Frontpage | Briefing 83 | Wirtschaft, Energie, Gas, Winter
„‘Es besteht kein Zweifel, dass der Preis die Mühe wert ist. Ein Erfolg, wie lange er auch immer dauern mag, wäre von großer Bedeutung‘. Robin Grimes, Professor für Materialphysik am Imperial College“
Das obige Zitat befasst sich nicht mit der bahnbrechenden Ankunft des ersten schwimmenden LNG-Terminals in Deutschland. Es ist auch kein Kommentar zu Klaus Müllers immer neuen Gas-Sparappellen an die Menschen in Deutschland. Vielmehr geht es um die wissenschaftliche Schlagzeile der Woche, vermutlich des Jahres: Durchbruch bei der Kernfusion: Ist das jetzt die Energiequelle der Zukunft? (rnd.de)
Und damit gleich zu einem betrüblichen Dämpfer für die älteren Generationen: Sie werden den kommerziellen Einsatz der Kernfusion als Energiequelle nicht mehr erleben. Zumindest dann nicht, wenn nicht weitere, sensationell günstige Faktoren entdeckt werden, die deren Nutzung beschleunigen. Immerhin, ein wichtiger Schritt ist gelungen, nämlich, Nettoenergie per Kernfusion zu erzeugen.
Auch die neue Energiequelle, die alle Probleme lösen könnte (die wenigen, die dann noch bestehen, weil wir bis zur kommerziellen Verwertbarkeit der Kernfusion längst überwiegend Windkraft und Solarenergie haben) ist umwelttechnisch nicht ganz unproblematisch, heißt es im RND-Check zum Thema.
Aber kein Vergleich zur Kernkraft mit Kernspaltung. Das gilt insbesondere für das größte Problem, das Risiko eines GAU, wie wir ihn immerhin schon mehrmals gesehen haben. Der Zeitpunkt, ab dem die kommerzielle Verwertbarkeit gegeben ist, wird aber auch davon abhängen, wie sich der Einsatz anderer Energiequellen entwickelt. Teure Energie ist auf jeden Fall dann kommerziell lohnend, wenn es ansonsten gar keine mehr in ausreichendem Maße gäbe. Also baut endlich die Erneuerbaren aus oder lobbyiert jeden Tag dafür, wenn ihr auf Dauer und gänzlich verhindern wollt, dass die Kraft der Atome doch noch irgendwie zurückkehrt.
Und kauft LNG-Gas? „Ein Schiff namens Hoffnung“ hat heute in Wilhelmshaven angelegt und Bundeskanzler Scholz ist stolz auf das neue deutsche Tempo, mit dem die Energiesorgen des Landes angegangen werden. Es soll zum Maßstab für schlicht alles werden, was in Deutschland nun angegangen wird. Das Tempo. Ein Schiff namens Hoffnung: Ampel-Trio dreht den Gashahn auf | WEB.DE
Dass das erste LNG-Terminal, wie schon die Herstellung des LNG an sich, umweltseitig mindestens eine halbe Katastrophe ist, was soll’s. Dass das LNG-Gas sauteuer ist und uns von einer Abhängigkeit in die nächste stürzen wird, was soll’s. Scholz ist eben auch Hanseat und als solcher affin allem gegenüber, was den norddeutschen Häfen an zusätzlichem Geschäft winkt. Wir haben das zuletzt beim Einstieg der chinesischen Staatsfirma COSCO in Hamburg, seiner Heimatstadt gesehen. Wenn es nach Scholz gegangen wäre, hätte COSCO aus dem Stand heraus eine Sperrminorität an dieser strategisch wichtigen Anlage erobert. Doch immerhin, für jetzt und für begrenzte Zeit und weil es ist, wie es ist, mag man etwas beruhigter bezüglich der Temperatur in der eigenen Wohnung für den längeren Rest dieses Winters sein. Die Eiszapfen wird es weiterhin nur draußen geben.
So fragwürdig die LNG-Verwendung generell ist, so sehr sie wohl verstetigt werden wird, wenn weitere Terminals in Betrieb genommen werden, was schon bald geschehen soll – etwas zu machen, um die Schäden der eigenen Politik notdürftig zu beheben, ist nicht so unwürdig wie das, was Robert Habeks Parteifreund Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur uns mal wieder beibiegen will.
Das trifft einen Nerv, das triggert, was der Herr Müller von sich gibt. Man kann auch schreiben, sich erdreistet. Besonders, wenn dieser Mensch uns andauernd erzählt, wir sparen nicht genug und genau weiß, dass die Kälte, die wir letzte Woche hatten, ein Nicht-Heizen ganz und gar ausgeschlossen sein lässt.
„Was für ein Zynismus. Herr Müller sollte eigentlich wissen, dass sicher niemand bei den horrenden Preisen für Erdgas aus Jux und Tollerei die Thermostate aufreißt. (Er)frieren will jedoch auch niemand.“
Da sind sie wieder, die NDS. Auch zitateweise bei uns. Daran ist einzig und allein die Bundesregierung schuld und natürlich Menschen wie der Herr Müller, die der Bundesregierung zuarbeiten. In dem Artikel gibt es, was Importe und Exporte angeht, ein instabiles Argument, und der Grundsatz der Sanktionierung ist immer wieder diskutabel. Zuletzt haben wir uns hier mit dem Tema beschäftigt:
Das Brot, die Heizung, die Geopolitik und Sahra Wagenknecht (Leitkommentar) +++ Umfrage zu den Russland-Sanktionen +++ Klassenkampf statt Entsolidarisierung | Briefing 81 | Geopolitik Wirtschaft Ukrainekrieg
Mit Sicherheit jedoch werden die Lasten ungleich verteilt, für uns ist das gegenüber dem Wohl Putins und einer deutsch-russischen Freudnschaft, die nur auf Wirtshaftsinteressen basiert und offensichtlich mit deren Schädigung zu Ende geht, der wichtigere Aspekt. Insofern ist der Populismus der Linken, den der Autor kritisiert, zwar zugespitzt, aber nicht absurd. Es geht nicht vorrangig um die mengemäßig kaum relevanten beheizten Pools, sie sind ein Sinnbild. Es geht um die generelle Möglichkeit, sich ohne größere Beteiligung an den Kosten selbst gut über die Runden zu bringen, die Menschen mit eigenem Hallenpool haben. Abgesehen davon, dass ihr ökologischer Fußabdruck ebenfalls zu groß ist und dieser Lebensstil nicht zeitgemäß.
Bisher gab es die Gasmangellage nicht und ob Klaus Müller sie, wenn sie kommt, tatsächlich den Bürger:innen zuschreiben wird, ob er die Dreistigkeit also noch einmal steigert, indem er sagt: „Da seht ihr, was ihr davon habt, dass ihr es wagt, im Winter Gas zu verbrauchen, ich hab euch gesagt, was passieren kann!“, werden wir sehen. Vielleicht wird ihm sein Freund Robert Habeck, der Politiker von den beiden Gasmännern, auch raten, die Formulierungen dann etwas vorsichtiger zu wählen.
Habecks eigene Arroganz macht es möglich, darauf Wetten abzuschließen. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass er Müller tatsächlich weiter schwätzen lässt, aber es könnte dem grünen Wirtschaftsminister auch dämmern, dass er damit sich und seiner Partei (deren Mitglied Müller ist) schadet.
Am besten wäre es, das Ereignis fände nicht statt und alle bekämen ihre Wetteinsätze zurückgezahlt. Weil eben keine Gasmangellage entsteht. Wir mögen die Spekulation aufs Desaster nicht. Linke Politik muss auch ohne Kältetote vermittelbar sein. Damit die Bundesregierung zur Vermeidung der Mangellage nicht zu sehr auf einen milden Winter angewiesen ist, macht Kanzler Scholz jetzt den Macher. und redet gar von einem neuen deutschen Tempo. Ob es reichen wird? Neue Wette auf dasselbe Ereignis?
Wie auch immer, in Bezug auf das LNG: Seien Sie versichert, selbst wenn die-Terminals sich bei uns in Windeseile vermehren, das geht bei den echten Zukunftsthemen so nicht, mit dem Tempo. Es gibt viele mächtige Interessen, die das LNG-Geschäft jetzt anschieben, das darf man nicht vergessen. Es ist politisch im gesamten Westen gewollt, besonders in den USA sowie von den mit den USA eng verbündeten Australiern, die weltweit das meiste LNG exportieren.
Aber da, wo herumgefitzelt werden muss, wo man sich im Land selbst schon nicht einig ist, wie man da wieder mehr Geschwindigkeit reinbekommt, also beim Ausbau der Erneuerbaren, wird auch Scholz nicht auf Anhieb ein neues deutsches Tempo organisieren. Wie man an der Umweltschädlichkeit der „Esperanza“ sieht, geht neues deutsches Tempo außerdem mit Qualitätsmängeln einher. Es geht hierzulande nur eines. Handwerkliche Solidität oder Tempo. Wir in Berlin sind noch schlechter dran: Hier ist beides nicht einmal ohne das jeweils andere möglich. Ein Flughafen, dessen Bau (gefühlt) ca. 100-mal so lange dauert wie geplant und 50-mal teurer wurde als geplant, ist nach der Dennoch-Eröffnung, an die viele nicht mehr glaubten, immer noch mängelbehaftet.
Deswegen muss man hierzulande verdammt vorsichtig beim Implementieren neuer Technik und mit neuen Projekten im Allgemeinen sein. Deswegen wagen wir auch eine Prognose. Oder ist es eine Wette, die an kommende Generationen übertragen werden kann? Bis die Kernfusion in dieser Stadt die Energiesorgen löst, werden unserer Ururenkel längst nicht mehr von deren Ururenkeln an einem stillen Gedenkort besucht werden können, weil handelsübliche Friedhofsgräber nicht ewig bestehen bleiben.
TH