Gerade die Demokratie („Was man tun kann“, Verfassungsblog, Kurzkommentar)

Briefing Gesellschaft Demokratie, Verfassungsblog, BVerfG, Bundesverfassungsgericht, Grundgesetz, Verfassung, Zivilgesellschaft, Danksagung, Anschlag von Magdeburg, Jahresabschluss

Am Ende des Textes, den Sie gleich lesen werden, werden uns frohe Feiertage gewünscht. Alle, die ein wenig Empathie haben, werden in diesem Jahr keine frohen Feiertage haben, nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg.

Wir wissen, wie sich ein solches Ereignis aus der Nähe anfühlt, wir wohnen keine zwei Kilometer Luftlinie entfernt vom Berliner Breitscheidtplatz und kennen ihn natürlich auch aus eigener Anschauung.

Was wir nicht wissen können: Wie sich Angehörige getöteter Menschen fühlen, wie es ist, um schwerverletzte Freunde, Familienmitglieder zu bangen. Wir waren noch nicht in der Situation, wenn es um Terrorismus ging.

Ein in vieler Hinsicht gruseliges Jahr hat einen Abschluss gefunden, der in gewisser Weise dieses Jahr spiegelt.

Heute dürften Trauer und dann der Ruf nach Sicherheit das Denken vieler Menschen dominieren. Die politische Instrumentalisierung des Anschlags zeichnet sich schon in allerersten Statements ab. Alles wie gehabt.

Ist es angezeigt, heute Werbung für die Demokratie zu machen, über die wir wissen müssen, dass es in ihr keine absolute Sicherheit gibt? Wir waren erst kürzlich auf dem Breitscheidtplatz, wo man um unzählige Betonbarrieren herumgehen muss, um ihn zu betreten oder zu verlassen. Und dies acht Jahre nach dem Anschlag. Diese Wunden bleiben auf Dauer, auf lange Sicht jedenfalls. Es sind auch Wunden der Demokratie, die vernarben, aber nicht vergessen werden, sondern vom Schock des Moments ins kollektive Bewusstsein übertreten.

Wir glauben, dass es gerade jetzt wichtig ist, die Demokratie zu schützen und zu stärken. Das hat die Politik tatsächlich am Donnerstag und am Freitag getan, als zuerst der Bundestag und dann der Bundesrat das „Resilienzgesetz“ beschlossen hat, wie die Normierung eines besseren Schutzes des Bundesverfassungsgerichts vor antidemokratischen Machenschaften umgangssprachlich bereits genannt wird. Leider hat eine Partei, die zu den alten, angeblich grunddemokratischen Parteien zählt, einen noch besseren Schutz verhindert. Gemeint ist die CSU. Das haben wir natürlich durch einen Artikel des Verfassungsblogs erfahren.

Erstmals, soweit wir uns erinnern, kommt es im Jahresend-Editorial des Verfassungsblogs zu einem Spendenaufruf. Wir sind mittlerweile vorsichtig damit, solche Aufrufe weiterzuleiten, aber in diesem Fall stehen wir dahinter. Für alle, die sich allgemeinzugänglich mit Recht und Demokratie beschäftigen wollen, ist diese Publikation zentraler Lesestoff. Und damit zum letzten Editorial in diesem Jahr, verbunden mit einem Dank an den Herausgeber und das Team dafür, dass alle diese relevanten Artikel immer noch gemeinfrei sind und wir sie daher republizieren können. Wir hoffen sehr, das wird auch im Jahr 2025 so bleiben. Vor allem die Einlassungen zu internationalen Themen bekommen Sie sonst nirgendwo in dieser Qualität und Dichte und so gut durch „die Sprache des Rechts“ abgesichert gegen Angriffe von jedweder Seite, die versucht, das politische Klima in diesem Land weiter zu vergiften. Und es gibt einige, die auf diese Weise antidemokratische Ideologien fördern oder das nachdenken dürfen über Gerechtigkeit am liebsten untersagen möchten.

Wir werden den Artikel nicht kommentieren, nicht unsere eigenen Assoziationen aufschreiben. An diesem schrecklichen Tag ist nach dem Text selbst erst einmal Schluss. Ein wenig ergänzt und abgegrenzt haben wir den Titel, weil er in unserem publikatorischen Umfeld etwas abstrakt wirkt.

Doch noch etwas: Wir haben den  Gruß am Schluss natürlich nicht geändert, der Artikel wurde eindeutig vor dem Anschlag von Magdeburg verfasst, und selbst jetzt: Vielleicht doch. Man kann ja auch froh sein, bisher davongekommen zu sein und sich freuen, dass das für alle Lieben, die man hat, auch gilt.

Und damit trotz allem zur Stärkung der Demokratie:

***

„Was man tun kann“

Maximilian Steinbeis, Editor des Verfassungsblogs

Gestern saß ich abends mit ein paar Freunden zusammen, um auf die Grundgesetzänderung anzustoßen, die der Bundestag gestern und der Bundesrat heute verabschiedet haben. Künftig wird keine Regierung legal das Bundesverfassungsgericht aufblähen und mit Loyalisten vollstopfen können, um es als Kontrollinstanz über die Rechtmäßigkeit ihres Handelns zu neutralisieren. Das Volkskanzler-Szenario, das ich vor fünf Jahren aufgeschrieben habe, ist künftig kein realistisches Szenario mehr.

Das ist ein fantastischer Erfolg, und einige derer, mit denen und auf die ich gestern das Glas erhoben habe, haben Titanisches geleistet, um ihn möglich zu machen. Andererseits: Es bleibt der Regierung weiterhin möglich, die Zweidrittelmehrheit, die zur Wahl von Verfassungsrichter*innen erforderlich ist, mit einfacher Mehrheit abzuschaffen – und zwar ohne dass der Bundesrat dagegen sein Veto einlegen kann. Vor allem die CSU wollte diese Möglichkeit unbedingt behalten (wofür? Tja, wofür?…).

Künftig gibt es also den sogenannten Ersatzwahlmechanismus, der verhindern soll, dass autoritäre Populisten ihre Position als Sperrminorität missbrauchen und durch die Blockade der Wahl von Verfassungsrichter*innen dem Gericht Schaden zufügen: Ist der Bundestag über eine gewisse Frist blockiert, kann der Bundesrat die Wahl vornehmen – und umgekehrt. Stellen wir uns nun folgendes Szenario vor: Die Regierung kontrolliert nicht nur im Bundestag mehr als 50 Prozent der Stimmen, sondern auch im Bundesrat mehr als 33 Prozent. In diesem Szenario könnte die Regierung die Besetzung der Posten, die dem Bundesrat zustehen, gezielt blockieren und so in den Bundestag rüberziehen, dort die Zweidrittelmehrheit abschaffen und so gegen den hilf- und wehrlosen Protest der Opposition und der Länder nicht nur sämtliche Richter*innenposten des Bundestags, sondern auch die des Bundesrats mit Leuten ihrer Wahl besetzen. Und so am Ende genau das Ergebnis herbeiführen, das diese Reform eigentlich verhindern will: ein der Regierung höriges Bundesverfassungsgericht.

Das ist nichts Neues. Simon Willaschek hatte im November auf das Problem hingewiesen, ich in der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss ebenso. Im Bundesrat sind viele stinksauer deswegen, und zwar zu Recht. Sie müssen dieser Grundgesetzänderung zu ihren Lasten zustimmen, ohne deren eklatanten Fehler noch im Vermittlungsausschuss herausverhandeln zu können, damit die Reform vor der Auflösung des Bundestags überhaupt noch zustande kommen kann.

Auch Verfassungspolitik ist Politik. Auch bei der Absicherung des Bundesverfassungsgerichts geht es trotz aller Einigkeits- und Geschlossenheitsbeteuerungen um Macht. Wer sie hat. Und wer ihr unterworfen ist.  

Das Bundesverfassungsgericht ist jetzt besser abgesichert als zuvor. Aber sicher ist es nicht. Und das kann auch gar nicht anders sein. Wer sich vornimmt, das Bundesverfassungsgericht seiner Macht zu unterwerfen, wird immer Möglichkeiten finden. Wie viele und wie günstige, ist rechtlich bis zu einem gewissen Grad gestalt- und begrenzbar. Aber über Erfolg oder Misserfolg des Vorhabens entscheidet die Politik und nicht das Recht. Die Länder müssen sich der Macht des Bundes beugen – das hält das Bewusstsein wach, dass das Thema nicht erledigt ist, dass es weiter und mehr denn je nötig bleibt, wachsam zu sein und sich vorzubereiten und zu organisieren und Wissen zu sammeln, um das Bundesverfassungsgericht davor schützen zu können, der Macht unterworfen zu werden. Was man tun kann in diesen furchterregenden Zeiten? Genau das.

Wir sind dieser Frage in diesem ereignisreichen Jahr permanent begegnet: Das ist ja sehr interessant, Ihre Szenarien zu Thüringen und all das, aber was kann ich, was kann ICH denn jetzt tun?

Sich organisieren. Sich solidarisieren. Sich vorbereiten.

Wenn Sie zum Beispiel Rechtsanwält*in sind: Einer der entscheidenden Treiber dieser Grundgesetzänderung war der Deutsche Anwaltverein. Ja, genau, der gute alte DAV. Oh, Sie sind ausgetreten, weil Ihnen der Mitgliedsbeitrag zu teuer war? Vielleicht überlegen Sie sich das noch mal. Ein mächtiges, schlagkräftiges, gut geöltes Netzwerk von ihrerseits gut vernetzten und hoch kompetenten Jurist*innen. Das sind viele. Da steckt richtiges politisches Machtpotenzial drin. Damit kann man was bewegen. Und gar europäisch vernetzt! Eine halbe Million informierte, organisierte, entschlossene Jurist*innen! Wenn das die Nadel nicht bewegt, was dann?

Wenn Sie sich Sorgen wegen der Nazis machen: Da gibt es Leute, die tun da was dagegen, und zwar unter äußerst schweren Bedingungen. Damit die das tun können, gibt es Solidaritätsnetzwerke wie Polylux. Da können Sie Fördermitglied werden. Oder der Gegenrechtsschutz. Da bewegt Ihr Geld was, ganz unmittelbar. Die Rechten sind extrem gut darin, den Rechtsstaat für ihre Zwecke einsetzen. Ulrich Vosgerau hat auf GoFundMe fast 190.000 Euro eingesammelt, um alle möglichen Leute, die sich unter Berufung auf die Correctiv-Recherchen zu dem berüchtigten Potsdamer Treffen geäußert haben, mit SLAPP-Klagen überziehen zu können. Warum sind ihre Gegner nicht mindestens genauso gut darin? Woran fehlt es da?

Wenn Sie sich wünschen, mehr zu wissen über das, was da auf uns zukommt: Da kommen wir ins Spiel. Wir brauchen Ihre Unterstützung. Wir brauchen viele kleine Spenden. Aber was wir auch brauchen, sind viele große Spenden. Was Sie tun können, ist sich überlegen, was für Sie der maximale Betrag wäre, auf den Sie verzichten könnten, ohne es wirklich zu merken. 5 Euro? 50 Euro? Oder vielleicht 50.000 Euro? Und dann hier diesen Betrag eintragen und auf „Jetzt spenden“ klicken. Vielen Dank! Damit können wir arbeiten, das ist toll! Damit haben Sie was getan!

Jetzt spenden!

Es fehlt nicht an Dingen, die Sie tun können. Wir können was tun. Natürlich können wir das. In Syrien haben sie verdammt noch mal gerade einen blutrünstigen Diktator gestürzt! Natürlich können wir was tun. Dieses Jahr, und nächstes Jahr und das Jahr darauf.

In diesem Sinne: frohe Feiertage.

***

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