Frontpage | Politik, Wirtschaft | Koalitionsverhandlungen Bund: Sondierungspapier der Ampel, SPD, FDP, Gruene
Zunächst müssen wir einen Glückwunsch aussprechen. Und zwar an die FDP. Schon nach den Sondierungen und vor dem Koalitionsvertrag im Bund steht fest, dass der kleinste der drei Partner sich weitgehend durchgesetzt hat. Und zwar dort, wo es wichtig ist: In der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Von ihr hängt alles andere ab, auch, ob die Grünen ihre Klimaziele einigermaßen sozialverträglich durchsetzen können. Wir verraten, nicht exklusiv, aber frühzeitig: Das wird nicht der Fall sein. Es wird im Wesentlichen weitergehen wie bisher.
Mit noch mehr Ungleichheit, denn es sieht nicht aus, als ob die Kosten der ökologischen Wende sozial abgefedert würden und wo die Investitionen herkommen sollen, die dafür notwendig sind, wenn die FDP weder zulässt, dass die Superreichen sich mehr beteiligen müssen, noch eine Lockerung der Schuldenbremse zulassen will, wissen allenfalls die liberalen Götter, die sicher irgendeine Idee haben, was man noch alles kapitalisieren und besteuern könnte. Vielleicht unsere Atemluft? Dieser Koalition wäre es zuzutrauen, denn Ressourcenverbrauch ist überall und die Möglichkeit, ihn für das Kapital nutzbar zu machen, ebenfalls. Wir müssen den Kern der Nachricht wörtlich zitieren, weil er so krass ist:
Wohl mit Rücksicht auf die Wahlversprechen der FDP hielten die Unterhändler in ihrem Papier fest: „Wir werden keine neuen Substanzsteuern einführen und Steuern wie zum Beispiel die Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer nicht erhöhen.“ Die notwendigen Zukunftsinvestitionen würden „im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse“ gewährleistet.
Folglich planen die potenziellen Koalitionspartner auch keine Steuerentlastungen für Geringverdiener. Solche Entlastungsversprechen seien nach den Sondierungsgesprächen nicht vorgesehen, sagte Grünen-Chef Robert Habeck. „Das ist halt der Preis, den wir zahlen, weil die FDP sich an der Stelle durchgesetzt hat.“ Solche Entlastungen wären nur zu stemmen, wenn man die Steuern für Spitzenverdiener anheben würde – und das hätten die Liberalen abgelehnt.
Wer immer geglaubt hat, es würde mit einer Ampel auch nur einen Tick sozialer und gerechter zugehen als unter der GroKo, wird enttäuscht sein. Vielen Beobachter:innen (eigentlich müssten wir jetzt aus Protest das Gendern aufgeben, den das ist ja ein Ding der sozialvergessenen Grünen) war lange klar, dass es im Wesentlichen ein „Weiter so“ geben wird. Aber auch wir hatten nicht geglaubt, dass es dermaßen übel aussehen würde. Die Grünen bekommen ein bisschen was fürs Klima und die FDP wird die Wirtschaftspolitik bestimmen. Diese Konstellation kann keinerlei Fortschritte gegenüber dem bisherigen Zustand bringen. Noch ein Gag: Die Grünen werden wohl nicht einmal das lange überfällige Tempolimit 130 auf Autobahnen verteidigen. Preisfrage: Wie wird faktisch die Ökowende im Ganzen aussehen? Wie wird überhaupt alles aussehen, wenn die Grünen sich schon vor den eigentlichen Verhandlungen der FDP geschlagen geben?
Schauen wir doch mal kurz auf die Ziele der Grünen: „Die Kohleverstromung vorzeitig beenden? Idealerweise schon 2030!“ Wenn es nicht ideal läuft, die FDP und die Wirtschaftslobbys etwas dagegen haben, kann es natürlich viel länger dauern und zahlen, egal, wie die Entwicklung verläuft, müssen u. a. die Mieter:innen, die gar keinen Einfluss darauf haben, welche Technik in dem Haus verwendet wird, in dem sie wohnen. Deswegen müssen sie ja auch die CO²-Steuer alleine blechen, während die Vemieter raus sind, egal, wie sie ihre Häuser bewirtschaften.
Das ist genau das Grün, vor dem alle gebangt haben, die ein wenig das Ganze im Blick behalten.
Was wir an der oben zitierten Aussage besonders verrückt finden: Offenbar hat nur die FDP Wähler:innen, auf die sie Rücksicht nehmen muss, die SPD und die Grünen, die 3/4 der Wähler:innen der neuen Koalition vereinigen, dürfen ebenjene 3/4 ruhig betrügen, nachdem sie teilweise linke Themen für den Wahlkampf okkupiert haben. Jetzt zeigt sich auch, warum Robert Habeck in Schleswig-Holstein so gut mit der FDP konnte: Er hat sie niemals konfrontativ gestellt. Zudem wird jetzt noch einmal deutlich: Jamaika ist 2017 nicht an den Grünen, sondern daran gescheitert, dass Angela Merkel der FDP nicht jeden Anschlag auf die Mehrheit durchgehen lassen´wollte. So gesehen, war die Union nicht reformfreudig genug im neoliberalen Sinne. Mit den Grünen aber: Freie Fahrt für fette SUVs, Grün für die gelbe Ampel und Rot für alles, was den sozialen Zusammenhalt sichert.
Leider richtet sich unser Augenmerk angesichts der Erwähnung der Farbe Rot für einen Moment auf die Linke, die das sich abzeichnende Desaster hätte verhindern können, wenn sie nicht ihre Wähler:innen ebenfalls im Stich gelassen hätte, indem sie sich geradezu absichtlich eine horrende Wahlniederlage zugefügt hätte. Um etwas bewirken zu können, hätte sie nicht in eine neoliberal geprägte Regierung eintreten müssen, aber eine starke Präsenz im Parlament wäre notwendig gewesen. Die wird es nun nicht geben, zumal profilierte Abgeordnete wie Fabio de Masi, die Wirtschaftskompetenz verkörpert haben, sich das alles nicht mehr antun wollen und demissionieren.
Wir haben, so sieht es im Moment aus, also wieder die alte Frontstellung: In Berlin eine rot-rot-grüne Stadtregierung, die nicht viel ausrichten kann, weil im Bund alles, was nicht auf Symbolpolitik hinausläuft, sondern auf harte Fakten geht, blockiert werden wird. Wir müssen Christian Lindner bewundern, könnten wir jetzt schreiben. Denn er ist der Chef im Ring der deutschen Politik und darauf hat er jahrelang mit einer Konsequenz wie kaum ein anderer hingearbeitet. In Wirklichkeit hat sich schlicht ein System durchgesetzt, an dem auch die Grünen nicht einmal kleinste Korrekturen vornehmen wollen. Sie glauben, der Gier-Kapitalismus ließe sich begrünen und sowohl die FDP als auch die Grünen sehen diejenigen, die besonders unter der nunmehr fortzuführenden Politik leiden werden, sowieso nicht als ihre Klientel an. Was wir also bisher sehen, ist kein Neuanfang, sondern eine Beschleunigung kapitalistischer Umbauarbeiten, die zu einer noch schnelleren Entrechtung und Verarmung der Arbeitenden führen werden. Das Ganze als sozialökologische Wende verkaufen zu wollen, ist eine der größten Frechheiten der Politik, seit die kapitalaffinen Nazis sich als sozialistisch bezeichnet haben. Wir haben schon Einiges an euphemistischen Umschreibungen, mithin an Lügen, gesehen, aber das, was sich jetzt anbahnt, schlägt dem Fass wirklich den Boden aus.
Der Koalitionsvertrag der Ampel, wie er sich nun abzeichnet, ist ein weiterer Anschlag auf die Gesellschaft und deren Zusammenhalt. Die SPD scheint bei alldem übrigens gar nicht vorzukommen. Das bedeutet auch, dass Olaf Scholz geradezu froh war, dass er das Gelaber seiner „linken Führung“, besonders von Saskia Esken, in die Tonne treten und seinen hanseatischen Weg der Bevorzugung des Kapitals weitergehen kann. Wir haben ihn kürzlich „den Meister der diskreten Bevorzugung der Bourgeoisie“ genannt.
Diese Kurzanalyse ist selbstverständlich vorläufiger Natur, aber eines scheint sich auf Bundesebene zu bewahrheiten: Nach der Wahl ist vor der Wahl, denn in den vier Jahren dazwischen wird man uns, der Mehrheit, nicht das Schwarze unter dem Nagel zukommen lassen, wenn wir es uns nicht selbst erkämpfen. 2025 dürfen wir uns nicht noch einmal so verarschen lassen. Die Union abzuwählen, reicht eben nicht aus, um wirklich etwas zu verändern. Wir sind sehr sicher, dass in vier Jahren größere Kreise der Bevölkerung als bisher die Auswirkungen des schon in Umrissen erkennbaren, klassistischen Koalitionsvertrags zu spüren bekommen werden als jetzt schon. Zeit, noch zuzuwarten, haben wir eigentlich nicht, aber die Wahrheit über die Ampel wird auch schnell genug zutage treten, um nach links sehr viel Raum zu lassen. Das ist ein Geschenk, das zum Beispiel die Linke im Grunde gar nicht verdient hat. Wird sie es wenigstens annehmen oder müssen wir auf der Straße auch in diese Richtung endlich mal richtig Druck machen?
An die Älteren unter Ihnen: Falls Sie ein Schröder-und-die Grünen-Déjà-vu haben, lassen Sie sich nicht täuschen. Das, was sich jetzt abzeichnet, ist schlimmer. Was Schröder sich erst nach einigen Jahren getraut hat, will die neue Ampel schon als Grundtatbestand, als ihre Raison d’être festschreiben. Es werden harte Zeiten für die meisten von uns kommen, denn wer weiß, wo es von diesem Ausgangspunkt aus hinführen wird.
Dass wir dies alles befürchtet und bis zu einem gewissen Grad erwartet haben, macht die Wut nicht geringer. Wir müssen jetzt zumindest bezüglich einer Sache trotzdem neu nachdenken: Wie verhalten wir uns den Grünen gegenüber, wenn es um Berliner Angelegenheiten geht? Betrachten wir die Hauptstadtgrünen als Partner mit Zugang zur Zivilgesellschaft oder als Gliederung einer Gesamtpartei, die uns im Bund gerade klarmacht, was sie von ebenjener Zivilgesellschaft hält: nichts? Das Ökologische soll tatsächlich komplett auf Kosten der weniger betuchten Mehrheit durchgezogen werden. Wer die Warnungen davor für linksklugscheißerische Kassandra-Rufe hielt, der sieht jetzt, es war purer Realismus und zeugt von profunder Kenntnis der insgesamt weit rechts und erzkapitalistisch orientierten deutschen Parteienlandschaft. Lesen Sie dazu gerne auch unseren Artikel über uns und den Political Compass, in dem wir das hiesige Parteiengefüge erläutert haben.
Wieso wird uns trotz dieses Vorwissens und der sehr geringen Erwartungen die Ampelkoalition gerade übel, wenn wir an Annalena Baerbocks sozialökologische Wahlkampfrhetorik denken?
Vielleicht, weil Anstand uns noch etwas bedeutet und wir es trotz aller negativen Erfahrungen nur schwer fassen können, wie wir als Wähler:innen immer wieder vorgeführt werden. Man kann auch sagen: Es wird von Wahl zu Wahl rudimentärer und billiger und bald wird Deutschland das letzte echt neoliberale Land und der letzte unbeschränkte Spielplatz für Spekulanten und Ausbeuter sein, während alle anderen Regierungen, zumindest hintenrum, auf die diskrete Weise, sehr wohl an ihre eigene Bevölkerung denken. Aber mit einer klassistischen FDP als letzter Verfechterin eines ökologisch und sozial zerstörerischen „Freihandels“, der in Wirklichkeit nur aus Privilegien für das Großkapital besteht und wirtschafts- und sozialpolitisch inkompetenten und / oder ignoranten Grünen läuft es halt anders. Und damit gilt auch für die Grünen: Sie stellen mit ihrer nicht vorhandenen Haltung eine Gefahr für die Demokratie dar. Denn sie ergeben sich schon im Vorfeld einer Partei, die allenfalls fünf Prozent der Bevölkerung tatsächlich repräsentiert. Okay, sagen wir, zehn Prozent, wir wollen ja nicht allen ihren aktuellen Wähler:innen unterstellen, dass sie nur taktisch optiert haben, und selbst wenn, ist das zu respektieren. Aber wie klein, wie klein diese Grünen wirklich sind, das sieht man jetzt schon und mit 14 Prozent der Stimmen sind sie in Relation zu ihrer Verhandlungsperformance noch verdammt gut bedient. Kaum auszudenken, wenn sie das Vertrauen von 25 oder 30 Prozent der Wähler:innen in diesem Land hätten missbrauchen können.
Sie wissen nichts damit anzufangen und spüren keinerlei ethische Verantwortung, außer natürlich fürs Klima, für das es übrigens am besten wäre, so viele Menschen wie möglich würden verhungern oder in Kriegen getötet werden. Der Auftrag, von dem Baerbock alle zwei Minuten redet, scheint möglicherweise, wenn man etwas mehr darüber nachdenkt, kommt man unweigerlich an den Punkt, in diese Richtung zu gehen und wer weiß, wo der Auftrag herkommt. Der grüne Bellizismus lässt zumindest eine Ahnung aufkommen und deshalb: Es gibt sehr gute Gründe dafür, diesen Artikel mit dem Logo „Demokratie in Gefahr“ zu versehen.
Übrig blieben, wenn es so käme, nur ein paar Leute mit ökologischen Elefanten-Fußabdrücken, die sich über Parteien wie die Grünen freuen, die ihnen den Weg zur unbegrenzten Herrschaft und zur unbegrenzten Expansion freigemacht haben. Genau so werden wir uns künftig wohl äußern müssen. Was wir hier und heute schreiben, drückt bei Weitem nicht (***zensiert***) für das aus, was in den nächsten vier Jahren Politik sein wird.
Haben wir schon erwähnt, dass wir schon kaum noch darüber schreiben, wie die SPD wieder einmal die Arbeitenden verrät? Das ist ja schon Standard. Ach ja, der Mindestlohn soll irgendwann auf 12 Euro ansteigen. Psst, nicht weitersagen: Das wäre aufgrund der gerade sehr hohen Inflation sowieso gekommen, wenn man diese wenigstens ausgleichen will. Real verbessert sich dadurch aber nichts. Und man soll nun Lobeshymnen darauf singen, dass das erbärmliche Rentenniveau von 48 Prozent tatsächlich gehalten werden soll, mit der niedrigste Satz in Europa. Natürlich, da kommt doch mal etwas Neues, Kapitaldeckung, wie die FDP es will.
Wie eingangs angedeutet, es findet sich immer noch etwas, womit man das Kapital füttern kann. Die Risiken liegen dann bei den Rentner:innen und sie sind hoch, denn das Finanzsystem wird seit nunmehr zwölf Jahren nur noch mit geldpolitischen Sondermaßnahmen aufgepumpt, um zu überleben und virtuelle ebenso wie reale Werte zu sichern. Profitieren tut wer? Das Kapital natürlich, nicht der / die Normalrentner:in. Deswegen ist die Umverteilungsforderung von links übrigens auch dann logisch, wenn man diese offensive Geldpolitik akzeptiert. Die unmäßige Bereicherung ganz oben darf nicht der einzige kapitalbildende Effekt dieser EZB-Politik bleiben. Auch diejenigen, die bisher dadurch nur verlieren, müssen endlich etwas abbekommen.
Ein kleiner Gruß an alle, die radikal denken und handeln und sich gar nicht erst auf einen Dialog mit den politischen Parteien einlassen: Wir entschuldigen uns für unsere zu große Distanz und einen Mangel an Verständnis oder gar Unterstützung. Denn ihr habt recht und wir, sofern wir an Reformen zugunsten der Mehrheit durch welche Koalition auc immer glaubten, hatten Unrecht. Vom Kleinsten bis zum Größten, von den Ärmsten bis zu den Reichsten hat die noch gar nicht im Amt befindliche Regierung schon klargemacht. Es wird nicht daran gerüttelt, die Klassen bleiben scharf voneinander getrennt. Denkt nicht, dass sich für euch irgendetwas verbessert, Mehrheit. Habt keine Angst, dass ihr auch mal aufs Gemeinwohl verpflichtet werdet, Konzerne, Superreiche, Steuerverweigerer, Ausbeuter, Neofeudalisten.
Haben wir schon erwähnt, dass der Kampf jetzt erst beginnt und es gar nicht vom nächsten Wahltermin abhängen darf, wie er geführt werden wird? Der Kampf geht weiter oder beginnt nach einer Pause des fairen Abwartens, was bei den Koalitionsverhandlungen herauskommt, von vorne.
TH