Der Teufel hat den Schnaps gemacht – Polizeiruf 110 Episode 69 #Crimetime 933 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #DDR #Bergmann #Fuchs #Teufel #Schnaps

Crimetime 933 - Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD

Schonungslos versoffen

Es muss schon ein besonderer Film der Reihe Polizeiruf sein, wenn der Titel dem eines Songtextes von Udo Jürgens aus dem Jahr 1973 nachgebildet ist, denn der war im Westen tätig und damit ist, sehr subtil, auch ausgesagt, dass Alkoholismus mindestens ein gesamtdeutsches Problem ist. Aber im Westen wurde es nicht so schonungslos behandelt wie in einigen Polizeirufen der Vorwendezeit. Es läuft sehr häufig mit, ist nicht selten tödlich oder führt zu zerstörten Familien, aber Manfred Mosblech hat erstmals einen Alkoholiker zentral und in dieser Eigenschaft in den Mittelpunkt eines Films der Reihe gesetzt. Eine Frau mit Alkoholsucht wurde erstmalig 1987 porträtiert („Unheil aus der Flasche„), der dritte Film dieser Art war „Flüssige Waffe„, der im Folgejahr erschien. Wie steht dieser Film heute, fast 40 Jahre später, da? Wir schreiben es in der -> Rezension auf. 

Handlung

Der Alkoholiker Theo Lute hinterlässt seiner Frau einen Brief, in dem er den Mord an einem Menschen gesteht, und verschwindet. Er will sich umbringen, entscheidet sich jedoch anders. Seine Armbanduhr tauscht er gegen zwei Flaschen Schnaps und wird schließlich betrunken und angeschlagen in Berlin gefunden. Auf der Polizeiwache berichtet er Hauptmann Peter Fuchs schließlich, dass er eine Frau getötet habe. Diese wurde inzwischen nach großangelegter Suche gefunden. Es handelt sich um die alleinerziehende junge Mutter Hilde Ziehlke, die im Dorf für ihre Affären bekannt war und ein uneheliches Kind hat. Neben Theo ist auch dessen Freund Eugen Zoch der Tat verdächtig, traf Hilde doch mit beiden Männern in Eugens Ferienhaus am See zusammen. In Eugens Bett lag ein Ohrclip von Hilde. Ein Zeuge sah zudem beide Männer Hildes Fahrrad im See versenken. Theo erzählt die gesamte Geschichte.

Nach dem Unfalltod seines achtjährigen Sohnes verfiel Theo dem Alkohol. Seine Frau, die er für den Tod des Sohnes mitverantwortlich machte, begann er zu ignorieren. Bald griff auch sie zur Flasche, damit Theo nicht so viel trinken konnte. Beide leiteten eine Autowerkstatt, hielten Theos Krankheit jedoch geheim. Sie wurde bald zum Problem, da Theo auch während der Arbeit nicht vom Trinken lassen konnte. Als Theo seiner Frau vorschlug, mal wieder ein Wochenende bei seinem Freund Eugen zu verbringen, war sie wenig begeistert. Eugen verleitet Theo regelmäßig zum exzessiven Trinken. Auch die beiden Tage in Eugens Hütte machten da keine Ausnahme. Eugen holte jedoch Hilde dazu und schlief mit ihr, während Theo unkontrolliert trank. Als Hilde gehen wollte, drängte Theo darauf, sie ein Stück zu begleiten. Er versuchte ihr betrunken klarzumachen, dass sie mit ihrem kleinen Sohn die Idealfrau für ihn ist. Als sie ihn abwehrte, fiel er schließlich über sie her, vergewaltigte sie und brach ihr dabei unbeabsichtigt das Genick. Am nächsten Morgen gestand er Eugen den Mord und der versenkte die Leiche im See, damit seine Karriere nicht gefährdet wird. Er redete Theo aus, zur Polizei zu gehen, doch konnte der die Last auf seinem Gewissen nicht verdrängen. Theo wird festgenommen, doch auch Eugen wird von Peter Fuchs eine moralische Schuld zugesprochen.

2021-02-04 Crimetime 2021Rezension

Manfred Mosblech war ein Pionier-Regisseur und für uns einer der besten, die für die Reihe „Polizeiruf 110“ gearbeitet haben. Nicht nur der erste „Alkoholismus-Polizeiruf“ geht auf sein Konto, er drehte mit „Gesichter im Zwielicht“ auch den ersten Farbfilm (1973) und mit „Der Mann im Baum“ den ersten Krimi, der teilweise aus der Sicht eine Sexualtraftäters erzählt wird. Sexualdelikte spielten auch vorher schon eine Rolle, aber das Einsteigen in eine Serientäterfigur wagte Mosblech als erster. Mit „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ und „Der Mann im Baum“ hat er Kontroversen erzeugt, aber verdienstvolle Darstellungen gewagt, die zum Krimi-Vermächtnis der DDR zählen. Wichtig ist das auch, weil es keine Vorbilder dafür in der Parallelreihe „Tatort“ aus Westdeutschland gibt.

Uns ist kein Tatort bekannt, der vor der Wende einen Serienkiller als kranken Menschen aus der Innensicht porträtiert oder das Thema Alkohol so schrecklich dargestellt hat, wie es wirklich ist. Selbst das Lied von Udo Jürgens, auf dem Höhepunkt seiner Schlagersänger-Karriere erschienen, wirkt viel sanfter als der 69. Polizeiruf, zumal man seinerzeit nicht auf die Idee kam, es auf den Künstler selbst zu beziehen, der nach allem, was man weiß, kein Alkoholproblem hatte. Anders wäre es gewesen, wenn Harald Juhnke es gesungen hätte, der später in dem Fernsehfilm „Der Trinker“ quasi sich selbst gespielt hat.

Wir hatten im Verlauf des Films gehofft, es würde auf die nicht unübliche Wendung hinauslaufen, dass der Mann, der zu viel gesoffen, hat, eben nicht für den Tod der Frau verantwortlich ist, sondern dass es sein ziemlich gewissenloser Freund war, der mit ihr geschlafen hatte. Die Polizei geht von einem Sexualdelikt aus, es war aber keines: Der Mann, der kurz vor dem Tod Geschlechtsverkehr mit ihr hatte, war nicht derjenige, der sie umbrachte. Nein, es war wirklich der Trinker, der sie – wiewohl unabsichtlich – tötete. Ein ganz einfacher Fall, so gestaltet, um die Konzentration auf die unglücklichen Menschen zu legen, die hier im Mittelpunkt stehen. Neben dem Alkoholiker dessen Frau, die eine Co-Abhängigkeit entwickelt, und man erfährt, wie alles kam: Durch den Unfalltod des einzigen Kindes. Obwohl die Eheleute eine Reparaturwerkstatt führen und damit eine Aufgabe haben, eine anspruchsvolle, wie wir aus anderen Polizeirufen wissen, weil immer mit der Materialversorgung gerungen wurde, kommen sie mit dem Tod des Junge nicht klar. Schuldzuweisungen, geplatzte Lebensträume, die Unfähigkeit, sich neue Ziele zu setzen, alles menschlich und es führt zu millionenfachem Drogenmissbrauch. Es ist alles nachvollziehbar, manches exemplarisch, einiges schmerzhaft, sehr schmerzhaft anzuschauen. 

Kein Wunder, dass der Film nach seinem Erscheinen heftig diskutiert wurde – uns hat es etwas gewundert, dass er die Zensur in gegebener Form passieren konnte, denn es gibt nicht eine einzige Sekunde, keinen Hinweis darauf, dass das System den Menschen hätte Halt geben können. Im Gegenteil, derjenige mit der „Position“, einem Managerposten in einem Bekleidungs-VEB, der von Oberleutnant Bergmann wegen seines schicken Anzugs aus eigener Produktion bewundert wird, ist ein herzloser Typ, der seine Frau betrügt und den kranken Freund benutzt, um lustige Wochenenden zu verbringen – und ihn als Alibi missbraucht. Deswegen bittet er ihm auch, nach der fahrlässigen Tötung, nicht zur Polizei zu gehen – damit sein Verhältnis zu einer alleinerziehenden Nachbarin nicht auffliegt. Denn strafrechtlich hat er sich nichts zuschulden kommen lassen. Egoismus ist die Triebfeder und beinahe hätte er den Freund auf dem Gewissen gehabt, der sich umbringen wollte. Aber es ist ja ein kleines Gewissen, das sich nicht so beschweren lässt. 

Und wie verhalten sich die Polizisten? Mosblech lässt seinen Lieblingsschauspieler Jürgen Zartmann als Oberleutnant Bergmann so zurückhaltend, so nett agieren, das fanden wir richtig klasse, das ist sehr modern gespielt, die Regie hält ihn sichtbar aus dem Ideologischen und sogar aus den Bewertungen heraus. Dafür ist dann Hauptmann Fuch zuständig, der sich etwas echauffieren muss, was eigentlich auch gegen den Typ ist, den Peter Borgelt in der Reihe spielt – manchmal, ja, aber nur so konnte der Film wahrscheinlich freigegeben werden: Indem klargestellt wird, dass Alkoholismus keine Schuldunfähigkeit hervorruft. Das westdeutsche und das heutige Recht sind diesbezüglich differenzierter, zumindest als das, was Fuchs hier aussagt: Bei sehr hohen Promille-Werten kann Schuldunfähigkeit vorliegen, bei etwas geringeren verminderte Schuldunfähigkeit. Nach heutigem Recht wäre Theo Lute vermutlich im Maßregelvollzug gelandet und therapiert worden – im Grunde deutet Fuchs auch an, dass „der Mann fertig ist“ und vor allem Hilfe braucht. 

Finale

Ein schöner Film ist „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ ganz sicher nicht, und es gibt in der Tat auch Polizeirufe, die etwas Reizvolles und Humorvolles haben, Momente, in denen man auch wegen subversiver Elemente schmunzeln muss, die in den West-Tatorten dieser Epoche kaum entdeckt werden können – man durfte in jenen Jahren vieles offen zeigen, aber niemand hatte wohl Interesse daran, Alkoholkonsum auf diese Weise zu thematisieren. Im Westen wurde er sicherlich auch weit weniger als gesellschaftlicher Störfaktor bewertet als von offizieller Seite in der DDR.

Ob im Osten vor der Wende wirklich mehr getrunken wurde als im Westen, nur, weil es in den Polizeirufen so häufig vorkommt, können wir schlecht einschätzen, aber es ist durchaus möglich, dass es gravierendere Folgen hatte als in einem westlichen Land, in dem es so viele Möglichkeiten gab, Alkohol auch in hochwertiger Form als Teil gesellschaftlicher Konventionen ins Sozialleben zu integrieren und seinen „Genuss“ damit sozusagen zu veredeln. Im Südwesten, wo wir herstammen, geschah und geschieht das vor allem durch das Zelebrieren der Weinkennerschaft – was nicht heißt, dass nicht auch Bier und harte Getränke im Übermaß konsumiert werden. Die Verteilung ist in den Regionen eben etwas different. 

„Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ spiegelt nicht zuletzt die Tatsache, dass die Poliizeirufe sich im Laufe der Jahre immer mehr zu Dramen entwickelt haben; die Täter und ihr Umfeld werden immer mehr ausdifferenziert, Filme wie „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ sind wichtige Marksteine auf diesem Weg gewesen. Später wurde das noch verfeinert, aber die Inszenierungskunst von Manfred Mosblech, der nicht nur die Darsteller zu nicht gerade einfach zu erbringenden Leistungen führt, sondern auch ein gutes Timing beweist, an entscheidenden Stellen  Handlungssprünge einbaut und die letzten beiden Tage vor dem Tötungsgeschehen als Rückblende anlegt, sorgen dafür, dass man dem Film künstlerisch nicht viel ankreiden kann – ein bisschen aufdringlicher, wenn man das Dezidierte negativ beschreiben will, als in den Tatorten werden Gefühle in den Polizeirufen fast immer gezeigt. Der Stil der Polizeirufe war anfangs knackiger und einfacher, aber bis zur Zusammenführung ab 1990 blieben Unterschiede. Wichtige Unterschiede, die zum Verständnis der Alltagskultur beider Staaten beitragen.

8,5/10

© 2021 (Entwurf 2020) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Manfred Mosblech
Drehbuch Manfred Mosblech
Produktion Volkmar Leweck
Musik Hartmut Behrsing
Kamera Günter Eisinger
Schnitt Margrit Brusendorf
Besetzung

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