Rollerball (USA 1975) #Filmfest 829

Filmfest 829 Cinema

Rollerball ist ein US-amerikanischer Science-Fiction-Film der Produktionsfirma United Artists aus dem Jahr 1975. Der ausnahmslos in München gedrehte Spielfilm mit James Caan in der Hauptrolle basiert auf einer Kurzgeschichte von William Harrison, der auch das Drehbuch schrieb.

Regisseur Norman Jewison hat mit Komödien am Ende des klassischen Hollywood-Zeitalters angefangen, ging dann zu guten oder / und interessanten Filmen über, inszenierte z. B. im Jahr 1968 den stylischen „Thomas Crown ist nicht zu fassen“. Sein damals wichtigster Film war ein Jahr zuvor der spannende und gesellschaftspolitisch wichtige Thriller „In der  Hitze der Nacht“ mit Sidney Poitier und Rod Steiger. Jewison schaffte den Übergang vom alten Hollywood zu New Hollywood und von dort ins heutige Mainstream-Kino. Die Utopie-Dystopie „Rollerball“ ist vermutlich sein exzentrischster Film, liegt aber perfekt im Wind der Zeit, in welcher der kritische Science-Fiction oft so daherkam wie dieser Film.

Handlung (1)

In naher Zukunft sind die Nationen der Welt durch ein Konglomerat globaler Konzerne ersetzt worden, die jeweils auf ein einzelnes „Produkt“ spezialisiert sind: Energie, Transport, Nahrung etc. Individualismus und Selbstbestimmtheit treten zugunsten von durch die Exekutiven der Konzerne garantierten Sicherheit und Luxus in den Hintergrund. Jeder Konzern kontrolliert jeweils eine Stadt. Ein zentrales Mittel, die Massen ruhig und bei Laune zu halten, ist der brutale Sport Rollerball, eine Mischung aus Hockey, Roller Derby, Motorradrennen und Football, der nicht nur Kriege, sondern auch alle anderen Sportarten ersetzt. Gleichzeitig lassen die Konzerne zu, dass Teile des zentral gespeicherten Wissens der Menschheit in Vergessenheit geraten; die Vergangenheit geht verloren, jeder kritischen Nachfrage wird somit die Grundlage entzogen.

Das Spiel Rollerball findet in einer Halle statt, in der jeweils die Mannschaften zweier Konzerne gegeneinander antreten. Ziel des Spiels ist es, eine schwere Metallkugel in einen Trichter zu befördern. Die Spieler tragen zwar Schutzpanzer und Helme, aber auch mit Metalldornen bewehrte Handschuhe. Für Fouls gibt es zwar Zeitstrafen, aber Regeln sind nur marginal vorhanden. Es bleibt nicht aus, dass es bei jedem Spiel Schwerverletzte gibt, teilweise auch Todesopfer. Das Ziel der Sportart ist nicht nur, die Massen zu unterhalten, sondern soll die Menschen auch davon abhalten, über die herrschenden Befindlichkeiten nachzudenken und Aufruhr zu stiften. Durch das brutale Spiel und die damit verbundene kurze Karriere der meisten Spieler soll aufgezeigt werden, dass Individualität zu nichts führt, und jeder Mensch nur seinen Teil zum Ganzen beitragen soll.

Einer der besten Spieler ist Jonathan E. von Team Houston, der aufgrund seiner großen Fähigkeiten bereits jahrelang erfolgreich Rollerball spielt, was von den Erfindern der Sportart nie vorgesehen war. Er wird von den Massen als Held gefeiert und verehrt.

Der Houstoner Konzernchef Bartholomew befürchtet, dass Jonathans Popularität und Erfolg dem Zweck des Sports, die Massen unter Kontrolle zu halten und individualistische Heldenverehrung zu verhindern, entgegenläuft. Er fordert Jonathan E. zum Rücktritt auf, dieser weigert sich jedoch und spielt weiter. Nach dem Gespräch mit Bartholomew macht sich E. immer mehr Gedanken über die herrschenden Verhältnisse und möchte mehr über die Geschichte der Konzerne und die herrschenden Kräfte herausfinden. Sein Einfluss ermöglicht ihm einige Nachforschungen, jedoch stellt sich heraus, dass alle Geschichtsbücher vernichtet wurden, und alle enthaltenen Informationen in einen Computer eingespeist wurden, der jedoch fehlerhaft ist. Zeitgleich zeigt der Film die moralische Verkommenheit und Ignoranz der herrschenden Klasse.

Da E. aufgrund seiner Popularität nicht ohne weiteres ausgetauscht werden kann, werden die Regeln ständig verändert, um ihn auf diese Weise zur Aufgabe zu zwingen. Das Spiel hat zum Schluss keine Zeitbegrenzung mehr, für Fouls gibt es keine Zeitstrafen und es dürfen auch keine Ersatzspieler mehr auf das Spielfeld.

Im Endspiel ist Jonathan E. der letzte aktive Spieler, alle anderen sind entweder tot oder verletzt. Er hält den Spielball. Die Massen halten den Atem an, die Konzernbosse schwitzen in Erwartung dessen, was E. jetzt tun wird. Jonathan E. wirft die Kugel in den Trichter und erzielt den letzten Treffer. Die Massen schweigen zunächst andächtig, aber als Jonathan seine Runden über die Bahn zieht, skandieren sie seinen Namen wieder und wieder. 

Rezension

Regisseur Norman Jewison hat mit Komödien am Ende des klassischen Hollywood-Zeitalters angefangen, ging dann zu guten oder / und interessanten Filmen über, etwa der sehr stylische „Thomas Crown ist nicht zu fassen“ stammt von ihm und im Jahr zuvor der nicht nur präzise und spannende, sondern auch gesellschaftspolitisch wichtige Thriller „In der  Hitze der Nacht“, und schaffte mühelos den Übergang vom alten Hollywood zu New Hollywood und von dort ins heutige Mainstream-Kino. Die Utopie-Dystopie „Rollerball“ ist vermutlich sein exzentrischster Film, liegt aber perfekt im Wind der Zeit, in welcher der kritische Science-Fiction oft so daherkam wie dieser Film.

Sagen wir, von „2001“ an hatte alles in etwa dieses Layout einer perfekt durchstilisierten Technizität, aber inhaltlich gibt es eine ganze Reihe von Filmen, denen „Rollerball“ ebenso nah oder näher steht. Ich denke an „Fahrenheit 451“ (1966) von Francois Truffaut, an „1984“ von George Orwell, an „Flucht ins 23. Jahrhundert“ – es gibt noch mehr, Dystopien haben ja meist ähnliche Prämissen und wenn sie einen starken politischen Impact aufweisen, dann sieht man meist die Konstellation, dass die Menschen von oben gesteuert und in ihrer Freiheit eng begrenzt werden. Was dabei an sozialen Aggregatzuständen herauskommt, ist unterschiedlich. „1984“ etwa spiegelt in seiner monumentalen Düsterkeit auch die Nachkriegswelt, der Roman entstand 1948 und die Gesellschaft des Großen Bruders ist auch eine bitterarme, in der alle im Deaster gefangen sind. Anders „Fahrenheit 451“ und auch „Rollerball“ – hier ist der Preis für einen gewissen sorgenlosen Wohlstand die Freiheit. „Rollerball“ spielt im Jahr 2018 und die Großbildwände in den Wohnzimmern sind in etwa so eingetreten wie prophezeit, abzüglich der drei Extraschirme oberhalb des Hauptfernsehers. Auch das gab es in „F 451“ und natürlich unabwendbar und exemplarisch in „1984“, der wiederum Anleihen bei „Moderne Zeiten“ von Charles Chaplin (1936) nimmt, was die Überwachung per Großbildwand angeht.

Da nun aber „Rollerball“ just so angesiedelt ist, dass seine Handlungszeit nicht in etwa in den 1980ern angesiedelt ist, die dann doch etwas anders ausfielen, sondern quasi jetzt, fast in dem Jahr, in dem diese Rezension verfasst wird, sei doch ein Blick auf seinen prophetischen Gehalt erlaubt. Es gibt noch Bücher, das ist die frohe Kunde. Man kann noch an alles Weltwissen heran, wenn auch nicht immer so schön egalitär, wie es das Internet suggeriert. Man muss nicht einmal nach Genf zum Zentralcomputer fahren, man kann alles von zuhause. Die Entwicklung des Heimcomputers oder des Smartphones hatte ohnehin kaum eine Utopie oder Dystopie auf dem Schirm, dafür nahm man häufig in anderen Bereichen Entwicklungen an, die heute noch in weiter Ferne liegen und vielleicht unmöglich sind, wie die interstellare Raumfahrt aus unserem Sonnensystem heraus.

Aber die Stimulanzpillen oder der hirnlose Medienkonsum, das sind alles Dinge, die uns irgendwie vertraut vorkommen, und nun scheiden sich die Geister an der Wirtschaftswelt, die hier nur rudimentär angerissen wird, und wie die Wirtschaft das Ganze steuert. Der linke Geist, der wird sagen: ja, genau, nur noch ein bisschen, dann sind wir genau dort. Die Politik ist zwar noch nicht abgeschafft, aber sie gehorcht globalen, insbesondere Finanzkonzernen und ist deren Marionettentheater. Allerdings stößt man dann auch gleich auf einen Unterschied. Die Konzerne werden stark verdächtigt, die Menschen arm halten zu wollen, obwohl sie doch eigentlich von deren Konsum profitieren müssten und natürlich sind sie auch Kriegstreiber. Die Konzerne im Film hingegen haben die Welt befriedet und haben „Rollerball“ erfunden, um die Aggressionen der Menschen zu bändigen bzw. zu kanalisieren, außerhalb des Stadium halten sie friedlichen Smalltalk und sind langweilig wie sonstwas. Wer Sportfan ist und sich häufig auf Großveranstaltungen von Mannschaftskampfspielen aufhält, weiß, dass da mehr als nur ein bisschen Wahrheit drinsteckt, auch wenn man als Elemente einer aggressiven Masse sicher nicht interessanter ist als ein snobistischer Partygänger. Letzterer wirkt individualistischer, irgendwie, weil als Subjekt erkennbar, aber in „Rollerball“ gibt es nur einen Individualisten, das ist Jonathan E.

Und da kommt der Zweite Knackpunkt in Sicht. Wieviel Freiheit kann ein fürsorgliches System zulassen, wo doch Freiheit auch immer die Freiheit ist, andere in den Sack zu hauen? Ein freiheitliches System zielt auf Konkurrenz. Es sanktioniert den rohen Gewaltakt, der aber trotzdem immer wieder vorkommt, nicht aber die Gewalt der Macht gegen die Ohnmächtigen. Man kann besonders das Ende des Films durchaus auf zwei Arten lesen. Nämlich die, dass Jonathan E. sich einen Rest von sich selbst erhalten hat und gegen etwas protestiert, das „nicht in Ordnung“ ist, aber in welcher Ordnung ist es nicht, das ist die andere Variante. Jonathan setzt sich ebenso wie die anderen Spieler über alle Skrupel hinweg und feiert am Schluss seinen persönlichen Sieg, nicht den seiner Mannschaft, denn die gibt es nicht mehr, das Team ist im wörtlichen Sinn tot. Es gibt auch nichts Höheres, wofür er kämpft und niemand erfährt, zu was es gut war, sich nicht aus der Mannschaft schubsen zu lassen vom Tycoon Bartholomew, denn der Film endet in einem Freeze-Shot des jubelnden Jonathan in der Rollerball-Halle, als er die Ovationen des Publikums entgegennimmt.

Der Film hat letztlich ein Entscheidungsproblem. Will man John nun herausnehmen, weil er als Individuum zu kenntlich wird, wie Barthelemew suggeriert, oder will man ihn vor dem finalen Crash im letzten Spiel schützen, das er vermutlich nicht überleben wird? Und warum gibt man ihm ein Sonder-TV-Feature, wenn man nicht möchte, dass die Massen sich einen Helden suchen? Man hätte ja auch fordern können, dass er einfach so abtritt, z. B. wegen einer fingierten Verletzung. Zudem dauert es sehr lang, man lässt ihn über Jahre gewähren, bis man eingreift, in einem Moment, in dem er ohnehin schon mindestens Mitte 30 ist und in diesem gefährlichen Sport nicht mehr lange überleben kann.

Als Parabel auf die Mechanismen des Kampfsports und wie das Publikum darauf reagiert, funktioniert der Film sicher, man kann viel darüber nachdenken, ob es wirklich so ist, dass uns die Gewalt am Sport mehr reizt als das schöne Spiel. Daraus wieder kann man eine Menge Soziologisches ableiten – aber die Frage, ob die Dystopie, die hier gezeigt wird, nicht eine Möglichkeit ist, der Menschheit das Überleben zu sichern, wird nicht beantwortet. So ein freiheitliche denkendes Individuum wird schon entrüstet sein darüber, dass man überhaupt in Erwägung zieht, sich freiwillig einer weisen Gruppe von alten Männern unterzuordnen, die über die Gegenwart herrscht und die Vergangenheit allmählich aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden lässt, aber angesichts der Unmöglichkeit, in der heutigen Welt friedlich miteinander auszukommen, sollte man vielleicht ernsthaft diskutieren, was nun besser ist. Eine befriedete, aber zentral gelenkte Gesellschaft oder eine, in der jeder freidrehen darf und allzu viele dies dazu nutzen, um ihre Nächsten umzubringen.

Was die Beurteilung viel schwieriger macht als etwa Orwells „1984“, dessen radikale Welt ja auch materiell und sexuell furchtbar unbefriedigend erscheint, ist die Tatsache, dass man das in „Rollerball“ anders gedreht hat, ähnlich wie schon in „Fahrenheit 451“. Den Ausschlag gibt vielleicht, dass Kreativität und Wissensdurst einer gepflegten Apathie weichen und am Ende alle so unendlich manipulierbar erscheinen – bis auf Jonathan E. Und da treffen wir wieder auf die heutigen Ängste vor dem Big Brother, der sich Big Data nennt und auf die Tendenz, die eigene Wirklichkeit freiwillig immer weiter zu verengen und wie das dann wieder von schlauen Köpfen mit vielen Ressourcen genau so geplant und gesteuert wird. Eine Dystopie muss natürlich vereinfachend sein, ein Film verdichtet immer, aber etwas mehr Eindeutigkeit hätte „Rollerball“ wohl nicht geschadet.

Finale

Allerdings war das Eindeutige, oft auch allzu Plumpe, nicht die Sache der Filme in den 1970ern, damals hat man es sich mehr als in jedem anderen Jahrzehnt, seit das Kino Kunst geworden ist, geleistet, unbequeme Dinge zu zeigen und die Affirmation durch ein Happy-End zu verweigern. Und die Action des Films, der in München in Anlagen der Olympischen Spiele von 1972 gedreht wurde, die Konzernzentrale des Energieriesen, der die Houstoner Mannschaft von Jonathan E. betreibt, gehört in Wirklichkeit BMW, ist für ihre Zeit beachtlich und zeugt von der Inszenierungskraft Norman Jewisons. Die Haltung zu dem Film muss jeder selbst erarbeiten, dabei hilft sicher das politische Koordinatensystem, das man sich erstellt hat.

78/100

© 2022, 2017 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1) und kursiv: Wikipedia

Regie    Norman Jewison
Drehbuch           William Harrison
Produktion         Norman Jewison
‚Musik   André Previn
Kamera                Douglas Slocombe
Schnitt  Anthony Gibbs

James Caan: Jonathan E.
John Houseman: Bartholomew
Maud Adams: Ella
John Beck: Moonpie
Moses Gunn: Cletus
Pamela Hensley: Mackie
Barbara Trentham: Daphne
Ralph Richardson: Bibliothekar
Shane Rimmer: Rusty
Burt Kwouk: japanischer Doktor

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