Crimetime Vorschau - Titelfoto © NDR, Christine Schröder
Ein weiteres Highlight von der Ostseeküste scheint auf uns zuzukommen
„Jetzt reicht’s! Sabine, alleinerziehende Mutter und trotz zweier Jobs in Armut lebend, dreht durch. Die Rostocker Ermittler Sascha Bukow (Charly Hübner) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) tappen im NDR-Polizeiruf 110 lange Zeit im Dunkeln, wer die Person ist, die vermeintlich wahllos Menschen in der Hansestadt killt. Sabines Amoklauf wird am Sonntag, den 14. März 2021 um 20.15 Uhr erstmalig in Das Erste ausgestrahlt.“
Mit dieser knalligen Einleitung der Redaktion von Tatort-Fans scheint eines klar: Um einen Whodunit (Wer hat’s getan?) handelt es sich nicht, sonst würde die Täterperson nicht hier und in anderen Publikationen bereits benannt. Es geht wohl eher um das: Wie kriegt man sie (How to catch her) und welchen Hintergrund haben ihre Taten (Why her?). Die Redaktion von Tatort-Fans gibt 4/5 und eine Empfehlung und wir haben Sabine ins Titelbild gesetzt – regelmäßig gilt unser Aufmacherfoto den Haupt-Ermittlerpersonen einer Polizeiruf- oder Tatortschiene.
Der Film wurde bereits während der Corona-Zeit gedreht, im September 2020. Ich bin gespannt, ob man das im Film sieht bzw. ob es thematisiert wird oder ob man der nach meiner Ansicht nicht ganz schlüssigen Linie folgt, die wir in der Vorschau zum Tatort „Borowski und die Angst der weißen Männer“ erwähnt haben, dass man Corona möglichst aus den Filmen raushalten will, weil sie sonst angeblich in ein paar Jahren niemand mehr sehen möchte. Immerhin werden nun zwei NDR-Krimis an aufeinander folgenden Sonntagen Premiere feiern und ich gehe davon aus, dass die Reihenfolge ursprünglich nicht so geplant war – ebenjenes unausweichliche Virus hat auch hier zu einer Änderung geführt.
Weitere Vorab-Kritiken, die am 10.03. schon zu lesen sind, gleichen sich exakt, weil sie alle von dpa-infocom stammen und die Überschrift lautet einheitlich: „Sabine schießt zurück“. Das habe ich so häufig gelesen, dass ich dachte, die Titelnennung „Sabine“ sei nicht vollständig und die Täterperson würde schon per Überschrift offenbart. In den Kritiken nach dpa, hier stellvertretend „Die Zeit„, ist von einem maximal trostlos dargestellten Rostock in Abwärtsbewegung (eine Werft schließt) die Rede, von einem weiteren Hin und Her und wenig Romantik zwischen Bukow und König, trotz des verheißungsvollen Endes von „Der Tag wird kommen„, und davon, wie die Hauptfigur Sabine das Publikum an sich zieht, obwohl sie tötet. Am Ende bleibt nur das weite Meer. In welcher Form? Das werden wir sehen. Und damit weiter zu den Kritiken.
„Das Ermittlerduo Katrin König und Sascha Bukow hat es im neuen Polizeiruf aus Rostock gleich mit zwei Herausforderungen zu tun: zum einen mit sich selbst, denn beide haben einiges zu klären, zum anderen geht es um Sabine: Die Alleinerziehende rackert sich ab und wird doch ständig übersehen. Wer auf düstere Krimis steht, ist hier absolut richtig, findet Polizeiruf-Checker Stefan Hoyer“, der dieses Mal die Kritik für den SWR3-Check geschrieben hat und macht einen gefährlichen Mix aus Demütigung, Erschöpfung und Wut aus. Und vergibt am Ende die bestmögliche Zahl von fünf Elchen für einen sehenswerten Krimi. Dass Bukow und König mit dem Kuss vom letzten Mal nicht „durch“ sind, war beinahe zu erwarten. Die beiden sind als herzlich gegenseitig zugeneigte und doch so häufig verstimmte Cops einfach zu ergiebig. „Wild at Heart“ als typisch deutscher Hindernis-Dauerlauf, bei dem man nach zehn Jahren das Ziel noch nicht vor Augen hat.
„Vom Glück des Mordens“ titelt Christian Buß im Spiegel: „Sabine hört die Signale und macht sich auf zum letzten Gefecht: Der »Polizeiruf« zeigt eine ausgebeutete Mutter, die auf den Rachefeldzug geht. Der Krimi zu unserer Zeit.“ Das klingt schon mal vielversprechend, denn wer will einen Krimi sehen, der gänzlich aus der Zeit gefallen ist? Und das in einer Zeit, die so aus der Zeit gefallen scheint? Unter dem Subtitel „Eine Frau ihrer Klasse“ schreibt Buß Worte, die mich geradezu berührt haben. So, wie der Film offensichtlich ihn. 10/10 habe ich noch nicht gesehen, seit wir seine Kritiken für die Vorschau referieren. Trotz der überschießenden Selbstermächtigung der Protagonistin in einem barbarischen Klassenkampf sieht er noch einen Platz für Liebe, für die Solidarität, für ein Wir.
Das ist allerdings nicht ungefährlich: Die Rostocker Bukowski-Fraktion kann wirklich alles in ihrer Emotionalität auflösen, auch ebenjenen Klassenkampf, ohne dass damit jemandem geholfen wäre, außer, dass man vielleicht für 90 Minuten vom Self-Empowerment träumen darf und sich damit bescheidet. Offensichtlich wird mit etwas gespielt, das schon viele von uns durchdacht haben, aber nie tun würden. Oder was nur Wirklichkeit werden könnte, wenn sehr viel Außergewöhnliches zusammentrifft und auch dann bei weitem nicht bei allen jenen, die Grund hätten, radikal zu werden. Da jedoch immer häufiger Außergewöhnliches zusammentrifft, wird die Lage zunehmend unruhiger. Gleichzeitig wirkt der Plot amerikanisch und funktioniert auch deshalb so gut. Von Steven Kings Rachteteufel*innen und Berserkern wie „D-Fens“ wird vermutlich einiges gecovert, was mittlerweile in unser kollektives Unterbewusstsein als Medienrezipienten eingegangen ist.
Rainer Tittelbach hingegen hat es sich nicht nehmen lassen, selbst für seine Publikation „Tittelbach TV“ zu schreiben und covert meine zuvor geäußerten Bedenken: Gesellschaftskritik im Krimi ist im Ergebnis häufig allenfalls gut gemeint, hier ist sie – angelegt im Drehbuch von Florian Oeller – dramaturgisch wie krimitechnisch äußerst überzeugend. Es werden nicht viele Worte gemacht. Sehen & Verstehen ist das ästhetische Prinzip von Stefan Schallers Film. Der Rostocker Realismus dominiert. Viel Handkamera, ganz nah ran an die Schauspieler. Und die sind – allen voran Luise Heyer – grandios.
Keine Frage, dass eine überzeugende Darstellung wichtig ist, um Extremsituation und Menschen, die sich in ihnen zu Extremisten entwickeln, glaubhaft zu machen, vor allem für Menschen, die doch eher in der Mitte dahindümpeln. Offenbar ist das dieses Mal in Rostock besonders gut gelungen und man kann es auch so sehen: Dadurch, dass Bukow und König fast immer im Ausnahmezustand sind, bereiten sie das Publikum gut darauf vor, dass es anderen und vielleicht, irgendwann, irgendwo, wenn zu viel geschehen ist, was man nicht mehr erträgt, einem selbst so gehen könnte. Nichts kommt von nichts. 5/6 Sterne von Tittelbach-TV.
TH
Handlung
Sabine rackert sich ab, bei der Arbeit, für ihren Sohn Jonas – und wird doch ständig übersehen. Als die Schließung der Rostocker Arunia-Werft droht, in der sie als Servicekraft arbeitet, ist das wie der letzte Funke, der sie in Brand setzt.
Ihre Verzweiflung lässt sie zur Waffe greifen – gegen „alle Arschlöcher“ in ihrer Welt und sie fühlt das erste Mal Freiheit. Katrin König und Sascha Bukow arbeiten gegen die Zeit, denn Sabine hört nicht auf zu töten und es dauert, bis sie überhaupt auf sie kommen. Wer hätte dieser schüchternen Frau solche Taten zugetraut?
Neben diesem nervenraubenden Fall gibt es auch noch andere Probleme: Sascha tut sich schwer mit dem Abschied von seinem Vater. Und auch zwischen König und Bukow gibt es so einiges zu klären.
Katrin König | Anneke Kim Sarnau |
Alexander Bukow | Charly Hübner |
Anton Pöschel | Andreas Guenther |
Volker Thiesler | Josef Heynert |
Henning Röder | Uwe Preuss |
Sabine Brenner | Luise Heyer |
Melly Böwe | Lina Beckmann |
Hannes Hegeloh | Alexander Hörbe |
Anja Ritter | Lea Willkowsky |
Paul Lettcke | Lucas Prisor |
Evin Yilmaz | Sara Fazilat |
Mike Brenner | Hendrik Heutmann |
Funktionsbereich | Name des Stabmitglieds |
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Musik: | Johannes Lehniger |
Sebastian Damerius | |
Kamera: | Tim Kuhn |
Buch: | Florian Oeller |
Regie: | Stefan Schaller |