Ukraine-Hilfen um 3,8 Milliarden erhöhen? (Umfrage + Kommentar | Briefing 532 | Geopolitik, Ukrainekrieg

Briefing 532 Geopolitik, Ukrainekrieg, Militärhilfe, FDP, SPD, Pistorius, Lindner, Gesamtausgaben, Gesamthilfe, Deutschland weit vorne, Sinn und Zweck

Ukraine-Hilfen um 3,8 Milliarden erhöhen?

Die Ukraine beschäftigt wieder einmal die deutsche Politik. Im Krieg läuft es derzeit nicht gut, das wissen wir alle. Sind mehr Hilfen für das Land der Ausweg? Dazu hat Civey heute eine Umfrage erstellt. Wie üblich, kommentieren wir unterhalb.

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie den Vorschlag von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, die militärische Unterstützung für die Ukraine um 3,8 Milliarden Euro zu erhöhen? – Civey

Begleittext aus dem Civey-Newsletter

Die Ukraine bittet die Weltgemeinschaft um mehr militärische Unterstützung im Krieg gegen Russland. Aufgrund des Mangels an Waffen, Munition und Soldat:innen sei die Ukraine laut rbb seit Monaten in der Defensive. Vor dem Hintergrund der jüngsten russischen Offensive im Nordosten habe sich die Lage zudem erneut dramatisch zugespitzt. Für 2024 hat Deutschland 7,1 Milliarden Euro für Ukrainegelder eingeplant. Diese Summe sei der tagesschau nach fast vollständig verplant. 

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fordert daher eine massive Aufstockung der Ukrainehilfe. Er habe einen Mehrbedarf von 3,8 Milliarden Euro angemeldet, berichtete die Bild am Sonntag gestern. Mit den Geldern sollen dringend benötigte Munition, Ersatzteile und Flugabwehrsysteme finanziert werden. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warb heute bei ihrem Besuch in Kiew für eine Ausweitung der Hilfen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) habe laut ARD bereits Zustimmung signalisiert. 

Lindner (FDP) verfolgte zuletzt einen strikten Sparkurs. Jüngsten Geldanfragen aus diversen Ressorts erteilte er eine Absage. Zugleich machte er laut RND klar, dass die Unterstützung für die Ukraine Priorität habe, da es auch „um Frieden und Freiheit für Deutschland“ ginge. Dem Spiegel nach überprüft Linder derzeit, die Ukrainehilfe aus einem Finanztopf für außergewöhnliche Fälle zu erhöhen. Neue Schulden lehnt er weiter ab. Der SPD reiche das nicht aus, sie fordern „eine verlässlichere, langfristige Finanzierungsgrundlage”, bei der notfalls auch Kredite aufgenommen werden. Linke und AfD lehnen weitere Hilfen an die Ukraine aus Sorge vor einer Eskalation ab.

Unser Kommentar

Ein einziger Satz, im Grunde nur ein Wort aus diesem Satz, hat unser Abstimmungsverhalten entschieden. Als wir abgestimmt haben, waren die Befürworter einer Aufstockung der Ukrainehilfe noch knapp in der Mehrheit, wenn man eindeutige und latente Zustimmung zusammenzählt. Jetzt, wo wir dazu kommen, schnell einen Artikel zu schreiben, hat sich das Blatt gewendet. Offenbar haben einige ein wenig mehr nachgedacht, die zuletzt ihre Stimme abgegeben haben und es kam zu weniger Schnellschüssen aus dem Bauch heraus.

Klar, wenn die AfD und die Linke dagegen sind, dann muss man natürlich für die Erweiterung der Hilfe sein. Vor allem, wenn der aktuell beliebteste deutsche Politiker es fordert. Erstmals in der Geschichte der Umfragen ist dies ein Verteidigungsminister und er heißt Boris Pistorius. Es gibt aber Stimmen, die der Ansicht sind, er fängt an, zu überziehen. Er überdehnt die Tatsache, dass er in einem für seinen Haushalt äußerst günstigen Zeitpunkt das Amt übernahm und Geld ausgeben darf wie nie ein Verteidigungsminister nach der Wiedervereinigung. Bis zu eimem gewissen Punkt finden wir das richtig, obwohl wir den Hintergrund, dass in der Bundeswehr nicht zu wenig Geld, sondern ein mieses Management viele Jahre lang die Abwehrbereitschaft der Truppe sukzessive verschlechtert hat, immer im Hinterkopf behalten. Deswegen haben wir auch dem 100-Milliarden-Sondervermögen nebst einer ohnehin starken Erweiterung des regulären Verteidigungshaushalts eine Absage erteilt hat. Und nun wird auch nach draußen immer mehr und immer mehr Geld verschenkt. Denn anders als zum Beispiel die Amerikaner sieht die deutsche Regierung ihre Gelder nicht in erster Linie als Kredite an.

Wissen Sie eigentlich, wie viel Deutschland schon für die Ukraine bezahlt hat? Wir haben es hier mal so ausgerechnet, wie sich die Kosten wirklich darstellen, der Artikel ist allerdings schon etwas älter, stammt aus dem Juli 2023 und müsste unbedingt upgedated werden, denn die Gesamtsumme dürfte sich seit seiner Publizierung um 40 bis 50 Prozent erhöht haben. Schon damals kamen wir auf eine Gesamtsumme von mindestens 100 Milliarden Euro. Top-Unterstützer der Ukraine: Deutschland ganz vorne, wenn man realistisch rechnet. Machen da weitere 3,8 Milliarden noch so viel aus? Zur Erinnerung: Die Militärhilfe für die Ukraine, um die es hier wohl vor allem geht, wurde dieses Jahr schon verdoppelt, auf die oben genannten 7,1 Milliarden Euro.

Die letzte Umfrage zur Ukrainehilfe, der wir uns gewidmet haben, war diese: Ukraine-Militärhilfe verdoppeln? Damals ging es um die Verdoppelung von 4 auf 8 Milliarden, auf diese Summe sollen nun also noch einmal drei Milliarden aufgesetzt werden. Bitte lesen Sie den ausführlichen Kommentar, den wir zur damaligen Umfrage geschrieben haben. Wir hatten schon damals mit „eher nein“ gestimmt. Und genau so haben wir uns auch heute verhalten. Denn die Gründe aus dem Kommentar vom November 2019 haben sich eher verstärkt. Es wird immer offensichtlicher, dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann. Deshalb zu dem Satz, der unsere Entscheidung geprägt hat:

Aufgrund des Mangels an Waffen, Munition und Soldat:innen sei die Ukraine laut rbb seit Monaten in der Defensive.

Das Zauberwort heißt aber „Soldat:innen“. Kein Geld der Welt kann die Tatsache ausgleichen, dass der Ukraine der Nachschub an kampfbereitem Personal ausgehen wird. Dazu noch ein paar Fehlentscheidungen ( Ukraine: Was der Fall von Awdijiwka bedeutet – Politik – SZ.de (sueddeutsche.de)), und Russlands Truppen durchbrechen die Front. Da hilft es nichts, dass immer wieder angebliche spektakuläre Einzelerfolge ukrainischer Truppen gemeldet werden.

Wir schreiben seit Längerem, dass nur ein direkter NATO-Einsatz das Blatt wenden könnte, und es gibt tausend gute Gründe gegen einen solchen Einsatz. Ganz sicher wird die NATO sich Gedanken machen müssen, was sie im Fall eines Angriffs auf eines ihre Länder macht, und einer von diesen tausend guten Gründen ist, dass sie genau deshalb nicht auch noch in der Ukraine intervenieren kann. Dazu hat sie nicht die Kapazitäten, auch wenn es angesichts der hohen Ausgaben für Rüstung in der EU und noch mehr in den USA erstaunlich klingen mag. Zwei Dinge werden auch von Experten offenbar leicht vergessen, die viel zu sehr episodisch-kleinteilig denken: Eine Diktatur kann sich ganz schnell auf Kriegswirtschaft umstellen, Demokratien brauchen dazu länger, vor allem in den heutigen, bürokratisch und sogar umwelttechnisch hochkomplexen Zeiten. Und in den Demokratien muss die Bevölkerung mitgenommen werden. Man kann nicht, wie Wladimir Putin das tut, durch eine gefakte Wahl einfach mal 87 Prozent Zustimmung simulieren.

Vielleicht kommt doch der wirtschaftliche Knall in Russland noch. Glauben Sie das, angesichts des erneuten Schulterschlusses zwischen Putin und Xi Jinping, dem Staatschef des mächtigen China? Viel eher wird es dazu kommen, dass ein Rechtsruck in Europa und den USA dazu führt, dass Deutschland nicht nur bei der Ukraineunterstützung, wie bisher, ganz vorne dabei ist, sondern auch zunehmend isoliert. Das sind alles keine moralischen Kategorien, deshalb auch heute wieder: Natürlich hat die Ukraine das Recht, sich zu verteidigen. Nicht nur, soweit ihre eigenen Kräfte reichen, mit nur diesen hätte sie nie so lange standhalten können. Aber es gibt eben eine Grenze, und die ist nach unserer Ansicht mittlerweile erreicht.

Geradezu lächerlich, wie die neoliberale Spar-Ideologenpartei FDP, die auch beim Sparen immer scharf die Kapitalinteressen im Blick hat, plötzlich doch Geld findet, um 4 Milliarden mehr an die Ukraine auskehren zu können und dass dafür angeblich keine neuen Kredite aufgenommen werden. Der Spin ist ebenso klar wir unfassbar: Die Ukraine hat Priorität und es wird uns verkauft, dass, ebenso wie am Hindukusch, wo es gründlich schiefging, auch in der Ukraine die deutsche Demokratie verteidigt wird. Unterschied: Damals hat man sich mit dem Einsatz eigener Soldaten zu dieser Demokratieverteidigung bekannt, auch wenn der Einsatz, wie wir jetzt alle wissen, ein teurer Fehler war.

Wer die deutsche Demokratie in der Ukraine verteidigen will, der soll dort Abhilfe schaffen, wo es am dringendsten ist. Beim Personalmangel. Christian Lindner ist Offizier der Bundeswehr gewesen,nun Major der Reserve,  er wäre der erste, der sich jetzt als alter Kämpfer mit Erfahrung melden und and die Front gehen sollte, wenn er das, was er sagt, wirklich glaubt und nicht denen verkaufen will, die die Last des Ukrainekrieges tragen müssen.. Kostensparend einen Mitfahrplatz nach Kiew könnte er Marie-Agnes Strack-Zimmermann anbieten, denn es ist ja im obigen Text ausdrücklich von Soldat:innen, nicht von Soldaten die Rede. Damit wäre die Rüstungsindustrie dann ziemlich direkt vor Ort vertreten und Lindners Kameradin könnte ihre Bestellungen direkt bei Rheinmetall & Co. aufgeben. Noch mehr kann man der Ukraine kaum helfen. Die beiden werden dann in ihrem Schützengraben sitzen und sich wundern, warum es nicht vorangeht mit der Rückeroberung der russisch besetzten Gebiete, trotz der Direktbestellungen bei den Waffenschmieden.

Wenn wir den Westen für lernfähig halten würden, wäre die beste Empfehlung in der aktuellen Lage, da man sich niemals direkt engagieren wird, endlich einzusehen, dass die Ukraine nicht zu halten sein wird. Es kommt nur noch darauf an, wieviel davon Russland sich einverleiben oder Satellitenrepubliken gründen lassen wird. Sicher ist der Grad der Besetzung ein wichtiger Punkt in Friedensverhandlungen, wenn es so bliebe wie jetzt, könnte man es sogar als Teilerfolg darstellen. Wird es aber nicht, weil der Westen sich festgefahren hat und Putin keinen Grund hat, ernsthaft zu verhandeln. Und ein Typ wie Putin verhandelt nicht, wenn er es nicht muss. Er verhandelt nicht, um Blutvergießen zu vermeiden, sondern wenn er in der Defensive ist. Das ist aber in der Ukraine nicht der Fall.

4 Milliarden mehr aus Deutschland werden daran nichts ändern. 40 Milliarden mehr an Gesamthilfen aus Deutschland werden daran nichts ändern. Warum haben wir dann nicht mit „eindeutig nein“ gestimmt? Weil natürlich alles der aktuellen Lageeinschätzung unterliegt. Es gibt tatsächlich eine Variante, bei der wir unsere Meinung ändern würden. Nämlich, wenn die NATO direkt eingreifen würde. Dann muss sogar mehr Geld ausgegeben werden, sonst wird Deutschland sich tatsächlich eine weitere Niederlage in seiner Geschichte einfahren, nicht nur eine behauptete, wie jetzt. Der Ukraine geholfen zu haben und sie wird besiegt, ist auch eine Niederlage, aber nicht im dem Maße wie ein halbherzig geführter Krieg. Ja, wir schreiben „Krieg“. Wer den Krieg mit eigenem Einsatz  nicht will, aber immer weiter Geld in einen Krieg pumpt, der heuchelt. Dem nehmen wir nicht ab, dass es ihm um die deutsche Demokratie geht, in der Ukraine. Eher wird die deutsche Demokratie Schaden nehmen, wenn hier überall weiter kaputtgespart wird und das Geld woanders in immerwährenden Gegenangriffen verpulvert wird, die am Ende doch nichts bringen werden. Wenn die USA es nicht schaffen werden, mit dem nunmehr doch freigegebenen 60-Milliarden-Dollar-Riesenpaket die Ukraine zu stabilisieren, und danach sieht es derzeit nicht aus, dann werden es die Deutschen mit 4 Milliarden auch nicht schaffen. Bei den Summen, mit denen bei uns mittlerweile hantiert wird, könnte man natürlich auch sagen: Kommt’s darauf an?

Ja, kommt es. Denn irgendwo muss eine Grenze gezogen werden. Schließlich laufen die anderen Leistungen, läuft das, was Deutschland via EU in die Ukraine transferiert, läuft die Versorgung der 1,2 Millionen Geflüchteten in Deutschland, läuft der wirtschaftliche Schaden durch den Ukrainekrieg immer weiter. und alles zusammen produziert monatlich Milliardenkosten. Vieles davon lässt sich gar nicht mehr stoppen, aber jetzt noch eins draufsetzen, ohne den Krieg wirklich gewinnen zu wollen, das geht nicht. Das ist verrückt, offen geschrieben.

Und da plakatiert die SPD für die Europawahl mit „Frieden“. Kommt darauf an, was man darunter versteht, wie immer. Wir sagen ja auch nicht, Frieden ist die Abwesenheit von Krieg, wenn der Frieden durch Besetzung erzwungen wurde. Frieden kann eine ganz unterschiedliche, gute oder nicht akzeptable Qualität haben. Uns geht es auch nicht, wie vorgeblich der Linken und der AfD, um die Angst, dass der Ukrainekrieg sich ausweitet. Das wird auch Putins auf Krieg getrimmtes Russland nicht schaffen. Aber wir denken realistisch darüber nach, wie hoch der Preis noch sein darf, wenn er ohnehin abgeschrieben werden muss.

Ein Argument gibt es aber noch, es gab für uns nicht den Ausschlag: Man kauft sich mit der Unterstützung der Ukraine Zeit, um die Ostflanke der NATO sicherer zu machen. Das ist aber ein Balanceakt, weil alles, was in die Ukraine transferiert wird, dort fehlen könnte. Man kann das Argument also auch umdrehen und sagen, die NATO schwächt sich gerade durch die Ukraineunterstützung, anstatt sich konsequent für danach zu rüsten und weitere Überfälle überzeugend abzuwehren zu können.

TH

 

 

 

 

 

 

 

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