Briefing 421 PPP, Sahra Wagenknecht, BSW, Wahl-o-Mat, AfD, Bahnstreik, Unterbesetzung der Ämter, Demos gegen rechts, Außenpolitik
Wir haben eine Art Wagenknecht-Wahlomat gemacht. Man könnte auch sagen, einen BSW-Wahl-o-Mat, weil ihre Positionen mit denen des als Unterstützungspartei für sie gegründeten BSW identisch sind.:
Es wird Zeit für ein Wagenknecht-BSW-Update, nachdem wir die letzten Äußerungen der Vorsitzenden bzw. Co-Vorsitzenden der Partei gesammelt haben. Natürlich hat sie sich diese Woche zunächst bezüglich der Demos gegen rechts geäußert. Wir versuchen auch heute mal etwas Neues und vergeben Wagenknecht-Punkte.
Hier zum Anschluss an die bisherigen Artikel zur Sache: Das fünfte und letzte Update der vorherigen Beitragsreihe zum „BSW“.
Immer mehr Menschen machen sich Sorgen um die Demokratie, viele gehen jetzt auf die Straße. Dass bei diesen Demos auch Ampel-Politiker mitlaufen, finde ich allerdings mehr als scheinheilig, im Grunde demonstrieren sie damit gegen sich selbst, gegen die Früchte ihrer eigenen Politik. Die AfD ist ja nicht deshalb so stark, weil es plötzlich so viele Menschen mit rechtsradikaler Gesinnung gibt. Die AfD ist so stark, weil die Politik in Berlin so katastrophal ist.
Grundlage für die nachfolgenden Fragen und Antworten ist dieser Newsletter: WEB.DE (deref-web.de)
Gehen wir beim obigen Statement mit?
Wagenknecht ist halt eine Populistin. In Wirklichkeit sind alle links denkenden Menschen mal wieder, wie immer, wenn es ums differenzierte Denken geht, in einem Dilemma. Natürlich bin ich für die Proteste, wir schreiben beim Wahlberliner fast täglich darüber, welch eine Gefahr die AfD darstellt. Gerade heute haben wir eine neue Briefing-Reihe gestartet. Die Rolle der Rechtsanwaltschaft im Kampf gegen rechts und die AfD: die Verfassung ernstnehmen! (Interview-Besprechung) | Briefing 419 | PPP – Politik, Parteien, Personen – DER WAHLBERLINER. Und ich entlasse die Ampel ganz sicher nicht aus ihrer fehlerhaften und arroganten Politik und schon gar nicht die Vorgängerregierung Merkel aus ihrer Untätigkeit, die wir hier über ein Jahrzehnt lang angeprangert haben.
Aber so zu tun, als ob sich jetzt nicht alle mit rechter Gesinnung hinter der AfD versammeln, ist nach wie vor Quatsch. Sahra Wagenknecht weiß es sicher auch besser. Ich brauche mich nur täglich in Berlin umzuhören, mitten in der Großstadt, welch ein gruseliges Menschenbild viele der sogenannten „einfachen, arbeitenden Leute“ haben, die Wagenknecht so hypt. Irgendeinen Job zu machen, ist für mich noch kein Freibrief für menschenverachtende Ansichten und den ganzen Tag stänkern ohne Plan und Verstand.
Was ist also der Kern des Trends zur AfD?
Da hat sich über Jahre etwas nicht voll gezeigt, was sich jetzt traut freizudrehen. Ich habe sicher das Ohr dichter an der Bevölkerung als Sahra Wagenknecht, und was ich höre, sagt mir, da darf man es sich nicht so einfach machen. Was man canceln müsste, um diese Leute einzufangen, wäre jede Art von Menschlichkeit. Deswegen würde ich die AfD lieber verbieten lassen, als dass der Preis für ihr politisches Zurückdrängen eine ultrarechte Politik ohne AfD ist. Allein, was CDU-Chef Merz alles so vom Stapel lässt und dann die Chargen aus der dritten intellektuellen Reihe, wie Jens Spahn, wird mir übel. Auch die Ampel ist keineswegs unbeeindruckt von dem freidrehenden Rechtspopulismus. Deshalb finde ich es in der Tat höchst fragwürdig, wenn deren Politiker ihre Anwesenheit auf den Demos nutzen, um billige Punkte im Mitte-Links-Milieu machen zu wollen. Eigentlich müssten sich die Organisatoren wie FFF von diesen Politiker:innen distanzieren.
Wagenknecht hat schon Bündnisbereitschaft in Richtung CDU signalisiert.
Das passt auch, vor allem, dass die CDU gesellschaftspolitisch immer rechter wird. Aber außenpolitisch einerseits und sozial auf der anderen Seite? Auf Bundesebene? Ich glaube, da hätte die CDU die größere Durchsetzungskraft und damit wäre das BSW nur noch ein Machtbeschaffer. Könnte bei der Bundestagswahl 2025 in der Tat eine Rolle spielen, diese Konstellation. Neueste Umfragen sprechen dem BSW jetzt wieder 7 Prozent zu, es ist alles ziemlich erratisch derzeit, bei den Meinungsforschern, diese neue Partei betreffend. Zwischen 14 und 3 Prozent ist alles bei der Sonntagsfrage dabeigewesen, seitdem sich die Gründung abgezeichnet hat.
Zurück zum Aufstieg der AfD. Das können doch nicht alles Nazis sein, auch wenn sich viele Leute im Alltag rechts aufführen.
Das heißt, es gibt keinen alleinigen Grund für den Aufstieg der AfD. Es gibt mehrere Gründe, und die wirken im Moment höchst ungünstig zusammen und verstärken sich gegenseitig. Die jüngsten Umfragen sehen übrigens doch einen leichten Rückgang für die AfD, der demo-bedingt sein könnte oder, ganz aktuell, auch einen kleinen BSW-Effekt einschließt.
Und die Correctiv-Recherche, die die Proteste erst ausgelöst hat.
Ja, natürlich. Ich glaube aber, dieser Effekt wird nur temporär sein, grundsätzlich gebe ich Wagenknecht hier recht, die Demos werden die AfD nicht aufhalten. Das schrieb ich allerdings schon, bevor SW sich jetzt ähnlich geäußert hat. Schon am vergangenen Sonntag unter anderem, obwohl ich mich über die vielen Aktiven sehr gefreut habe. Ich glaube aber auch nicht, dass diejenigen, die demonstriert haben, glauben, dass die AfD jetzt massiv an Zuspruch verliert, sondern dass es ihnen darum ging, sich auch mal zu zeigen, nachdem sie lange geschwiegen haben. „Das Momentum der Mitte“ hat der Tagesspiegel diese Demos genannt. Aber auch hier: Diese Mitte hat die Politik, die uns jetzt um die Ohren fliegt, sehr lange toleriert.
Also ist es doch die Regierungspolitik, die die AfD stark macht?
Ich kann wirklich nicht exakt eine Zahl nennen, wie viele Prozente des AfD-Erfolgs nun exakt auf das Konto der Regierungspolitik und wie viel der Rechtsextremismus ausmacht, der sich immer unverblümter offen zeigt, zusammenwirken. Da aber die Sozialprotestler doch wissen, was sie tun, wenn sie die AfD unterstützen, anstatt dass sie eine linke Partei wählen, tendiere ich wieder vermehrt dazu, den festsitzenden Rechtsextremismus für die Hauptursache der AfD-Erfolge anzusehen. Aus sozialen Gründen AfD zu wählen, ergibt einfach keinen Sinn.
Wie viele Wagenknecht-Punkte für das AfD-Thema?
30/100. Ich kann die Ampel-Politik nicht schöner reden, als sie ist, aber alle diese Leute wie SW und verschiedene CDU-Politiker versuchen, das Extremismusproblem in Deutschland kleinzureden. Vielleicht nützt es ja insofern, als das BSW der AfD wirklich so viele Stimmen wegnimmt, dass das Schlimmste bei den Ostwahlen im Spätsommer noch einmal abgewendet werden kann. Im Osten bekommt das BSW sicher stärkeren Zuspruch als bundesweit. Also ist die Punktevergabe nicht taktisch, sondern inhaltlich gemeint, sonst wären es mehr.
Der Bahnstreik hält alle in Atem. Wagenknecht positioniert sich gar nicht populistisch, sondern auf der Seite der GdL und ihres von vielen Medien als eine Art Missbraucher der Macht dargestellten Vorsitzenden Claus Weselsky.
Es gab Zeiten, da hielten IG-Metall-Chefs ganz andere Machtdemonstrationen ab, außerdem wurde der Streik gerade vorzeitig beendet.
Aber inhaltlich?
Die Gewerkschaften haben sowieso das Problem, dass die Arbeitnehmer:innen in dem Bereich nicht mehr so organisiert sind wie früher und weil es weniger Industriearbeiter:innen gibt. Sicher bekommt man Streiks im Verkehrsbereich besonders stark zu spüren, wenn man auf dieses Verkehrsmittel angewiesen ist. Ich bin zuletzt kein Bahnkunde gewesen und fahre aktuell nicht einmal mit der Berliner S-Bahn, die zur Deutsche Bahn AG gehört. Das muss ich fairerweise hinzufügen. Aber ich bin auf der Seite der Gewerkschaft und finde in dem Wagenknecht-Text auch nicht so viele falsche Töne. Es sei denn, man sagt, es ist falsch, weil sie es sagt, aber dann brauchen wir hier keine Analyse zu betreiben. 80/100. Das Modernisierungsthema fehlt mir hier, dieses Kaputtsparen der Bahn könnte man noch stärker herausstellen, das die Kunden auch dann nervt, wenn kein Streik ist. Das hat nämlich folgende Implikation: Die Bahn wird bezüglich Zuverlässigkeit und Service immer schlechter, aber trotzdem wollen die Bahnbeschäftigten mehr Geld. Nein, es ist eine politische Entscheidung, oben im Management muss man suchen, der Fisch stinkt vom Kopf her.
Das äußerst heiße Gaza-Thema, das sich jetzt auch noch auf den Jemen und die Huthi ausweitet und dazu führt, dass Deutschland ein Kriegsschiff in den Konflikt schickt und Munition an Israel liefert.
Waffenlieferungen an Israel und mittlerweile auch in umgekehrter Richtung sind nicht neu, und dann dazu die Munition nicht zu liefern – nun ja. Quatsch, offen geschrieben. Ich muss leider zugeben, dass der gesamte Gaza-Streifen zerbombt wird, steht nicht dafür, auch nicht für das schreckliche Massaker vom 7. Oktober. Und es wird mit Netanjahu und den noch rechteren israelischen Politikern keine Zweistaatenlösung geben, das sollte auch US-Präsident Biden wissen, der sich kürzlich hoffnungsvoll geäußert hat. Es ist denkunmöglich im Weltbild von Rechtsextremisten und Rassisten, Menschenrechte für alle zu gewähren. Eine entsetzliche Entwicklung, die etwas Paralysierendes hat und uns moralisch immer wieder korrumpiert. Die Trauer um die Opfer beider Seiten ist stark. Das Desaster, das den Westen noch weiter in die geopolitische Defensive treiben wird, ist ein Menetel für die Zukunft. Ich habe heute absolut keine Lust auf eine Herleitung des Ganzen, auf eine Analyse einer unfassbar grausamen Nahostpolitik seit so langer Zeit, an der niemand unschuldig ist, ich wünsche mir auch einfach nur Frieden. Es ist mir in dem Moment auch egal, ob Antiamerikanismus hinter SWs Ansichten zu suchen ist, bei mir ist es vor allem der Wunsch, dass das Morden endlich aufhört.
80/100 Keine 100/100, weil ich die Erweiterung auf den Jemen und immer weitere Akteure, die da mitmischen, etwas anders sehe als Wagenknecht – period, ich muss mich dazu noch mehr einlesen, denn der Jemen-Krieg ist auch ein Wespennest. Ich sage nur: Wieder neue Waffen an Saudi-Arabien, das neuerdings ein Stabilisator sein soll, also ein Verbündeter des Westens. Manchmal glaube ich, die Politik merkt nicht, was sie tut, manchmal denke ich, die Position Deutschlands ist dermaßen jämmerlich festgefahren, dass solche Dummheiten sich auf bisherigen Dummheiten immer weiter aufbauen, ohne dass man da mit den üblichen Mitteln der Politik noch rauskommt. Es bedürfte einer kompletten Neubestimmung, die zunächst strategisch festgelegt wird, dann geräuscharm praktische Außenpolitik wird, anstatt umgekehrt, wie derzeit. Die könnte aber auch das BSW nicht durchsetzen.
Jetzt ein ganz nahes Thema: Personalmangel in den Jugendämtern und in der Pflege.
Bei den Ämtern herrscht zumindest in Berlin überall Personalmangel, da wird es in den Jugendämtern nicht anders sein, und klar wird dadurch wieder ein Stück Zukunft für Menschen kaputtgemacht, die es ohnehin nicht leicht haben. Bei der Pflege hat sich zuletzt finanziell etwas getan. Wollen wir hoffen, dass es ausreicht, um die Verhältnisse mittelfristig zu verbessern. Kurzfristige Abhilfe ist höchstens in der Form möglich, dass die Menschen, die in dem Bereich arbeiten, bereit sind, für mehr Geld noch eine Schippe mehr Ausbeutungsbereitschaft draufzulegen. Da, wo ich Einblick habe, funktioniert das System einigermaßen, aber das ist keine Aussage über das Ganze, dazu fehlt mir der Raumblick. Aber typisch Wagenknecht: Immer die Obergrenze nehmen, wenn auch mit „bis zu“. In dem verlinkten Fokus-Artikel steht: 280.000 bis 690.000. 75/100
Zitat: Welche Außenpolitik streben wir an und wie stehen wir zur EU, zur NATO und zu Russland? Das wollte der Spiegel von unseren Kandidaten für die Europawahl, Fabio de Masi und Michael von der Schulenburg wissen. Hier könnt ihr Teile des Interviews, das leider hinter einer Bezahlschranke ist, nachlesen.
Sie machen es immer noch. Wenn auch in diesem Fall nicht SW selbst. Um die erlauchten Ansichten des BSW zu erfahren, muss die Bevölkerung, die doch so darbt und vom BSW vor dem Hungertod gerettet werden soll, erst einmal über eine Bezahlhürde springen. Unmöglich. 0/100
Dann haben wir ein Gesamtergebnis nach fünf Themen.
265/500 (53/100). Ich bin schon auf den ersten Wahl-O-Mat gespannt, auf dem das BSW auftaucht, es müsste der zur Europawahl im Juni sein. Weit vorne wäre SW mit diesem Ergebnis jedenfalls nicht, aber auch nicht ganz am Ende, da ist nämlich, wenn ich Wahl-O-Mate ausfülle, stets die AfD. Fairerweise sei hinzugefügt, die 0/100, die das Ergebnis negativ beeinflusst haben, resultieren aus dem Ärger über die exklusive Verbreitungsweise der Nachricht, es erfolgt keine inhaltliche Bewertung. Aber die würde ganz sicher nicht über 30 oder 40 hinauskommen, ich kenne im Wesentlichen die Positionen Wagenknechts zur Außenpolitik.
Im Prinzip liegt das BSW hinter meinen Favoriten wie Die Linke, die Partei und der einen oder anderen linken Kleinpartei, auch die Grünen liegen bei mir normaleweise höher, die SPD (nur noch) wenig, aber doch ein Stück weit vor dem rechten Block aus FDP, Union und AfD. Im Grunde wie erwartet. Die Person Sahra Wagenkncht lasse ich dabei außen vor, auch bei anderen Parteien lässt die Art, wie der Wahl-o-Mat aufgebaut ist, keine persönlichen Wertungen zu, wie etwa: Wie authentisch wirkt die Position bei einer Person, wie geschickt und wie willig ist und mutig ist sie, wenn es darum geht, für diese Position auch einzutreten, Widerstände zu überwinden, sich mit starken Gegnern wie den Lobbys anzulegen? Gerade auf unserem Kernfeld Wirtschaftspolitik zeigt sich diesbezüglich ein ganz schlechtes Bild für alle Parteien, wenn es darum geht, Politik für die Mehrheit oder auch für marginalisierte, nicht für privilegierte Minderheiten zu machen.
Reicht es, um taktisch auch mal BSW zu wählen?
Das Problem ist, dass es so weit auseinandergeht. Manches kann ich gut unterstützen, bei anderen Positionen schüttle ich den Kopf. Ich sehe da keinen Kompromiss mit mir selbst, weil die Ablehnung einiger der BSW-Positionen so klar ist, dass ich sie nicht wegen der Übereinstimmungen beiseite schieben würde. Mit einer Ausnahme: Ich würde im Osten wohnen und bei den nächsten Wahlen die AfD kleinhalten wollen, dabei wäre meine Stimme für andere vielleicht verschenkt. Bei den Landtagswahlen spielt außerdem die Außenpolitik keine Rolle, bei der ich wohl kaum zum BSW finden würde. Für mich gibt es in Sachen Antiimperialismus keine zwei Maßstäbe und ich finde es krass, dass Wagenknecht der Bundesregierung Doppelstandards vorwirft, aber selbst genauso drauf ist, nur eben zugunsten Russlands, nicht des Westens.
Werden wir dieses Punkte-Experiment wiederholen?
Schauen wir mal, wie die Reaktion der Leser:innen auf diese Idee ausfällt. Was wir aber wohl nicht machen werden: Jede Woche quasi den gesamten SW-Newsletter besprechen, wie oben. Das ist nur, um einen Grundstock für die Bewertungen und einen ersten Anhalt bezüglich meiner Zustimmungsquote zu erhalten. Oder wir machen es kürzer und sammeln.
Ach ja: Das Motto des Newsletters ist: „Aufbruch für ein besseres Land“. Ja, wer würde sich das nicht wünschen. Aber dafür allein gibt es noch keine Punkte und das Motto ist natürlich auch beliebig insofern, als sich unter einem besseren Land in dieser fragmentierten Gesellschaft fast jeder etwas anderes vorstellt.
TH
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