Rat mal, wer zum Essen kommt (Guess Who’s Coming to Dinner, USA 1967) #Filmfest 646 #DGR

Filmfest 646 Cinema – Die große Rezension

Wer nicht zum Essen kam, war Martin Luther King

Rat mal, wer zum Essen kommt (Originaltitel: Guess Who’s Coming to Dinner) ist ein US-amerikanisches Filmdrama von Stanley Kramer aus dem Jahr 1967 mit Spencer TracySidney PoitierKatharine Hepburn und Katharine Houghton in den Hauptrollen. Hauptthema des Films ist der Rassismus im liberalen, großbürgerlichen Milieu der US-Gesellschaft in den 1960ern. Daneben werden auch der Geschlechter- sowie der Generationenkonflikt aufgezeigt.

Die Geschichte des Zustandekommens einer „interrassischen“ Ehe Mitte der 1960er in den USA ist einer der ersten Mainstream-Filme, der sich mit der Rassenproblematik auseinandersetzt und dabei wunderbare Darbietungen berühmter Schauspieler und die mit dem Oscar prämierte Darstellung von Katharine Hepburn zeigt, er spielt nur an einem einzigen, entscheidenden Tag im Leben des jungen Arztes John, der Großbürgertochter Joanna und den Eltern der beiden, die sich auf Hawaii kennengelernt haben und über die Rassengrenzen hinweg heiraten wollen.

Obwohl der Film auf einem Origina-Drehbuch beruht, könnte er ein verfilmtes Bühnenstück sein, so statuarisch sind die Dialoge und so theaterhaft die Schauspielkunst der Akteure. Für heutige Verhältnisse wirkt der Film zahm und sehr reflektiert, auch und gerade das Rassismus-Problem in den USA betreffend. Zudem ist er formal sehr konservativ und zeigt keinerlei Ansätze des neuen Stils, der in Hollywood gerade erprobt und weiterentwickelt wurde, sondern verharrt auf dem Punkt, wie Melodramen in den späten 1950ern, noch in den frühen 1960ern gefilmt wurden. Die erlesenen, sehr genau gewählten Dekors, die perfekte Inszenierung der Darsteller und die Verweigerung jeder Distanzierung erinnern durchaus an die Werke von Douglas Sirk ab etwa 1955 – dessen letzter Film ja ebenfalls ein Rassendrama war, das sich mit derselben Problematik auseinandersetzte („Imitation of Life“, 1959).  

Handlung (1)

Joanna Drayton, eine junge weiße Amerikanerin, bringt ihren Verlobten, den Afroamerikaner Dr. John Prentice, von einer Hawaii-Reise mit und stellt ihn ihren Eltern vor. Wäre John ein Weißer, wäre er der absolute Traumschwiegersohn: gebildet, bescheiden, höflich und beruflich höchst erfolgreich. Aber aufgrund seiner Hautfarbe und des vorherrschenden Rassismus des Umfelds der Eltern Joannas sind Probleme vorprogrammiert.

Die Handlung dreht sich hauptsächlich um die Reaktionen der Eltern, ihrer Freunde und ihrer schwarzen Haushaltshilfe. Die Draytons sind reiche, liberale Eltern und haben ihre Tochter auch so erzogen. Eine Beziehung zu einem Schwarzen geht ihnen aber doch zu weit. Im Verlauf des Films treffen auch Johns Eltern bei den Draytons zum Dinner ein, und es ergeben sich zahlreiche Dialoge zwischen den verschiedenen Akteuren, in deren Verlauf zahlreiche Argumente und Meinungen pro und contra die Beziehung ausgetauscht werden. Die Mütter der beiden jungen Leute sind eher für die Beziehung, während die Väter, besonders Johns Vater, dagegen sind. Monsignore Mike Ryan wiederum, ein Geistlicher und langjähriger Freund der Familie Drayton, tritt vorbehaltlos für die Beziehung ein. Der Film endet damit, dass Joannas Vater in einem Monolog seinen Widerstand aufgibt und der Verbindung seine Zustimmung erteilt.

Rezension

Stilistisch knüpft „Rat mal, wer zum Essen kommt“ daran an. Obwohl er leichter wirkt und es nicht um Leben und Tod geht, drückt er mindestens genauso auf die Tränendrüse. Bei uns hat das hervorragend funktioniert, und deswegen werden wir dem Film trotz erkennbarer Schwächen keine schlechte Bewertung geben. Mit „Hass ist blind“ hatte Joseph L. Mankiewicz bereits 1950 den Auftakt zu einer ernsthafteren Diskussion der Gleichberechtigungsfrage geliefert, aber dabei schon mehr gesellschaftliche Tiefen ausgelotet, ein guter Beitrag war auch das Großstadt-Schuldrama „Blackboard Jungle“ aus dem Jahr 1955, auch „Flucht in Ketten“ zählt zu den wichtigen Filmen auf dem Weg in die Moderne. Mit all diesen Filmen verbindet sich aber ein Name: Der des Darstellers Sidney Poitier, der den Aufstieg der Afroamerikaner im weißen Kino zunächst allein schultern musste.

Man spürt in „Rat mal, wer zum Essen kommt“ förmlich, wie vorsichtig die Columbia Pictures und der versierte Regisseur schwieriger Themen, Stanley Kramer, an das heikle Thema herangegangen sind, wie man jede Kritik vermeiden wollte, die sich aus den Figuren selbst hätte ergeben können oder aus dem Milieu, in dem sie leben, wie man sich auf F. D. Roosevelt beruft und dies in einer Zeit, in der die Demokraten wieder regierten und der Civil Rights Act drei Jahre zuvor Wirklichkeit gewordne war – verankert war er allerdings in den Köpfen vieler Menschen, vor allem in den Südstaaten, noch lange nicht und böse Zungen behaupten, das sei bis heute so. Aber nach schweren Kämpfen der Bürgerrechtsbewegung und einigen Todesopfern war er ein nicht zu unterschätzender Fortschritt. Dass nach dem Ende der Dreharbeiten Martin Luther King jr., der führende Bürgerrechtler, der im Film genannt wird, umgebracht wurde, war so schockierend, dass man diese Bemerkung aus dem Film entfernte – nicht allerdings aus der deutschen Synchronfassung, die im März 1968 in die Kinos kam – kurz bevor der demokratische Präsidentschaftskandidat Robert Kennedy ebenfalls erschossen wurde.

Vor dem gewalttätigen, aber progressiven und hoch bewegten Hintergrund der 1960er, die in Europa im berühmten 1968 als Sinnbild des gesellschaftlichen Umbruchs gipfelten, wirkt „Rat mal, wer zum Essen kommt“ alles andere als revolutionär, man könnte sogar auf die Idee kommen, er steht auf der sicheren Seite und fasst nur zusammen, was damals ohnehin gesichert war – wie zum Beispiel, dass das liberale Großbürgertum an der Ostküste oder, wie im Film, an der Westküste der USA, das aber ziemlich ostküstenmäßig wirkt, in Rassenfragen eine aufgeklärte Haltung vertrat. Dass er Film in den USA, auch im Süden, so erfolgreich war, lag aber nicht daran, dass die Lage so ruhig gewesen wäre, sondern, dass man in dem Film alles richtig gemacht hatte, was man zu dem Zeitpunkt hatte richtig machen können.

Der Angelpunkt dieser frühen Form von political Correctness ist die Figur von John Prentice, dem jungen, hoch veranlagten Arzt und UNO-Mitarbeiter, gespielt von dem einzigen schwarzen Vorzeige-Schauspieler seiner Zeit, Sidney Poitier, der gerade mit „In The Heat o the Night“ einen Meilenstein-Film gedreht hatte – als farbiger FBI-Detective, der im rassistischen Süden ermittelt. In Deutschland liefen „Rat mal, wer  zum Essen kommt“ und „In der Hitze der Nacht“ beinahe gleichzeitig an, aber in den USA kam der Krimi mehrere Monate früher in die Kinos und bereitete schon den Boden für das wesentlich traditionellere Sozialstück vor, das wir hier besprechen. Deswegen stimmt es auch nicht, dass „Rat mal, wer zum Essen kommt“, der erste Film war, der sich mit dem Rassismus im Süden auseinandersetzte. „In the Heat of the Night“ tat das auf eine viel realistischere Weise und von diesem Film lässt sich besser als von „Rat mal, wer zum Essen kommt“ eine Linie zu moderneren Filmen wie „Mississippi Burning“ zeigen, den wir für den Wahlberliner rezensiert haben.

Im Gegensatz zu „In the Heat of the Night“ gibt es in “Rat mal, wer zum Essen kommt”, keinerlei weiße Figuren, an denen sich die Weißen per se hätten stören können, keine dumpfen, schmierigen Typen, wie sie später filmisch in Mode kamen und in „In der Hitze der Nacht“ erstmalig ziemlich unverblümt auf den Bildschirm gebracht wurden.

„Rat mal, wer zum Essen kommt“ hat demgegenüber beinahe einen Anstrich von Edelkitsch, in dem alle Menschen auf ihre Art perfekt sind und gerade deswegen frei darin, Rassenfragen ausführlich diskutieren zu können. Alle sind hochanständig, der Berufsweg des jungen Arztes ist nicht nur tadellos, sondern exorbitant, seine Manieren und Anzüge sitzen so gut, dass es eine Freude für jede konventionell denkende Mutter sein dürfte, einen solchen Mann zum Schwiegersohn zu bekommen, gleich, welcher Rasse er angehört. Er ist auch nicht etwa offensiv, sondern würde sich tatsächlich von Joanna zurückziehen, wenn deren Eltern nicht in die Heirat einwilligen würden. Das alles wurde so gestaltet, um Rassisten jedweden Wind aus den Segeln zu  nehmen.

Gleiches gilt für den Zeitungsverleger Matt Drayton, gespielt von Spencer Tracy in seiner letzten Rolle und dessen Frau Christina, von dessen Langzeit-Geliebter Katharine Hepburn mit im Realleben komplett identischer, liberaler Überzeugung so gut verkörpert, dass sie dafür ihren zweiten Hauptdarstellerinnen-Oscar erhielt.

Die Besetzung dieser Hauptrollen und deren Ausgestaltung ist der Schlüssel für die überragende Akzeptanz des Films beim Publikum. Jeder der Darsteller schon damals eine Ikone, hinzu kam die Tragik von Tracys zu erwartendem Tod, der tatsächlich 17 Tage nach Ende der Dreharbeiten eintrat, sodass der Film erst postum gezeigt wurde; wir wissen zusätzlich um das Eingeständnis von Katharine Hepburn, dass ihre Tränen während des Schlussmonologes von Matt echt waren, weil sie wusste, dass es seine letzten Worte in einem Film sein würden – was unter anderem bedeutet, dass der Film vermutlich weitgehend chronologisch gedreht wurde, entsprechend seiner einfachen Erzählstruktur. Die junge Joanna hingegen wird von Katharine Hepburns Nichte Katharine Houghton gespielt und machte im Anschluss keine große Filmkarriere (1).

Da wir nicht erörtern müssen, ob eine der Figuren auch nur einen moralischen oder biografischen Kratzer haben könnte, ob irgendetwas am Dresscode oder ihrem Verhalten nicht stimmen könnte, ist es leicht, sich auf die Inhalte zu konzentrieren, und da gibt es interessante und auch ein paar fragwürdige Momente.

  • Im Grunde ist die recht früh im Film zu sehende Galerie-Mitarbeiterin von Christina Drayton nicht sehr relevant, die von Christina wegen ihres nur vordergründig besorgten, aber innerlich rassistischen Verhaltens aus der Firma geworfen wird. Aber wie Klischees bedient und gekreuzt wurden, zeigt sich daran, dass sie in die Galerie ein vollkommen unpassendes Objekt in Form einer kinetischen Plastik eingebracht hat, die dem Mainstream-Amerikaner im Jahr 1967 sicher nicht Kunst war. John Prentice kennt sich aber aus, erklärt das Objekt seiner Verlobten und agiert damit wie mit einem Spielzeug, während die Galeriebesitzerin, die, wie wir auch in deren Haus sehen, mit harmonisch wirkenden, moderat modernen Gemälden handelt, froh ist, als sie das Ding los ist. Damit wird suggeriert, dass Avantgardisten vielleicht auch Rassisten sind – kompletter Blödsinn, aber dem Publikum damals sicher ein Wohlgefühl vermittelnd, denn es ist leichter in Rassenfragen mit progressiven Ansichten konfrontiert zu werden, wenn die Protagonisten dieser Ansicht wenigstens in Stilfragen traditionell sind und Avantgarde-Künstler ein wenig verunglimpft werden, was der anit-intellektuellen Grundhaltung der meisten Amerikaner auch heute entspricht. Stanley Kramer, für seine liberalen Ansichten bekannt, hat dieses Element wohl sehr bewusst inszeniert, um dem Publikum schon zu Beginn des Films die Hand zu reichen und eine Art Kumpanei herzustellen, um die Menschen aufnahmebereiter für die eigentliche Botschaft zu machen. Auch das gehört zu den Kompromissen, die uns erkennen lassen, wie man in diesem Film trotz deutlicher Dialoge auf Zehenspitzen ging und Hilfestellung für ein durch jahrelange Rassenkämpfe in den USA gestresstes Publikum vor allem im Süden zu bieten.
  • Ein Gag im Grunde, dass ausgerechnet die afroamerikanische Hausangestellte der Draytons, Tillie, die einzige offen rassistische Figur im Film ist. Sie wiederum dient dazu, dass sich diejenigen identifizieren können, die ihre Abgrenzungstendenzen erst überwinden müssen und denen man vorführen muss, wie es ist, wenn auch aus Sicht der Afroamerikaner ebenso klischeehafte Vorstellungen eine vorurteilsfreie Begegnung der Menschen verhindern. Wir können uns vorstellen, und das sieht man auch an den Eltern von John, dass den jahrhundertelang geknechteten Farbigen in den USA nicht ausschließlich wohl dabei war, dass plötzlich die Schranken offen sein sollten und dass man sich in der Abschottung der Welten eingerichtet hatte und seinen eigenen Stolz dabei entwickelt. Die Figur der Tillie steht bei genauem Hinsehen in der Tradition von „Mammy“, der Hausdienerin in „Vom Winde verweht“, ist eine in die Jetztzeit transferierte Version dieser resoluten und auf ihre Weise sehr klassenbewussten Frau. Schranken zu überwinden ist nicht in ihrem Weltbild angelegt und – auch wenn Christina sie als Mitglied der Familie bezeichnet, sie ist es nicht. Sie ist eine Hausangestellte und damit das, was Afroamerikaner schon vor ihrer Befreiung waren, mit dem Unterschied, dass es nach der Abschaffung der Sklaverei eine Entlohnung für deren Dienste geben musste. Auch diese Figur ist eine eindeutige Konzession an den latenten Konservativismus des Publikums und psychologisch sehr, sehr geschickt in die Story integriert, weil sie eben auf diese vertrauten Muster rekurriert. In der Wirklichkeit wie im Hollywoodfilm kamen Schwarze in direkter Umgebung von hochgestellten Weißen jahrzehntelange beinahe ausschließlich als Dienstpersonal vor, und warum sollte man diese Konvention nicht nutzen, um „Rat mal, wer zum Essen kommt“ dem weißen Publikum besser verdaulich zu machen?
  • Eine weitere Figur, die in dieser Beziehung hilfreich sein soll, ist der erkennbar katholische Monsignore Ryan, der den echten, tiefen Liberalismus vertritt – aber auch keine Kinder hat, wie Matt Drayton, sein Golffreund, richtigerweise bemerkt. Der Priester freut sich einfach nur für die jungen Leute und redet dem Vater von Joanna ins Gewissen. Warum ein katholischer Priester, denn die Draytons sind doch offensichtlich Protestanten, vermutlich Baptisten? Diese Figur ist noch einmal wesentlich hintergründiger als die beiden bisher beschriebenen. Nicht nur, dass der junge Arzt den Vornamen John trägt – zunächst wenig auffällig, denn es war damals der häufigste männliche Vorname in den USA, in Wirklichkeit aber auf John F. Kennedy verweist, der die Rassenfrage als erster Präsident der USA zu einer wichtigen Agenda erhoben hat, John F. Kennedy war auch katholisch, irischer Abstammung wie der Priester Ryan. Mindestens unterschwellig waren folgende Elemente in der Person des Priesters präsent. Seine Autorität als Kirchenmann. Sein Katholizismus, der ihn ebenfalls als Angehörigen einer Minderheit kennzeichnet, die gegenüber den in den USA herrschen „WASPs“ (White, Anglo-Saxon, Protestant) traditionell benachteiligt war und gleicher Konfession wie der erste katholische Präsident der USA (Kennedy), und natürlich, dass der Süden der USA mit seiner häufig irisch- und französischstämmigen Bevölkerung ebenfalls viele katholische Einwohner aufweist – und diese sollten sich aufgrund der Verbindung zwischen den eben genannten Konnotationen natürlich von der Figur des Priesters angesprochen fühlen. Obenauf die Volte, dass Spencer Tracy, der Drayton darstellt, selbst irischer Abstammung und katholisch ist – im Grunde also vor seinem alter ego steht und außerdem nicht der privilegierten Schicht in den USA angehört, was ihn toleranter machen sollte für andere Minderheiten. Das ist grandios gemacht und belegt, wie erfindungsreich dieser Film konzipiert ist, um auch weniger liberales und ohnehin aufgeschlossenes Publikum geneigt und die Botschaft bis zur Unangreifbarkeit hin abzusichern, zumindest gegenüber Menschen, die etwas Verstand und etwas Herz haben.
  • Ein weiterer Knackpunkt liegt in der Art, wie Matt Drayton zum Einlenken gebracht wird bzw. der Argumentation seitens der Mutter von John Prentice, die ihn letztlich umstimmt. Es ist keineswegs so, dass ihn die einfache und ehrliche Frau auf intellektuellem Weg überzeugt, dass seine Art, mit dem geschriebenen Wort gegen den Rassismus zu kämpfen, bei der Verheiratung seiner Tochter aber Vorurteile zu zeigen, von Doppelmoral zeugt. Es ist auch nicht so, dass sie ihm die Bedenken wegnimmt, dass dieses Junge Paar wird kämpfen müssen und angefeindet werden wird. Drayton ist nicht primär rassistisch, sondern hat Bedenken um das Wohl seiner Tochter, demgemäß müsste eine rationale Überzeugungsarbeit in diese Richtung zielen, vielleicht darauf, dass dieses Mädchen, von den Eltern stark gemacht und glücklich aufgewachsen, diese Kämpfe für eine große Liebe wohl bestehen wird – sie will sich ja, im Gegensatz zu John, auch nicht dem Willen der Eltern unterordnen. Natürlich weiß Mrs. Prentice nichts von den Draytons, aber letztlich packt sie den Vater nicht bei der Moral, sondern beim Gefühl und bei der Männlichkeit. Roger Ebert hat diesen Aspekt in seiner zeitgenössischen Kritik sehr gut erkannt und die man kann darin durchaus eine Schwäche des Films sehen, dass am Ende einfach das Gefühl siegt: Vater Drayton wird daran erinnert, wie er selbst als junger Mann für die Liebe zu Christina wohl alle Ketten gesprengt hätte – hätte es denn welche gegeben, und genau da liegt der Unterschied: Die beiden waren ein typisches Mittelstandspaar, mit Idealen, für die sie einstanden, ohne Frage, aber auch nicht mit dem Problem konfrontiert, sich gegen eine herrschende Meinung nur deswegen durchsetzen zu müssen, weil sie, auf den ersten Blick erkennbar, unterschiedlicher ethnischer Herkunft waren. Hier wird die Argumentation am Ende zugunsten der Emotion komplett eingedampft und voll darauf gesetzt, dass die Zuschauer, die es anders nicht begreifen, von dem todkranken Tracy, wie er sich an seine Zeit mit der jungen Christina zurückerinnert, einfach berührt sein müssen, es geht gar nicht anders. Wer die Geschichte Tracy / Hepburn kennt, die sich neben deren 9 gemeinsamen Filmen abgespielt hat, erahnt, mit welch mächtigen Tricks der Regisseur hier arbeitet, um die humane Botschaft zu verkaufen. Es gibt keine Rassen mehr und auch keine Dialektik, es gibt nur noch Menschen, die einander innig lieben und dadurch alles überwinden können und das Vertrauen in diese Liebe an sich, weniger in die handelnden Personen als Individuen, also das junge Paar.
  • Was uns zunächst ein wenig ertaunt hat ist, dass auch der übliche Generationenkonflikt an einer Stelle eingewoben wurde, an der wir nicht damit gerechnet hatten. Nämlich, als John plötzlich seinem Vater gegenüber so ausfallend wird. Das, auch hier geben wir Roger Ebert recht, passt nicht zu seiner Figur, da wirkt er eher wie James Dean mit seinem pomadigen Vater, der ihm eben nicht die Sicherheit und Orientierung gibt, wie es Johns nette und aufrichtige Eltern zweifellos getan haben, die ihm mit viel Eigenverzicht das Studium und damit seine spätere Stellung ermöglicht haben. Auch hier wieder der schöne Kniff der Regie: Diese schwarze Familie lebt ebenso den amerikanischen Traum vom Aufstieg wie viele, viele Weiße und glaubt daran, dass jede nachfolgende Generation es besser haben kann als man selbst. Auch damit konnten sich die meisten Menschen im Publikum identifizieren: Wie ein Postbeamter seinen Sohn Chancen erwirtschaftet, dass die Mutter sich deswegen keinen neuen Mantel kaufen konnte, dass der Vater nicht nur zweieinhalb Mal um die Erde gelaufen ist, um Post auszutragen, sondern zusätzlich einen Nebenjob gestemmt hat, um die Familie und die gemeinsamen Ambitionen durchzubringen. Sogar wir in Deutschland können damit etwas anfangen, zum Beispiel, wenn wir der gesellschaftlichen Gruppe angehören, die von ihren Eltern während der Bildungsoffensive der 1970er und 1980er Jahre auf einen Weg geschickt wurde, um die akademischen Weihen zu erlangen, die ihnen verwehrt bleiben mussten – unabhängig davon, ab die Eltern dafür so sehr auf eigene Bedürfnisse verzichten mussten wie die Prentices. Das Verhalten von John seinem Vater gegenüber hat uns verblüfft, weil es respektlos auf eine Art wirkt, die wir dem hochintelligenten und distinguierten Mann nicht zugerechnet hätten und die von allem anderen abweicht, was die Charaktere in diesem Film zeigen. Das Zornige und Unüberlegte steht ihm nicht, zumal er kein Teenie mehr ist, sondern ein weltgewandter Mann von ca. 35 Jahren. Ebert leitet daraus ab, dass John seinen Vater diskreditiert und ihn zu einem Vater zweiter Klasse macht, weil er ihm gegenüber aufbegehrt, dem Vater von Joanna hingegen die Entscheidung überlässt, ob diese Ehe stattfinden darf oder nicht – er also einem Weißen gegenüber Rücksicht zeigt, positiv ausgedrückt, dem eigenen Vater gegenüber nicht. Letztlich negiert er damit genau das, was er dem Vater gegenüber behauptet: Dass dieser einer Generation angehört, deren Abtreten erst die Freiheit bringen wird, dass der Vater als Schwarzer fühle, er hingegen als Mensch – und als Mann, möchte man beifügen. Die Argumentation von Ebert ist komplett nachvollziehbar. Und doch – hatte Kramer diese Crux nicht gesehen? Falls ja, warum ist diese Szene so gefilmt, wo wir doch festgestellt haben, dass hier wirklich auf jede Kleinigkeit geachtet wurde (einige weitere dieser Details werden wir noch erwähnen). Vielleicht ist die Lösung recht einfach, auch wenn sie, zugegeben, aus diesem sehr peniblen Schema des Films fällt. John hat gegenüber seinem Vater ein anderes Verhältnis als gegenüber Drayton, den er gerade erst kennengelernt hat und den er zunächst als Angehöriger einer sozialen Schicht wahrnimmt. Drayton darf Ansichten haben, die kritisch seinen Plänen gegenüber sind, damit hat John gerechnet, gegen Vorurteile zu kämpfen ist er gewöhnt. Und er hat Recht, wenn er sagt, er schulde dem Vater nicht, sich nach dessen Ansichten zu richten, was eine Ehe angeht. Schließlich hat er all die Hoffnungen seiner Eltern mehr als erfüllt, bis dahin. Selbst aber, wenn er dies nicht getan hätte, ist die Hilfe für ein Kind kein Vertrag, sondern fußt auf der absoluten Liebe. So sollte es wenigstens sein und das missachtet der Vater, als er seinen Sohn von der Ehe mit der sozial hochgestellten Weißen abhalten will. Das bringt der Sohn zum Ausdruck. Aber es ist auch die emotionale Position, die sein Verhalten bestimmt: Er ist enttäuscht von der duckmäuserischen Haltung, die er seinem Vater zurechnet, dem Mangel an Rückgrat, der aus seinen Worten zu sprechen scheint. John steht für die Generation der Bürgerrechtler, der Vater für die Generation, die sich die Rassentrennung noch hat gefallen lassen, die „Onkel Toms“. Trotzdem wagt Kramer an dieser Stelle im Film am meisten, das ist klar erkennbar, weil hier, und nur hier, ein Konflikt nicht nur besprochen wird, sondern aus zwei einander nahe stehenden Menchen herausbricht. Vielleicht ist hier auch zu spüren, dass Kramer gerne mal ein handfestes Generations- und Rassendrama inszeniert hätte, aber glaubte, dem Publikum die damit verbundene Radikalität der filmischen Darstellung nicht zumuten zu dürfen. So wirkt der Sohn in seiner Abgrenzung dem Vater gegenüber letztlich auch ungerecht. Dann wir John wieder ganz sanft und appelliert an den Vater als Mann, ebenso wie es Mrs. Prentice gegenüber Drayton getan hat und bringt ihn damit vielleicht niht auf seine Seite, aber in eine halbwegs neutrale Stellung des Sich-Dreinfindens.
  • Etwas durchsichtig ist die Inszenierung von Spannung durch ein Ultimatum, das John an Matt stellt. Da John am selben Abend für die UNO nach Genf reisen muss, muss sich Vater Drayton bis dahin entschieden haben, ob er der Ehe zwischen John und Joanna zustimmt oder nicht. Zu recht empfindet Drayton das als Erpressung. Und John lädt Verantwortung ab, das kann man ebenfalls nicht negieren. Während Tochter Drayton fraglos mit ihm bis ans Ende der Welt gehen würde und keine zehn Pferde sie davon abbringen könnten, möchte der geborene oder dazu erzogene Diplomat John alle hinter sich wissen, um Joanna nicht zu belasten. Auch das ist eine verständliche Haltung, die den Segen auch von Vater Drayton als Voraussetzung für eine glückliche Ehe einschließt. Aber was, wenn Drayton die Zustimmung verweigert? Die Frage drängt sich sofort auf. Lässt John dann tatsächlich Joanna sausen? Dann liebt sie ihn wohl mehr als umgekehrt, könnte man folgern. Jedenfalls ist dieses Ultimatum der Seriosität des Films nicht sehr zuträglich, auch wenn dadurch etwas Thrill hineinkommt. Welcher Mann, der beinahe ein neues Menschheitskapitel aufschlagen will und sich der vollen Konsequenzen seines Handelns bewusst ist, stellt den Vater der Frau, die er heiraten will, vor ein Ultimatum, das nur ein paar Stunden Bedenkzeit lässt? Er provoziert ja mit dieser Kurzfristigkeit, dass die Sache schiefgeht, denn dass der Vater ein Dickschädel ist, das sieht man ihm auf den ersten Blick an, sonst würde er nicht von Spencer Tracy gespielt. Er bringt damit sein Vorhaben in Gefahr, obwohl die Idee an sich, den Vater einzubinden, zunächst so kultiviert und besonnen wirkt. Diesen Part denken wir jetzt nicht weiter, denn wir haben keine weiteren Hintergründe gefunden, die ihn doch noch heilen könnten – er ist die Hauptschwäche des Films, denn mag auch der Respekt vor Drayton den Zuschauern gefallen haben, deren eigene Kinder vielleicht in einer Zeit des Wandels weniger Respekt aufbringen, John müsste es, wenn er denn so vorgeht, aushalten, dass die Entscheidung vertagt wird und dass Joanna später nachkommt.
  • Auf weitere Elemente des Film gehen wir nun in Kurzform ein, nachdem wir die Grundlagen dafür anhand der wichtigsten Figuren beschrieben haben:
    • Die beiden Freunde von Joanna, mit denen das junge Paar zwischen Nachmittag und Abendessen einen Cocktail zu sich nimmt: Sie sind die „Selbstverständlichen“ der jungen Generation, für die eine gemischte Ehe keinerlei Fragen mehr aufwirft, sie sind die Hoffnung, sympathische, offene Menschen, selbst beide weiß, aber man würde ihnen abnehmen, dass sie sich ohne Zögern für einen Partner aus einer anderen Ethnie oder Rasse entschieden hätten, hätten sie sich in einen solchen verliebt.
    • Das Roosevelt-Bild auf Draytons Schreibtisch ist ein Bekanntnis zu den Idealen des größten amerikanischen Präsidenten mindestens des 20. Jahrhunderts. Doch es gibt durchaus einen Unterschied zwischen dessen Regierungszeit (1933 bis 1945) und der Zeit der Bürgerrechtsbewegung (ab etwa 1955). Roosevelt steht für Rückkehr zum Gemeinsinn, zur großen Kraftanstrengung aller, um die USA aus der Großen Depression führen zu können, für den „New Deal“, der alle Menschen in der Gesellschaft erfassen soll und für mehr Sozialverhalten. Aber die Rassentrennung stand während seiner Amtszeit nicht zur Disposition, denn gerade, als es dem Land wieder besser ging, hatte Roosevelt, der dies zunächst nicht wollte, keine andere Wahl, als die USA nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour am Zweiten Weltkrieg zu beteiligen. Und im Zweiten Weltkrieg gab es, anders als in vielen Hollywood-Filmen über den Zweiten Weltkrieg beschönigend dargestellt, keine gemischtrassigen Einheiten in der US-Armee. Die Rassentrennung beim Militär wurde erst nach Kriegsende aufgehoben. Damit könnte man, wenn man sehr genau ist, sagen: Zwar ist Drayton ein typischer Roosevelt-Liberaler, dieser Präsident ist sein Ideal und er ist gewiss publizistisch für ihn eingetreten, aber so, wie es den späteren Präsidenten Kennedy und Johnson vorbehalten war, die Rassenfrage zu bearbeiten, bleibt es einer Generation nach Drayton vorbehalten, die Toleranz nicht nur zu vertreten, sondern auch in jeder Situation zu üben, in der sie das eigene Leben und die eigenen Lieben betrifft und herausfordert. Gleichwohl gehört auch dieses Bild zum Angebot an den Zuschauer, denn 1967 war ein demokratisches Zeitalter, und wäre Präsidentschaftskandidat Kennedy nicht ermordet worden, wäre der Republikaner Nixon vermutlich nicht auf Johnson gefolgt und die demokratische Epoche hätte angedauert – und das wäre zumindest auf den ersten Blick logischer gewesen, als mitten in der Zeit der gesellschaftlichen und sexuellen Revolution einen trickreichen Konservativen das Land führen zu lassen, der für viele Dinge stand, aber sicher nicht für das Lebensgefühl einer neuen Generation.
    • Der Stil des Films, der so angenehm, unauffällig und vertraut wirkt, auf jegliche Tendenzen in Richtung New Hollywood verzichtet und die freundliche, beinahe eine Komödie evozierenden Musik inklusive Titelsong einschließt, ist ein weiterer Teil des verlockenden Angebotes, das uns von Stanley Kramer gemacht wird. Jede raue Note hätte das Gesamtbild trüben können, das den Zuschauer auf einnehmende Art und geradezu mit Pastellfarben gezeichnet an den Fortschritt in Sachen Rassentrennung heranführen soll. Dazu passen auch die Dekors des Domizils der Draydons, alles ist helll und freundlich und in schönstem Orange leuchtet der Sonnenuntergang hinter der Golden Gate Bridge, die wiederum ihre eigene Symbolkraft hat, als Brücke über eine Bucht, die zu einer als besonders liberal geltenden Stadt gehört, die in den kommenden Jahren auch wunderschön besungen werden sollte. Dass Vater Drayton zum entscheidenden Dinner (das dann gar nicht gezeigt wird) in Beerdigungskluft antritt, ist witzig und auch symbolisch, aber da ahnt man angesichts des vorherigen Chaos im Schlafzimmer, das er verursacht und das in ihm herrscht, bereits, dass die Schlacht geschlagen ist. Demgemäß sellt das Outfit dar, dass er seine Vorbehalte und väterlichen Schutzgefühle beerdigt und seine Tochter ziehen lässt.

Finale

Selbstverständlich ist der Film heute veraltet, er war es in mancher Hinsicht bereits, als er herauskam, aber er manipuliert den Zuschauer auf so vielfältige und reizende Art, dass er den Effekt auslöst, den viele alte Filme auf uns haben: Er lässt uns mitgehen und, wenn’s nicht anders geht, auch mitheulen. Nicht überraschend, dass er gemäß IMDb-Nutzervoten auch ein Frauenfilm ist. Hätten nur Frauen ihn bewertet, würde er wohl in die berühmte Liste der Top 250 besten Film aller Zeiten Eingang finden. Männer hingegen haben eine differenziertere Einstellung, sie werden im Film auch differenzierter gezeigt und stehen für eine gewisse Beharrungstendenz und den Versuch, nicht emotional, sondern sachlich zu sein und dadurch stoßen sie auf Nachteile der Verbindung zwischen John und Joanna.

Dass John selbst sich nicht einheitlich verhält, verstärkt allerdings den Eindruck, dass die Frauen aufgrund ihrer emotionalen Kompetenzen wieder einmal wieder besser wissen, wo’s lang geht. Leider ist die Wirklichkeit nicht so, dass es nur männliche Rassisten und Spießer gibt, das wäre zu einfach. Dass Frauen aber eher bereits sind, ihren Gefühlen zu folgen, das hat sich nicht wesentlich geändert. Und dass eine große Schauspielerin einem Film – nicht nur während der letzten Momente übrigens – tatsächlich feuchte Augen hat, das schafft ein eigenartiges Band über die Fiktion hinaus, eine magische Durchbrechung der Vierten Wand.

Ein Band auch zu einer heutigen Realität, die damals nicht absehbar war. Im Film scherzt John, dass Joanna sich die Zukunft so vorstelle, dass jedes von deren künftigen Kindern Präsident der USA werden solle. Er selbst würde sich schon mit einem Außenminister zufrieden geben. Die beiden wissen sehr wohl, dass die auf ihre Art privilegiert sind, und wenn jemand es schaffen kann, die Gesellschaft voranzubringen und gar neue Kapitel in der Geschichte des Landes aufzuschlagen, dann Menschen mit ihren Skills und ihrer hohen Bildung.

Im Film wird angesprochen, dass die beiden sich auf Hawaii kennengelernt haben, wo John Vorlesungen hielt. Sieben Jahr vor diesem Film lernten sich auf Hawaii ein Afroamerikaner namens Barack Obama und eine weiße Frau kennen und heirateten und deren Sohn ist heute Präsident der Vereinigten Staaten. Es hat sich also alles erfüllt, was John andeutet, und  die erwähnte Ortsgleichheit lässt manchmal daran zweifeln, dass es wirklich Zufälle gibt.

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© 2021 (Entwurf 2014) Der Wahlberliner, Thomas Hocke 

(1) Katharine Houghton entstammt der berühmten Familie Houghton aus New England. Ihre Mutter Marion war die jüngere Schwester von Katharine Hepburn. Katharine Houghton schloss das Sarah Lawrence College mit dem Magister in Philosophie ab und gab ihr Kinodebüt 1967 in dem Film Rat mal, wer zum Essen kommt von Stanley Kramer. Für ihre Darstellung der Filmtochter von (ihrer echten Tante) Katharine Hepburn und Spencer Tracy erhielt sie eine Nominierung für den Golden Globe Award als Beste Nachwuchsdarstellerin. Ihre Kinokarriere ging allerdings nicht so weiter, wie sie vielversprechend begonnen hatte. Sie spielte vor allem Theater, schrieb und übersetzte Theaterstücke und war zuletzt 2010 als Großmutter in dem Abenteuerfilm Die Legende von Aang von M. Night Shyamalan auf der Leinwand zu sehen.

Regie Stanley Kramer
Drehbuch William Rose
Produktion George Glass
Musik Frank De Vol
Kamera Sam Leavitt
Schnitt Robert C. Jones
Besetzung

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