Filmfest 1014 Cinema
Kein neuer Tag wo?
Kriminaldrama aus dem Jahr 1998 unter der Regie von Larry Clark mit James Woods, Melanie Griffith, Vincent Kartheiser und Natasha Gregson Wagner in den Hauptrollen.
Ab einem gewissen Punkt hat uns der Film an „Kalifornia“ erinnert, in dem Brad Pitt und Juliette Lewis, damals auch in recht jungen Jahren, wenn auch nicht als Teenies, zu einem harmlosen Paar ins Auto gestiegen sind und ein Höllentrip begann. Diese Erinnerung hat uns auch auf eine falsche Idee gebracht: Nämlich die, dass die Jungen sich als so ruchlos entpuppen, dass sie den immer mal wieder ausrastenden Mel und die Fixerin Sid abservieren oder gar umbringen. Aber in diese Richtung geht es dann doch nicht. Wohin es geht und ob der Weg gelungen dargestellt ist, erklären wir in der –> Rezension.
Handlung
Die Teenies Bobbie und Rosie leben drogenselig in den Tag hinein, Bobbie muss immer mal wieder einen Automaten aufbrechen, um an Geld für den Stoff zu kommen – einmal wird er dabei von einem Sicherheitsmann erwischt und im Handgemenge ersticht er diesen mit einem Schraubenzieher. Gesundgeflickt und –gedealt wird er von Onkel Mel (James Woods), dem Verwandten eines Mitbewohners. Bobbie und Rosie lernen Mel und seine Freundin Sid (Melanie Griffith) kennen und gehen mit ihnen auf Verbrechenstour übers Land. Immer läuft irgendetwas schief und die Situationen werden dramatischer und wieder müssen Verletzte gesundgepflegt werden. Wieder ist ein Typ dabei im Spiel, der Drogenhandel und medizinische Pflege miteinander verbindet. Wieder genesen, plant Mel den nächsten Coup. Die junge Generation will aussteigen, doch Mel lässt das nicht zu. Rosie setzt sich den finalen Schuss, aber Bobbie macht trotzdem mit und es gibt wieder Tote. Am Ende sieht Mel keine andere Lösung, als auch Bobbie zu erledigen, weil er der einzige Zeuge aller Verbrechen ist.
Rezension
Das nächste dieser Gewalt-Roadmovies, das wir auf dem Zettel haben, ist das wohl bekannteste von allen, „Natural Born Killers“, und auch da werden wir sicher eine Linie entdecken, die das Werk mit späteren Filmen wie eben „Ein neuer Tag im Paradies“ verbindet.
Wir haben glücklicherweise James Woods in diesem Film, der für uns untrennbar mit Max aus „Es war einmal in Amerika“ verbunden ist, so viele andere Rollen unterschiedlicher Art er auch gespielt haben mag. Auch in „Ein neuer Tag im Paradies“ stellt er einen jüdischen Gauner dar, wie in „Es war einmal in Amerika2, nur nicht mit dieser Grandezza, und da er den Film selbst mitproduziert hat, gehen wir davon aus, dass auch dies eine Reminiszenz an die große Rolle im großen Gangstermelodram von Sergio Leone ist. Außerdem bietet diese Zuordnung die Möglichkeit, bei einem Drogendeal mit Neonazis ebenjene abzuknallen. Sei’s drum, die Bösen sterben, während James Woods und sein Mel bis zu dem Moment, als er ernsthaft daran denkt, auch Bobbie zu töten, immer eine gewisse Restsympathie behalten.
Er ist ein Drogendealer, ein Fixer, ein Maniac, der zu Gewalttätigkeiten neigt, aber wer ist das nicht, der in amerikanischen Filmen Rollen wie diese spielt?
In „Kalifornia“ haben wir uns wirklich vor dem Paar Lewis / Pitt gegruselt, die Bedrohung, die sie mit ihrer extremen Unberechenbarkeit ausstrahlten, war jederzeit spürbar. Das hat den Film packend gemacht, so grausam er für damalige Verhältnisse auch war. Weniger gewalttätig ist „Ein neuer Tag im Paradies“ kaum, aber es fehlt ein dramatischer Twist, wie etwa, dass Bobbie und Rosie in einem bekifften Moment beschließen, die anderen beiden umzulegen und das bisher eingenommene Geld allein zu behalten. Sie wirken anfänglich gefährlicher, als sie später erwiesenermaßen sind, und lassen sich bis zum Schluss von Mel dominieren.
Irgendwann im Film stellt seine Freundin Sid ihm die Frage, warum ausgerechnet diese beiden Jungschen als Geschäftspartner und Bandennachwuchs? Weil das Emotionsbündel Mel einen Narren an ihnen gefressen hat, anders können wir’s uns auch nicht erklären. Vertrauen kann er zu diesen unausgebildeten, im professionellen Drogenbusiness unerfahrenen Teenies wohl kaum haben, im Gegenteil, sie sind ein Risikofaktor.
Aber wer sich selbst bei seinen Geschäften immer wieder verfranst, obwohl er sich für einen tollen Hecht hält, der wird wohl auch an die Wahl der Komplizen nicht so rational vorgehen wie ein echt abgezockter Capo einer echt professionellen Bande. Trotzdem hat uns die mangelnde Logik irritiert. Wie ein Familienmensch, der, weil er keine Kinder kriegen kann, sich eine Familie sozusagen an den Haaren herbeiziehen muss, wirkt Mel eben nicht. Aber okay, da ist eine brutale Form von Sentimentalität vorhanden.
Wir sind mit diesem Film bei unserem eigenen Roadtrip durch die Geschichte des US-amerikanischen Kinos, dessen Klassiker wir lange Zeit bevorzugt haben, Ende der 1990er angelangt, es ist schon beinahe 9/11. Die Genres sind etabliert, Neues kommt vor allem durch gewisse technische Weiterentwicklungen, und da vor allem beim Zeichentrickfilm und beim CGI-Einsatz im Realfilm, weniger inhaltlich, auf den Plan.
Und Roadmovies, die in Gewaltorgien enden, gibt es auch schon lange, beginnend mit „Easy Rider“ (1969) und wiederbelebt mit „Thelma und Louise“ (1991), der wohl der Auslöser für „Natural Born Killers“, „Kalifornia“ und die anderen Filme dieser Art war. Ein richtiges Heist-Movie ist „Ein neuer Tag im Paradies“ allerdings nicht, weil er sich nicht auf das große Ding konzentriert, sondern immer neue, wenig durchdachte Jobs abgewickelt werden. Es ist eher eine Art Routine des Verbrechens, die unterwegs, an den langen, den endlosen Straßen der USA ausgeübt wird.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung acht Jahre nach dem Entwurf: Wir sind schon in der zweite Welle der Sichtung von Films noirs aus den 1940ern und 1950ern angelangt. Dort und im Western kann man schon die Wurzeln späterer Roadmovies mit verbrecherischen Geschehnissen erkennen. In der Regel stellt die Fahrt selbst nicht das Zentrum der Gewalt dar, vielleicht, weil man sich damals scheute, die große Weite als so gefährlich darzustellen, anders als die Stadt. Aber es kommt immer wieder zu Gewalt, als Beispiel sei das 3/4-Roadmovie „Detour“ genannt, das wir kürzlich rezensiert haben und dessen Titel schon das aufzeigt, was auch die späteren Gewalt-Roadmovies kennzeichnet: Irgendwann kommt es zu einer Abweichung von der geplanten Route, zu einer unvermuteten Begegnung, die das Drama ins Rollen bringt.
„Ein neuer Tag im Paradies“, dessen Titel ironisch gemeint ist, stellt kein großes Symbolkino dar, zumindest konnten wir nichts Herausstechendes diesbezüglich entdecken, er ist auch nicht innovativ, weil alle Einzelelemente bekannt sind. Selbst die Anordnung des Figurentableaus ist nicht so ungewöhnlich, ebenso wie die Dramaturgie der stetigen Verschlimmerung der Situation. Allerdings ist schon der Beginn übel, während viele Filme auch in diesem blutigen Genre erst einmal langsam, manchmal sogar mit einer idyllischen Situation starten.
Die Botschaft „You cant’t get away with that“, diese uralte Mantra, dass Verbrechen letztlich nicht zu Gutem führen kann, manifestiert sich eher in den zwischenzeitlichen, beinahe tödlichen Aktionen des Quartetts, nicht so sehr im Ende. Man wird allerdings das Gefühl nicht los, die Sache ist noch am Kochen. Bobbie entkommt Mel durch ein Maisfeld, weil Sid ihn gewarnt hat, doch was kommt dann, wo er ohne Rosie allein und haltlos ist? Er stößt am Ende einen Jubelschrei aus, der Hoffnung signalisiert, aber ist diese berechtigt? Immerhin hat er eine Menge auf dem Kerbholz.
Noch düsterer sieht die Sache für Sid und Mel aus. Mel hat in einer unübersichtlichen Situation einen Geschäftspartner erschossen, und man weiß nicht, ob nicht auch Sid letztlich dran glauben muss. Zuzutrauen wär’s dem Desperado moderner Prägung, dem es nur ums Geld geht, wie er zumindest vorgibt. Aber eher nicht. Eher glauben wir, dass die vielen Freunde seines nunmehr verblichenen Kumpels Jules wirklich Jagd auf ihn machen werden, wenn er nicht zusieht, dass er Land gewinnt, indem er das Land verlässt.
Finale
Eine Aneinanderreihung unbefriedigender Aktionen kann nicht zu einem befriedigenden Ende führen, die Figuren in „Ein neuer Tag im Paradies“ sind Looser, alle, die wir sehen sind am unteren Ende der Zivilisation angesiedelt. Einen schönen Moment haben sie im Prinzip nur einmal, als sie zusammen so viel shoppen gehen, dass Verkäuferinnen aus der Mall beim Einladen der Klamotten in den Kofferraum der großen Cadillac-Limousine helfen müssen.
Der schwarze Cadillac, wie er auch von der Mafia gefahren wird, ist aber doch ein Sinnbild. Er symbolisiert den Anspruch und die Eigensicht von Mel als eines Typs, der im Business Bescheid weiß. Er sagt es zwar nicht, aber es ficht ihn dann doch an, dass nie alles so richtig klappt. Folgerichtig fahren sie am Ende auch einen eher unauffällig wirkenden Kombi. Den großen, dunklen Wagen haben sie offensichtlich bei dem Priester-Dealer gelassen, den Mel von früher kennt und auf dessen Anwesen sich die männlichen Mitglieder der Gang von ihren Blessuren erholen konnte und wo Mel der jungen Rosie das Fixen beigringt, das sie letztlich umbringt.
Dass Rosie durch die Aufregung beim vorherigen, stressigen Coup das Kind verloren hat, das sie von Bobbie erwartet, ist natürlich auch ein Symbol für die dem Leben und speziell einem neuen, hoffnungsvollen Leben feindliche Verfassung dieser jungen Leute, die aus schlechten Verhältnissen abgehauen sind. Einmal sehen wir übrigens auch, wie Mel von seiner Kindheit träumt, die sehr gewaltsam gewesen sein muss. Und das muss reichen, um ihn zu erklären. Sehr konsequent ist es nicht, wir hätten es lieber gesehen, man hätte diese Szene weggelassen, weil Rückblenden sonst nicht zu den Techniken dieses Films zählen. Die Alternative wäre mehr Raum für die Vergangenheit gewesen, aber diese strikte Herleitung von Persönlichkeiten ist dem neueren Kino dieser Art eher fremd. Es zeigt, es erklärt nicht. Wenn wir an die oben erwähnten Road Movies aus den 1990ern denken, gibt es nur bei „Thelma und Louise“ die Einführung anhand von „Woher kommt es und wohin führt es?“ Bei Filmen wie „Kalifornia“ hätte das geradezu kindisch oder lächerlich wirken können, wenn es entschuldigend hätte ausgelegt werden können.
Bevor wir den Film heute Abend betrachtet und darüber geschrieben haben, war erst einmal ein alter, wirklich erholsamer Film fällig – weil wir zuletzt viele schwierige Werke zu rezensieren hatten und es wird auch in dieser Richtung weitergehen. Wir haben befürchtet, dass „Paradies“ Kratzer am Gemüt hinterlassen könnte, aber dazu hat er uns nicht genug berührt. Er hat keine Figuren, mit denen wir uns identfizieren konnten – Mel haben wir immerhin dank James Woods mit Interesse verfolgt, „Ein neuer Tag im Paradies“ hat auch nicht, wie „Kalifornia“, ein richtiges Hassgefühl,ausgelöst, das aus dem Nachempfinden von Angst und Bedrohung resultierte. Wir glauben nicht, dass er uns „Paradies“ och lange beschäftigen wird. Warum?
Weil wir nie diesen Sog gespürt haben, den gut gemachte Gewaltfilme ja leider auslösen können. Weshalb wir es komplett richtig von uns finden, uns vermehrt mit solchen Streifen zu beschäftigen, nachdem wir schon ein paar Jahre lang für den Wahlberliner Rezensionen verfassen. Persönlich interessieren uns diese Filme eben nicht so wie einige andere Genres, gehören aber mittlerweile dazu, wenn man einen Überblick über das haben will, was läuft. Mit großen Filmen, die viel Blut zeigen, wie „Pulp Fiction“, kann sich „Ein neuer Tag im Paradies“ ohnehin nicht messen. Auch, weil er nicht deren offensichtlich satirischen Einschlag hat, der vieles heilt, was ganz schön Ekel auslösen kann.
Der Film ist in Deutschland nicht besonders stark rezipiert worden, hat zum Beispiel auch heute (2023) noch keinen Eintrag in der hiesigen Wikipedia. Unsere Bewerung, haben wir soeben bei der Nachrecherche gesehen, entspricht exakt dem Durchschnitt der Bewertungen der IMDb-Nutzer:innen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Rezension.
65/100
© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
Kursiv, tabellarisch, als Aufzählung: Wikipedia
|
|
|
| Regie: | Larry Clark |
|---|---|
| Geschrieben von | Stephen Chin Christopher B. Landon |
| Aufgrund | Ein weiterer Tag im Paradies von Eddie Little |
| Produziert von | Larry Clark , James Woods, Stephen Chin, Scott Shiffman |
- James Woods als Mel
- Melanie Griffith als Sid
- Vincent Kartheiser als Bobbie
- Natasha Gregson Wagner als Rosie
- James Otis als Reverend
- Branden Williams als Danny
- Brent Briscoe als Clem
- Peter Sarsgaard als Ty
- Lou Diamond Phillips als „Jewels“
- Kim Flowers als Bonnie Johnson
- Paul Hipp als Richard Johnson
- Karen Sheperd als Ehefrau des großen Mannes
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

