Schuldenbremse abschaffen oder beibehalten? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 513 | Wirtschaft, PPP, Parteien, Personen, Politik

Briefing 513 PPP, Wirtschaft, Economy, Schuldenbremse, BVerfG, CDU, SPD, FDP, Olaf Scholz, Friedrich Merz

Gestern hat Civey eine Umfrage zur Schuldenbremse gestartet, die momentan ein Hauptzankpunkt in der Ampelkoalition ist. Hier der Link schon einmal für Schnellentschlossene:

Civey-Umfrage: Sollte die Schuldenbremse Ihrer Meinung nach eher abgeschafft oder eher beibehalten werden? – Civey

Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter dazu:

Die Schuldenbremse wurde 2011 in die Verfassung aufgenommen und begrenzt die Staatsverschuldung Deutschlands. In Ausnahmesituationen wie Kriegen, Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen kann sie ausgesetzt werden, wie zuletzt zwischen 2020 und 2022. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im November die Übertragung nicht genutzter Corona-Kredite auf den Klima- und Transformationsfonds für unzulässig erklärt hatte, musste die Bundesregierung diverse Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt vornehmen. 

Seither wird das Konzept der Schuldenbremse regelmäßig hinterfragt, da es in etlichen Bereichen an Geld fehlt. Neben SPD, Grüne und Linke sind mehrere CDU-geführte Bundesländer für eine Reform der Schuldenbremse. Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU) wirbt laut ntv etwa dafür, um dringend benötigte Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen. Andernfalls sei man für die enormen Herausforderungen unserer Zeit, wie beim Klimaschutz, nicht gewappnet. Ähnliche Ansichten werden laut ARD teils in der Wirtschaft vertreten – etwa vom Internationalen Währungsfonds, der Bundesbank oder den Wirtschaftsweisen. 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) halten an der Schuldenbremse fest. Man könne die Gebote der Verfassung nicht nach Belieben ein- oder aussetzen, sagte der FDP-Chef jüngst in der ARD. Die Schuldenbremse garantiere nicht nur die Stabilität des Gemeinwesens, sie sei auch ökonomisch klug. Andernfalls müssten später Sparpakete geschnürt werden oder Steuern erhöht werden. Auch CDU-Chef Friedrich Merz lehnt jegliche Reformen zur Schuldenbremse ab, da ihm genau wie der CDU-Wählerschaft solide Staatsfinanzen wichtig seien. Außerdem würde man der Ampel damit aus der Misere helfen, sagte er dem RND nach. 

Schön, dass wir jetzt auch wissen, dass die CDU lieber das Land gegen die Wand fahren will, weil sie sich dadurch ein schnelleres Ende der Ampelkoalition wünscht. Nicht, dass das neu wäre, aber man muss von der rudimentären Struktur eines Friedrich Merz sein, um es so offen auszusprechen – falls es hier nicht verkürzt wiedergegeben ist, aber selbst als Conclusio, die so nicht direkt aus seinem Mund stammt, sondern aus seinen Einlassungen destilliert wurde, ist es schlimm genug.

Das wird der CDU noch auf den Kopf fallen, dass wissen auch die Ministerpräsidenten, die vor Ort regieren und den Staat in seiner ausführenden Funktion wuppen müssen, deswegen sind sie da weitaus vorsichtiger. Merz hatte nie ein Amt auf kommunaler oder Landesebene, das merkt man  ihm deutlich an. Trotzdem weiß er genau, dass die Vermögen, die er für BlackRock verwaltet hat, auch auf Kredit und in der Erwartung von Gewinnen zusammengerafft wurden, die die Kosten für den Kredit übersteigen. Teile der CDU und die FDP zeigen sich jedenfalls wieder einmal als zukunftsfeindlich. Dass Kanzler Scholz zur Schuldenbremse stehen soll, haben wir jetzt erstmals so klar gelesen. Bisher hatten wir den Eindruck, er lässt den Streit weiterlaufen und will sich nicht klar positionieren.

Um die Verfassung zu ändern, bedarf es einer Zeitdrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Gütigerweise hat man die bei der Einführung der Schuldenbremse zustandegebracht. Jetzt müsste auch die CDU zustimmen, sowohl im Bundestag als auch das eine oder andere CDU-geführte Bundesland, um die Verfassung ändern zu können. Das werden sie wohl erst tun, wenn sie sich durch kontraproduktive Politik gegen die jetzige Regierung die Macht zurückerobet haben. Diese Politik ist aber gegen die meisten von uns gerichtet, das sollten wir nicht vergessen.

„Die Schuldenbremse garantiert die Stabilität des Gemeinwesens“. Das Argument dazu würde uns interessieren, denn in ihrer derzeitigen Ausprägung tut sie genau das Gegenteil. Sie verhindert die Investition in dringende Gemeinschaftsaufgaben. Mit dem Kaputtsparen konnte sie seit 2011 überhaupt erst eingehalten werden, dabei hätten sich etwas mehr Staatsschulden machen, als es sehr zinsgünstig möglich war, quasi zum Nulltarif, längst in mehr Wettbewerbsfähigkeit ausgezahlt.

Im Grunde hätten wir mit „eher ja“ stimmen müssen, nicht mit „eindeutig ja“, weil wir der Ansicht sind, irgendeine Bremse könnte erhalten bleiben, sie muss aber flexibler gehandhabt werden können. Sie ermöglicht in ihrer derzeitigen Form bereits Sonderausgaben in Krisenzeiten, in diesem Sinne hat sie sich bewährt. Aber für weitere Herausforderungen ist sie in gegebener Form nicht mehr geeignet. Oder man müsste eine Krisenlage so definieren, dass die aktuelle Situation davon  umfasst wird, die vor allem höhere Verteidigungsausgaben mit sich bringt. Das würde allerdings dazu führen, dass die Krise sich immer weiter fortschreiben würde, denn in den nächsten Jahren ist kein Ende der „gefährlichen Lage“ abzusehen.

Dass das BVerfG hingegen eine Umwidmung von Geldern, die für das Corona-Krisenmanagement vorgesehen waren in den Klimafonds nicht zugelassen hat, ist ein echter Klassiker deutscher Formaljustiz. Man könnte sehr wohl die Klima-Herausforderungen ebenfalls als Notlage definieren, auch, weil Deutschland noch weit von den 2030er-Zielen entfernt ist, die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad betreffend. In manchen Bereichen werden die Ziele gerissen werden, das ist jetzt schon klar, also muss woanders eine Überkompensation her. Die Privaten werden die Ziele beim Straßenverkehr und beiden Gebäuden nicht schaffen, also muss der Staat noch mehr in saubere Energie investieren als eigentlich vorgesehen. Immerhin ist der Klimaschutz mittlerweile in Deutschland als Staatsziel definiert worden. Wenn die Wirtschaft bei dessen Erreichung überleben soll, ist das alles nicht zum Nulltarif zu  haben.

Überall schütteln Fachleute den Kopf über die deutsche Schuldenbremse, die noch mehr negative Effekte hat: das BVerfG-Urteil gegen die klimagerechte Verwendung der Corona-Gelder hat schon dazu geführt, dass das erwartete deutsche Wirtschaftswachstum für 2024 von führenden Prognostikern erheblich nach unten korrigiert wurde. Das wird auch Steuereinnahmen kosten, und es zieht die gesamte EU nach unten, weil Deutschland darin nun einmal die größte Volkswirtschaft ist, die stark mit anderen interagiert. Und das nach einem bereits miesen Jahr 2023.

Wir sehen auch heute wieder, dass es nach etwas mehr als einem Tag Laufzeit für diese Umfrage schon wieder fast zu einer absoluten Mehrheit für die klare Beibehaltung der Schuldenbremse kommt. Wir verlieren auch langsam die Geduld. Wenn jemand ein Haus baut oder kauft, zahlt er das in der Regel nicht aus der Tasche, sondern nimmt einen Kredit auf. Um nach vielen Jahren einen Vorteil daraus zu haben, wenn dieser Kredit abbezahlt ist. So muss man aber die Investitionen in Bildung, Verkehrsinfrastruktur, Zukunftsenergien, Technikförderung und auch viele Subventionen ebenfalls sehen: Sie sind in die Zukunft gerichtet.

Hinter der deutlichen Ablehnung der Änderung oder Ablehnung der Schuldenbremse (nur etwa 30 Prozent haben, wie wir, vollständig dafür oder latent dafür gestimmt) sehen wir auch eher etwas anderes: Den Unmut vieler Kleinbürger über die Sozialausgaben. Nur, damit das noch einmal klar ist: Von den  hohen Sozialausgaben, zu denen beispielsweise auch die Steuerzuschüsse zur Rentenkasse z zählen, sind gerade mal ca. 13Prozent für das Bürgergeld reserviert, die Steuerzuschüsse zu den Renten belaufen sich hingegen bereits auf krasse 110 Milliarden = 55 Prozent des Sozialetats, und sind damit der mit Abstand größte Einzelposten. Damit wollen wir nicht andeuten, die Renten seien zu hoch, sondern das Rentensystem muss dringend so reformiert werden, dass alle einzahlen. Und man sollte es auf eine Steuerfinanzierung umstellen. Das würde die Steuerlast natürlich anheben, aber dafür die Rentensversicherungsbeiträge entfallen lassen.

Ob der Staat hingegen versuchen soll, seine Einnahmen durch Anlagen am Kapitalmarkt zu steigern, ist ein sehr umstrittenes Thema. Die Versicherungen und Fonds anderer Länder verdienen in Deutschland an den Mieten und an allen möglichen Zahlungen, die hierzulande geleistet werden, also an der Arbeit der Menschen. Das ist prinzipiell fragwürdig, wir gehen ja auch nicht hin und lassen uns unsere Altersversorgung von einem Fischer in Norwegen oder einem amerikanischen Farmarbeiter sponsern und schmälern damit sein Einkommen – es funktioniert außerdem nur solange, wie der Finanzkapitalismus nicht ins Wackeln kommt, und das kann schnell gehen. Auch deswegen muss der Staat viel mehr investieren: In den Ankauf von Unternehmen der wichtigen Elemente der Daseinsvorsorge, um sie nach dem Kostendeckungsprinzip betreiben zu können. Während der wirtschaftspolitischen Saumseligkeitsära Merkel ist das natürlich nicht passiert, und die Ampel kommt auch nicht vorwärts.

Ein weiteres Problem ist aber der Wohnungsbau. Die Wohnkosten schießen ins Kraut, weil eine immer größere Bedarfsdeckungslücke beim Wohnraum klafft. Die Ampel kann es gar nicht schaffen, genug Wohnungen zu bauen, angesichts der vielen anderen Herausforderungen, wenn dafür nicht Kredite aufgenommen werden dürfen. Diese kommen doch über die Mieten wieder rein, aber genau das will die FDP natürlich nicht, weil es den Reibach privater Vermieter irgendwann ein klein wenig eingrenzen würde.

Es geht leider sehr weit auseinander. Menschen, die unbedarft für eine Erhaltung der Schuldenbremse stimmen, sind vielleicht egoistisch, viele glauben aber wirklich, der Staat müsse sich verhalten wie eine schwäbische Hausfrau, die gerade nicht den Kredit fürs Häusle im Budget verwalten muss. Die Ideologen aus der FDP oder der CDU nutzen dieses Denken aus, um ihre eigene Agenda durchzudrücken: Staatsinvestitionen hindern den Finanzikapitalismus daran, Menschen bis zum letzten Knopf durchzufinanzialisieren und dem unersättlichen Kapitalmarkt zugänglich zu machen. Und genau deshalb sind diese Politiker, die übrigens auch kein Problem mit der massiven Steuerhinterhiezung in Deutschland haben, so darauf aus, den Staat in die Klemme zu bringen. Selbst dann, wenn sie an der Macht sind, wie die FDP, und besonders auf das Wohl aller schauen müssten.

Mit unseren Artikeln werden wir leider die Abstimmungsergebnisse nicht ändern können, aber jeder einzelne Leser, jede Leserin, die danach wenigstens etwas nachdenkt und sich weiterinformiert, ist ein Gewinn. Deswegen werden wir nicht müde, für eine vernünftige, ausgewogene Finanzpolitik zu werben und zu erklären, warum gewisse politische Kreise so stur gegen die Interessen des Landes handeln. Wir können nicht jedes Mal alle Argumente aufbereiten, aber vielleicht schreiben wir doch einmal eine etwas längere Darstellung, die wir dann nur noch verlinken müssen, wenn es wieder zu einer solchen Umfrage kommt und wir sie erwähnen.

TH

Hinterlasse einen Kommentar