Jedes Kartenhaus zerbricht (House of Cards, USA 1968) #Filmfest 663

Filmfest 663 Cinema

Jedes Kartenhaus zerbricht (Originaltitel: House of Cards) ist ein Thriller aus dem Jahr 1968 nach dem Roman Das Kartenhaus (House of Cards) von Stanley Ellin. Der Film hatte in den USA am 14. September 1969 Premiere, in Deutschland kam er bereits am 20. September 1968 in die Kinos.

Mit der berühmten Serie „House of Card“ unserer Tage hat der Film nichts zu tun, zumindest nicht in der Form, dass es sich um denselben Stoff handelt. Um Verschwörungen in der Politik geht es jedoch in beiden Fällen. 

Regisseur John Guillermin hat so bekannte Filme gemacht wie „Tod auf dem Nil“ (1978) (Rezension beim Wahlberliner), „Flammendes Inferno“ (1974) und Kriegsfilme wie „Der blaue Max“ (1966) und „Die Brücke von Remagen“ (1968). Wie nimmt sich in diesem Umfeld der Verschwörungsthriller aus dem Jahr 1968 aus? Wir klären dies und mehr in der –> Rezension.

Handlung (1)

Der US-amerikanische Schriftsteller Reno Davis ist vor kurzem als Boxer zurückgetreten. Als Arbeitsloser trifft er in Frankreich völlig mittellos Anne de Villemont, eine Witwe. Angezogen von Renos Gelassenheit lässt sich Anne auf ihn ein – die beiden werden ein Liebespaar. Reno bemerkt, dass Anne große Angst hat, ihr achtjähriger Sohn könnte entführt werden. Er erfährt zudem, dass die Familie Kontakt zu einer faschistischen Organisation hat, die plant, ganz Europa zu erobern.

Reno wird des Mordes an seinem besten Freund beschuldigt und gerät mit Anne in das Visier der manischen Planer der Organisation. Zusammen mit Annes achtjährigem Sohn Paul werden die beiden durch ganz Frankreich gejagt. Die Verfolgung endet im Kolosseum in Rom, wo ein Showdown stattfindet, bei dem sich Reno, Anne und Paul durchsetzen können. 

Rezension

Der einzige der oben erwähnten Filme, der etwas Besonderes darstellt, ist die erstgenannte Agatha Christie-Verfilmung, in der die Kostüme der 1930er und ein gut aufgelegter Peter Ustinov als Hercule Poirot amüsante Unterhaltung bieten. Auch stilistisch ist dieses Werk überwiegend gelungen. Man kann aus guten Vorlagen nur dann einen schlechten Film machen, wenn man es darauf anlegt.

Die Romanvorlage von Stanley Ellin kennen wir nicht. Wir wissen nur, dass er einer der profiliertesten Krimiautoren der 1950er bis 1980er Jahre war und dass seine Kurzgeschichten und längeren Werke von Regisseuren wie Alfred Hitchcock und Claude Chabrol verfilmt wurden. Drehbuchautor Irving Ravetch wurde für sein Buch zu Martin Ritts „Der Wildeste unter Tausend“ (1963) für den Oscar nominiert, der Film selbst gewann drei Oscars.

Wenn etwas nicht funktioniert, an dem erstklassige Kräfte beteiligt waren, woran liegt es also? George Peppard als amerikanischer Zufallsheld in Paris und in Italien wirkt austauschbar. Wer ihn als Schriftsteller in „Frühstück bei Tiffany“ (1961) in Erinnerung hat, rechnet ihm solche Rollen im Alltagsmilieu eher zu als einen ehemaligen Boxer, der sich zu bond-ähnlichen Fähigkeiten aufschwingt. Inger Stevens in der weiblichen Hauptrolle ist adäquat, aber wenn man sie hier jemanden spielen lässt, der von ihrer Familie unter den Verdacht gestellt wird, nicht ganz normal zu sein und man im Kopf hat, dass die problembelastete Schauspielerin drei Jahre später Selbstmord beging, überlagert das auch ein wenig das Geschehen auf der Leinwand. Zu Orson Welles als dicklichem Bösewicht und dessen Schicksal, das unter anderem beinhaltete, dass er solche Standard-Rollen spielen musste, ist schon sehr viel geschrieben worden. Immerhin war es beeindruckend anzusehen, wie er sein Gewicht über die hohe Brüstung im Kolosseum zu Rom hievt und sehr gewollt in die Tiefe fällt. Das ist das Finale des Films und die physische Unglaubwürdigkeit des Moments ist sinnbildlich für den Eindruck, den dieser Thriller hinterlässt.

Alles wirkt roh gezimmert, das beginnt bei den einzelnen Handlungselementen, geht mit dem mysteriösen Untergrund-Nazi-Hintergrund der französischen Adeligen weiter und endet mit den Dialogen, die alles andere als so fein gestrickt sind, wie man es der französischen Elite zurechnet. Der blauäugige, aufrechte Amerikaner wird trotzdem in einen so deutlichen Kontrast zu diesen Leuten gesetzt, dass es einem im Grund leid um ihn tun kann. Niemals würde dieser nette Kerl in der Wirklichkeit lange durchhalten. Dazu müssen die Gegner schon eine seltene Mischung aus verrucht und dumm sein, jedenfalls aber nicht in der Lage, eine Armee im Schatten zu organisieren.

Wie man das wirklich macht und wie es viel, viel realistischer wirkt, kann man – sic! – in „Der Schakal“ (1973) bewundern, nach einem Buch des bei uns wesentliche bekannteren Frederick Forsyth, der das Attentat auf Charles de Gaulle im Jahr 1963 und dessen – fiktive – Hintergründe zum Thema hat.

Auch dies ist ein Film unter britischer Leitung, aber um Längen europäischer als Guillermins Werk, das sich unter anderem sehr an die Amerikaner anbiedert, die eben solche Menschen sind wie unser Zufallsheld, währen die Europäer als dekadente Umstürzler gezeigt werden. Die treibende Kraft aller Intrigen ist die Familie de Villemont, die ihren Besitz in Algerien verloren hat und tut, als säße sie auf dem Trockenen, aber Paläste bewohnt, neben denen wie selbstverständlich steinfeste Landhäuser als Hütten erscheinen müssen – so jedenfalls wird es in den oftmals verschoben wirkenden Dialogen dargestellt.

Jede Zeit hat ihre eigenen Verschwörungen, dagegen ist nichts einzuwenden, aber sie müssen einigermaßen glaubwürdig wirken, um spannend zu sein. Uns rührt auch Orson Welles hier mehr,  als dass wir ihn als bedrohlich empfinden. Das Figurentableau ist zudem sehr gleichmäßig gestreut, es gibt keine dramaturgisch wirksame Heraushebung einzelner Charaktere.

Letztlich liegt es wohl doch am Regiestil, aber auch am Buch, dass „Jedes Kartenhaus zerbricht“ so wenig bietet. Dass On Location gefilmt wird, bringt ein wenig das Pittoreske, das man Ende der 1960er schon erwarten durfte, als mit James Bond auch die exotischen Echt-Schauplätze kamen, aber es ist eben kein James Bond-Film. Die freche Ironie fehlt ebenso wie der offizielle Auftrag, der etwas wie eine genregerechte immanente Logik herstellt. Wie man einen Zufallshelden inszeniert, hätte man hingegen von Alfred Hitchcock lernen können, der über Jahrzehnte hinweg in denjenigen seiner Filme, die sich mit Spionen befassen, immer wieder herrliche Typen produziert hat, die sich gewitzt gegen Profis zur Wehr setzen, ohne dabei komplett implausibel zu wirken – am besten sicher in „Der unsichtbare Dritte“ (1959). Aber auch diese Filme haben einen Humor, den Guillermin nur in einem einzigen Werk inszeniert hat unter jenen, die wir bisher von ihm gesehen haben – in der erwähnten Christie-Verfilmung aus 1978.

Finale

Was bleibt, ist der schöne Titelsong und die Musik von Francis Lai. Noch bevor der Film begann und auch wegen dieser damals modernen Karten-Grafik des Vorspanns, bekamen wir so ein bestimmtes Endsechziger-Feeling und freuten uns auf einen atmosphärisch gelungenen Film – den es dann aber nicht zu bewundern gab. Auch, dass ein Kind entführt wird und gezwungen werden soll, George Peppard zu erschießen, was es natürlich nicht tut, kann die Emotionen nur mäßig beflügeln – schade um die tollen Dekors und Schauplätze, die für ein inspirierteres Werk hätten taugen können. Immerhin ist das römische Kolosseum, in dem einzelne Szenen gedreht wurden, eine der spektakulärsten Locations, die bis dahin für einen Film verwendet wurden.

51/100

© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie John Guillermin
Drehbuch Harriet Frank Jr.
Irving Ravetch
Produktion Richard Berg
Musik Francis Lai
Kamera Alberto Pizzi
Piero Portalupi
Schnitt J. Terry Williams
Besetzung

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