Bayern, das Texas Deutschlands (NYT)

Medienspiegel 3

Auf die Idee muss man erst einmal kommen, Bayern als das Texas Deutschlands zu bezeichnen, wie die New York Times es tut – aber das ist durchaus etwas dran. Es ist vergleichsweise groß, reich, stolz und eigenständiger als irgendeine andere deutsche Region. So eigen, dass im NYT-Beitrag mehrfach der Idee nachgespürt wird, ob es mehr zu Deutschland gehört oder Österreich ähnelt – und auch dieser Ansatz hat seine Berechtigung.

Ich kann mich sogar daran erinnern, dass vor einigen Jahren einmal ein Experiment stattfand, in dem sich ein bayerisches Dorf so stellte, als gehöre es zu Österreich – und alles war noch besser als eh schon, weil zu Deutschland zu gehören, in mancher Hinsicht eine Hypothek darstellt.

Wenn ausländische Leitmedien über Deutschland schreiben, hat dies den Vorzug, dass die Außensicht manches Klein-Klein außen vor lässt, sich aufs Wichtige konzentriert und dabei sehr pointiert über typische Beobachtungen schreibt. Allerdings hypen die von der NYT verwendeten Fotos doch sehr das bei den Amerikanern ohnehin stark ausgeprägte Bayern-Klischee. Von München hingegen, das angeblich ethisch diverser sein soll als Berlin und dem dortigen pluralistischen Leben hingegen kein Foto. Nebenbei, hier dürfte es sich um eine Fehlinformation handeln – sowohl der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund, mindestens aber die Zahl der ansässigen Ethnien und die Verschiedenheit der nationalen Herkunft kann nicht größer sein als in Berlin, weil hier quasi kein Land der Welt fehlt.

Außerdem ist die Autorin, Leiterin des Berlin-Büros der NYT, gebürtige Deutsche und erklärt mit dem Texas-Vergleich vor allem den Amerikanern, was Bayern in etwa hierzulande darstellt und kommt nicht aus amerikanischer Sicht zu dieser Sichtweise.

Am Ende des Beitrages habe ich  mich gefragt, ob die Bayern nicht doch mal auf die Idee kommen werden sich abzuspalten Und im Gegensatz zu vielen Linken, denen das konservative Gepräge des Freistaats ein Gräuel ist und die sofort ja sagen würden, geht doch, die aber nicht ökonomisch denken können, weiß ich, das wäre ein nicht zu verschmerzender Verlust, nach dem sich Deutschland einiges einfallen lasse müsste, um seine sozialen Besitzstände halbwegs zu wahren, von Ausbau könnte dann keine Rede mehr sein. Berlin überdies allein konsumiert fast alles, was Bayern in den Länderfinanzausgleich einbringt, man könnte im Prinzip die überwiegenden Zahlungen auch direkt von München aus ins Rote Rathaus transferieren.

Und man sieht, wenn die bayerische Politik wirklich anfängt, zu revoltieren und nicht nur, wie eine Zeitlang, mit der Obergrenzen-Scheindebatte so tut als ob, kommt Angela Merkel sofort ins Schlingern. Dieses Mal, so das Gefühl, ist die Ansage aus der Münchener Staatskanzlei ernst gemeint. Und der Kampf ist nicht zu Ende, denn die gestrigen Asylgipfel-Beschlüsse der EU lösen die wichtigen Fragen nicht – und dann noch dieser unfassbare, geisterhafte Stimmungswandel, der im Beitrag gut beschrieben ist. Erst jetzt, wo der Zugang an Geflüchteten durch diverse Abwehrmaßnahmen so nachgelassen hat, nimmt der Rechtsdrall richtig Fahrt auf.

Das beinahe perfekte, mit dem Berliner Lageso-Chaos nicht zu vergleichende Management bei der Aufnahme von Geflüchteten in Bayern wurde natürlich auch dadurch befördert, dass man im weiten Land immer wieder kleinere Gruppen stressfrei unterbringen konnte, das weiß von Freunden aus Oberbayern, die nahe der österreichischen Grenze wohnen, wenige Kilometer von Salzburg entfernt, wie locker der Umgang dort insgesamt war – aber Bayern hat, wie Berlin, eine über den Königsteiner Schlüssel hinausgehende Anzahl von Geflüchteten aufgenommen und ist sehr gut damit klargekommen. Jedoch, da scheint es etwas zu geben wie ein Erwachen aus der Schockstarre von 2015, vielleicht auch ein Ausschleichen der Aktivität in großer Notlage, das die Kräfte angespannt und etwas wie ein Wachrufen der kollektiven Erinnerung an schlechte Zeiten und damals  gelebte Solidarität bewirkt hat – aber diese Lage ist vorbei, die individuellen Urängste brechen durch und der Verdruss wächst.

Man kann darüber denken, wie man will, aber dieses Phänomen geistert überall durch Europa und ist dort am stärksten au sgeprägt, wo der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund  vergleichsweise niedrig ist,  nicht erfahrungsgeprägt also. In Berlin tendieren wir andererseits dazu, Probleme zu verdrängen oder gar wider besseres zu negieren, wenn sie nicht in unser Weltbild passen, anstatt sie mit intelligenten, ehrlichen und mutigen Ansätzen zu lösen und offen zu diskutieren, was man besser machen kann. Was man tun kann, beispielsweise, um das enge Nebeneinander in Vielfalt zu einer Gemeinschaft zu entwickeln, die eine hier viel dringender als in Bayern hotwendige soziale und solidarische Bewegung hervorbringen könnte.

TH


Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

2 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar