Filmfest 821 Cinema – Die große Rezension
Der Mann, der Mensch geworden sein wollte
Sommersby ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 1993. Die Handlung des Films basiert zum Teil auf der Geschichte des Martin Guerre, die bereits im Jahr 1982 als Die Wiederkehr des Martin Guerre mit Gérard Depardieu verfilmt wurde. Der französische Film beruht seinerseits auf einem von François Gayot de Pitaval in seiner Sammlung von Kriminalfällen dargestellten realen Fall des Martin Guerre.
„Sommersby“ hat mich sofort an „Changeling“ erinnert, der freilich 15 Jahre später entstanden ist. In „Sommersby“ schrumpfen die Füße eines Mannes, in „Changeling“ die Körpergröße eines Kindes. Trotzdem fliegt der Identitätswechsel erst einmal nicht auf, auch wenn die Ehefrau („Sommersby“) und die Mutter („Changeling“) Zweifel haben, wie sie einer Person so nahestehende Menschen bei einem verdeckten Personentausch einfach haben müssen. Wichtigste Unterschiede: In „Sommersby“ werden unzählige Hürden gezeigt, die „Sommersby“ zur Verifizierung nehmen muss, in „Changeling“ werden die Verhältnisse intimer dargestellt und in „Sommersby“ ist ein Erwachsener sieben Jahre verschwunden, in „Changeling“ ein Kind nur für mehrere Monate. Jetzt kommt es darauf an, ob das, was sich in „Sommersby“ zuträgt, glaubwürdig gefilmt werden konnte, denn damit steht oder fällt ein Film mit einem solchen Plot, unahbängig von seinen sonstigen Qualitäten. Wie wir uns zur Plausibilität stellen und mehr zum Film steht in der –> Rezension.
Handlung (1)
Nach dem Sezessionskrieg führt Laurel Sommersby, die Ehefrau des seit sechs Jahren vermissten Soldaten John Robert Sommersby, im Dorf Vine Hill in Tennessee alleine die Landwirtschaft ihrer Familie. Sie wird vom Nachbarn Orin Meecham vergeblich umworben. Eines Tages taucht der Deserteur und steckbrieflich gesuchte Betrüger Horace Townsend im Dorf auf. Er gibt sich als der vom Krieg heimkehrende Soldat John „Jack“ Sommersby aus. Da er die Bewohner des Ortes sehr gut zu kennen scheint, wird seine vorgespielte Identität von allen als die wahre akzeptiert. Laurel und ihr Sohn nehmen ihn nach anfänglichem Zögern ebenfalls in die Familie mit auf.
John alias Horace gewinnt das Vertrauen der Ortsbewohner. Er überzeugt sie auf einer Versammlung, es gemeinsam mit dem Tabakanbau zu versuchen. Sie legen ihre letzten verbliebenen Wertgegenstände zusammen. Sein Plan ist, die Habseligkeiten in der Ferne zu verkaufen und aus dem Verkaufserlös das dafür nötige Saatgut zu erwerben. Sie vertrauen ihm. John kommt tatsächlich wie versprochen zurück und bringt die richtigen Samen in das Dorf. John bietet obendrein den Dorfbewohnern einen Teil des brach gefallenen Landes der Familie Sommersby zum späteren Kauf an. Das wird in unterschriebenen Verträgen bekräftigt. Das Dorf arbeitet voller Hoffnung am Wiederaufbau ihrer Farmen. Das Vorhaben gelingt, und Laurel und John werden Eltern einer Tochter. Kurz nach der Taufe erscheinen Bundesmarshals im Dorf. Sie führen eine Mordanklage gegen John Sommersby bei sich. Horace wird als John Sommersby verhaftet und muss selbst ins Untersuchungsgefängnis reiten.
Im Gerichtsverfahren kommt es zum Streit über seine Identität als Angeklagter. Laurel Sommersby bestreitet als Zeugin vor Gericht seine Identität, in der Hoffnung, so könnte er der Todesstrafe entgehen. Sie sagt aus, sie liebe ihn stärker als den echten John aus der Zeit vor dem Krieg. Der Angeklagte will aber vor Gericht nicht als Lügner und Betrüger bloßgestellt werden. Geschickt und überzeugend verteidigt er seine Legende. Am Ende wird er daher als Jack Sommersby wegen Mordes verurteilt.
Erst unmittelbar vor seiner Hinrichtung gibt Horace alias John im Gespräch mit Laurel die Wahrheit zu: Während des Krieges gehörte er zu den Kameraden des echten John Sommersby. Horace wurde verhaftet und von den Nordstaatlern wegen seiner verblüffenden Ähnlichkeit mit dem tatsächlichen John Sommersby mit diesem in eine Zelle gesperrt. Er lernte John Sommersbys Leben bis in die letzte Einzelheit kennen. Dazu wird angedeutet, er könnte womöglich sein unehelicher Bruder aus einem Nachbarort sein, dessen Leben auch ganz anders hätte verlaufen können. Nach seiner Entlassung ermordete Sommersby einen Mann und starb kurz darauf, deshalb war für Horace der Weg frei, als John nach Vine Hill zurückzukehren. Das hier erlangte neue Leben in Würde und Rechtschaffenheit will er nicht aufgeben, auch wenn er dafür sterben muss. Zudem will er das Aufbauwerk und die Einkünfte der Dorfbewohner aus dem Tabakverkauf retten; beim Eingeständnis der falschen Identität würden alle seine Geschäfte ungültig werden, besonders der Grundstücks- und der Tabakverkauf wären dann illegal. Alle Mühen und Opfer des Dorfes wären umsonst gewesen; Land und Geld aus der erfolgreichen Tabakauktion wären verloren.
Horaces „Ehefrau“ erscheint auf sein Flehen im allerletzten Augenblick vor seiner Hinrichtung am Galgen, um ihm das Sterben zu erleichtern. Er kann ihr noch einmal in die Augen sehen, bevor er stirbt.
Rezension
Vor allem Jodie Foster erhielt für ihre Leistung gute Kritiken, unter anderem in Los Angeles Times vom 5. Februar 1993, wo man ihr eine Kombination aus Feuer und Schönheit bescheinigte.
Uneingeschränkt: ja. Jodie Foster hat mich selten so mitnehmen können wie hier, obwohl sie immer gut spielt. Das liegt natürlich an der Art ihrer Rolle. Sie spielt näher an sich selbst, das ist auch bei sehr guten Schauspieler*innen ein Vorteil. Die Südstaaten-Lady ist für sie leichter zu verkörpern als Unterschichten-Personen, die nur einen halb so hohen IQ haben wie sie selbst. Das ist mir in diesem Film besonders aufgefallen, weil ich bisher eher Werke mit ihr kannte (bis auf „Das Schweigen der Lämmer“ oder „Contact“, in denen sie eine Tour de Force durch ihr fremde Milieus machte, in einer Zeit, als es noch nicht üblich war, dass Schauspieler:innen dies taten, wie etwa „Angeklagt“ (1988) oder „Das Wunderkind Tate“ (1991). Allerdings spielt bei diesen Eindrücken auch die sehr erwachsene, tief und etwas hohl klingende Stimme eine Rolle, die ihr in Deutschland verpasst wird und nicht der eher üblichen, flacheren Stimmlage von Foster im Original entspricht.
Treffpunkt Kino: „Großartiges Südstaaten-Liebesdrama. Bei Sommersby kommen Kopf und Bauch auf ihre Kosten, denn es stimmt einfach alles Schauspieler, Story, Musik, Kamera. Ein großartiger und im besten Sinne ‚altmodischer‘ Liebesfilm, in dem Emotionen triumphieren.“
Die Musik von Danny Elfman entspricht dem Stil, der in den 1990ern wieder sehr populär wurde. Sinfonische, voluminöse Musik, die häufig szenenbegleitend eingesetzt wird und nicht nur als sparsamer Akzent. Die Neuinterpretation klassischer Scores ist gut gelungen. Die Art, wie „Sommersby“ gefilmt ist, entspricht dem auf Schönheit der Bilder sehr bedachten Stil der 1990er und den damals stark in Mode kommenden romantischen Komödien, berücksichtigt aber den tragischen Stoff und ist in den Farben zurückgenommener, manchmal sogar etwas düster. Im Grunde ist „Sommersby“ die dunkle Seite der damaligen Period Pictures mit Happy Ending. Die Emotionen triumphieren, aber der Kopf soll auch gefordert werden, heißt es oben. Auch dem stimme ich zu. Wie sich die beiden auf der Plantage neu kennenlernen, das ist sehr schön gemacht, man kann sagen, beinahe tadellos, soweit es Jodie Foster betrifft. Richard Gere konnte noch nie so spielen, dass ich dabei vor Begeisterung zerflossen wäre, das trifft auch dieses Mal zu und ich sehe ihn lieber in Gegenwartsfilmen wie kürzlich in „Anwaltsfilm 1996 – Titel nachschauen“. Da wirkt er als Schnösel, der an die Grenzen und darüber hinaus geführt wird, ziemlich kapabel, während man hier den früheren, den rücksichtslosen Sommersby nicht für eine Sekunde zu Gesicht bekommt. Vielleicht zum Glück, denn Wandlungsfähigkeit ist etwas, über das Gere nur in begrenztem Ausmaß verfügt.
Es ist auch nicht so einfach. Selbst wenn er sich in vier Jahren Zellengenossenschaft vom echten Sommersby viel abgeschaut hat und viel von ihm und über ihn erfahren hat, er ist nun einmal ein anderer Charakter. Das hätte man fantastisch tiefgründig ausspielen können: Dadurch, dass er den echten, rüden Pflanzer anschaut und sich fühlt, als blicke er in einen Spiegel, kommt ihm sein eigenes fehlerhaftes Verhalten ins Bewusstsein und er beschließt, nach der Freilassung sein Leben zu ändern und die Ressourcen dafür zu nutzen, über die der echte Sommersby verfügte. Diese sind zwar durch den Krieg stark geschrumpft, aber das Land ist noch da und diese schöne Frau, für die allein Horace Townsend kämpfen würde, denn er würde diesen Besitz auch aufgeben, um sie behalten zu dürfen. Würde er? Der Name Sommersby ist ihm sehr wichtig, der neue Sommersby, der sich verändert hat, den alten Townsend hat er abgelegt wie einen alten Mantel und den echten Sommersby begraben.
Nun heißt es, der Film sei nach einem realen Fall konstruiert, wieder eine Gemeinsamkeit mit „Changeling“, den französischen Vorbildfilm kenne ich nicht. Nach meiner Ansicht ist es unmöglich, dass eine Ehefrau den Ehemann nicht wiedererkennt und ihn mit einem gleich aussehenden anderen Mann verwechselt. Auf Fremdgehen und dergleichen kommt man nicht immer direkt, wenn es geschickt angestellt wird, aber es gibt unverwechselbare individuelle Merkmale, und seien es nur ein paar Muttermale, sei es aber auch ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Ausdrucksweise, die man nicht komplett imitieren kann. Die Lebenshaltung Sommersby will Townsend gar nicht erst adaptieren. Mit seiner radikal anderen, für damalige Verhältnisse gefährlich antirassistischen Einstellung provoziert er auch geradezu, auffällig zu werden.
Ein Widersache im Kampf um die Frau erkennt auch ziemlich schnell, was Sache ist, legt es aber nicht offen, weil er hofft, die Frau noch wiedergewinnen zu können, auch, indem er sich auf offener Szene zurückhält, aber gleichzeitig Druck auf sie ausübt. Die Zeichen sind auch anderweitig offensichtlich. Der Sohn hat keine Erinnerung mehr an den Vater, vielleicht ist er deshalb anfangs so zurückhaltend, doch Townsend kann ihn für sich gewinnen. Und dies, obwohl er den Hund erschießt, der ihn nicht als Herrn anerkennt. Dafür bekommt der Sohn etwas später einen Welpen. Der Schuhmacher, der Widersache, die Zweifeil bei weiteren Personen, die Streuner, die ebenfalls bemerken, dass der Mann, den sie nach Jahren wiedersehen, nicht Sommersby ist.
Das alles kommt nicht in der Gemeinschaft, die Townsend zu neuer wirtschaftlicher Blüte führen will, offen zutage, besonders unter denen, die ihn wegen seiner gesellschaftspolitisch fortschrittlichen, geradezu genossenschaftlichen oder vielleicht doch eher am Motto „Kleinbesitz ist besser als nichts“ orientierten Einstellung, die sogar für Menschen gilt, die wenige Jahre zuvor noch Sklaven der anderen waren, nicht mögen? Und viele vertrauen ihm sogar ihre letzten Wertgegenstände an, er will damit Saatgut einkaufen. Um das plausibel zu machen, muss es durch die Person seiner Frau transzendiert werden: Irgendwann wünscht sie sich einfach, der Mann, der so viel liebenswerter ist als ihr Ehemann Sommersby, sei ebenjener. So geht es wohl auch vielen anderen, die sich nach Jahren voller Blut und Entbehrungen nach solch einer Lichtgestalt sehnen, die als Anführer, der die Menschen miteinander verbinden kann, wie geschaffen erscheint. Seinen erwähnten Widersacher treibt er damit in ein sehr ambivalentes Verhalten: Einerseits würde dieser ihn am liebsten scheitern sehen, aber dann hilft er ihm doch mit einem (ökologisch unbedenklich wirkenden) Pestizid, das die Riesenwürmer von den Tabakpflanzen fernhalten kann. Ich hatte befürchtet, dass er Townsend irgend eine Giftbrühe anbietet und damit das Projekt zerstört. Heute würden die meisten natürlich die Tabakplantage gerne selbst als Werk des Teufels untergehen sehen, aber 1993 war das noch nicht ganz so ausgeprägt. Mittlerweile wäre fair getradete Baumwolle wohl doch das Produkt der Wahl, sofern sie noch auf dem ausgemergelten Boden wächst, der sie in besseren Zeiten tragen konnte.
Townsend und mit ihm „Sommersby“ atmenen natürlich auch den Duft der noch nicht so biestigen, sondern eher optimistischen und wohlmeinenden frühen 1990er, der Clinton-Ära, die gerade begonnen hatte. Auch Jodie Foster konnte bei der gesellschaftspolitischen Tendenz des Films sicher mitgehen, die einen wahrhaft neuen Menschen wie Townsend auch gegen die sich gerade organisirenden Horden des Ku-Klux-Clans stellt. Das brennende Kreuz vor seinem Haus, weil er den Afroamerikanern gegenüber zu freundlich ist, dürfte eines der ersten seiner Art gewesen sein, aber es ist ja auch fiktional. Anders als in älteren Filmen wie „Gone With the Wind“ (1939) wird die Herausbildung von „Bürgerwehren“ nicht als notwendig dargestellt, um Frauen vor umherziehenden Horden, gerne auch dunkelhäutigen, zu schützen, sondern als das, was bis heute dahintersteckt, wenn es im Süden der USA zu Übergriffen gegen Nichtweiße kommt: purer Rassismus. Freilich ging es nach dem Sezessionskrieg in den Staaten, die sich gegen den Norden gestellt hatten, drunter und drüber und es gab wohl nur wenige Heilige, aber wenn das, was die armen Weißen erdulden mussten, besonders Besitzverlust, in unzähligen Filmen dramatisch in den Vordergrund gerückt wird, dann kann man auch mal die andere Seite darstellen, nämlich, woher diese Verluste kamen. Sie waren, wie der vorherige Reichtum, aus einem menschenverachtenden System erwachsen, das durch die Auslegung der Verfassung der Union sogar lange Zeit als gedeckt angesehen worden war, obwohl sie das vom Grundsatz her nicht hätte zulassen dürfen.
Wie es im Jahr 1867 schon zu einem afroamerikanischen Richter kommen konnte, ist mir allerdings ein Rätsel, es sei denn, er sei aus dem Norden „importiert“ worden. Auch den meisten Weißen, die auf Townsends Seite stehen und im Prozess gegen „Sommersby“ anwesend sind, dürfte dabei nicht wohl gewesen sein, man zeigt diesen doppelten Bruch aber nicht, der kulturell bedingt nachvollziehbar, nicht ehtisch zu vetreten ist.
Betrachten wir nun die kulturelle Rezeption des Films heute. Erstaunt haben mich gleich zwei Fakten: In der IMDb werden nur 27 Profi-Kritiken zu dem Film gelistet und der Nutzer-Durchschnitt liegt bei 6,2/10. Roger Ebert vergibt für dieses doch ambitionierte Werk nur zwei von vier Sternen und schreibt, nach einem Vergleich mit der Vorlage „Die Rückkehr des Martin Guerre“, in der für ihn das Geschehen glaubwürdiger wirkt:
In „Sommersby“ überzeugt diese zarte Struktur aus Täuschung und Romantik von vornherein nie, und obwohl Richard Gere und Jodie Foster tun, was sie mit den Charakteren tun können, zerfällt die letzte Gerichtssaalszene in so qualvolle Wendungen, dass alle Glaubwürdigkeit verfliegt. Gere wird als ein Mann dargestellt, der hofft, sich selbst zu erlösen, indem er seiner neuen Identität treu bleibt und sein früheres Leben verleugnet – aber der Preis, den er für seine Ehre zahlt, ist so extrem, dass wir ihn nicht akzeptieren können. – Roger Ebert
Sie erinnern sich, dass ich eingangs eine Frage gestellt hatte: Was würde dieser Mann nach allem, was sich im Film zum Guten entwickelt, gewinnen wollen? Die Frau oder den neuen Namen, der ihn erlösen soll von seinem früheren Ich, das genauso viele Zweifel aufkommen lässt wie das von Sommersby? Mich hat der Schluss schlicht verwirrt. Jemand, der mit einer wundervollen Frau ein neues Leben beginnen könnte, sogar auf dem Besitz von Sommersby, denn der gehört ja nun dieser Frau, will so sehr einen Namen tragen, der für Unterdrückung und Gewalt steht, dass er sich lieber hängen lässt, als einen Neuanfang zu wagen. Wer sich das ausgedacht hat, hat die Logik schon sehr quetschen müssen und außerdem das Prinzip, dass solche Dramen kein Happy End haben dürfen, als romantisches Prinzip aufgefasst und damit die sinnvolle Lösung des Konflikts verhindert. Ein schmalziges gutes Ende ist beileibe kein Muss für mich, aber hier wäre es plausibl und wirksam gewesen. Ich finde, der Schock, den die Tatsache auslöst, dass niemand mehr in letzter Sekunde kommt und Townsend vom Galgen befreit, ist durchaus nicht alltäglich und widerspricht gängigen Konventionen, aber manchmal gibt es Gründe, diesen Konventionen zu folgen.
Für Ebert ist die Umsetzung eines Mittelalter-Stoffes („Guerre“ heißt auf französisch „Krieg“) in die Südstaatenwelt des 19. Jahrhunderts nicht gelungen, weil das Mindset der Menschen und die Konsequenzen nicht passen und daher der Schluss misslungen ist. Weiter mit Roger Ebert:
Die Gerichtssaalszenen, die als Höhepunkt des Films gedacht sind, müssen Sie gesehen haben, um sie zu glauben. Das Schicksal des Gere-Charakters schwankt hin und her, wirkt kompliziert, weil er in seiner neuen Identität lieber eines Verbrechens überführt als in seiner alten für unschuldig befunden werden möchte. Die Wahrheit ist jedem im Gerichtssaal offensichtlich klar, und der Richter ( James Earl Jones ) sollte einen Prozess beenden, der unter falschen Voraussetzungen begonnen wurde, anstatt die Handlung bis zu ihrem melodramatischen Ende knarren zu lassen.
Die Frage, die dahinter steht: Wenn jemand sich selbst eines Verbrechens bezichtigt, selbst um den Preis, dass er dafür auf einer falschen Identität bestehen muss oder er unbedingt diese angenommene Identität bewahren will und dafür in Kauf nimmt, zum Tode verurteilt zu werden, kann er dann schuldig gesprochen werden? Nicht, wenn die Indizien eindeutig dagegen sprechen oder es gar handfeste Beweise dagegen gibt. Das dürfte in den USA nicht anders sein als bei uns. Selbstbezichtigung kommt in der Regel vor, wenn jemand einen Menschen, den er liebt, decken möchte, nicht aus dem grundsätzlich schwierigen Grund eines beinahe gelungenen Identitätswechsels.
Finale
In den letzten Jahren gab es einen Trend, erfolgreiche ausländische Filme, insbesondere französische, neu zu drehen, als ob sie von einem amerikanischen Setting und der englischen Sprache profitieren würden. Dieses Remake war eine schlechte Idee, die nur noch schlimmer wurde.
So schließt Roger Ebert seine Rezension und meint damit sicherlich Werke wie „Außer Atem“ (1960, Rezension). Wer hat im US-Remake „Atemlos“ (1983, Rezension) die männliche Hauptrolle gespielt? Genau, Richard Gere. In einem anderen Fall hat Gérard Depardieu sogar im französischen Orginal und im amerikanischen Remake gespielt. Nun kann man natürlich festhalten: Um einen Stoff mehr an den Geschmack des amerikanischen Massenpublikums anzupassen. Deswegen betrachte ich die Frage des äußerst kundigen Roger Ebert eher als rhetorische. Ich kann nicht beurteilen, ob „Sommersby“ um so vieles schlechter ist wie „Martin Guerre“, wie „Atemlos“ gegenüber „Außer Atem“ abfällt, irgendwann wird ARTE sicher den Dedpardieu-Film wieder zeigen, in dem es am Ende zu einem Kirchenprozess kommt, und dann greife ich zu.
Ich fühle mich ein wenig im Dilemma. Einerseits bin ich, die sachlichen Aspekte betreffend, ganz Roger Eberts Ansicht, aber ist da nicht do ein Mangel an Wohlwollen zu beobachten? Macht das melodramatische Ende den Film, der ansonsten recht souverän inszeniert ist, besonders die Paarszenen, fast komplett kaputt? Verhindert das Ende das Kopfkino, das man angesichts der interessanten Konstellation entwickeln kann? Ich meine, keinefalls vollständig. Nach über 1.000 Crimetime-Rezensionen weiß ich auch, dass Logik mittlerweile kein herausragender Bewertungsaspekt mehr für die meisten Kritiker darstellt, eher schon für kleine Wadenbeißer aus dem Publikum. In Anführungszeichen, versteht sich. Schweren Herzens, dies insbesondere wegen Jodie Fosters Leistung, vergebe ich „nur“
68/100.
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)
Regie | Jon Amiel |
Drehbuch | Sarah Kernochan, Nicholas Meyer, Anthony Shaffer |
Produktion | Arnon Milchan, Steven Reuther, Alcor Films |
Musik | Danny Elfman |
Kamera | Philippe Rousselot |
Schnitt | Peter Boyle |
Besetzung | |
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