Crimetime 1017 - Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD, Treuholz (Der Film ist in Farbe)
Ende der Illusionen
Regisseur Hans Joachim Hildebrandt klammerte sozusagen den Film für die Zuschauer, in dem Karin Düwel ihren ersten von insgesamt 18 Auftritten in Polizeiruf-Episoden hatte, gleichzeitig war es der erste Film des Ermittlers Reichenbach (Friedhelm Ebert) – aber schon der 14. von insgesamt 20 Polizeirufen, die Hildebrandt inszeniert hat – der damit während der DDR-Zeit zu den führenden Regisseuren der Reihe zählte. Da Hildebrandt auch ein Autorenfilmer in dem Sinne war, dass er die meisten Drehbücher für die Fälle selbst schrieb, die er inszenierte, gibt es das eine oder andere Spezifikum, das ich bereits kannte und in „Petra“ wiederfand. Hierzu und zu weiteren Aspekten des Films steht alles in der -> Rezension.
Handlung
Ein Anwohner sieht, wie ein Fremder einen Wagen in einen Steinbruchsee schiebt. Der Wagen stürzt die Steilwand hinab und versinkt kurz darauf im tiefen Wasser. Der Zeuge alarmiert die Feuerwehr und die Polizei, die Oberleutnant Wolfgang Reichenbach an den Tatort schickt. Als der Wagen geborgen ist, entdeckt Reichenbach auf dem Rücksitz unter Autoreifen verborgen eine Frauenleiche. Es handelt sich um die junge Petra Langer. Der Anwohner bemerkt am anderen Ufer des Steinbruchs einen Beobachter, den er als den Mann identifiziert, der das Auto in den See gestoßen hat. Der zuständige ABV Schreiber erkennt im nun flüchtenden Mann Jürgen Wittstock, den Bruder von Petra. Wenig später fährt Jürgen mutwillig gegen einen Baum. Sein Auto explodiert, und er kommt in den Flammen um.
Die Spur zum Verbrechen bringt Reichenbach auch auf die Spur eines seit langem ungelösten Falls von Autodiebstählen. Der geborgene Wagen gehört zu den vermissten Autos, die in der letzten Zeit gestohlen wurden. Die Ermittler suchen Jürgens Garage auf, in der deutliche Arbeitsspuren darauf hinweisen, dass hier Wagen umgespritzt und für den späteren Weiterverkauf aufgemotzt wurden. Jürgen kann die Taten jedoch nicht alleine begangen haben. Zudem erscheint es unwahrscheinlich, dass er seine eigene Schwester umgebracht hat. Petra wurde erschlagen und ist nicht ertrunken.
Über Petras Freund finden die Ermittler heraus, dass sie eine Beziehung zu einem anderen Mann hatte. In Rückblenden zeigt sich, dass dieser Mann Michael Grandel war, der in Petras LPG regelmäßig Erde abholte. Mit seiner schwangeren Frau Elvira baute er sich ein Eigenheim, doch war die Ehe zunehmend zerrüttet. Michael nahm auf seine Frau keine Rücksicht und begann eine Affäre mit Petra. Sie und Elvira trafen auf einer Feier für die Bauarbeiter in Grandels Haus zusammen, und Petra beendete die Beziehung zu Michael. Sie unterstützte in der Folge Elvira. Gleichzeitig versuchte sie, ihren Bruder wieder auf den richtigen Weg zu bringen, ahnte sie doch, dass der vorbestrafte Jürgen wieder auf die schiefe Bahn geraten war. Durch Zufall erfuhr sie, dass Michael der Drahtzieher hinter den Autodiebstählen war. Als beide Männer trotz des Versprechens, ihre ungesetzlichen Touren aufzugeben, weitermachten, und vor allem Michael keinen Grund sah, ehrlich zu werden, wollte Petra zur Polizei gehen. Michael erschlug sie in seinem Keller, als seine Frau wegen der Geburt in der Klinik war. Er richtete den Keller wieder her, um Spuren zu verwischen, doch kommen ihm die Ermittler am Ende durch Elviras Mithilfe auf die Spur. Als sie vom Tod ihrer besten Freundin Petra erfährt, geht sie zur Polizei und zeigt sich und Michael an. Michael versucht noch, zu leugnen, muss die Tat jedoch angesichts der in seinem Keller gefundenen Spuren zugeben.
Rezension
Hildebrandt war ein Fan der aufgelösten Chronoogie – von vorne nach hinten durch filmte er nur, wenn es nicht anders ging, könnte man auch sagen. Dadurch konnte er einen misslichen Umstand umgehen, welcher der Struktur der Polizeirufe geschuldet und gleichzeitig einer ihrer Vorzüge war: Die Entwicklung zum Verbrechen wird gezeigt, der Film beginnt nicht mit einer Leiche, wie die meisten Tatorte.
Dadurch lernt man die Figuren besser kennen und kann sich mit ihnen identifizieren oder sie furchtbar finden, jedenfalls ist man als Zuschauer emotional stärker eingebunden, als wenn man dieselbe Distanz hat wie die Ermittler, für die zunächst, so wirkt es meist, ein Routinefall vorliegt, der bestenfalls durch prägnante Zeug*innen und Verdächtige an Ungewöhnlichkeit zulegen kann.
Aber die Was-geschah-damit-es-zum-Verbrechen-kommt-Struktur hat einen Nachteil: Die Ermittlerfiguren kommen erst recht spät zum Einsatz und in manchen Polizeirufen ist das tatsächlich so. Da aber auch in der DDR die Kriminaler*innen für das Publikum wichtig waren, konnte dadurch eine gewisse Ungeduld entstehen. Eine recht elegante Art, das Problem zu lösen war die Variante, dass die dort offenbar nicht auf Kapitalverbrechen spezialisierte „K“ schon anfängt zu ermitteln, solange es noch um Vermögensdelikte geht. Was tat man also? Man zeigte erst Betrug oder Diebstahl und bei einem der Fälle, noch bevor die „K“ auf der richtigen Spur ist, kommt es, meist nicht vorsätzlich, zu einer schweren Körperverletzung oder gar einem Todesfall. Allerdings ist der Variantenreichtum innerhalb dieses Musters recht begrenzt.
Die dritte Version ist die Rückblende. Die Leiche kommt recht schnell zum Vorschein und die Ermittler*innen nehmen ihre Arbeit auf. So, wie sie vorankommen, wird auch der Zuschauer durch Rückblenden ins Bild gesetzt. Das Charmante an dieser Gestaltung des Plots ist: Die Person, die das Drehbuch verfasst, ist relativ frei darin, ob sie die Ermittler dem Zuschauer etwas voraus sein lässt, sodass er durch sie wichtige Details erfährt, oder ob es umgekehrt ist, dass ihm immer etwas mehr entblättert wird als den Kriminalern zum aktuellen Zeitpunkt, sodass er eng verfolgen kann, ob sie findig sind und Schritt halten können. Man kann auch versuchen, einen exakt gleichen Kenntnisstand einzurichten, aber das ist schwierig, weil man dadurch sehr häufig zwischen Rückblende und Zeitpunkt der Ermittlungen und auch die Perspektive wechseln muss.
Die Variante von „Petra“ ist sehr interessant, denn zunächst wissen die Ermittler mehr, dann wird dem Zuschauer ein kleiner Vorsprung gegeben, dann ein etwas größerer, um die Dramatik zu verstärken und den Film nicht zu sehr zu zerreißen. Man ahnt also immer mehr, was geschehen ist, ohne es aber genau zu wissen und ist konsterniert. Ein kleines Problem stellt die Ausführung selbst dar: Die Polizei will festgestellt haben, dass an der frisch getünchten Wand im neuen Haus des Täters viele Spuren zu finden sind (unter dem Anstrich), die auf den Tod von Petra in diesem Haus verweisen. Was wir sehen, ist aber nur ein einmaliges „Gegen-die-Wand-Werfen“, das diese Spuren nicht ausgelöst haben kann. Diese nicht zeitgleiche Bild-Text-Schere kam vermutlich dadurch zustande, dass man das Gewaltverbrechen nicht zu dezidiert zeigen wollte, aber den Hinweis auf die genaue Ausführung im Drehbuch nicht mehr geändert im Sinne von abgeschwächt hat.
Finale
Gleichzeitig ist dieser Film der erste große Auftritt von Karin Düwel, die im nächsten Polizeiruf („Im Tal„) bald darauf wieder zu sehen war. Sie brachte einen frischen, geradezu gegen die sich abzeichnende Agonie des Staatskapitalismus gerichtete Wesensart ein. Sie spielte zugängliche, abenteuerlustige, aber auch selbstbewusste und immer auf der guten Seite stehende Figuren. Im Grunde war sie einer der ersten Schauspielerinnen, die vielleicht so etwas wie einen von klein auf sozialistisch geprägten Typ verkörperte – wie er hätte sein sollen oder können, wenn alle so fröhlich bei der Sache gewesen wären, so zupackend und realistisch, aber auch mit großem Herz, dann hätte es noch was werden können, mit dem zweiten deutschen Staat.
Konnte es aber schon deshalb nicht, weil die Kritik, die sie hier am Verhalten erst ihres Bruders, dann von dessen Kumpan übt, mit dem sie mal ins Feld gesprungen ist, sicher auch darüber hinaus gegangen wäre. Sie hätte alles angeprangert, was ihrem gesunden Menschenverstand widerspricht – und das ging eben nicht. Und weil das so klar war, wurden die meisten Polizeirufe in den Folgejahren melancholisch und die Filmemacher ließen Figuren auftreten, die mehr oder weniger privatisieren und die Innensicht wurde immer wichtiger, überlagerte das große Projekt und auch das war selbstverständlich eine Form von Kritik.
7,5/10
© 2021 (Entwurf 2020) Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Regie | Hans Joachim Hildebrandt |
Drehbuch | Hans Joachim Hildebrandt |
Produktion | Peter Sommer |
Musik | Peter Gotthardt |
Kamera | Walter Laaß |
Schnitt | Bärbel Wehran |
Besetzung | |
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