Brandanschlag auf den Fuhrpark der Deutsche Wohnen – Kommentar. / #Mietenwahnsinn #Verdrängung @DWenteignen #BBU #DeutscheWohnen #MaxFrisch #Biedermann #Brandstifter #Brandanschlag @HeimatNeue #Nazis #DDR #Sachbeschädigung #Enteignung

2018-11-11 Mieter,kämpft um diese Stadt + zusammen gegen Mietenwahnsinn

Auf den Vorgang wurden wir aufmerksam durch einen Tweet.

Der Chefredakteur des Tagesspiegels, Lorenz Maroldt, hatte sich in eine Diskussion eingeschaltet, die sich im wörtlichen Sinn an einem gestrigen Vorgang entzündete. 

Unbekannte hatten zwei (auf den Fotos sind drei Fahrzeuge beschädigt bzw.  zerstört) Dienstwagen der Deutsche Wohnen des Typs  VW Polo angezündet, bei „Indymedia“ sei mittlerweile ein Bekennerschreiben zur Sache eingegangen. Dieses Schreiben haben wir auf der Seite von Indymedia nach dem Hinweis einer kommentierenden Person jetzt auch gefunden.

Der BBU hatte sich darüber aufgeregt, dass der Tagesspiegel-Lokalredakteur im Bericht zum Brandanschlag die Deutsche Wohnen SE als „umstrittenes Unternehmen“ bezeichnet hat. Wie aber kam der BBU auf „Biedermann und die Brandstifter?“

Wir haben angesichts dieser Formulierung sofort aufgehorcht, denn Max Frisch, von dem das Stück „Biedermann und die Brandstifter“ stammt und sein Kollege Friedrich Dürrenmatt zählen zu unseren Lieblingsschriftstellern deutscher Zunge, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten mit der Aufarbeitung der Vergangenheit befassten, zeitgleich mit der Gruppe 47 in Deutschland. Die beiden Schweizer beleuchteten dabei auch die Rolle ihres eigenen Landes in der NS-Zeit kritisch. Soweit wir uns erinnern, war „Biedermann und die Brandstifter“, anders als etwa „Homo Faber“, keine Schullektüre, wir haben es aber jedenfalls gelesen.

Man kann es in Bezug auf die Durchsetzung des Kommunismus in Osteuropa deuten, aber auch in Richtung auf die Art und Weise, wie die Nazis in Deutschland an die Macht kamen. Mit Nazivergleichen ist der BBU neuerdings nicht zimperlich, wenn es um die Befürworter der Enteignung von Immobilien-Großunternehmen geht, daher unterlegen wir dem oben eingebetteten Tweet eher letztere Deutung – auch wenn die Immobilienwirtschaft den Menschen, die sich für sozialeres Wohnen einsetzen oder jenen, die Sympathie für diese Menschen haben, gerne Angst mit der DDR machen möchte. Aber ob wirklich ein subtiler Doppelschlag dahintersteckt?

Denn leider ist bereits die Zuschreibung falsch, die der BBU vornimmt. Der Biedermann im Stück hat durch passives, opportunistisches Verhalten sein eigenes Schicksal besiegelt, das ist eine ganz andere Aufstellung, als wenn ein Journalist im Zusammenhang mit einer Sachbeschädigung darauf hinweist, dass das Unternehmen, welches Eigner der beschädigten Sache ist, als umstritten gilt. Letzteres ist problemlos von der Meinungsfreiheit umfasst und gerade nicht passiv, sondern ein aktiver Ausdruck der Lage: Die Deutsche Wohnen ist umstritten. Daran besteht kein Zweifel. Wir haben hingegen aus dem Tagesspiegel-Bericht keine Billigung des Anschlags herauszulesen vermocht.

Was Kommentator_innen auf Twitter schrieben, war auch unser erster Gedanke: Nicht die Idee der Enteignung hat die Polarisierung verursacht, von welcher der BBU in seinem ersten Tweet spricht, vielmehr hat das Missachten der Mieter_innen als Menschen mit eigenen Rechten durch die Wohnungsunternehmen erst zur Enteignungsdiskussion geführt.

Ursache und Wirkung zu vertauschen, war immer schon ein häufig verwendetes propagandistisches Modul und es ist gar nicht so unwirksam, weil die meist nachweisbare Kausalität und die emotionale Wahrnehmung von Vorgängen oft nicht übereinstimmen. Hinzu kommen ideologische Gesichtspunkte, da wird schon mal gerne in die Grütze gehauen oder der ganz große Hammer hervorgeholt.

Das Anzünden von Autos und anderen Gegenständen ist in Berlin seit vielen Jahren eine Form der politischen Auseinandersetzung, die uns wirklich erstaunt hat, nachdem wir hierher gezogen waren. Es werden Autos von rechten Politiker_innen und von Antifaschist_innen angezündet, es werden viele Nächte hintereinander viele Autos angezündet, ohne dass man konkrete Zielpersonen erkennen kann (2011). Und manchmal Autos von Mieter_aktivistinnen, um ihnen Angst zu machen und die Verdrängung zu beschleunigen. Ein solcher Fall hat auch den Einstieg in unsere Serie „Mieter, kämpft um diese Stadt!“ begründet. Insofern ist der Anschlag auf die Fahrzeuge der Deutsche Wohnen einer von vielen – und sollen wir jetzt feststellen, dies war zu erwarten?

Nein, tun wir nicht. Denn in der gegenwärtigen Situation, in der viele Menschen dem Vorhaben „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ sehr positiv gegenüberstehen, ist dennoch die Mehrzahl von ihnen gewiss nicht bereit, solche Aktionen mitzutragen.

Oft sind solche Anschläge Ausdruck von ohnmächtiger Wut gewesen, aber kurz vor dem Start des Volksbegehrens, das ein international beachtetes Symbol für das Empowerment der Zivilgesellschaft geworden ist, kann diese Art von politischem Ausdruck nur als kontraproduktiv bezeichnet werden. Mithin schadet derlei nicht nur Kraftfahrzeugen, sondern auch dem Anliegen der Gegner der Wohnungskonzerne.

Die Gelbwesten lassen grüßen. Der G20-Gipfel in Hamburg 2017 lässt grüßen. Berechtigter sozialer Protest wird durch Gewalt diskreditiert. Und genau an dem Punkt kann es nicht ausbleiben, dass eine weitere Überlegung ins Spiel kommt, auch wegen der Erfahrungen mit ebenjenem G20-Gipfel: Dass es eben keine dem Kampf gegen die Verdrängung verpflichteten Aktivisten waren, welche die Autos angezündet haben, sondern Personen, die erreichen wollten, dass der beherzte Protest, der sich in der Stadt immer mehr ausbreitet und der bisher weitgehend friedlich verlaufen ist, delegitimiert wird und die Staatsmacht auf den Plan tritt.

Eine Unterwanderung von rechts haben wir schon in einem früheren Beitrag als Gefahr beschrieben. Ob sich deswegen jetzt die Mieter_Aktivist_innen distanzieren müssen oder sollten? Für uns schwierig zu beantworten, aber wir tendieren zu der Ansicht, niemand muss sich von etwas distanzieren, wozu er niemals eine Nähe hatte.

Solche Distanzierungen drehen nämlich die Situation: Bisher waren die Immobilienunternehmen moralisch in der Defensive und die Absicht, das zu ändern, ist nachvollziehbar. Wir wollen nicht so weit gehen, folgendes Szenario als wahrscheinlich anzunehmen: „Dafür kann man auch mal zwei oder drei Autos opfern, die sowieso versichert sind“ und damit  in die vermeintliche Opferrolle wechseln. So weit würde die Deutsche Wohnen wohl nicht gehen, die sich auf ihrer Presseseite bisher auch nicht geäußert hat. Sich zu äußern, das wäre allerdings eher die Sache des betroffenen Unternehmens als eine des BBU, weil Letzterer das als Vertreter auch der landeseigenen Immobilienfirmen und der Genossenschaften nicht so einseitig zugunsten der Deutsche Wohnen tun sollte.

Seltsam wirkt dieser Anschlag zum jetzigen Zeitpunkt durchaus, denn wir haben die Mieter_Aktivist_innen, die für eine gerechte Sache und um ihre Existenz kämpfen, bisher als intelligente, kreative und mutige Menschen kennengelernt. Und eine solche Aktion ist nicht kreativ, nicht intelligent und nicht mutig.

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Kommentar 200, SMH 317


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2 Kommentare

  1. Du schreibst hier überheblich: „Berechtigter sozialer Protest wird durch Gewalt diskreditiert.“ und bist damit die Person, welche Proteste diskreditiert. Ohen solchen aussagen diskreditiert diese Gewalt nämlich rein garnichts.

    Der Text ist natürlich weiterhin auf Indymedia. Vielleicht lieber inhaltliche Kritik vorbringen, anstatt nonsens-argumentationen

    http://de.indymedia.org/node/30623

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    1. Vielen Dank für den Hinweis auf das Bekennerschreiben.

      Rouzbeh Taheri hat selbst gesagt, dass er diese Art von Protest nicht hilfreich findet und ihm sollte man abnehmen, dass er weiß, was gut für „DWenteignen“ ist.

      Wer sich die Beiträge hier etwas genauer anschaut, wird kaum behaupten können, wir drehen nicht jeden Stein um, argumentativ. Weitere Artikel, zum Beispiel zur neuen Bilanz der DW, sind in Arbeit.

      Ich hätte schnell das übernehmen können, was in der Presse schon dazu publiziert wurde (3,6 Prozent mehr Miete in Berlin pro m² in 2018 bei der DW und ähnliche Kerndaten). Wir gehen aber einen Schritt tiefer und stellen auch Zusammenhänge her. Wir nehmen deswegen nicht nur die Immobilienwirtschaft, sondern auch die Politik in Verantwortung – wie Florian Schmidt es heute in einem Tweet ausgedrückt hat: Sie hat die Voraussetzungen für das Wirtschaften von DW & anderen geschaffen, also ist sie der Hauptadressat für den Protest.

      Das ist für mich die richtige Form der Auseinandersetzung – mit den Fakten. Da lässt sich genug finden, um das Anliegen „DWenteignen“ zu unterstützen.

      Ich finde es eher überheblich, zumal in der jetzigen, sensiblen Situation kurz vor Start des Volksbegehrens, wenn radikale Einzelne sich über alle anderen hinwegsetzen und meinen, Solidarität auf eine Weise ausdrücken zu müssen, die dazu führen kann, dass die Zustimmung der Bevölkerung zu „DWenteignen“ schwindet. Vor allem, wenn sich solche Aktionen wiederholen sollten, wird das ganz sicher passieren.

      Diese breite Unterstützung wird aber gebraucht, wenn es nach dem Begehren zu einem Volksentscheid kommt.

      Der Verdacht liegt nah, dass mit Brandanschlägen nicht „DWenteignen“ oder die bedrängten Mieter_innen unterstützt werden sollen, sondern jede friedliche Lösung für den Mietenwahnsinn, und gelänge sie auch durch Enteignung oder Drohung damit, verhindert werden soll.

      TH

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