wenn da etwas nicht passt, sowohl im inneren der Partei als auch in der Außenwahrnehmung, verliert man viel schneller an Zuspruch als eine Partei, die eine doch immerhin breite Basis bietet, wie es die klassischen (einstigen) Volksparteien taten oder noch tun.

Ist das alles wirklich so monolithisch? Damit kann man sich doch nie einer veränderten Lage anpassen.

Vielleicht kann Wagenknecht das sogar, sie hat ja auch im Laufe ihrer politischen Karriere erkannt, dass man mit einer populistischen Rechts-Links-Kombination weiterkommt, als das damit möglich ist, die Grünen gesellschaftspolitisch überholen zu wollen, was die Linke sehr wohl tut, aber kaum jemand dankt es ihr mit seiner Stimme als Wähler:in. Wenn man also eine solche Politik macht, kann jede Änderung vom heutigen Stand aus viel Sympathie kosten, denn die Erwartungshaltung eines Fans ist eine andere als die einer Person, die eine Partei als Sammlung versteht, in der auch diskutiert und gestritten wird. Wagenknecht weckt hohe Erwartungen. Siehe wiederum den Ausgangsartikel: In Regierungsverantwortung wird sie diese Erwartungen nicht einmal ansatzweise erfüllen können. Was wiederum einen Schaden für die Demokratie bedeutet. Im Grunde ist es auch ein Schaden, dass es überhaupt zum BSW kommen konnte, dass die AfD so groß wurde usw. Aber das lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Nachgehakt. Auf der Webseite heißt es: Zuwanderung und das Miteinander unterschiedlicher Kulturen können eine Bereicherung sein. Das gilt aber nur, solange der Zuzug auf eine Größenordnung begrenzt bleibt, die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert, und sofern Integration aktiv gefördert wird und gelingt. Wir wissen: Den Preis für verschärfte Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum, um Jobs mit niedrigen Löhnen und für eine misslungene Integration zahlen in erster Linie diejenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Wer in seiner Heimat politisch verfolgt wird, hat Anspruch auf Asyl. Aber Migration ist nicht die Lösung für das Problem der Armut auf unserer Welt. Stattdessen brauchen wir faire Weltwirtschaftsbeziehungen und eine Politik, die sich um mehr Perspektiven in den Heimatländern bemüht. Verteidigung der persönlichen Freiheit (bsw-vg.de). Was ist daran falsch?

Mich stört durchaus der Begriff „misslungene Integration“. Für mich klingt das wie: Nicht vollständige Assimilation. Es ist aber weit vom Denken der AfD entfernt, das stimmt ebenfalls. Jedenfalls liest es sich so. Zumal im hier nicht zitierten ersten Teil politischer Autoritarismus abgelehnt wird, die Freiheit bejaht wird, die Demokratie des Mitmachens gestärkt werden soll. Ist das, was da steht, aber mit der Person Wagenknecht vereinbar, die immer wieder rhetorisch zum Schlag gegen die diverse Gesellschaft ausholt? Die meisten Medien sind zu oberflächlich, sie schreiben einfach, das Programm sei ja nix Neues. Das finde wir auch. Selten wird aber bisher die Diskrepanz zwischen diesem doch recht vernünftig wirkenden Bild und Wagenknechts Rhetorik herausgestellt. Vielleicht, weildie übelsten Auswüchse, wie das „Juste Milieu“ aus ihrem Buch über die Selbstgerechten für alle fortschrittlichen Stadtbewohner:innen schon ein bisschen her sind. Man vergisst so schnell, gerade als Journalist:in, in dieser schnelllebigen Zeit.

ch kann viel Mehrheitsfähig-Mittiges mit sozialem Touch in ein Programm schreiben, aber die Menschen hören, was ich sage. Wagenknecht haut immer wieder Dinge raus, und zwar mit Absicht, mit denen getestet werden soll, wie weit nach rechts man gehen kann, ohne als rechts zu gelten. Daran, was sie sagt, werden sich die meisten der Wähler:innen orientieren. Selbst diese kurzen Beschreibungen auf der Webseite des BSW wird nur eine Minderheit lesen.

Das alles ist noch nicht befriedigend durchdacht. Wir sollten weiterdiskutieren, und warum nicht die konkrete Wirklichkeitstauglichkeit der einzelnen Programmpunkte unter die Lupe nehmen? Gibt es Widersprüche und wo weicht Wagenknecht in ihrem Gepräge und ihrem öffentlich geäußerten Mindset von dem ab, was im Kurzprogramm steht?

Wir werden das fortsetzen. Ohne Nachdenken und Diskutieren kein Erkenntnisgewinn.  

TH

Ausgangsartikel vom 05.01.2024

Am 08.01.2024 ist es soweit. Deutschland wird eine neue politische Partei bekommen. Sahra Wagenknecht wird aus dem bestehenden Vorbereitungsverein „BSW“ („Bündnis Sahra Wagenknecht“) eine Partei machen, die möglicherweise schon bei den Landtagswahlen 2024 im Osten antreten wird.

Warum das wichtig ist, liegt auf der Hand: Keine der anderen Parteien wird die AfD auch nur annähernd einbremsen können, so, wie es im Moment aussieht. Ist deswegen das BSW aber eine Lösung oder zementiert es sogar die verkrusteten Verhältnisse des Parteienbetriebs?

So hat sich die Gründerin und Namensgeberin heute selbst geäußert:  Ins neue Jahr mit neuem Schwung und einer neuen Partei 🙂 (sp1-brevo.net)

„Das Jahr 2023 ist vorbei und ich finde: Es war kein gutes Jahr. Statt Frieden in Europa zu schaffen ging das sinnlose Sterben in der Ukraine weiter, und im Nahen Osten wurde ein weiterer Krieg entfesselt, der nun gefährlich zu eskalieren droht. Statt für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, haben steigende Preise zu mehr Armut und Überlastung an den Tafeln geführt, während an der Börse neue Rekorde gefeiert wurden. Statt den Menschen ihren Alltag zu erleichtern, hat die Ampel neue Probleme und Belastungen geschaffen und will den Bürgern auch in diesem Jahr tief in die Taschen greifen, um selbstverschuldete Haushaltslöcher zu stopfen. Nicht nur ich bin überzeugt: So kann es nicht weitergehen! Ich mache mir Sorgen um unsere Zukunft angesichts einer Politik, die die wirtschaftlichen Stärken unseres Landes verspielt und den sozialen Zusammenhalt untergräbt. Aber ich blicke auch mit Hoffnung ins neue Jahr. Denn es gibt nicht nur wachsende Proteste gegen die herrschende Politik, in Kürze wird es auch eine neue Partei geben, die für eine Rückkehr der Vernunft in die Politik kämpfen und unser Land hoffentlich zum Besseren verändern wird. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit vielen von Euch die großen Aufgaben anzupacken! 

Am 8. Januar wird die neue Partei gegründet, die Bundespressekonferenz dazu könnt ihr am nächsten Montag ab 13 Uhr hier im Livestream verfolgen.“

Wir haben uns +

vielfach zum BSW geäußert und auch schon zu Wagenknecht und der Linken, als es das BSW noch lange nicht gab, weil sich die Demission von Wagenknecht aus ihrer früheren Partei aus der Nähe eher als jahrelanges Drama denn als packender, plötzlicher Entschluss dargestellt hat, als eine Entwicklung, die lange absehbar war. Die Frage war für uns allerdings nach dem gescheiterten Versuch, mit „Aufstehen“ eine Art Nicht-Partei-Bewegung von oben zu gründen, die man notabene nicht wählen kann, ob sie sich traut, den Schritt zur Parteigründung zu gehen.

Wir halten das neue politische Subjekt, das derzeit noch BSW heißt, auf dem heutigem Stand nicht für eine Alternative im Sinne einer Lösung der massiven Probleme des Landes.

Wir haben erst kürzlich geschrieben, eine neue Kraft, die schon jetzt mit der CDU liebäugelt, wird sicher nicht auf Bundesebene mit ihr koalieren können, ohne dass Wagenknecht ihre Anhänger:innen vor allem außenpolitisch schlicht und einfach verrät. Der Verrat ist sozusagen implizit, wenn man sich nicht mehr von den so hart angegangenen „Altparteien“ fernhält.

Auf diesem Gebiet liegt auch vor allem unsere Kritik: Der Ton in dem obigen Text ist zwar nicht triumphierend, aber eines ist klar:

Der Frieden, der Sahra Wagenknecht vorschwebt, ist eine Bestätigung des Erfolgs des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, verkauft als „Verhandlungsfrieden“ in einer Phase, in der Russland gar nicht verhandeln will, und jeden Tag wird es wahrscheinlicher, dass es keinen gerechten Frieden geben wird. Was Wagenknecht zeigt, ist, im Geiste des Kreml-Herrschers, eine ganz und gar machiavellistische und rücksichtslose Haltung, die darauf schließen lässt, wie es auf anderen Politikfeldern im Ernstfall aussehen wird. Es ist ermüdend, immer wieder zu schreiben: Klar kommt nichts von nichts, hätte man mit Russland anders umgehen müssen, aber in Wirklichkeit ist der Ukrainekrieg ein riesiges Dilemma, und der Verdacht liegt nah, dass Wagenknecht jemand ist, der in Wirklichkeit die Demokratie nicht besonders wertschätzt. Das gilt umso mehr, weil sie gezwungen ist, in Deutschland den demokratischen Weg zu gehen – an dem sie in der Linken und mit der Linken aber gerade gescheitert ist.

Das Ukraine-Dilemma werden wir noch einmal in etwas umfassenderer und aktualisierter Form, unter Einbeziehung bisheriger Artikel, darstellen.

In der Sozialpolitik sieht es naturgemäß anders aus. Wer würde dem widersprechen wollen, dass die Menschen derzeit draufzahlen – mehrheitlich. Und dass einige wenige davon profitieren. Dass der Zustand des Landes sich verschlechtert, ist in mehrerer Hinsicht offensichtlich.

Aber stellt Wagenknecht die Systemfrage? Das tut sie eindeutig nicht.

Und es hat keine taktischen Gründe, in dem Sinne, dass sie erst einmal die Menschen nicht erschrecken will, die sich langsam an grundsätzliche Fragen gewöhnen sollen.

Auch wenn sie einmal Mitglied der kommunistischen Plattform in der Linken war, sie ist eine in den Positionen längst Lafontaine-ähnliche populistische Sozialdemokratin, allerdings mit nationalistischem Einschlag. Es ist tragikomisch, dass die KPF (die Kommunistische Plattform der Linken) Wagenknecht immer die Stange gehalten hat, in parteiinternen Auseinandersetzungen, obwohl sie keine Kommunistin ist und ihre migrations- und gesellschaftspolitischen Ansichten weit von denen der KPF entfernt sind.

Der Klebstoff war ausschließlich die unbedingte Putin-Treue der KPF und Sahra Wagenknechts. Dieser Klebstoff war letztlich zu dünn und außerdem wirft er die oben schon angedeuteten Fragen auf: Wie kann jemand, der internationalistisch und antiimerpialistisch denken sollte, ein rechtes Regime wie das derzeitige russische, in dem eine enorme chauvinstisch-nationalistische Hetze an der Tagesordnung ist, gegen jede universalistische Logik, aus reinem Antiamerikanismus heraus, promoten? Ähnliches gilt für das hochgefährliche Xi-Jinping-China.

Wenn Wagenknecht ihr Angebot ernst meint, müsste sie darauf aus sein, Deutschland tatsächlich aus der NATO zu führen und in Europa eine Sonderposition einzunehmen, die ganz an Russland und China orientiert ist. Mit allen Folgen für die Demokratie, die das haben wird, woraus sich unsere Ansicht begründet, dass eine frühere Stalin-Verehrerin keine gute Demokratin ist. Dieses Anhimmeln eines Massenmörders hat sich bei ihr vermutlich eher erhalten als die kommunistischen Ansätze. so diese jemals tiefgehend in ihr verankert waren.

Wagenknecht weiß aber ganz genau, dass sie niemals an der bestehenden Westeinbindung der BRD wird rütteln können.

So stark wird sie nicht und so stark ist die BRD nicht im Gefüge des Westens. Und es wäre auch nicht wünschenswert, wenn die Alternative eine Andockung an den Putinismus und eine der rigidesten und potentesten Diktaturen der Welt wäre. Sicher wäre eine eigenständigere Position  Europas sehr wohl wünschenswert, aber wie sie gestalten? Nur die sehr weit rechten Parteien sind gegen die aktuelle EU eingestellt. Diese EU hat viele neoliberale Mängel, aber aus ihr heraus wird die Zukunft gestaltet werden, darüber sind die meisten hierzulande sich immer noch einig.

Manchmal trifft man sich dann auch, aber die Ansätze sind unterschiedlich. Deswegen sind wir beispielsweise, wie Wagenknecht, gegen eine schon wieder übereilte und das Gefüge belastende Erweiterung, aber nicht, weil wir Putins Sieg feiern, sondern, um die EU vor noch mehr inneren Spannungen und Disparitäten zu bewahren, also, um sie zu stärken und damit die Chancen auf Reformen zu steigern, die nicht schädlich, sondern nützlich für uns alle sind.

Wagenknecht muss hingegen auf die Zerstörung der EU setzen, sonst wird es nie eine Anbindung Deutschlands an Russland geben. Das wäre mit dem Fortbestehen der EU nur dann möglich, wenn in den USA die Zügel so gelockert würden, dass die EU quasi Entscheidungsfreiheit hat und sich eigenständig positioniert. Das ist, ob mit oder ohne Wagenknecht, nicht abzusehen. Dazu müsste sie zudem eine anti-amerikanische EU-Präsidentin werden oder eine solche Person unterstützten, eine Position vorausgesetzt, die es noch gar nicht gibt, frei und demokratisch von allen Völkern in der EU gewählt. Schon möglich, dass eines Tages die Mehrheit der EU-Bürger dem leider ebenfalls zunehmend antidemokratischen Treiben in den USA nichts mehr abgewinnen können, aber die institutionelle Verschiebung der geopolitischen Akzentsetzung ist etwas ganz anderes als das Aufgreifen einer Stimmung.

Selbst wenn, aus welchem Grund auch immer, einmal alle Voraussetzungen für ein echtes, glaubwürdiges, eigenständiges Europa gegeben wären: Es nach Wagenknechts Wünschen zu gestalten, wäre noch immer unmöglich. Weil sie selbst nicht der Typ ist, der sich dieser Ochsentour unterzieht, der es bedarf, so viele Länder zu koordinieren, die unterschiedliche Interessen und Positionen in geopolitischer Hinsicht haben. Sie müssten alle Diktaturen oder Halbdiktaturen werden, und dann käme wieder der Nationalismus noch stärker als gegenwärtig zum Tragen, der eine freundschaftliche Vereinbarung der Unterschiedlichen verhindert.

Deswegen ist die Infragestellung der Westbindung ohne die revolutionäre Situation, die nicht einmal in Ansätzen zu erkennen ist, Augenwischerei.

Wir raten aus unseren Beobachtungen in der Linken und von SW heraus Menschen, die das BSW bzw. die daraus hervorgehende Partei wählen wollen, dringend, zu überprüfen, ob ihnen die sozial- und gesellschafspolitischen Ansichten von Wagenknecht minus Nicht-Durchsetzbarkeit von zwei Dritteln der Positionen im erstgenannten Themenfeld beim Zusammengehen mit der Union genügen und ob sie bereit sind, die hochtrabenden und an Diktaturen orientierten außenpolitischen Ansprüche zu vergessen, bevor sie ihr Kreuz machen. Ansonsten wird wird es zu großen Enttäuschungen dann kommen, wenn SW oder ihre Partei tatsächlich in bundespolitische Regierungsverantwortung  eintreten sollten.

Eine weitere zulässige Motivation könnte es sein, die AfD irgendwie noch aufzuhalten. Hätten wir bei einer der „Ostwahlen“ des Jahres 2024 unsere Stimme abzugeben, würden wir darüber nachdenken. In Berlin brauchen wir das nicht, der letzte Rechtsruck hat sich gerade in der Rückschrittskoalition manifestiert, aber immerhin noch ohne die AfD. Letzteres Motiv für die Wahl des BSW hätte immerhin den Vorteil, dass man dafür die innere Distanz nicht aufgeben muss und nicht als Wagenknecht-Fan blind für die blinden Flecken in ihrem politischen Konzept sein muss. Man wählt hingegen ein Mittel  zum Zweck und wägt ab, man entscheidet sich in einem wenig erfreulichen Parteienumfeld und angesichts des Rechtsdralls dafür, die Rechten ein wenig zu spalten. Allerdings hat auch dieses Wahlmotiv einen Haken.

Wem aber hilft man am meisten, wenn man sich wahltechnisch so verhält? Die Antwort ist nicht so verblüffend: Friedrich Merz.

Denn eine Art Volksfrontregierung, die der CDU zum Beispiel in Sachsen die Macht sichert und an der das BSW beteiligt ist, hilft der Bundes-CDU. Dabei spielt es letztlich kaum eine Rolle, dass der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer in Sachen Russland-Ukraine-Politik andere Ansichten vertritt als Merz und die übrigen Bundespolitiker und diesbezüglich Wagenknecht nahesteht. Letztlich verhilft Wagenknecht dem rechtskonservativen Lager zu einer Basis, die auch bei der nächsten Bundestagswahl tragfähig sein wird. Vorausgesetzt natürlich, die hohen Zustimmungswerte, die das BSW schon in Vorab-Umfragen erhalten hat, die suggerierten, es wäre schon eine wählbare Partei, lassen sich bis 2025 tatsächlich in Wähler:innenstimmen umsetzen. Auf Bundesebene ist es dann aber so, dass Wagenknecht und die CDU unmöglich für eine gemeinsame Außenpolitik stehen können, wenn Wagenknecht nicht ihr Alleinstellungsmerkmal verlieren will, nämlich eine Politikerin zu sein, die außenpolitisch zwar wie die AfD tickt, aber innenpolitisch nicht so brutal rechts ist. Und wieviel Sozialpolitik das BSW als Juniorpartner der Union würde durchsetzen können, das hängt von den Wahlergebnissen ab, die sozialpolitische Wirksamkeit des BSW als  wesentlich kleinerer  oder in einer Mehrparteienkoalition mittlerer Partner ist allemal fraglich.

Dass SW die Grünen hingegen so stark angreift, ist im sozialpolitischen Sinne ontraproduktiv, weil diese durch ihre Angriffe ganz sicher kaum an Zuspruch verlieren werden, eher im Gegenteil.

Was sie aber tut, ist, damit der SPD zu schaden, die mit Blick auf die Bundesregierung für alles verantwortlich gemacht wird, zumal in Person von Kanzler Scholz, was nicht gut läuft, also auch für die von SW markierte Politik der grünen Minister:innen. Die SPD wäre aber die einzige Bündnispartnerin, die mit dem BSW eine überwiegend kohärente Innen- und Sozialpolitik vereinbaren könnte – unter Abzug der außenpolitischen Komponente. Wenn man diese weglässt, sind einige Überschneidungen zwischen SPD-Wähler:innen und potenziellen BSW-Wählenden erkennbar.

Die vorstehende politische Skizze macht noch etwas deutlich. Dass Wagenknecht nichts Neues mitbringt.

Alles, was sie anbietet, gibt es längst, nur die Kombination ist etwas anders als in jeder der anderen Parteien. Auf diese Weise kann man noch weitere fünf Parteien gründen, ohne dass das Angebot sich tatsächlich erweitert. Im Political Compass wird sich auch das BSW im selben rechten oberen Quadrat von vier möglichen wiederfinden wie alle anderen relevanten deutschen Parteien (mit Ausnahme der Linken, aber auch diese rückte über die Jahre immer mehr in diese Richtung).

Wenn man diesen Kompass für Deutschland mit demjenigen anderer demokratischer Länder vergleicht, wird klar, dass der Eindruck vieler Menschen, in der BRD sei das politische Spektrum nicht gerade breit, richtig ist.

Das wird auch künftig so sein. Eine politische Innovation oder wenigstens eine modernisierte Reorganisation der Linken sieht anders aus als das BSW. Auch das BSW belegt in der Aufstellung, mit der es starten wird, dass wir weit davon entfernt sind, politisch zu neuen Ufern zu gelangen, wen immer wir auch wählen werden. Es ist schlimmer. Man hat derzeit den Eindruck, man kann lediglich noch ein wenig über das Tempo des Rückschritts mitbestimmen.

Ob für die Absicht, diesen zu bremsen, so gut es eben geht, die Wahl des BSW richtig ist, das bei genauem Hinsehen so wenig Zukunft und Aufbruch zu bieten hat, muss jeder selbst entscheiden. Natürlich kann es in Zeiten des Rückschritts ein ausreichender Grund für eine Wahlentscheidung sein. Perspektivisch: Erst das Schlimmste verhindern, in ein paar Jahren endlich etwas auf den Weg bringen, das mehr ist als der x-te Aufguss eines Protests. Dazu muss man sich aber die Selbstermächtigung zutrauen, die vom Politikstil einer Sahrwa Wagenknecht so weit entfernt ist wie die kahle, kalte Rückseite des Mondes vom irdischen Blumengarten der tausend partizipativen Möglichkeiten, also dem Ansatz, Politik selbst mitzugestalten. Vielleicht geht aus der Ratlosigkeit, die auch das BSW hervorbrachte, verbunden mit einer manchmal lächerlichen Service-Mentalität und Unselbstständigkeit in Sachen Politik eine zivilgesellschaftliche Erneuerung hervor, wenn alle diesen rechten Quatsch satt haben, den sie in weniger scharfer Form als der AfD auch mit dem BSW unterstützten.

Das könnte sogar die tiefere Funktion oder der tiefere Sinn des BSW sein: Dass die Menschen nach dem nächsten Fail einer neuen Partei, der nächsten politischen Enttäuschung nicht der Demokratie für diese Enttäuschung die Schuld geben, sondern erkennen, dass sie selbst diese Demokratie so kläglich gestaltet haben. Durch ihre Wahlentscheidungen. Dass sie endlich erkennen, dass es keine Heilsbringer:innen gibt, dass man keine unmündige Fanposition einnehmen darf, sondern man selbst etwas tun muss, wenn sich etwas verbessern soll. Dazu ist freilich etwas mehr Engagement nötig, als alle vier Jahre zur Bundestagswahl zu gehen.

TH

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