Ein neuer Stern am Himmel (A Star Is Born, USA 1954) #Filmfest 905 #DGR

Filmfest 905 Cinema – Die große Rezension

Ein Star geht funkelnd unter

Ein neuer Stern am Himmel (Originaltitel: A Star Is Born) ist ein Spielfilm des US-amerikanischen Regisseurs George Cukor aus dem Jahr 1954Judy Garland spielt die Nachwuchssängerin Esther. Norman Maine, dargestellt von James Mason, vermittelt ihr aus Dankbarkeit Probeaufnahmen. Schnell wird die junge Dame ein gefeierter Star. Das Musical ist eine Neuverfilmung von William A. Wellmans Drama Ein Stern geht auf von 1937 und wurde von den Filmstudios Transcona Enterprises und Warner Bros. produziert. Für die musikalische Untermalung waren Harold Arlen und Ira Gershwin zuständig.

Ich mag es ab und zu recht gerne, im Sinne eines Wettbewerbs an Filme heranzugehen. Vor allem, wenn zwei Filme und zwei Stars wirklich im Wettbewerb miteinander standen. Da ich kürzlich „Ein Mädchen vom Lande“ mit Grace Kelly gesehen habe und vor einiger Zeit das „Original“ des  Ein-Stern-wird-Geboren Stoffes aus dem Jahr 1937, kann ich sozusagen doppelt vergleichen und bewerten. Das Ergebnis lesen Sie in der –> Rezension.

Handlung[1]

Bei der Benefizveranstaltung Die Nacht der Stars in Los Angeles geben sich Hollywoods Prominente die Ehre, um Geld zu Gunsten ehemaliger Leinwandstars zu sammeln. Norman Maine ist die Attraktion des Wohltätigkeitsfestes, doch der Schauspieler lässt das Publikum warten und erscheint wenig später betrunken hinter den Kulissen. Maine kann von den Kulissenschiebern nur mit Mühe davon zurückgehalten werden, auf die Bühne zu treten und demoliert kurze Zeit später bei Anwesenheit von Fotografen die Umkleideräume. Währenddessen bereitet sich die zurzeit in der Stadt gastierende Sängerin Esther Blodgett mit dem Glenn Williams Orchestra auf ihren großen Auftritt vor. Als sie mit ihren zwei Partnern den Song You Gotta Have Me Go with You interpretiert, betritt der stark alkoholisierte Norman Maine die Bühne. Esther versucht ihn von der Bühne zu schaffen. Als es ihr nicht gelingt, baut sie den Schauspieler spontan in die Gesangs- und Tanznummer mit ein und verhindert so einen Skandal. Noch vom Alkohol berauscht, bedankt sich Maine nach der Gala bei der Sängerin, die trotz des negativen Erlebnisses beeindruckt von dem Leinwandstar ist. Stunden später sucht der mittlerweile nüchterne Norman Maine Esther bei Proben in einem geschlossenen Nachtclub auf. Der Schauspieler ist fasziniert von ihrem melancholischen Liebeslied The Man that Got Away und glaubt, in Esther das „gewisse Etwas“ zu erkennen, das eine große Künstlerin ausmacht. Er fährt die verwirrte junge Frau nach Hause und kann die Sängerin, die von einer erfolgreichen Plattenaufnahme in einem großen Tonstudio träumt, zum Bleiben überreden. Der Schauspieler will Esther unbedingt zum Film bringen und vereinbart sogleich am nächsten Tag ein Vorsprechen für sie. (…)

Rezension

Dieser selbstreferenzielle Stoff ist sicher die Apotheose dessen, was Hollywood ausmacht und damit auch die Quintessenz des amerikanischen Traums. Viele Filme handeln davon, auch herausragende wie „Sunset Boulevard“ oder „Stadt der Illusionen“ oder auch „Die barfüßige Gräfin„, der im selben Jahr entstand wie „A Star Is Born“. Im Grunde ist „A Star Is Born“ nur eine von vielen Varianten. Aber sie hat die Menschen vermutlich deshalb besonders angesprochen und dadurch bisher fünf Verfilmungen erfahren – wenn man das „Original-Original“ von 1932 mitrechnet, das bereits von einem viel jüngeren George Cukor inszeniert worden war und mit  „What Price Hollywood“ betitelt wurde. Ich habe mal kurz reingeschaut und werde auch diesen Film demnächst rezensieren. Er hat natürlich diese unvergleichliche Knackigkeit und eine gewisse Derbheit, die das Pre-Code-Kino auszeichnete. Demgegenüber ist schon die Version von 1937 melodramatischer und mit mehr Zuckerguss versehen, aber erst dieses 3-Stunden-Werk von 1954! Was sollte da noch kommen? Eine offenbar schwächere Adaption aus dem Jahr 1976, mit der sich Barbra Streisand an ihrem großen Ego verhob, wenn man den Kritiken glaubt,  und, gemäß IMDb-Durchschnittswertung, die einzige Version, die an jene heranreicht, die wir hier besprechen, erst 2018 mit Lady Gaga und Bardley Cooper in den Hauptrollen entstanden. Handeln wir zunächst die oben angesprochenen Vergleiche ab.

Als der Oscar für die beste Hauptdarstellerin an Grace Kelly statt an Garland ging, schickte Groucho Marx Garland ein Telegramm mit der Aufschrift: „Liebe Judy, das ist der größte Raubüberfall seit Brink’s„. [29]

Wenn Groucho Marx, einer der scharfsinnigsten Analysten im Gewand eines Komikers, die je in Hollywood tätig waren, es sagt, muss es stimmen. Und es stimmt. Es ist geradezu herzzerreißend, wie „A Star Is Born“ damit auch auf Judy Garlands Biografie rekurriert und sie in der ihres Filmpartners James Mason spiegelt. Grace Kelly war damals nämlich einer der aufgehenden Sterne, schlagartig bekannt geworden erst zwei Jahre zuvor als Filmpartnerin von Gary Cooper in „High Noon“ und dann mit ihrem ersten Hitchcock-Film „Dial M For Murder“. Sie spielt das Mädchen vom Lande sehr apart und mit einer edlen Zurückhaltung, die viele Nuancen zum Vorschein bringt, eine sehr moderne Darstellung, anders als die ihres Filmpartners Bing Crosby, der hier den Darsteller im Wanken und am Alkohol-Abgrund spielt. Das Thema ist gewissermaßen nicht weit von dem weg, was wir in „A Star Is Born“ sehen und war in den frühen 1950ern sowieso unglaublich „in“. Crosby war, wie Judy Garland, sogar noch etwas früher, im Entertainment-Hollywood geprägt worden, in dem Schauspieler oft auch singen und tanzen konnten, wobei Crosby klar von der Musik her kam, während Judy Garland eine der vielseitigsten von allen  war, mit großem Gesangstalent ausgestattet und bei MGM zu einer erstklassigen Steptänzerin und sehr akzeptablen Schauspielerin geformt. Ihre Darstellung in „A Star Is Born“ ist die Essenz von allem, was sie je gelernt hatte plus dem Gefühl, das sie in alles legen konnte, in den Gesang und das Spiel. So etwas kann man nicht lernen und es ist ein Vorteil gegenüber einer Nur-Schauspielerin wie Grace Kelly, deren Schönheit natürlich vieles ausgleichen konnte und eine etwas kühlere Spielweise geradezu herausforderte.

Es liegt eine große Tragik darin, dass die AMPAS sich nicht dazu bereitfinden konnte, die Meisterleistung in mehreren Sparten, die Garland in „A Star Is Born“ bringt, mit ihrem ersten Oscar zu honorieren. Denn die Gelegenheit, einen Film wie diesen zu machen, erhielt sie niemals wieder und man merkt, wie sie alles in ihn hineinlegt, was nur möglich ist. Ihre Performance von „The Man That Got Away“ ist eine der besten Liedinterpretationen im Film, die ich je gesehen habe und überstrahlt für mich auch die Extravaganza „Born In A Trunk“. Diese folgt  dem damals üblichen Muster, eine längere Showsequenz in Musicals einzubauen, mit der die Handlung trotz der grundsätzlich handlungstragenden Songs, die damals schon üblich waren, gestoppt wird, damit das Publikum nur Tanz, Choreografie, Musik und herausragende Set-Dekorationen genießen konnte. Das bekannteste Beispiel für eine solche künstlerisch und technisch herausgehobene Sequenz ist das „American-in-Paris-Ballet“ aus dem gleichnamigen Film des Jahres 1951, das zu Musik von George Gershwin inszeniert wurde – ebenso wie „The Man That Got Away“ von ihm stammt.

Ein weiterer Fakt, der mir geradezu einen Schauer den Rücken hinunterjagte, ist, dass alle Schauspielerinnen, die 1932, 1937 und 1954 die Hauptrolle in diesem Stoff innehatten, keine neuen Sterne am Himmel waren, sondern versuchten, sich mit diesen Filmen aus Karriereknicks herauszuarbeiten. Das war schon bei Constance Bennett 1932 der Fall, mehr noch bei Janet Gaynor 1937 und ganz besonders bei Judy Garland, deren Karriere Ende der 1940er einen dramatischen Einbruch erlitt, als sie den Dreh zu „Annie Get Your Gun“ nicht durchstand und durch Betty Hutton ersetzt wurde, die ihre Sache zwar gut machte, aber nicht halb so viel Ausstrahlung hatte wie Judy Garland in ihren besten Tagen.

Es gibt noch Probeaufnahmen davon, die zeigen, dass dieser Superstar des Musicals, der immer alles gegeben hatte, schlicht am Ende war. Totaler Bunout, würde man heute sagen. Zu viel stressige Zeit in der Showmaschine von MGM verbracht. Noch 1948 konnte man sie in zwei Filmen bewundern, die unterschiedlich gut ankamen: „Easter Parade“, der von Beginn an ein Erfolg war und „The Pirate“, dem ich mittlerweile ein wenig den Vorzug gebe, in dem man aber m. E. schon sieht, dass sie stellenweise angestrengt wirkt – an der Seite von Gene Kelly, „Easter Parade“ natürlich mit Fred Astaire als Partner.1949 spielte sie noch in  „The Good old Summertime“, den ich noch nicht gesehen habe. Mehrere Jahre dauerte es, bis sie ein Projekt wie „A Star Is Born“ stemmen konnte, das zu der emotionalen Herausforderung auch noch dadurch glänzt, dass es drei Stunden lang ist und damit eine Stunde länger als das „Original“ von 1937, das für seine Zeit auch schon ein fülliges Werk war.  Janet Gaynor war aber kein Gesangsstar und diese Version war nicht als Mischung aus Musical und Drama angelegt, sondern fungierte und funktionierte nur als Letzteres.

Intermission: Die Geschichte des Drehs

Die Dreharbeiten sollten vor allem von technischen Problemen überschattet, sowie von der Unzuverlässigkeit von Hauptdarstellerin Judy Garland erschwert werden, die immer noch unter Drogenproblemen litt. Warner Bros. hatte noch nie einen Film im Cinemascope-Format produziert, und auch Kameramann Sam Leavitt hatte keine Erfahrung mit der neuartigen Technik gesammelt. Er war gezwungen, dies während der Produktion nachzuholen. Hauptdarstellerin Judy Garland sollte am 3. Oktober 1953 für Kostüm- und Make-up-Tests zur Verfügung stehen, litt aber an Übergewicht, und man entschied, dass sie erst ab 12. Oktober zu den Dreharbeiten dazustoßen sollte. Bis dahin sollte Garland ihre Gewichtsprobleme in Griff bekommen haben. Tatsächlich aber erschien die Schauspielerin beim zweiten Termin nicht zu den Probeaufnahmen, und erst durch Filmproduzent Jack Warner konnte Garland dazu bewegt werden, ihrer Verpflichtung nachzukommen. Die Dreharbeiten begannen mit ihr noch am selben Tag verspätet um 11:25 Uhr mit einer Szene, in der Garland in der Rolle der Esther Blodgett eine winkende Statistin in einem Filmstudio mimte. Die 44 Sekunden lange Szene wurde knapp sechs Stunden lang, bis 17:20 Uhr, gedreht und kostete Warner Bros. 25.000 US-Dollar – und sollte ein halbes Jahr später nachgedreht werden. Es folgten Szenen in Esthers Pension, ihr erstes Zusammentreffen mit Filmagent Matt Libby, Esther als Serviererin in einem Hamburger-Restaurant, sowie Esther und Norman Maines Begegnung im Nachtclub sowie die Gesangsnummer The Man that Got Away. Dann gab Produzent Jack Warner unerwartet bekannt, dass der Film nicht in WarnerScope-Format gedreht werden sollte, da die Technik für Außendrehs am Abend und in der Nacht nicht ausgereift war. Daraufhin wurde der Film nach Lizenzvereinbarungen mit dem konkurrierenden Filmstudio Twentieth Century Fox im gewöhnlichen Cinemascope-Format gedreht. Auch das WarnerColor-Format wurde zu Gunsten des üblichen Technicolor-Verfahrens verworfen. Dies machte einen Nachdreh der bereits aufgenommenen Filmszenen unumgänglich.

Ende November lag das Filmteam neunzehn Tage hinter dem Drehplan zurück und hatte unter Aufwendung von einer Million US-Dollar erst eine Stunde Film produziert. Ab Dezember fiel Judy Garland aus, und es mussten Szenen vorgezogen werden, in denen sie nicht mitwirkte. Die Dreharbeiten wurden am 26. Februar 1954 offiziell beendet, doch es fehlten noch die beiden Gesangsnummern Born in a Trunk und Lose that Long Face. Am 2. März begann der Nachdreh von Lose that Long Face, der jedoch nicht von George Cukor, sondern von Jack Donohue geleitet wurde, einem erfahrenen Choreographen von Tanzeinlagen. Judy Garland, die nicht von Donohues Einsatz informiert worden war, brach in einem hysterischen Anfall zusammen. Sie telefonierte mit Jack Warner und bestand auf Cukor als Regisseur. Als Warner dies ablehnte, verließ Garland auf der Stelle das Filmset und blieb einige Tage der Produktion fern. Daraufhin versuchte man, die Gesangsnummern mit Garlands Double Gloria DeWerd zu inszenieren, aber die Resultate waren nicht überzeugend. Während Judy Garland zu Hause ihren Depressionsschub auskurierte, wurden eher unwichtige Szenen mit James Mason gefilmt, um unter anderem auch Jack Warner zu beruhigen, dass die Produktion voranschritt.

Im März 1954 stellten Regisseur George Cukor und Filmeditor Folmar Blangsted im Schneideraum die Szenen fertig, die bereits vorlagen. Am 25. März wurde die Hälfte des Films Sidney Luft, Judy Garland und Jack L. Warner vorgeführt, die davon überzeugt waren, dass Ein neuer Stern am Himmel ein Erfolg werden würde. Am 13. April wurde die Produktion fortgesetzt, nicht aber mit dem Nachdreh der Gesangsnummer Lose that Long Face, sondern mit einer Szene, in der Judy Garland als Esther Hamburger in einem Restaurant servierte. Erst in der folgenden Woche wurde der Song unter der Regie von Richard Barstow inszeniert. Schon bald war man aber darüber im Klaren, dass der Film mindestens noch eine weitere Gesangsnummer brauchte. Daraufhin wurden drei von Roger Edens und Ira Gershwin eigentlich verworfene Songs zum Born in a Trunk-Medley arrangiert, das den Film um fünfzehn Minuten verlängerte. Regisseur George Cukor gefiel der Plan der nachträglich eingefügten Gesangseinlage nicht, doch Sidney Luft und Jack Warner mochten das Medley. Die Aufnahmen hiervon begannen am 30. Juni 1954 und dauerten stets bis spät in die Nacht. Am letzten Drehtag, dem 28. Juli 1954, wurde die Nummer Peanuts Vendor bis morgens um 2:55 Uhr gefilmt, ehe die Dreharbeiten ein Ende fanden und Crew und Schauspieler dies mit Kuchen und Champagner feierten. Zehn Monate hatte die Produktionszeit betragen und die Kosten waren auf über fünf Millionen US-Dollar gestiegen. Die Länge des Films betrug 194 Minuten, woraufhin Drehbuchautor Moss Hart Filmproduzent Jack Warner anwies, den Film zu kürzen, doch dieser war mit der Länge zufrieden. Nach einer Sneak Preview von Ein neuer Stern am Himmel am 2. August 1954 schrieb auch Regisseur George Cukor an Moss Hart, dass er sich gewünscht hätte, dass der Film ein wenig kürzer gewesen wäre.

Ich weiß nicht, ob es Material darüber gibt, wie viel von den enormen Schwierigkeiten des Drehs an die Öffentlichkeit durchgesickert war, als die Oscars für das Jahr 1954 verliehen wurden, aber durchaus möglich, dass Hollywood dieser Kampf eines großen Stars um seine Karriere und was die Traumstadt mit Menschen machen konnte, zu peinlich war, um Judy Garland zu prämieren, die also nur im Film, nicht in der Realität einen Oscar erhielt. Dabei hat man diese Krönung ja an die realen Juroren adressiert, das ist offensichtlich. Hat aber schon bei Janet Gaynor 1937 nicht funktioniert. Auch sie wird im Film prämiert, wurde in der Realität für den Oscar nominiert und verlor – gegen die deutschstämmige Louise Rainer, die in MGMs „Die gute Erde“ eine Chinesin spielt. So viele Parallelen in der Handlung und der sie umgebenden Wirklichkeit machen beinahe sprachlos, aber es gibt sie und daran kann man sehen, wie dicht im alten Hollywood alles beieinander lag  und warum es oft vorkam, dass sich die Unterschiede zwischen der Realität und dem, was in Tinseltown inszeniert wurde, stark verwischten. So stark, dass die Schauspieler:innen manchmal selbst nicht mehr zwischen ihrer Leinwandpersona und ihrer tatsächlichen Identität unterscheiden konnten. Diese Unterschiede gab es aber immer, auch bei jenen oder gerade bei jenen Stars, die gut mit dem System zurechtkamen und die besonders erfolgreich waren.

Wie etwa die Garde von Regisseuren à la George Cukor, der zwar bei „A Star Is Born“ ebenfalls leer ausging, aber dann doch noch einen Oscar gewann – für „My Fair Lady“, das ebenfalls eine Großproduktion war, zehn Jahre später. Manche müssen länger warten, bis sie gekrönt werden, vollendet sind, aber dass es Judy Garland nicht vergönnt war, für ihre Interpretation der Esther Blodgett ein Happy End zu erhalten, ist einer der größten Missgriffe der AMPAS in den an Missgriffen nicht armen 1950ern, als das System ins Schlingern gekommen war und Konzessionsentscheidungen manchmal künstlerische Aspekte überlagerten. Ein weiteres Beispiel dafür ist z. B., dass Elizabeth Taylor keinen Oscar für ihre Darstellung in Tennessee Williams‘ Paradestück „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ (1958) erhielt, wohl aber für ihre Hauptrolle in dem megaschwülstigen Melodram „Butterfield 8“ (1960). Eine Kompensation, die wieder neue Ungerechtigkeiten schuf.

Ein Melodram der Oberklasse ist natürlich auch „A Star Is Born“, aber da die Inszenierung und die Darstellungen so sicher sind, wird man auch wirklich berührt. Meinen Höhepunkt habe ich schon genannt, er kommt ziemlich früh im Film, als Esther Blodgett noch ganz unbekannt ist und „The Man That Got Away“ singt. Als Vicky Lester verdient sie sich dann jeden Erfolg schon dadurch, dass sie loyal und unverbrüchlich zu ihrem strauchelnden Mann hält, der aber selbst erkennen muss, dass er am Ende ist. Dass die Mühlen der Filmstadt und der speziellen Form von Öffentlichkeitsarbeit in dieser Stadt mit dafür sorgen, dass er nicht mehr auf die Füße kommt, wird im „Original“ von 1937 etwas deutlicher herausgearbeitet, wo Fredric March einen etwas mehr dämonischen Trinker spielt, als es James Mason 1954 tut, der alles in allem eher wie ein Opfer wirkt und eine beinahe amorphe Darstellung liefert, die auf ihre Weise aber auch sehr gut: Ein Mann ohne innere Substanz, ohne Persönlichkeitskern. Ohne Eigenschaften, wenn man so will, abgesehen von seiner Bühnenpersona. Auch das spiegelt die Fassadenhaftigkeit der Filmstadt, in der normale Menschen zu Ikonen aufgebaut wurden und diese Rollen nicht immer gut erfüllen konnten. Die Zahl der Karriereknicks und Skandale war lang, die vor allem in den frühen Jahren der Filmstadt Schlagzeilen machten. Ein besonderer Moment war jener, als die Tonfilmtechnik unzählige Karrieren beendete und neue Stars nach vorne brachte. Unter anderem in dem Musical „Singin‘ in the Rain“ (1952) auf durchaus humoristische Weise verarbeitet. Es war eben eine sehr reflexive Zeit in Hollywood und die Sinnsuche hatte eingesetzt. Filme über Karrieren in der Filmstadt hatte es natürlich schon zuvor haufenweise gegeben, gerade in Musicals. Das Schema war nur meist nicht über Kreuz angelegt, mit Aufstieg und Niedergang zugleich. Aber selbst in Musicals waren durchaus interessante Untertöne zu bemerken, die davon kündeten, dass Talent vielleicht auf der Straße lag, aber selten stimmte auch das Timing so, dass daraus etwas wurde. Das war in the Game, solange ein solcher Film nicht gerade bei MGM und in Technicolor entstand, wo er u. a. von  Judy Garland beglänzt wurde, die ihren Durchbruch 1939 mit „The Wizard of Oz“ hatte.

Intermission: Kritiken

  • … niemand kann leugnen, daß dieser Film artistisch in jeder Hinsicht eine Glanzleistung ist. Wie James Mason die Schema-Rolle des trunksüchtigen Schauspielers nobel individualisiert, wie die Regie jede noch so belanglose Szene, jeden noch so banalen Satz zu „Etwas“ zu machen versteht, wie hier Revue und Tanz in die Handlung eingeschmolzen sind, das alles muss man, ob man will oder nicht, bewundern. Die Hauptdarstellerin Judy Garland ist ein Phänomen. So hat man lauter funkelnde Kostbarkeiten beisammen – es fehlt nur: das, was sie krönen sollen.“ (film-dienst)
  • „Zum Teil ist der Film Hollywood-Satire – amüsant, wie sich im Studio die unscheinbare Esther Blodgett in die glamouröse Vicky Lester verwandelt; beißend, wo Esther und Norman in die Fänge der Publicity-Maschinerie geraten. Und er ist eine wunderschöne Mischung aus Musik, geistreichem Witz und romantischer Tragödie, zwingend und überzeugend.“ (1001 Filme – Die besten Filme aller Zeiten)
  • „Niemand übertrifft Mr. Cukor, wie er diese Art Film handhabt, und er enthält Leistungen von Miss Garland und Mr. Mason, die das Herz flattern und bluten lassen. Solche Episoden wie ihr Zusammentreffen in der Nacht bei einer Benefizveranstaltung, ihr Gespräch über das Heiraten auf einer Tonbühne unter einem lauschenden Mikrofon, ihr ergreifendes Füreinanderdasein in einem Millionen Dollar teuren Strandbungalow, ihre peinigende Zerreißprobe in einem nächtlichen Gericht, sind wundervoll und echt gespielt.“ (New York Times)

Alle waren mehr oder weniger wohlwollend und der Film erhält heute gute, wenn auch nicht herausragende 7,5/10 von den IMDb-Nutzer:innen. Was fehlt ist vielleicht wirklich das, was gekrönt werden soll. Etwas wie eine unerbittliche Dynamik, eine Macht, die alles treibt und bestimmt. Das liegt nicht nur an den Musikeinlagen, die den Film verlängern, sondern auch daran, dass die Inszenierung Überflüssiges nicht ausspart. Das merkt man der restaurierten Langfassung besonders an, die ich gesehen habe. Einige Szenen sind darin nur als Stills eingearbeitet, das macht diese Längen auf eine etwas zu drastische Weise deutlich. Vor allem der Mitteilteil wurde offenbar gestrafft, als der Film in die Kinos kam. Durch die wieder eingefügten Szenen als Standbilder dominiert das Musikalische mehr und das Entstehen der Liebe zwischen den Hauptfiguren, die schöne Zeit der beiden, wird verengt. Was nun besser ist, lässt sich für mich schwer entscheiden, weil ich zunächst irritiert von den Fotos war, die bewegte Szenen ersetzen, während der Dialog weiterläuft. Zunächst dachte ich, das sei ein genuines Stilmittel von Beginn an gewesen, aber dann kam es doch etwas zu häufig vor.

Dass „A Star Is Born“ nicht als bester Film des Jahres prämiert wurde, kann ich nachvollziehen, Elia Kazans „On The Waterfront“ ist das dramaturgisch mächtigere, modernere und literarisch anspruchsvollere Werk. Auch, dass Marlon Brando für seine Rolle eines Hafenarbeiters  darin den Oscar als bester Hauptdarsteller erhielt, nicht James Mason für sein Porträt eines gescheiterten Stars, kann ich ebenfalls nachvollziehen. Doch dass Judy Garland leer ausging, ist unverzeihlich und hätte sich nach meiner Ansicht nur durch ein All-in-Paket rechtfertigen lassen, etwa, wenn Eva Marie Saint schon fü ihr Debüt in dem Meisterwerk „On the Waterfront“ auch den Oscar gewonnen hätte oder wenn „Ein Mädchen vom Lande“ auch als bester Film ausgezeichnet worden wäre. Ein Academy Award zieht zuweilen andere nach, wenn es um die Hauptpreise geht.

Besetzung der männlichen Hauptrolle

 Für die männliche Hauptrolle des alkoholkranken Leinwandstars Norman Maine waren unter anderem Humphrey BogartMarlon Brando und Montgomery Clift im Gespräch, die jedoch von Cukor abgelehnt wurden. George Cukors Wunschkandidat Cary Grant, der zuerst für Ein neuer Stern am Himmel zugesagt hatte, wandte sich später vom Filmprojekt ab. Als Ersatz konnte der Brite James Mason verpflichtet werden, der 1947 durch die Hauptrolle in Carol Reeds Kriminalfilm Ausgestoßen große Bekanntheit erlangt hatte.

Sowie u. a. in dem Ava-Gardner-Vehikel „The Flying Dutchman“ (1950). Seine etwas weichen Züge, die durchaus Hintergründiges verbargen, das sich gerne in samtenen Bösewichten wie in Hitchcocks legendärem „North by Northwest“ (1959) manifestieren durfte, waren für diesen Part auch gut geeignet.

Ich stelle mir gerade Marlon Brando in dieser Rolle vor.  Schrecklich. Vor allem, weil er viel zu derb und zu jung war, um einen so gezeichneten Mann zu spielen. Montgomery Clift hätte schon eher gepasst, aber da er tatsächlich und bekanntermaßen Alkoholprobleme hatte, wäre diese Besetzung auf jeden Fall riskant gewesen. Und Cary Grant? So sehr ich ihn mag und immer wieder sehen kann, diese Rolle hätte seinem bereits ikonischem Image als der Gentleman jenseits der Niederungen zu sehr widersprochen. Das letzte Mal, dass Grant eine ziemlich zweifelhafte Figur gespielt hatte, war 1941, als er in Alfred Hitchcocks „Suspicion“ der Verdächtige ist, der seiner Frau möglicherweise zum Exitus verhelfen wird, um erben zu können. Da geht es aber nicht in Richtung Drogenkonsum, sondern in Richtung Bösewicht. Ursprünglich war es auch so geplant, dass er zum Mörder wird, aber schon damals verzichtete man zugunsten von Cary Grants Image auf ein derartiges Ende. Ausgefüllt hätte Grant die Rolle sicher, die an James Mason ging. Ob das Publikum dabei ein gutes Gefühl gehabt hätte, ist eine andere Frage. Als Filmpartner für Judy Garland war er auch schlicht zu groß, zum einen deshalb passte sie besser zu Gene Kelly als zu Fred Astaire (siehe oben). Ihr energetischer Stil ähnelte ebenfalls eher dem von Kelly.

Finale

Nachdem ich schon fast alle wichtigen Hollywood-Filme des Jahres 1955 rezensiert habe, zu denen ich immer schon eine besondere Beziehung hatte, füllt sich auch das Portfolio für 1954. Den Film, in dem Grace Kelly Judy Garland aushebelte, habe ich schon erwähnt, ebenso „Die Faust im Nacken“. Andere wichtige Produktionen dieses Jahres, wie „Die barfüßige Gräfin“ mit Humphrey Bogart und Ava Gardner, hatten ebenfalls einen melodramatischen Einschlag, aber eines haben sie nicht: Judy Garland, die hier noch einmal auspackt, was sie konnte und mehr, als man je zuvor von ihr gesehen hatte. Das ist alles echt, weil sie ihre eigenen Erfahrungen und Träume in den Film hineinlegte und noch einmal strahlt – und gleichzeitig bemerkt man die Zeichen der bitteren Jahre, die sie hinter sich hatte. Ein erhofftes Comeback mit der Figur einer Newcomerin. Nicht zum ersten Mal gab es das bei diesem Stoff, wie  oben beschrieben. Für mich gehört „A Star Is Born“, wie auch die 1937er Version, zu den Film von Hollywood über Hollywood, die man gesehen haben sollte, um die Traumstadt und ihre Funktionsweise im Zeitalter der unbeschränkten Herrschaft der Studiobosse zu verstehen und auch das bis heute so wichtige Starsystem.

83/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2022)

[1], kursiv, tabellarisch: Ein neuer Stern am Himmel – Wikipedia

Regie George Cukor
Drehbuch Moss Hart
Produktion Sidney Luft
Musik Harold Arlen
Background:
Ray Heindorf
Kamera Sam Leavitt
Schnitt Folmar Blangsted
Besetzung

 

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