
Gestern fand wieder eines jener Ereignisse statt, die zu schönen Sonntagnachmittagen mit vielen Menschen führen – und deren Besuch gleichzeitig einen Ausdruck der Solidarität in schwerer Zeit darstellt.
Die IG HAB (@HeimatNeue), die Hausinitiative der Habersaathstraße 40-48 in Berlin-Mitte, war gestern zu Gast auf dem Hofflohmarkt der Urbanstraße 67 in Kreuzberg und hat uns viele schöne Bilder und einige Zeilen geschickt, mit denen wir auch unseren ersten Bericht, die Ankündigung des Hofflohmarktes, ergänzen können – der vorausgehende Artikel ist unten angehängt oder hinter diesem Link zu finden. Wir teilen den heutigen Beitrag wieder auf und beginnen mit dem Original-Event-Tweet der IG HAB:
1.) Wir waren da!
2.) Die kommentierte folgende Fotostrecke unterliegt dem © der IG HAB, wir verwenden sie mit deren Genehmigung.
3.) Gedanken über die Urbanstraße 67
„Es gibt in den gesamten Gebäudekomplex kaum Leerstand, außer im Vorderhaus eine Wohnung und das Dachgeschoss über den Lofts, weil marode“, hat uns die IG HAB unter anderem geschrieben. Und von einigen Bewohner_innen erzählt, die Untermietverträge haben und sozusagen im Gewerbe ansässig sind, vom Alteigentümer geduldet. Das riecht geradezu nach Verdrängungsgefahr.
Wir waren uns beim Betrachten des Videos im ersten Beitrag nicht ganz sicher, aber die Bilder, die wir bekommen haben, zeigen es ebenfallsr: Dieses Haus hat mindestens eine, eher zwei hofseitige Backsteinfassaden. Die großen Fenster darin, deren Existenz wir im vorgestrigen Artikel bereits angedeutet hatten, gehören zu Fassaden dieser Art untrennbar dazu. Woher diese Besonderheit, die es bei den meisten Häusern in unserer jetzigen Wohngegend oder in unserem früheren Kiez in Neukölln nicht gibt? Weil die Urbanstraße und andere in Kreuzberg einst nicht nur Wohnviertel, sondern auch pulsierende Wirtschaftsstandorte waren, die Straßen waren zuweilen stark von bestimmten Gewerben oder Gewerken gesprägt:
„Ursprünglich war die Urbanstraße ein Weg entlang der Hütung der Berliner Schlächter-Innung, der über die Dammstraßean den Teltow-Rand führte, wo er mit dem Weg aus der Hasenheide zusammentraf. Die Hütung war eine überschwemmungsgefährdete Wiese, die bis an den Landwehrgraben reichte. Die Schlächter mästeten damals noch selbst, und die Wiese hieß Schlächterhütung oder Urban,[1] was auf einen Schreibfehler der Bezeichnung Urlakezurückgehen soll. Bis zum Rixdorfer Damm kennzeichnete die Urbanstraße die Grenze zwischen Cölln und Tempelhof.
Offiziell trägt die Urbanstraße ihren Namen seit dem 1. November 1874. Ihr westliches Ende wurde 1975 in Blücherstraße umbenannt.“ (Wikipedia)
Einige Ensembles der Urbanstraße, die sich durch mehrere Höfe auszeichnen, wie sie auch das Haus 67 aufweist, sind heute denkmalgeschützt. Welche Unternehmen dort ursprünglich angesiedelt war, wissen wir nicht, aber die werkstattmäßige Tradition setzt sich fort in den immerhin acht Gewerbeeinheiten, die sich noch in der Urbanstraße 67 befinden.
Was uns beim Anschauen der Bilder von der IG HAB noch einmal getriggert hat:
Eigentlich wollten wir schon im Ausgangsbeitrag übers Loftwohnen philosophieren, aber wir waren nicht sicher, ob es in dem Haus sowas gibt und hatten den Absatz gecancelt.
Es existieren jedoch (echte, keine nachgemachten oder bloß so bezeichneten) Lofts und sicher führt das zu Möglichkeiten, schniekes Loftwohnen einzurichten. So häufig sind originale Häuser dieser Art nicht mehr, in denen man das noch baulich umsetzen kann. Wir haben, als wir nach Berlin kamen, miterlebt, wie Gewerbeareale zu Lofts umgewandelt wurden, erinnern uns z. B. noch gut an eine alte Papierfabrik in Treptow, in der wir Industriegeschichte in Form eines „Lost Place“ erleben konnten, bevor die Sanierung in Angriff genommen wurde.
Diese Fabriken waren ungenutzt. Auch wenn das neue Publikum, das nach dem Umbau dort einzog, die umliegenden Straßen etwas verändert hat, war dies nicht das Gleiche, als wenn man bestehende Hausgemeinschaften auseinanderreißen muss, um poshes Wohnen für betuchte Minderheiten zu organisieren und die damals wesentlich niedrigeren Miet- und Kaufpreise ließen auch mehr mittelständisches Miteinander zu.
Häuser wie die Urbanstraße 67 haben einen besonderen Charme, werden selten angeboten und dass die Renditesucher gierig sind, solche Perlen in die Hände zu bekommen, liegt – auf der Hand. Die Urban 67 ist auch ein vergleichsweise großes Haus, dessen Vorkauf Anstrengungen erfordern wird, aber wir meinen, was z. B. in der Karl-Marx-Allee viel wert war, sollte hier in kleinerem Maßstab auch berücksichtigt werden: Die Mieter_innen, die dort wohnen, die kleinen Unternehmen, die dort arbeiten, müssen geschützt werden! Das ist auch im Sinn der Nachhaltigkeit, die noch Bestand haben wird, wenn die Parvenüs einer virtuellen Blase längst Geschichte sind. Diejenigen, die hier wohnen und kreativ sind oder handwerklich tätig, sind Teil der gewachsenen Kiezkultur, die in Kreuzberg im Zweifel auch gegen mächtige und höchst unerwünschte Wirtschaftsinteressen bewahrt wird, wie wir vor einigen Monaten an der Abwehr des Google-Campus gesehen haben.
Wir wünschen den Bewohner_innen der Urbanstraße 67 alles Liebe und Gute für die nächsten, schwierigen Wochen – und merken uns bitte alle den 1. Juni vor, denn an diesem Tag findet das nächste Event der Urbanstraße 67 statt. Wir werden dazu noch eine Ankündigung schreiben.
Thomas Hocke, Der Wahlberliner / Theo Daniel Diekmann, IG HAB
Vorheriger Beitrag vom 25. Mai 2019:
Es geht weiter mit den „13 Häusern“ in Friedrichshain-Kreuzberg, für die derzeit das bezirkliche Vorkaufsrecht geprüft wird, heute erstmals mit einem Bericht über die Urbanstraße 67 in Kreuzberg.
Zuletzt hatten wir über das gerade laufende Protestfest der Krossener Straße 36 in Friedrichshain geschrieben, im vergangenen November war die Urbanstraße 66 eines der ersten Häuser, die gegen Verdrängung kämpften, über das wir berichtet hatten – für einen relativ kurzen Zeitraum, weil der bezirkliche Vorkauf dank des entschlossenen Einsatzes von Baustadtrat Florian Schmidt rasch über die Bühne ging.
Der Hofflohmarkt, der morgen stattfindet, ist der „Opener“ der Urbanstraße 67, für die derzeit der Vorkauf durch den Bezirk zugunsten einer städtischen Wohnungsgesellschaft geprüft wird. Die Hausinitiative interessiert sich auch für #DIESEeG, die Friedrichshain-Kreuzberger Dachgenossenschaft, die mit dem Haus Boxhagener Straße 32 gestartet ist.
Das erste Hoffest der Urbanstraße 67 wird am 1. Juni folgen.
Die morgige Aktion ist Teil des „Tags der Hofflohmärkte“ im und um den Gräfekiez herum. Nicht weniger als 16 Häuser nehmen teil, hier findet man sie alle. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei aber der Urbanstraße 67 und anderen Häusern, die gerade von „Investoren“ gekauft wurden und unbedingt die Unterstützung von uns allen brauchen.
Hier zunächst eine Impression von den Vorbereitungen zum Flohmarkt in klassisch-medialer Kombination. Plakate werden geklebt und die Aktion wird in einem Video festgehalten:
Wir fahren fort mit einem Foto der Hausgemeinschaft:
Im Folgenden erzählt ein Video mehr über die Hausbewohner_innen, das gestern auf der Facebook-Seite der Initiative erschienen ist. 33 Wohnungen, 8 Gewerbeeinheiten inklusive Späti, zu dem man spätabends ein Körbchen runterlassen kann, um einzukuafen. Auch Büros, Ateliers und Werkstätten prägen dieses Haus.
Bitte unbedingt das Video anschauen. Sehr viele Hausbewohner_innen sind dort zu sehen und es ist sehr schön, mit Können und mit Intuition gemacht; auffällig ist, dass so viele Mieter_innen sich beteiligt haben und zu sehen sind – sogar eine Drohne hat man für die Eingangssequenz genutzt und in der letzten Szene das Motiv wieder aufgenommen und sozusagen aus dem Hof herausgezoomt. Manche Häuser machen es per Bild und Text, vor allem, wenn sie eigene Webseiten haben, manche sogar mit handschriftlichen Notizen, andere mit Videos und jedes Gemeinschaft ist anders und spannend.
Natürlich macht es auch Spaß, sich Beiträge wie dieses Video anzusehen und darüber zu berichten und dadurch immer ein wenig mehr von Berlin und seinen Menschen kennenzulernen, aber im Vordergrund steht für uns: Es ist wichtig, dass die Mieter_innen kenntlich werden, denn sie alle sind Berlin, während die anonymen Investoren keinerlei Bindung zu dieser Stadt und diesen Menschen haben und es ihnen nicht nur gleichgültig ist, was mit ihnen geschieht, sie zielen sogar auf deren Verdrängung, um die Häuser bestmöglich verwerten oder, beschönigend ausgedrückt, „entwickeln“, also durch Mieter_innenaustausch rentierlicher machen zu können.
Die Urbanstraße 67 hat von der Lage und mit ihrem speziellen Charakter, den man anhand teilweise vorhandener, alter Atelierfenster ersehen kann, großes Potenzial – das eben nicht genutzt werden darf, um jenen Charakter auszuhöhlen und beispielsweise Loftwohnen zu imitieren oder Coworking-Spaces oder was immer sich denken lässt, einzurichten.
Mitten in Kreuzberg, zumal dort, wo überwiegend Wohnnutzung herrscht, muss Kiez Kiez bleiben und wir sind sicher, dass die Politik vor Ort das überwiegend auch so sieht.
Trotzdem wieder das schon traditionelle Wort zu den Gewerbeeinheiten: Wenn sie als erhaltenswert gelten, sind sie dennoch nicht vom Milieuschutz umfasst. Bei einem Haus, das immerhin zu etwa einem Fünftel (in Einheiten gerechnet, nicht flächenmäßig) aus solchem Gewerbe besteht, zeigt sich besonders, dass der Milieuschutz dringend nachgebessert werden muss. Abwendungsvereinbarungen nützen den Gewerbetreibenden nichts, sie können nur durch die Kommunalisierung oder durch partizipative Gebäudebewirtschaftung geschützt werden.
Die Urbanstraße kennen wir natürlich gut, weil sie eine der beiden schnellen Verbindungen zwischen unserem früheren Wohnkiez in Neukölln und dem jetzigen in Schöneberg darstellt und wir unzählige Male durchgefahren sind, bevor wir auf ÖPNV und Fahrrad umsteigen konnten, um innerhalb der Stadt unterwegs zu sein – heißt, wir fahren jetzt häufiger unter der Gneisenaustraße durch als über die Urbanstraße. Es ist aber nicht weit von uns bis dorthin und wir hoffen, morgen haben die Mieter_innen des Hauses 67 super Wetter und viele, viele Besucher kommen zu ihrem Flohmarkt.
Heute daher unsere Solidarität mit der Urbanstraße 67 und bitte alle morgen ab 12 Uhr zum Hofflohmarkt!
TH
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