Sackgasse (Dead End, USA 1937) #Filmfest 1299 #DGR

Filmfest 1299 Cinema – Die große Rezension

 Sackgasse ist ein US-amerikanischer Kriminalfilm aus dem Jahre 1937. Der Film entstand nach dem Theaterstück Dead End von Sidney Kingsley.

Ich hatte mir den Film im Original angesehen und bin ein wenig über den Slang der Dead-End-Kids gestolpert, die, anders als die Personen, die sie im Film spielten und die unter anderem als Punks bezeichnet werden, noch eine Karriere aus ihren Figuren machen sollten. Sie hatten die Straßenjungs der East Side bereits 1935 im Bühnenstück gespielt, das dem Film zugrunde liegt.[1]

Handlung (1)

New York City am East River in der Great Depression. Hier leben Reich und Arm Seite an Seite, seitdem mehrere Reiche aufgrund der schönen Aussicht dort in neue Appartements gezogen sind. Drina Gordon und ihr jüngerer Bruder Tommy sind arm. Tommy ist Mitglied einer Straßengang, und Drina befürchtet, dass Tommy und die anderen Jungs ihr Leben als Kriminelle verschwenden werden. Aber die Jungs sehen eine Karriere als Gangster als einzige Möglichkeit, ihren ärmlichen Verhältnissen zu entfliehen. Ihr großer Held ist der einstige Nachbarsjunge Baby Face Martin, der mittlerweile ein berüchtigter Gangster und mehrfacher Mörder ist.

Auf der Flucht vor der Polizei taucht Baby Face in seiner alten Heimat unter und besucht seine Mutter und seine alte Freundin Francey, die mittlerweile als Prostituierte ihren Lebensunterhalt verdient. Mrs. Martin möchte jedoch nichts mehr mit ihrem verbrecherischen Sohn zu tun haben, und auch mit Francey wird es für ihn keine Zukunft geben können. Baby Face erkennt seine Lebenssituation als aussichtslos.

Der Architekt Dave Connell lebt ebenfalls in ärmlichen Verhältnissen am East River. Auch er träumt vom Ausbruch aus dieser Umgebung, doch sein fleißiges Arbeiten und sein abgeschlossenes Studium haben ihm bislang keinen Reichtum beschert. Dem gutaussehenden jungen Mann würden sich Chancen durch eine mögliche Ehe mit der wohlhabenden Kay Burton bieten, er fühlt sich jedoch zu Drina Gordon hingezogen.

Tommys Straßengang verprügelt einen Jungen aus reichem Hause, wenig später verletzt Tommy zudem noch den Vater des Jungen leicht mit einem Messer. Daraufhin versteckt sich Tommy vor der Polizei und die Sorgen seiner Schwester Drina über seine Zukunft vergrößern sich nur. Baby Face Martin ist unterdessen über die Erfolglosigkeit seines Besuchs frustriert und möchte den reichen Jungen für ein Lösegeld entführen. Dave bekommt das mit und stellt sich gegen Baby Face. Nach einer längeren Auseinandersetzung kann er Baby Face erschießen und erhält von der Polizei ein Belohnungsgeld. Mit diesem Geld könnte er nun endgültig seine Flucht aus dem Armenviertel antreten.

Ein Mitglied von Tommy Bande namens Spit verrät nach einer Befragung durch die Polizei den Namen und Wohnort von Tommy. Drina überlegt mit ihrem Bruder zu flüchten, der wiederum an Spit brutale Rache nehmen möchte. Dave kann im letzten Moment in die gefährliche Situation einschreiten und überzeugt Tommy davon, sich der Polizei zu stellen. Ein Leben als Krimineller ende, wie man an Baby Face Martin sehe, in der Sackgasse. Dave möchte sein Belohnungsgeld für einen guten Rechtsanwalt für Tommy ausgeben. Er gibt seine Beziehung zu Kay Burton auf, da sie und er in zu unterschiedlichen Welten leben würden, und entscheidet sich für eine Zukunft mit Drina Gordon.

Rezension

Die Wikipedia-Einleitung, die den Film als Krimi klassifiziert, greift zu kurz. Wer sich mit der Gentrifizierung von Städten beschäftigt, hat schon nach der Einleitung ein Bild von der Aussage des Films. Mitten in die Armut hinein bauen Reiche ihre Appartements und leben am Rande einer Welt, mit der sie absolut nichts zu tun haben. Soziale Gegensätze auf diese Weise in einem Theaterstück zu zeigen, ist schon technisch versiert, weil es nur ein einziges Bühnenbild braucht. Viel mehr hat auch Wiliam Wyler nicht getan, der bei diesem Film Regie führte. Die Wohnungen der Reichen werden  nicht von innen gezeigt, die der armen Leute nur sehr sparsam, dafür aber drastisch. So drastisch, dass es eine Bewohnerin aus einem der neuen Appartements dort nicht aushält und wieder rausrennt in ihre eigene Welt. Die sieht übrigens verblüffend ähnlich den Neubauwohnungen aus, wie sie heute noch gebaut werden. Raumhohe Fenster, davor ein Balkon, lediglich die Gitter sind noch ein wenig verschnörkelt, ein Hauch von Art Déco weht durch das Immobiliengepräge der Gentrifizierer. Wir hätten bis zu unseren Einsichten über die Art, wie in Berlin gentrifiziert wird, dieses Hineinbauen eines Blocks von Luxusappartements mitten in ein „Brennpunktviertel“ für eine symbolische Anordnung gehalten, für eine dramatische Verdichtung.

Die Wirklichkeit ist schlimmer. Die Leute aus dem Haus der Reichen sind lediglich ignorant gegenüber der Nachbarschaft, durch die sie hindurch müssen, weil keine Autostraße direkt zu ihrem Neubau führt, eine Tiefgarage gibt es demgemäß auch nicht. Die Realität, die wir in  Berlin kennengelernt haben, ist, dass die Gentrifiizierer sich daran delektieren, wie sie die Ärmeren verdrängen und eine ganz und gar pittoreske Sicht nicht auf das Stadtpanorama, das man von ihren Fenstern aus sieht, sondern auf die letzten Punks in der Gegend  haben. Wenn man so will, ist dieses Appartementhaus, das wir im Film sehen, auch kein Solitär, sondern der Anfang vom Ende der „Hood“, der Nachbarschaft der Armen. Allerdings wird deren Welt auch höchst unsentimental dargestellt. Die Jungsbande fleddert zum Beispiel den reichen Jungen im Anzug und verprügelt ihn, obwohl er sich doch ihren Respekt  hätte dadurch verdienen müssen, da er sich alleine in ihre Mitte traut.

So plan darf man diesen Film aber nicht sehen, denn hier wird nicht unhinterfragt das mutige amerikanische Individuum gehypt, sondern die sozialen Gegensätze überlagern alles, jede persönliche Eigenschaft. Damit steht das Werk in der Reihe damaliger sozialkritischer Filme, die sich vergleichsweise ernsthaft mit den gesellschaftlichen Zuständen der ausgehenden Depressionszeit befassen und keine billigen Lösungen anbieten. Demgemäß ist das Ende auch nicht happy, sondern grau. Der Junge, der sich gemäß den Regeln seines Milieus wehrte, aber einen guten Kern hat, wird vor Gericht kommen und in eine Art Besserungsanstalt oder auch nicht, denn der Tritt nach oben ist auch in den letzten Einstellungen sichtbar: Mit den 4.800 Dollar Belohnung, die der junge Architekt für das Zur-Strecke-bringen von Baby Face Martin erhalten wird, kann er dem Jungen einen guten Anwalt verschaffen. Damit hat er eine Chance, in einem Land, in dem Geld wirklich alles ist. Hätte aber der Architekt das reiche oder wohlhabende Mädchen genommen, um sozial aufzusteigen, nicht das arme Mädchen, das die Schwester des Jungen ist, dann hätte der Junge keinen guten Anwalt bekommen und der Architekt hätte die 4.800 Dollar behalten und damit ein neues Leben anfangen können. Die Summe stellte damals etwa ein dreifaches durchschnittliches Jahresgehalt in den USA dar.

Es gibt nur eine Figur, die sich karitativ auszeichnet, und das ist Drina, zu deren Wesen der Typ von Siliva Sidney hervorragend passt, von der sie dargestellt wird (sie spielte das Good Girl auch ein Jahr zuvor in Fritz Langs Lynchmob-Drama „Fury“, seinem ersten amerikanischen Film). Der Blick des Films ist im Grunde so sehr beobachtend, dass es von der Verkörperung der Charaktere abhängt, ob man als Zuschauer mitgehen kann. Joel McCrea, dessen durchaus nicht unbedeutende Stellung im damaligen US-Stargefüge wir zuletzt etwas mehr in den Blick genommen haben, spielt den Architekten und Humphrey Bogart den Schwerverbrecher, der aus dem Slum hervorgegangen ist, in dem jetzt die East-End-Kids seine Nachfolger werden möchten. Nach meiner Ansicht wissen sie aber gar nicht, dass er sich wieder unter sie gemischt hat, denn er hatte ja „his face fixed“ bekommen, also eine Schönheits-OP, die wohl notwendig wurde, damit man ihn nicht überall erkennt, oder weil er Narben hatte oder beides. In einem späteren Film aus der Superstar-Phase von Bogart wird dieses Thema noch einmal groß herausgestellt.

„Sozialkritisch bedeutendes und entwicklungsgeschichtlich interessantes, atmosphärisch dichtes Vorkriegswerk von William Wyler.“ – Lexikon des internationalen Films[1]

„Unter Wylers pompös steriler Regie muß Bogart eine undifferenzierte Schurken-Charge mimen. Die handwerklich perfekte Sorgfalt der Inszenierung verdeckt nur unvollkommen die innere Leere des Dramas.“ – Hans-Christoph BlumenbergDie Zeit am 15. November 1974[2]

In diesem Fall gehen wir mit dem Filmlexikon und nicht mit der 1970er-Kritik, die offenbar davon geprägt ist dass man den nunmehr am höchsten mit Oscars dekorierten Regisseur aller bisherigen Zeiten im Zeitalter des deutschen Autorenkinos meinte besonders kritisch sehen zu müssen, weil er nicht als Autorenfilmer galt. Was er mit fast allen anderen Hollywood-Regisseuren seiner Ära gemeinsam hatte, bei denen man es aber nicht so in den Vordergrund gerückt hatte, dass er sich seinen Stoffen unterordnete und nicht seine Handschrift ins Publikum warf. Wyler war einer der besten Schauspielerführer, deswegen hat nicht nur er selbst, sondern haben auch viele seiner Darsteller Preise erhalten. Er galt auch als Perfektionist und hatte sich den Spitznamen „90-Take-Willie“ erarbeitet, weil er Einstellungen so lange wiederholen ließ, bis sie exakt seinen Vorstellungen entsprachen. Er hat also die Schauspielleistungen sehr stark modelliert, und das fast immer zum Besten des Ergebnisses. Diese Herangehensweise war in den 1970ern gerade stark verpönt und so muss man die Kritik der Zeit aus dem Jahr 1974 verstehen.

Bogart spielt nämlich keineswegs eindimensional. Er liefert die prägnanteste Vorstellung im Film ab und sucht hier nicht nur Unterschlupf, sondern auch seine verlorene Jugend, inklusive der Jugendliebe Francey. Vieles spielt sich dabei in Untertönen ab, auch das Verhältnis zu den Jungs, die er anleitet, wie man mit dem Messer kämpft, aber auch einfach so beobachtet, weil sie ihn an seine Jugend erinnern. Der Moment, in dem er Francey dann wirklich trifft und der bis zu meiner Ungeduld hinausgezögert wurde, ist der berührendste, gefühlvollste des Films, nicht das Verhältnis des Architekten zu Drina.

Dieser passt nach seiner Ansicht nicht in die große Welt, aber das ist eher eine Behauptung, immerhin ist er Akademiker und sieht gut aus, daraus kann man mit Protektion etwas machen. Aber im Dunkel, auf der anderen Seite der Straße, begegnen sich zwei Verlorene, noch einmal kommt für einen Moment das Gefühl auf und dann erkennen auch diese beiden, dass sie keine  Zukunft miteinander haben. Oder gar keine. Francey geht davon, Baby Face ist endgültig desillusioniert und verwickelt sich in einen Kampf mit dem Architekten und der Polizei, den er verliert, und dabei stirbt er. Bogart mimt zwar auch den Schurken, aber er ist die am meisten zerrissene Figur von allen und man erahnt, was er kann. Natürlich kennt man heute die weitere Geschichte, nämlich, dass er, historisch betrachtet, vielleicht der größte Star überhaupt wurde, aber das wusste man auch 1974 schon und hätte etwas genauer hinschauen können, wodurch sich sein Spiel auszeichnet und wie Wyler ihn einsetzt.

Nämlich an der Grenze dessen, was man einer solchen Figur damals zubilligen konnte. Eine positivere Darstellung wäre nicht möglich gewesen, unter der Ägide des Hays Code, weil man damit zu viel Sympathie für den Gangster erweckt hätte, der zwar in einem vernünftigen Outfit erscheint, nach seinen eigenen Maßstäben teuer und modisch, aber dort untergeht, wo er einmal angefangen hat. Sein Lebenskreis schließt sich, ohne dass man zu viel Mitleid  hat, weil der Szene mit Francey die Idee folgt, den reichen Jungen zu entführen. Die Balance, die Wyler hier hält, ist ausgezeichnet. Eine negative Figur wird nicht, wie in New Hollywood, als eigentlicher Held installiert, sondern bleibt, was sie ist, ein Produkt ihrer miesen Kindheit. Doch in einigen Momenten merkt man, dass dieser im Grunde kaputte Typ die eigentliche Botschaft des Films trägt: Wir sind alle Menschen und unsere Chancen hängen doch sehr von dem Umfeld ab, in das wir hineingeboren werden. Dass der Film damit heute wieder mehr den Kern trifft als während des Bildungsaufstiegs eines Teils der Arbeiterklasse in den 1970ern, restauriert, leider, muss man schreiben, auch seine Aktualität.

Bei mir kommt natürlich hinzu, dass ich gewisse Berliner Frontstellungen wiedererkannt habe, die mich an die heutige soziale Realität erinnert haben. Trotzdem ist die Bogart-Rolle gerade nicht an die einstiger Mobs angelehnt, die man in die heutige Welt der Clans fortschreiben könnte, sondern er wirkt wie ein Loner, der auch von einem etwas weniger getriebenen und im Grunde gutmütigen Kumpel oder Komplizen nicht vor dem Untergang gerettet werden kann. Heute lässt sich natürlich leicht sagen, dass es beinahe zwangsläufig zum Durchbruch für Bogart in den folgenden Jahren führen musste, in der Folge von Edard G. Robinson und James Cagney, die sowohl gute als auch böse Jungs spielen durften, in den späten 1930ern und alles dazwischen. Im Jahr  zuvor hatte Bogart bereits in dem ebenfalls literarisch untermauerten „The Petrified Forest“ eine Art gebrochene Gangsterrolle, die viel Beachtung fand, während er 1939 in „The Roaring Twenties“ noch einmal den Oberschurken spielen musste, weil in dem Film auch James Gagney als Hauptdarsteller und differenzierteste Figur im Gangstermilieu anwesend war.

Demgegenüber deutet sein Auftritt in „Dead End“ schon eher darauf hin, dass er aus dem Schatten seiner unzweifelhaft für einen Gangsterdarsteller geeigneten Optik heraustreten und sie in Figuren von desillusionierten Noir-Antihelden mit romantischer Attitüde würde hineinveredeln können, statuarisch in „Casablanca“ ausgeführt (1942). Dieser Moment einer verlorenen, einer Noir-Romantik, den sieht man wie ein Blick in die Zukunft des Schauspielers – in der Szene mit Francey. Auch der Moment mit seiner Mutter, die ihn komplett ablehnt, obwohl sie ihm sicher nie emotionale Nähe geben konnte, oder gerade deswegen, ist sehr instruktiv. William Wyler hat sichtbar das meiste von seinem Interesse an dem Stoff in den Charakter Babyface Martin investiert, der im Grunde etwas zu oft im Bild ist, für jemanden, der von der Polizei gesucht wird. Der Typ gehört aber in dieses Bild, weil sie soziale Welten distinguiert und biografische Stationen klammert.

Finale

Sicher wirkt der Film durch die erhebliche Verdichtung und das viele Personal auf engem Raum „stagy“,  bühnenhaft. Es ist richtig, dass die Regie hier nicht innoviert, sondern es bei der Anordnung aus dem Stück weitgehend belassen haben dürfte. Der Eindruck verstärkt sich dadurch, dass das Szenenbild tatsächlich recht klein ist und der East River im Hintergrund mit den darauf fahrenden Flußschiffen klar als Rückprojektion zu erkennen ist. Am Dead End enden nicht nur die zweifelhaften Karrieren von Menschen, die dort geboren wurden, sondern alles dahinter ist Kulisse, hat nichts mehr mit dieser Welt zu tun. Das gilt insofern sogar für die Häuser der Reichen, da diese nie zu eigenständigen atmosphärischen Plätzen werden, wohl aber die Behausungen und eine Kneipe der Armen, in der Spaghetti als Fensterdekoration verwendet werden und ein elektrisches Klavier die Seele von Babyface Martin so malträtiert, dass er es nicht mehr  hören kann. Ob das eine Idee der Regie ist oder aus dem Stück stammt, ist im Grunde unwichtig, es funktioniert, weil es einen Menschen zeigt, der nie in seiner Mitte war. Er wollte dieses Milieu verlassen und sah, wie die jetzigen East-End-Kids, die Möglichkeit nur im Verbrechen.

Vielleicht muss man einen gewissen Zugang zu den Themen haben, die hier gezeigt werden, um die Reichhaltigkeit des Films zu verstehen und seine progressive Haltung. Dafür war Wyler Spezialist, nach der berühmten ersten Verfilmung von „The Children’s Hour“ aus dem Jahr zuvor, den er 1962 unter etwas freieren Bedingungen noch einmal verfilmte. „The Children’s Hour“ entstand nach einem Stück von Lillian Hellman, die für „Dead End“ das Drehbuch verfasste.

Ausgeglichen im amerikanischen, Kapitalismus-affinen Sinn ist der Film nicht, die Distanz zu den Reichen ist deutlich spürbar, sie werden nicht, wie in so vielen Filmen, auf eine viel zu empathische Weise in den Mittelpunkt gestellt. Sie sind viel eher Stereotypen, wie der Junge mit dem hellen, viel zu großen Anzug, der sich den Boys aus der Nachbarschaft mit ihren zerlumpten, eng sitzenden Klamotten gegenübersieht. Auch das zwischenzeitliche Love Interest des Architekten ist hell gekleidet, das Haus selbst ebenfalls weiß oder eher cremefarben, der Architekt und Baby Face Martin stehen interessanterweise dazwischen. Der Stil ist verschieden, die Farbgebung ihrer Kleidung ähnlich. Der eine will etwas darstellen, der andere bekennt sich zu seiner Herkunft aus der Arbeiterklasse.

Herausragend gespielt ist der Film, anders als viele Wyler-Arbeiten, nicht, sondern solide. Aber gerade Bogarts Rolle hebt sich dadurch heraus, dass er etwas mehr zeigt als alle anderen. Und natürlich die Jungs von der East Side, die Wyler auch als kompetenten Regisseur für Jungdarsteller ausweisen. Mit der Einschränkung natürlich, dass diese schon auf der Bühne zusammengearbeitet hatten und daher für den Film nicht mehr so viel lernen mussten.

Wir haben noch ein wenig in der englischen Wikipedia gestöbert, um die Rezension abzurunden. In der Einleitung zur  Handlungsangabe wird der soziale Kontrast stärker illustriert und verortet als in der deutschen Version:

In den Slums von New York, am East River, direkt unterhalb der Queensboro Bridge, leben wohlhabende Menschen in opulenten und luxuriösen Wohnungen, weil sie einen malerischen Blick auf den Fluss haben, während die Mittellosen und Armen in der Nähe in überfüllten, von Kakerlaken verseuchten Mietskasernen leben.

Später ist es dann unter anderem der Anblick einer Kakerlake, die das Mädchen von gegenüber flüchten lässt, als sie den Architekten sucht.

Goldwyn wollte, dass George Raft den Gangster spielt, aber er lehnte ab, weil die Rolle zu unsympathisch sei. [2] Dead End wurde vom 4. Mai bis Mitte Juli 1937 auf einem einzigen riesigen Set gedreht. [3]

Robert Osborne, Filmhistoriker, erklärte, dass Joel McCrea Schwierigkeiten hatte, mit Humphrey Bogart zu arbeiten, besonders während der Szene „auf dem Dach, Waffen im Anschlag und sehr nah beieinander. Während der Dreharbeiten zu dieser Szene zuckte McCrea immer wieder zusammen, und der Regisseur William Wyler musste immer mehr Takes machen. Schließlich zog Wyler McCrea beiseite und fragte ihn, was los sei. McCrea, dem es peinlich war, es ihm zu sagen, erklärte, dass Bogart ihm immer wieder ins Gesicht spuckte, wenn er sprach, nicht gerade das, was Wyler erwartet hatte zu hören oder das Problem zu sein. Das passiert bei Schauspielern häufiger, als man sich vorstellen kann.“ [4]

Eine nasse Aussprache traue ich Humphrey Bogart ohne Weiteres zu, sein seltsames Lispeln und seine häufig feucht wirkenden Lippen, seine prägnante Lippenstellung beim Sprechen evozieren das geradezu.

Die Regieanweisungen zum Stück deuten darauf hin, dass in der Ferne das Rockefeller Center zu sehen ist, was den Standort des Piers in der Nähe der 50. Straße in Manhattan verorten würde. Im Film wird der Ort als 53. Straße präzisiert, die an ein Luxusgebäude angrenzt, bei dem es sich offensichtlich um das River House handelt, das an diesem Ort war und steht.

Die eigentliche Sackgasse war die Ecke East 53rd Street und East River. Der Sutton Place South verläuft nördlich der East 53rd Street an dieser Ecke. Die Produzenten des Stücks und des Films haben sich mühelos bemüht, genau diesen Bereich in der Bühnenkulisse nachzubilden. Das River House am Ende der East 53rd Street ähnelt stark dem Haus der Griswalds aus dem Theaterstück und dem Film. Man kann Spuren von einigen der Orte in Dead End in dieser Gegend finden, aber der Pier und die Mietskasernen sind verschwunden und die Sackgasse ist jetzt Teil des Sutton Place Parks und der Ausfahrt 11 des FDR Drive.

Der offizielle Name der „Dead End“ Kids steht mit Kreide auf der Backsteinwand hinter den Jungs, die Karten spielen. Diese Wand und die Inschrift werden in mehreren Szenen des Films gezeigt. Auf dem Graffiti steht: E 54th Place Gang Member Only.

Carter B. Horsley schrieb in der New York Times über das River House: „Es wurde 1931 errichtet, als es in der Gegend noch von Mietskasernen wimmelte, und wurde 1936 in dem berühmten und beliebten Film Dead End verspottet, der Lillian Hellmans Adaption von Sidney Kingsleys Theaterstück war.“ [5]

Zum Abschluss noch eine zeitgenössische Kritik aus berufener Feder:

Graham Greene schrieb 1937 für Night and Day und bezeichnete den Film als „einen der besten Filme des Jahres“. Während Greene sich milde darüber beschwerte, dass der Film „einen zu melodramatischen Ton anschlägt“, lobte er die „feine, flexible Regie“ und das Schauspiel von Humphrey Bogart, das Greene als „die beste Leistung, die Bogart je gegeben hat“ bezeichnete. [6]

Wir haben diesen englischen Teil wieder im Discovery-Modus beigefügt, fühlen uns durch Greenes Ansicht aber bestätigt und damit auch an unserer Kritik an der Sicht eines deutschen Kritikers aus dem Jahr 1974. Vor allem konnte Greene noch nicht wissen, wie Bogarts Karriere sich weiter entwickeln wird und stellt doch die Leistung in „Dead End“ über die in „The Petrified Forest“ aus dem Vorjahr, sieht damit eine Weiterentwicklung. Ist der Film zu melodramatisch? In Relation zu den Gangsterfilmen der frühen 1930er ist er melodramatisch, aber nicht im Vergleich zu späteren Produktionen, die die Melodramatik auf immer neue Höhen treiben sollten, hinter denen dann auch soziale Gegensätze meist verschwanden und hinter die individuellen Schicksale zurücktraten. In „Dead End“ ist es noch umgekehrt, hier werden Schicksale durch das Milieu bestimmt.

79/100

2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2023)

Regie William Wyler
Drehbuch Lillian Hellman
Produktion Samuel Goldwyn
Musik Alfred Newman
Kamera Gregg Toland
Schnitt Daniel Mandell
Besetzung

[1], kusriv und tabellarisch:  Sackgasse (Film) – Wikipedia: Bereits 1935 standen die sechs Darsteller der Dead End Kids – Billy Halop, Huntz Hall, Bobby Jordan, Leo Gorcey, Gabriel Dell, Bernard Punsley – bei der Broadway-Premiere des Stückes Dead End gemeinsam auf der Bühne. Dead End ist der erste von sieben Kriminalfilmen, die sich um die Dead End Kids drehen. Die jugendlichen Darsteller spielten bis 1939 ihre Rollen an der Seite von Humphrey Bogart in Schule des Verbrechens (Crime School) (1938), an der Seite von James Cagney in Chicago – Engel mit schmutzigen Gesichtern (1938), an der Seite von Ronald Reagan in Hell’s Kitchen (1939) und The Angels Wash Their Faces (1939). In diesen Filmen waren die Dead End Kids in bedeutenden Nebenrollen zu sehen, während sie im letzten Film der Reihe On Dress Parade (1939) die Hauptrollen übernahmen. Bis 1958 entstanden insgesamt mehr als 60 Filme, die sich um die Dead End Kids und deren Nachfolger-Filmreihen wie die Little Tough Guys, die East Side Kids und die Bowery Boys drehten.


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