Of Human Bondage (USA 1934) #Filmfest 24

Filmfest 24

2019-01-25 filmfest - neue version mit mittiger schrift

 Nach „The Petrified Forest“ (USA 1936) hatten wir viele Möglichkeiten, den Filmreigen weiterzuführen – und bei der Recherche festgestellt, dass uns  viel mehr Filme mit Humphrey Bogart fehlen, als wir dachten. Weder „Casablanca“ noch „The Maltese Falcon“ … Ersteres wussten wir, weil wir den Film noch einmal schauen wollten, bevor wir darüber schreiben.

Doch es fehlt noch so viel, dass wir doch einen anderen Weg nehmen, er stellt auch die stärkste Verbindung dar und führt nur zwei Jahre zurück: Zu „Of Human Bondage“ (1934), in dem die Hauptdarsteller von „Forest“, Bette Davis und Leslie Howard, schon einmal zusammengearbeitet haben. Mit diesem Film hatte Bette Davis das Biest rausgelassen und Leslie Howard sich für eher nachdenkliche bis passive Rollen empfohlen, nachdem er in „The Scarlet Pimpernel“ im selben Jahre gezeigt hatte, dass er durchaus ein Leading Man in einem Abenteuer-Kostümfilm sein kann (und nicht, wie als Ashley Wilkes in „GWTW“, derjenige, der einem anderen in Person von Clark Gable die aktive Rolle überlässt). 

Handlung (Wikipedia)

Philip Carey versucht sich als Maler. In Paris kritisiert ein Maler sein mangelndes Talent. Philip kehrt nach London zurück, um dort ein Medizinstudium zu beginnen. Trotz seiner Behinderung – Philip hat einen Klumpfuß – flirtet er mit der Kellnerin Mildred Rogers. Mildred behandelt ihn jedoch schlecht; trotzdem kommt Philip immer wieder und versucht, sie zu einem Treffen zu bewegen. Als sie sich tatsächlich zu einem Abendessen treffen, bleibt Mildred kühl und distanziert. Eine Verabredung zum Theaterbesuch sagt sie ab, weil sie sich mit einem anderen Mann, Emile Miller, treffen will.

Philip ist von Mildred so besessen, dass er seine Zwischenprüfung nicht besteht. Er will Mildred unbedingt heiraten und präsentiert ihr einen Ring. Doch Mildred sagt ihm, dass sie mit einem anderen Mann zusammen sei. Philip findet heraus, dass der andere Mann Miller ist. Philip lernt die Schriftstellerin Norah kennen, die ihn mit Liebe überhäuft. Philip versucht, ihre Liebe zu erwidern. Als eine schwangere Mildred bei ihm auftaucht, beendet er sein Verhältnis mit Norah. Mildred ist von Miller, der verheiratet war, verlassen worden. Nach der Geburt des Kindes betrügt Mildred Philip mit dem Studenten Harry Griffith, doch auch der verlässt sie schnell wieder.

Philip lernt nun Sally Athelny kennen, die Tochter eines ehemaligen Patienten. Sie lädt ihn ein, sie und ihre Familie zu besuchen. Nach Monaten taucht Mildred wieder auf, ohne Geld, aber mit ihrem Kind. Philips Zuneigung zu Mildred ist geschwunden, was diese wütend werden lässt. Sie zerstört alle Bilder, die Philip nebenbei gemalt hat, und verbrennt einen Stapel von Anleihen, die Philip von seinem Onkel zur Finanzierung seines Studiums bekommen hat. Mittellos geworden, muss er sein Studium abbrechen. Bevor er jedoch die Universität verlässt, korrigiert Dr. Jacobs mit einer Operation seinen Klumpfuß.

Philip wird von den Athelnys aufgenommen. Er bekommt Arbeit in einem ihrer Geschäfte. Ihn erreicht ein Brief von Mildred, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Sie hat ihr Baby verloren und leidet an Tuberkulose. Aus Mitleid schickt ihr Philip etwas Geld. Philips Onkel stirbt und vermacht ihm ein kleines Vermögen. Philip kann sein Studium wieder aufnehmen und abschließen. Er wird der Schiffsarzt eines Kreuzfahrtschiffes. Bevor das Schiff ablegt, erfährt Philip von Mildreds Tod. Nun ist er frei von seiner Vergangenheit. Er entscheidet sich, in London zu bleiben und Sally zu heiraten.

Der Klumpfuß als Symbol für eine gefangene Seele

Zuletzt haben wir Leslie Howards Leistung in „The Scarlet Pimpernel“ bewundert und sehen ihn hier in einer ganz anders ausgeformten Rolle, die seine für damalige Verhältnisse enorme schauspielerische Bandbreite unter Beweis stellt. Die Drehreihenfolge war umgekehrt, „Of Human Bondage“ wurde früher im Jahr 1934 gefilmt und stellt offenbar eher das Zentrum der Howard’schen Charaktere dar – wenn man die Filme betrachtet, die ich kenne, stimmt das jedenfalls: Als Schriftsteller in „Der versteinerte Wald“ (1936), in dem Humphrey Bogart sein enormes Potenzial als bösartiger Gangster zeigen konnte und natürlich in „Vom Winde verweht“ (1939) als etwas anämisch und sehr melancholisch wirkender Ashley Wilkes, in den ausgerechnet sich die wilde Scarlett O’Hara verliebt. Das ist auch ein Film von Human Bondage, eine ganz einseitige Liebe, die allerdings bei O’Hara auch einen stark narzisstischen Einschlag hat, zumindest kommt es im Film so rüber. In „Der versteinerte Wald“ war wieder Bette Davis die Filmpartnerin von Howard, da spielte sie als Tankstellenkellnerin eine wesentlich nettere Frau als die Mildred Rogers in „Of Human Bondage“.

Aber diese Verfilmung eines Romans von W. Somerset Maugham (1915 erschienen) war es, die Bette Davis berühmt machte und sie zwei Jahre später den bis dahin ebenfalls berühmtesten Streit zwischen einem Star und seinem Studio wagen ließ: Die Warner Bros. boten ihr keine adäquaten Nachfolgerollen an und Davis klagte als erste Frau im Studiosystem gegen die Knebelungskonditionen der Hollywood-Mogule. Nun waren die Warners berüchtigt für die schlechte Behandlung ihrer Stars und für „Of Human Bondage“ war Davis an RKO ausgeliehen worden. Der Film hat wegen Davis und ihrer Laufbahn und dem aufsehenerregenden Rechtsstreit, den sie übrigens verlor, eine erhebliche Bedeutung: Wäre sie nicht mit begeisterten Kritiken überhäuft worden, wäre sie niemals auf die Idee gekommen, widerständig gegenüber ihrem Arbeitgeber zu sein. Aber widerständig war sie und das merkt man auch in diesem Film. Die Szene, in der sie sowohl sich in ihrer Rolle als Mildred als auch Howard (Philip) dekonstruieren will, was ihr bei sich selbst auch gelingt, ist ein Bravourstück, das es bis dahin in der Hollywoodgeschichte wohl selten gegeben haben mag. So eine Furie, davon waren Kritiker und Kinogänger offensichtlich fasziniert.

Aus heutiger Sicht ist es berechtigt, sich ein wenig zu wundern. Ob sie berechtigterweise für den Oscar nachnominiert wurde – auch dies eine Geschichte für sich, die zur Änderung der Nominierungsregeln ab dem Folgejahr führte – kann ich leider nicht sagen, weil ich „It Happened One Night“ noch nicht gesehen habe, die berühmte Screwball-Komödie mit Claudette Colbert und Cary Grant, Colbert gewann den Oscar für die beste weibliche  Hauptrolle des Jahres 1935. Aber drei Jahre später spielte die Davis die Jezebel im gleichnamigen Film und in dieser Rolle finde ich sie wesentlich differenzierter und faszinierender. Freilich war es eine andere, wesentlich anziehendere Figur und wohl nie zuvor und nie wieder danach hat man versucht, Davis auf schön zu trimmen.

In „Of Human Bondage“ ist sie das nicht. Man nimmt ihr das rohe Flittchen problemlos ab, aber ich habe mich die ganze Zeit über gefragt, wieso dieser sensible, künstlerisch-medizinische Typ Philip so umstandslos auf  diese Frau abfährt. Und damit kommen wir zu einem Problem, das ein Film meistens hat, wenn er versucht, eine umfangreiche Romanvorlage auf krass kurze 83 Minuten einzudampfen. Maughams Vorlage ist ein Entwicklungsroman, so steht es in der Wikipedia. Er zeigt Philips Leben über 20 Jahre hinweg. Im Zuge seiner Entwicklung ist er es, der erst einmal zwei Frauen schlecht behandelt, bevor er Mildred begegnet. Im Film wird die andere Seite der Abhängigkeit erst durch die Schriftstellerin Norah gezeigt, die Philip bedingungslos liebt, während er nur Sympathie für sie empfindet. Die Abfolge ist also umgekehrt, erst wird ihm mitgespielt und dann ist er achtlos gegenüber einer anderen Person. Im Buch hingegen ist die Begegnung mit Mildred schon die Revanche des Schicksals dafür, was er Frauen zuvor angetan hat. Die Bedeutung seines Klumpfußes erscheint im Film so angelegt, dass Mildred ihn nur in Erwägung zieht, obwohl er hinkt und natürlich nicht tanzen kann, weil er sie ausführen und ein wenig versorgen kann, besonders, nachdem der offenbar einen Deutschen darstellende Emil(e) sie hat fallenlassen, dass dadurch ihr berechnendes Wesen noch berechnender wirkt.

Sowohl im Film als auch im Buch findet allerdings die Harmonisierung, die Auflösung des Konflikts dadurch statt, dass Philip die süße Sally kennenlernt. Süß in dem Sinn, dass sie zumindest von Frances Dee so dargestellt wird. Dass Philip sich, nachdem er sie bereits kennt, nochmal auf diese Megäre namens Mildred einlässt, darüber bin ich auch nicht problemlos hinweggestiegen. Aber man darf menschliche Verhältnisse eben nicht zu subjektiv sehen, literarische Romane sind ja auch philosophische und von Moralvorstellungen angeregte Konstruktionen. Die eigene Wahrnehmung bestimmt aber darüber, was man als authentisch empfindet. Der Klumpfuß wird am Ende tatsächlich operiert und verschwindet, sodass damit auch die innere Heilung weg von Philips falschen Obsessionen  hin zu schrittsicherer Beziehungsfähigkeit demonstriert wird. Im Buch, vermute ich wenigstens, hat der Klumpfuß auch die Bedeutung, die Schieflage im Herzen des im Grunde doch guten Philip erst verursacht zu haben: Weil er sich selbst so nicht annehmen mag, wundert er sich, dass Frauen ihm trotzdem Gefühle entgegenbringen und kann diese nicht adqäuat zurückgeben, weil er durch diesen äußeren Makel innerlich zu sehr verletzt ist.

Zweifelsfrei lässt sich sagen, dass Leslie Howard diesen Mann gut poträtiert und dass Bette Davis sich in dem Film stellenweise ziemlich verausgabt und ich wiederum finde, dass sie auch ziemlich überagiert. Wie sie mit jeder Bewegung, mit jeder Geste und jedem Gesichtsausdruck das böse, berechnende Weib verströmt, das wäre mir selbst bei einer Theateraufführung etwas zu viel des Schlechten und würde vielleicht auch hier und da unfreiwillig komisch wirken. Die Begeisterung der Kritiker muss man also in den zeitlichen Kontext stellen, in dem der Film entstanden ist. Ob der Nachfolger des von der Wikipedia zitierten Starkritikers der New York Times, der sehr hollywoodkritische Bosley Crowther, auch so begeistert gewesen wäre? Da bin ich keineswegs sicher. Wenn man etwas genauer hinschaut, ist Davis‘ Vorstellung nämlich keine Novität, nichts, was niemand zuvor gezeigt hätte, sondern aus dem Stummfilm übernommen, wo Gestik und Mimik die Sprache teilweise ersetzten, ansonsten hätte man nach jeder Einstellung einen Zwischentitel einfügen müssen. Es fällt Davis natürlich nicht schwer, ihre riesigen Augen als eigenständiges Drama einzusetzen, insofern spielt sie wirklich effizient, wie Hall es bezeichnet. Aber eben auch so abgrundtief und offensichtlich innerlich hässlich, dass ich eben die benannten Schwierigkeiten hatte, sie als Objekt der Begierde für den intelligenten Philip zu identifizieren. Auch dabei spielt allerdings die Kürze des Films eine negative Rolle – die sogenannte Anbahnung im Restaurant ist ziemlich uninspiriert und knapp ausgeführt.

Allerdings treten wir wieder ein in den Zeitkontext. Die meisten Filme waren damals kurz, weil die Tontechnik sie sehr teuer machte und RKO war keines der ganz reichen Studios, die in den frühen 1930ern trotz schwierig zu beherrschender Technik schon sprechende Großfilme machten, das konnten sich im Wesentlichen die Paramount und MGM leisten. Also musste man als kleineres Studio bei Literaturverfilmungen an allen Ecken und Enden kürzen. Ich habe vor dem Genuss dieses Werkes nachgesehen, ob die Spielzeit so stimmt, oder ob es sich um eine gekürzte Version handelt – Letzteres war nicht der Fall. Dafür, dass vorne so viel wegfällt, bekommt man am Ende einen Bonus: Philip heiratet ganz eindeutig Sally und die Szenen mit ihr sind sehr schön gemacht und musikalisch von Max Steiner ebenso schön unterlegt. Auch das gehört zum Eindruck von diesem Film: Dass Spiel und Musik die eher konservative visuelle Gestaltung überstrahlen. Und dass Bette Davis einen gerechten Tod stirbt, die Verhältnisse sind also am Ende eindeutiger als im Roman.

Finale

Regisseur John Cromwell versteht es, in 83 Minuten viel zu zeigen und die Charaktere so gut wie möglich auszuformen und hat dafür kapable Darsteller – aber Howards Spiel wirkt um einiges vielschichtiger  und moderner als das von Davis und weist bereits auf die gebrochenen Helden der 1940er, also im Film noir, hin, auch wenn diese meist nicht so passiv dargestellt werden und sich durch kriminelle Handlungen, nicht nur durch Begehren verstricken. Freilich spielt oft eine femme fatale eine Rolle und vermittelt diese Handlungen – den Umweg geht „Of Human Bondage“ nicht und ist sowohl einfach aufgebaut wie auf emotionaler Ebene leicht zu verstehen. Die einzige Zweideutigkeit ist die Ambivalenz von Philips Charakter – und die muss die Gefühlslogik tragen, wenn man so will. Der Film erhählt derzeit von den bewertenden Nutzern der IMDb ansehnliche 7,2/10, das finde ich nicht so falsch.

70/100

© 2019 (Entwurf 2018) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie John Cromwell
Drehbuch Lester Cohen
Ann Coleman
Produktion Pandro S. Berman
Musik Max Steiner
Kamera Henry W. Gerrard
Schnitt William Morgan
Besetzung

 

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