Denen man nicht vergibt (The Unforgiven, USA 1960) #Filmfest 511

Filmfest 511 Cinema

Denen man nicht vergibt ist ein US-amerikanischer Western aus dem Jahr 1960 unter der Regie von John Huston. Grundlage der Verfilmung ist der Roman The Unforgiven von Alan Le May aus dem Jahr 1957.

Die Nachrecherche zu einem Film kann durchaus Probleme mit sich bringen. Wir hatten vor, in etwa an folgender Linie entlang zu schreiben: Dies ist eines der komplexesten Westerndramen, die bis zu dem Zeitpunkt (1960) in den USA gedreht wurden. Trotz des umfangreichen Finales mit sehr vielen toten Native Americans ist es auch mehr ein Drama, wenn man so will, ein Gesellschaftsdrama, als ein Western. Warum? Weil das Spiel der Darsteller, vor allem das von Audrey Hepburn, deutlich mehr den Konventionenen entspricht, wie sie sich in den 1950ern für Literaturverfilmungen entwickelt haben, als einer typischen Frauenrolle im Western. Sie spielt sehr intensiv, aber gewöhnungsbedürftig, wenn man es aus dem Genreblickwinkel betrachtet. Und was hat das mit der Recherche zu tun? Wir versuchen, es in der –> Rezension zu erläutern.

Handlung (1)

Im Norden von Texas („panhandle“-Region) nach Ende des Bürgerkriegs: Während der für die Ranch verantwortliche Ben Zachary aus geschäftlichen Gründen in Wichita weilt und dessen jüngere Brüder Cash sowie Andy ihrer Cowboy-Arbeit nachgehen, hat Schwester Rachel beim Ausritt mit ihrem weißen Hengst eine merkwürdige Begegnung: Ein geheimnisvoller Alter, ein Säbeltragender und biblische Sprüche Zitierender versteigt sich zu der Behauptung, sie sei gar keine Zachary. Zurück im direkt in einen Hügel gebauten Ranchgebäude wird sie von ihrer Mutter Mattilda beruhigt, es habe sich um einen einsamen Herumtreiber gehandelt, wie es sie nach dem Krieg häufig gegeben habe. In Wirklichkeit aber schwant der alten Witwe, dass mehr hinter dem Fremden stecken könnte. Und als dieser auch noch dreist vor ihr erscheint, hat sie die Gewissheit: Es ist Abe Kelsey, der einst mit ihrem Mann William Zachary ein Vergeltungs-Massaker an den Kiowa verübte und nur ein kleines Baby verschont gelassen hatte, welches dann von den Zacharys adoptiert und großgezogen wurde – Rachel.

Niemand außer Mattilda — erst recht nicht Rachel — weiß von diesem Umstand und sollte auch besser nicht bekannt werden, zumal der bei den weißen Rinderzüchtern äußerst unbeliebte Stamm der Kiowa im Laufe der Jahre immer wieder Überfälle begangen hatte.

Zunächst aber geht alles seinen gewohnten Gang. Ben kehrt zufrieden aus Wichita zurück und überrascht „seine beiden Frauen“ mit einem bei einer Wette gewonnenen Klavier; wenig später kommen die Nachbarn von der Rawlins-Familie zu einem Besuch, bei dem es auch um eventuelle Vermählungen geht: Die rothaarige Rawlins-Tochter Georgia zeigt immerhin einiges Interesse an dem trinkfreudigen und großmäuligen Cash, doch ernsthafter in Erwägung gezogen wird eine Liaison zwischen Rachel und dem schüchternen Charlie Rawlins.

Als das Gespräch auf den seltsamen Fremden kommt, ist die bis dahin gute Stimmung dahin, zumal Mattilda, die ihr Wissen auf keinen Fall preisgeben will, sich kurzerhand ans Klavier „flüchtet“.

In der darauffolgenden Nacht allerdings macht sich der misstrauisch gewordene Ben mit Cash auf die Suche. Tatsächlich finden sie Kelsey in der von Kakteen überwucherten Wildnis und können sein Pferd töten, verlieren aber seine Spur in einem heftigen Sandsturm wieder. An einem anderen Tag kommt es beim Zureiten eines Wildpferdes zu Spannungen zwischen Cash – durch den Tod seines Vaters während einer Kiowa-Attacke zum Indianerhasser Gewordenen – und Johnny Portugal, einem rothäutigen Pferde-Experten, den Ben ursprünglich in Wichita angeheuert hatte. Dieser wird dann auch von Ben zurechtgestutzt, weil er sich eine kecke Bemerkungen in Bezug auf Rachel geleistet hatte, darf aber seinen Job zum Unwillen von Cash behalten.

Derweil stiehlt Kelsey unbemerkt Rachels Pferd, so dass diese mit Ben, für den sie mehr als geschwisterliche Gefühle hegt, den Rückweg antreten muss. Auch Ben erscheint nicht nur als ihr Beschützer, gibt aber nun überraschend sein „Okay“ zum vermutlich unmittelbar bevorstehenden Antrag Charlies.

Während die Zacharys beim Abendbrot versammelt sind, erscheinen plötzlich drei Kiowas auf dem Ranchgelände; ihr Anführer namens Lost Bird verlangt, offensichtlich von Kelsey informiert, vom verdutzten Ben die Herausgabe Rachels, was dieser entschieden verweigert. Das Auftauchen der Indianer nach langer Abwesenheit sorgt für Unruhe, auch unter den Angestellten von Zeb Rawlins, dem Patriarchen der Nachbarfamilie. Derweil macht sich Charlie auf den Weg zu den Zacharys, um seinen Heiratsantrag offiziell zu formulieren. Nach Rachels Einwilligung tritt er beschwingt den Rückweg an, wird jedoch von einem Kiowa-Pfeil getötet. Als die gesamte Zachary-Familie ihr Beileid bekunden will, kommt es zum Eklat: Die Mutter des Toten beschimpft Rachel als „Kiowa-Squaw“ und „rothäutige Niggerin“, und Ben kann den Bruch mit seinem Geschäftspartner Zeb vorerst nur verhindern, weil er einen Suchtrupp zusammenstellt, um Jagd auf Kelsey zu machen, damit sämtliche Anschuldigungen widerlegt werden (Ben kennt nur die Version, dass Rachel ein Findelkind massakrierter Weißer ist).

Die nicht einfache Aufspürung des Unheilstifters gelingt, weil Johnny Portugal nach einer entdeckten Spur mit dem Zugriff beauftragt wird; er kann dank seiner mitgeführten Reservepferde den Fliehenden einfangen. Auf die Rawlins-Ranch gebracht, wird diesem rasch der Strick um den Hals gelegt – das übliche Schicksal eines Pferdediebs. Kelsey aber weist den Vorwurf zurück, schließlich habe er Rachel bestohlen, und die sei eine Kiowa. (…) 

 Rezension

Gegen das Spiel von Audrey Hepburn ist prinzipiell nichts einzuwenden, auch wenn man immer wieder denkt, sie wirkt etwas zu grazil und emotional und verspielt für ein Mädchen, das auf einer rauen Pionierfarm mit nur einem oder zwei Räumen zusammen mit lauter Männern aufgewachsen ist. Die Adoptivmutter, gespielt von Stummfilmstar Lilian Gish, ausgenommen. Aber der Film hat eben etwas Theaterhaftes. Bei Burt Lancaster kommt das aufgrund seiner anderen Physis und Ausstrahlung nicht ganz so durch.

Soweit müssen wir auch nicht über das nachdenken, was wir ursprünglich zu schreiben beabsichtigten. Aber was uns einerseits beeindruckt hat, andererseits etwas ratlos zurückgelassen, nämlich die moralische Ambivalenz des Films, scheint offenbar kein grandioser Trick des Meisterregisseurs John Huston gewesen zu sein, der uns zum Nachdenken hin und von einfachen Lösungen und Aussagen wegführen soll. Vielmehr ist der Grund für die Uneindeutigkeit offenbar produktionsseitig bedingt:

(…) „Des Weiteren gab es permanent Auseinandersetzungen zwischen Huston und Burt Lancaster bzw. seiner Produktionsfirma darüber, wie der Stoff (das Buch The Unforgiven von Alan Le May, Anm. d. Verf.) zu verfilmen sei. Lancaster und seine Geldgeber wünschten einen kommerziellen und von daher wenig kontroversen Film, während Huston die Verwurzelung des Rassismus in Amerika aufzeigen wollte. Am Ende bekam keine Seite das, was sie eigentlich haben wollte.“ 

Ein wenig seltsam wirkt das schon, weil Burt Lancaster sich ja gerade deshalb mit Harold Hecht und James Hill zusammengetan hatte, weil er interessante, unabhängig produzierte Filme machen wollte, mit denen man die Konventionen der Studios und deren Grenzen erweitern konnte. Allerdings ist eine Gruppe unabhängiger Produzenten schnell ruiniert, wenn ein oder zwei Filme schiefgehen – ein großes Studio kann den einen oder anderen Flop nun einmal auffangen. Vielleicht lohnt ein kleiner Blick in die Geschichte der Hecht-Hill-Lancaster-Produktionsgesellschaft: Nach dem hoch veranlagten „The Sweet Smell of Success“ (1957, Rezension noch nicht veröffentlicht) und dem interessanten, moralisch einfacheren „Run Silent, Run Deep“ (1958, Rezension noch nicht veröffentlicht) hat diese Firma nur noch wenige Kinofilme gemacht, und „The Unforgiven“ war der letzte davon. Das Werk, das Burt Lancaster endlich seinen Oscar als bester Hauptdarsteller einbrachte, „Elmer Gantry“ (ebenfalls 1960), war wieder von einem großen Studio produziert worden (in diesem Fall von der Columbia) oder von anderen Firmen, an denen Lancaster nicht Miteigentümer war (alle diese „unabhängigen“ Filme wurden aber, wie „The Unforgiven“, im Verleih der United Artists vertrieben).

Der begnadete John Huston konnte jedenfalls sein Konzept nicht durchsetzen, weil der Hauptdarsteller und Produzent Angst um sein Geld bekam. Das ist sehr misslich, aber im selben Jahr gab es ähnliche Probleme zwischen Kirk Douglas, der ebenfalls selbst produzierte, und seinem Regisseur Stanley Kubrick bei „Spartacus“ – der aber eindeutig das bessere Werk geworden ist, obwohl sogar teilweise andere Regisseure eingesetzt wurden.

Die Intensität, die man „Denen man nicht vergibt“ also anmerkt, die Souveränität mancher Szenen, ist den Schauspielern, aber auch der Regiekunst von Huston geschuldet, und der Kamera von Franz Planer, die dem Film in Teilen bereits eine realistische, moderne Anmutung verleiht. Aber die höchst unklare Haltung gegenüber den Native Americans ist leider ein großer Mangel. Letztlich bleiben die Kiowas auf eine Weise die Wilden, die im Kino von 1960 schon nicht mehr üblich war. Der Rassist John Wayne ließ sie in seinen Filmen lieber ganz weg, als der Strom der Zeit gegen seine Ansichten war, John Ford hatte Mühe mit ihnen, aber Lancasters politisch ähnlich orientierter Kollege Kirk Douglas hatte schon Mitte der 1950er in „The Indian Fighter“ klar Stellung für die Ureinwohner bezogen.

Hingegen rennen in „The Unforgiven“ Kiowas hier mit 40 Kriegern gegen eine kleine Farm an, die von zwei weißen Männern und zwei weißen Frauen verteidigt wird, um eine dieser Frauen, die sich als eine Kiowa herausgestellt hat, herauszuholen, obwohl ganz klar ist, dass sie das nicht will. Nicht nur dieses übliche Schema, dass ein wirklich sehr kleines Häuflein Weiße reihenweise Indianer töten kann, weil diese erst ganz am Ende über eine höchst fragwürdige Strategie des Frontalangriffs hinauskommen, wirkt in einem Film, der zum Nachdenken über Rassismus anregen sollte, viel zu spekulativ auf uralte Hollywood-Muster abgestellt. Es macht durchaus einen Unterschied, was ein Film sein will, und will er mehr sein als reine Unterhaltung, hat er einen Anspruch, dann stören diese Handlungs-Versatzstücke, die so alt sind wie das Genre, mehr als eben bei einem reinen Unterhaltungsfilm.

Dass niemand von den Nachbarn den Zacharys  zu Hilfe kommt, ist zu wenig zugespitzt, auch wenn der Hintergrund unverkennbar der bornierte Rassismus ist. Nur, wirkt er noch so borniert, wenn die Kiowas durch ihr Verhalten jeden Anlass dazu geben? Wer hat ins Drehbuch den Satz geschrieben, dass die ursprüngliche, lange, lange zurückliegende Aggression unbedingt von den Indianern ausgehen musste?; dieser Überfall, der die Weißen zur Reaktion zwang und dazu führte, dass das kleine Mädchen verwaiste, das Mrs. Zachary annahm und Rachel taufte. Mit dieser allzu bekannten Konstruktion, die 1960 nicht mehr up to Date war, zieht man den Natives den moralischen Boden unter den Füßen weg, und einschließlich dem äußerst verlustreichen Überfall auf die Farm wirken diese Menschen eben so, wie sie in den alten Hollywoodzeiten immer gewirkt haben, und so haben sie es letztlich verdient, dass sie sterben müssen.

Besonders, dass Rachel ihren vermutlich leiblichen Bruder erschießt, macht klar, dass eine familiäre Prägung doch wirksamer ist als die Blutverwandtschaft. Prinzipiell ist nichts dagegen einzuwenden, aber das grobe Unverständnis des Kiowas wirkt stupide und grausam zugleich. Irgendwie passt dann auch das Verhalten von Bens Bruder Cash da rein: Er kann Indianer riechen, mag sie überhaupt nicht, geht von der Farm weg, als sich der Rest seiner Familie schützend vor Rachel stellt und kommt nur zurück, um beim „Indianer“ töten zu helfen. Die Art, wie der das macht, hätte in der Realität zu seinem sicheren Tod geführt, aber es überleben tatsächlich alle Zacharys bis auf die Mutter.

Das wiederum ist deshalb nötig, damit die statuarische Schlussszene gedreht werden konnte: Die Zacharays stehen vor ihrem  zerstörten Haus, das Vieh haben die Gegener sowieso vertrieben, und haben die Wahl, ob sie irgendwo bleiben möchten, wo das Tischtuch mit den Nachbarn zerschnitten ist, oder ob sie den hohen Preis für ihren Zusammenhalt dadurch zahlen wollen, dass sie woanders neu beginnen. Das ist schön gemacht, keine Frage, aber es hätte bis zu diesem Moment einen stringenteren Vorlauf geben müssen. Dass Ben Rachel heiraten wird, mit der er ja nicht verwandt ist, wie sich herausstellt, generiert ein Teil-Happy-End, und das entspricht wiederum der Kovnention, dass die Superstars einander kriegen müssen, sonst grummelt es nach dem Ende des Films doch zu sehr im mit Popcorn gefüllten Zuschauerbauch.

Finale

Den Film eindeutiger zu positionieren, hätte ihn vielleicht zu einem großen Werk gemacht, die Fähigkeiten bei Crew und Darstellern waren vorhanden. Aber dann war man doch auf eine Weise kleinherzig, die gerade einen Regisseur wie John Huston, der so famos stringente, spannende Charaktere entwerfen und aus deren Interaktion maximale Dramatik herausholen konnte („Der Schatz der Sierra Madre“ ist wohl das allerbeste Beispiel dafür, wundervoll aber auch „Asphaltdschungel“ (1950), eine unserer ersten Rezensionen für den „ersten“ Wahlberliner), sehr stören musste.

Was bleibt, ist ein zwiespältiger Film, der weniger überzeugt als manch simpleres Werk, das sich aufs Notwendige beschränkt und sich nicht im Dualismus zwischen Humanität und einer Quasi-Bestätigung für rassistische Ansichten verliert.

64/100

© 2021 (Entwurf 2016) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie John Huston
Drehbuch Ben Maddow
Produktion Harold Hecht
James Hill
Burt Lancaster
Musik Dimitri Tiomkin
Kamera Franz Planer
Schnitt Russell Lloyd
Besetzung

 

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