Crimetime 1041 Titelfoto © RBB
Kinder, Mütter, keine Väter
Kriminalhauptkommissarin Olga Lenski und Polizeihauptmeister Horst Krause werden zu einem Vorfall gerufen. Die Geschäftsführerin der Bootswerft Stolze wurde nackt mit einem Zuckerschock im Hotel eines Vergnügungspark gefunden und in die Klinik gebracht. Der behandelnde Arzt hält es für unwahrscheinlich, dass die hochgradig zuckerkranke Michaela Stolze vergessen hat, ihr Insulin zu spritzen. So haben nun Lenski und Krause zu klären, ob möglicherweise ein Tötungsversuch vorliegt. Michaela Stolze hatte in dem Vergnügungspark eine Betriebsfeier gegeben, daher waren entsprechend viele Personen zugegen. Lenski erfährt, dass es in der Firma Probleme gibt und das Betriebsklima entsprechend angespannt ist. Insbesondere Werftleiter Jens Petzold ist unzufrieden. Er war zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn bei der Feier, die sie aber aufgrund der Arbeitssituation nicht richtig genießen konnten. Lenski versucht Hinweise auf mögliche Feinde zu finden und will sich in der Wohnung von Michaela Stolze umsehen. Als sie dort auf Ludwig Stolze, den mürrischen Vater trifft, gibt dieser offen zu, seine Tochter nicht zu mögen. Sie hat ihn sehr enttäuscht und führt seine Firma nicht so, wie es ein guter Unternehmer tun sollte. In wenigen Monaten hat sie die Werft fast in den Konkurs getrieben.
Aufgrund von Krauses Untersuchungen stellt sich heraus, dass Petzolds Sohn der Chefin seines Vaters nur einen Streich spielen wollte. Er wusste, dass sie seinen Vater sehr schlecht behandelte und dieser deshalb stets unter Druck stand, was sich dann auch bei seiner Familie auswirkte. Deshalb hatte Andreas den Bademantel von Michaela Stolze versteckt, als diese zu einem morgendlichen Bad zum See ging, der zum Vergnügungspark gehört. Er konnte nicht ahnen, dass ihr dadurch die Insulinspritzen nicht zur Verfügung standen und sie entsprechend in Unterversorgung geriet und zusammenbrach.
Der Fall scheint geklärt, doch ereignet sich nun im Krankenhaus ein weiterer Zwischenfall. In die Infusion von Michaela Stolze hat ein Unbekannter eine giftige Substanz beigemischt. Die Kriminaltechniker finden heraus, dass es sich dabei um handelsübliche Lack-Verdünnung handelt. Damit ist es nun doch ein versuchter Mord. Lenski verdächtigt zunächst Ludwig Stolze, da er sie als einziger im Krankenhaus besucht hatte. Doch auch jeder andere aus der Werft könnte dahinterstecken. Lenski lässt die gesamte Belegschaft antreten und bemerkt schnell die Spannung, die zwischen den Mitarbeitern herrscht. Neben Jens Petzold macht sich auch der Konstrukteur Gisbert Franke verdächtig, der romantische Gefühle für seine Arbeitgeberin hegt, aber von ihr zurückgewiesen wurde. Krause sammelt inzwischen diverse Proben an Verdünnung, die in der Werft verwendet wird, um sie untersuchen zu lassen. Da auch Faserspuren an der Infusionsflasche gefunden wurden, kann eindeutig die Sekretärin Petra Weingart überführt werden. Sie musste befürchten, von einer jüngeren und besser ausgebildeteren Sekretärin abgelöst zu werden, die der heutigen Zeit besser gewachsen war als sie. Wortlos lässt sich Petra Weingart zum Polizeiwagen bringen und festnehmen.
Rezension
Trotzdem sind sie wichtig, um „Vor aller Augen“ zu verstehen. So schwer verständlich ist der Film nicht, aber die Art, wie die Figuren gezeichnet werden, ist doch signifikant. Eine andere Linie leitet sich von den drei Brandenburg Polizeirufen „Totes Gleis“ und dessen beiden Nachfolgern „Das Wunder von Wustermark“ und „Dettmanns weite Welt“ her. Letzterer wurde acht 8 Jahre früher gedreht als „Vor aller Augen“.
Ja, das hat etwas von „Wustermark“, wie alle so mehr oder weniger nebeneinanderher arbeiten und Aktionismus produzieren, aber es bewegt sich nicht mehr wirklich etwas. Sinnbildlich dafür steht auch dieses sogenannte Motivationsseminar in der Westernstadt, eine jener gruseligen Veranstaltungen, auf denen Mitarbeiter angeblich zusammengeschweißt werden sollen, bei denen jedoch ganz andere Dinge nicht stimmen, als dass sie zu feige sind und sich nicht einem Messerwerfer zur Verfügung stellen. Eine eigenartige Form von Survival Camp, die davon erzählt, dass man mit Betriebsfeiern nicht Betriebe retten kann, in denen der Wurm steckt.
Die neue Chefin versucht im Hauruckverfahren, das Ruder noch einmal herumzureißen, ist aber vollkommen unfähig, zu verstehen, warum es nicht mehr läuft. Der alte Chef will, weil sie krank ist, noch einmal übernehmen, aber am Schluss haben sich zwei wichtige Mitarbeiter*innen in Verbrechen verstrickt. Die anderen könnten theoretisch weiterarbeiten, aber insbesondere der Konstrukteur fehlt und alle erkennen, dass es zu Ende ist. Für mich eine der bisher am besten eingefühlten Darstellungen darüber, warum lange nach der Treuhand und deren Fehlern oder auch Vorgängen, die man ihr als Fehler angedichtet hat, die Wirtschaft im Osten nicht mehr aus eigener Kraft auf die Füße kommen konnte.
Gerade Traditionsbetriebe schleppten viele Traditionen mit sich herum, die damals nicht mehr zukunftsfähig waren. Der neoliberale Management Schnickschnack ist freilich das genau falsche Mitte, um noch etwas zu reißen. Vorbei ist vorbei, dieses schreckliche Gefühl, das in weiten Teilen Brandenburgs und anderer Landschaften in den neueren Bundesländern auch heute bittere Realität ist, vermittelt sich in diesem Film sehr gut, und natürlich merkt man, dass die Crew und das Böhlich sich in dem Landstrich auskennen.
Was man sieht ist wenige das berlinnahe Potsdam oder die Gegend um Kleinmachnow und Teltow, sondern das richtige Draußen. Wenn man sich die Werft anschaut, wirkt die Auftragslage allerdings gar nicht so trist. Da liegen zwei größere Schiffe im Trockendock, die überholt werden müssen und die hölzerne Segeljacht ist eigentlich ein hübscher Auftrag. Dass nicht mehr konstruiert wird, keine neue Typen mehr entwickelt und keine neuen Boote mehr gebaut werden, ist eine andere Sache, somit handelt sich um eine Reparaturwerft.
Der Krimi rückt in diesem Film unzweifelhaft ein wenig in den Hintergrund, aber erstens ist er nicht schlecht konstruiert, zweitens dominiert die Atmosphäre, dominiert das Menschliche, und in diesem Sinne ist zumindest alles nachvollziehbar.
| Regie | Bernd Böhlich |
| Drehbuch | Bernd Böhlich |
| Produktion | Frank Schmuck, Jost Bösenberg |
| Musik | Rainer Oleak |
| Kamera | Florian Foest |
| Schnitt | Karola Mittelstädt |
| Besetzung | |
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