Wie sind die Gender-Regeln in deutschen Schulen? (Statista + Kurzkommentar) | Briefing 338 | Gesellschaft, Sprache, Gendern

Briefing 338 Gesellschaft – deutsche Sprache, Gendern oder nicht, Schulen, Bildungssystem

Liebe Leser:innen,

auch in diesen Zeiten noch ein wenig Raum für Betrachtungen zur deutschen Sprache? Hier werden Sie erst einmal auf den Stand gebracht. Natürlich kommentieren wir im Anschluss ein wenig.

Infografik: Wie sind die Gender-Regeln in deutschen Schulen? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons  erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Drei Bundesländer in Deutschland verbieten den Gebrauch von Gendersternchen und anderen Sonderzeichen in Schulen. Schüler:innen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, die trotzdem Gendersternchen oder Doppelpunkt einsetzen, müssen von ihren Lehrkräften mit Minuspunkten bewertet werden.

Grundlage für diese Entscheidung ist das amtliche Regelwerk des Rats für deutsche Rechtschreibung. Ausdrücklich erlaubt ist inklusive Sprache nur in Bremen und dem Saarland. Die anderen elf Bundesländer berufen sich zwar grundsätzlich auf den Rat, haben aber bislang weder ein Verbot noch eine Erlaubnis für das schriftliche Gendern ausgesprochen.

Text und Grafik produziert von unserer Schülerpraktikantin Josephin Frank.


***

An dieser Stelle sei vor „S“-Bundesländern gewarnt. Nur Bundesländer, deren obiges Kürzel mit einem „S“ beginnt, verbieten das Gendern bzw. bewerten es mit Punktabzug. Keine Regel ohne Ausnahme: Das allzeit progressive Saarland. Gut, dass HH und HB neutral sind, sonst müssten wir noch erklären, warum in der Abkürzung von Hamburg zwei „H“ vorkommen und warum in Bremen überhaupt ein „H“ enthalten ist.  

  • Ist dieses Grundwissen wichtiger als Gendern oder nicht? Doch, ist es, aber man kann das eine vermitteln und das andere auch. So viel Zeit müsste zumindest in einem vernünftigen Bildungssystem sein.
  • Ist das Thema Sprache in Zeiten mit großen Krisen wie den jetzigen nicht obsolet? Zumal der Streit ums Gendern? Das finden wir nicht. Die Art, wie mit der Sprache umgegangen wird, ist einer von vielen Aspekten der gesellschaftlichen Entwicklung. Die geht aktuell ganz nach rechts, nicht aus Zufall haben zwei ostdeutsche Bundesländer, in denen der konservative und rechte Drall besonders stark ist, das Gendern verboten. Das ist mehr als nur eine kleine Konzession an den rechten Zeitgeist. In Thüringen gibt es einen Kampf ums Gendern an Schulen, der die politische Relevanz zeigt. Auch interessant: Dass das Gendern an Schulen in einem westlichen Bundesland verboten ist, in dem die Grünen mitregieren und die CDU als eher mittig gilt.
  • Darin kann man durchaus eine Symbolwirkung sehen. Es vorzuschreiben, ist eine Sache, es zu verbieten, eine andere.
  • Voraussetzung fürs Gendern ist allerdings, dass man die deutsche Sprache erst einmal grundsätzlich so beherrscht, dass man auch unfallfrei gendern kann. Es wirkt mehr als nerdig, wenn jemand gendert, aber ansonsten ein eher zwiespältiges Verhältnis zu Grammatik und Rechtschreibung zeigt.
  • Was uns an der Grafik besonders stört: Dass wieder einmal Flickschusterei herrscht. Wann endlich hört dieses Dilettieren der Bundesländer auf, zieht der Bund grundsätzliche Elemente der Bildung an sich, vereinheitlicht die Leistungskriterien, und, vor allem, erstellt endlich einen Masterplan Bildung? Einen Plan, der den Zusammenbruch des Systems verhindert, bestenfalls sogar eine Steigerung der Qualität bewirkt. Wo bleibt das Geld für diese Zukunftsinvestition in die staatlichen Schulen und damit in die grundgesetzlich verbürgte Chancengleichheit? Wenn man die Relevanz des Genderns an Schulen mit diesem Riesen-Problemcluster vergleicht, mag sie gering erscheinen, aber das alles gehört zusammen. Was nützt zum Beispiel am Ende des Tages das Gendern, wenn in der ökonomisch-sozialen Realität immer stärker segregiert wird und wenn dies bereits in ganz unterschiedlich stark ausgeprägter Teilhabemöglichkeit von Kindern an Bildung angelegt wird?

Wer uns häufiger liest, weiß, wir sind z. B. bezüglich journalistischer Beiträge nicht gegen das Gendern, obwohl wir uns selbst diesbezüglich wieder etwas zurückgenommen haben. Wir bemühen uns, eine Ausdrucksweise zu finden, die zu viele Binnen-Doppelpunkte (unsere Variante dessen, was wir als „direktes Gendern“ bezeichnen) verhindert.

Wer „Studierende“ schreibt, wie es schon länger üblich ist, kann auch „Lehrende“ anstatt Lehrer:innen verwenden (nach unserer Lesart „indirektes Gendern“). Es ist nur eine Sache der Übung, dies nicht als störend zu empfinden.

Um insbesondere bei etwas längeren und komplexeren Texten einen hoffentlich die Aufmerksamkeit fördernden Lesefluss zu bewahren, verwenden wir manchmal auch die männliche Form, wenn sie nach Duden die richtige ist. Wir gendern hingegen fast immer, wenn bestimmte Personen und Gruppen benannt werden, die männliche und weibliche und andere Mitglieder haben, wo aber üblicherweise die männliche Form die weiblichen Mitglieder umschließt, wie eben bei den Lehrenden, wenn man Lehrer schreibt. Allerdings gibt es in dem Fall und in bestimmten Verwendungszusammenhängen eine weitere reizvolle Möglichkeit: Lehrkörper, grammatikalisch gesehen allerdings männlich.

Es hängt bei uns also auch von der Art des Textes ab, wie konsequent wir gendern.

Dieses Mal handelt es sich nicht um eine Umfrage, sondern um eine Infografik. Anhand von Umfragen haben wir uns mehrfach zum Gendern geäußert.

Geschlechtergerechte Sprache: „Lehrer*innen“, „Lehrer_innen“ oder doch einfach „Lehrer“?

Gendern in der Literatur?

Geschlechtergerechte Sprache in den Medien?

Gendergerechte Sprache für Fortgeschrittene

TH

Hinterlasse einen Kommentar