Der Wahlberliner vor Ort: „Die Häuser denen, die drin wohnen!“ 11. Mai bis 13. Juni 2019, Fotoausstellung im Regenbogen-Café in der Lausitzer Straße 22, Kreuzberg / #Mietenwahnsinn #Verdrängung #wirbleibenalle #besetzen #Regenbogenfabrik #Xberg #Widerstand #Besetzen #Häuserkampf

2019-05-17 Mieter kämpft um diese Stadt HäuserkampfAm vermeintlich letzten Tag haben wir’s geschafft, uns die Fotoausstellung anzusehen, die vom Häuserkampf in Berlin seit den 1970ern kündet.

Erste frohe Botschaft: Dieser Beitrag ist weiterhin eine Empfehlung, denn die Ausstellung wurde bis zum 13. Juni verlängert. Wenn wir das geahnt hätten, hätten wir uns vermutlich nicht diesen Sturzregenspätnachmittag ausgesucht, um mitten durchs Gewühl in Mitte nach Kreuzberg zu kommen.

Es ist eine kleine Ausstellung, verteilt im Wesentlichen auf zwei Räume des Regenbogencafés in der Lausitzer Straße 22 und ein wenig über den Hintergrund der Ausstellung haben wir bereits hier berichtet (der Veranstaltungshinweis hängt aber auch unten an). Aber die Fotos hängen dicht an dicht und vermitteln eine atemberaubende Atmosphäre – Straßenkampf in Berlin, das war nie Ponyhof, aber einer unserer zentralen Gedanken: Was haben sie uns inzwischen gezähmt! Die Menschen in den 1970ern und 1980ern haben klar vorausgeahnt, wie es aussehen würde im Kapitalismus,wenn man sich nicht wehrt. So, wie es heute eben aussieht.

Auch viele der damaligen Aktivist_innen haben heute eher einen folkloristischen Zugang zu ihrer wilden Jugendzeit. Es müssen neue Generationen nachkommen, die nochmal mutig sind und fordernd und sich auch mal mit der Staatsmacht anlegen. Wir haben zuletzt am 6. April 2019 bei der lediglich symbolischen Besetzung von „BizimBakkal“ erlebt, wie klein heute alles geworden ist und wie schnell sich Repression durchsetzt. Auch davon gibt es Bilder im Regenbogencafé zu sehen, es sind verständlicherweise die neuesten in der Ausstellung. Wir haben gestern über 100 Bilder geschossen, aber wir können natürlich nicht die Fotos hier reproduzieren, zumindest nicht in der Form, dass man sie für Verbreitungszwecke verwenden könnte, ohne die Rechte von den damaligen Fotograf_innen einzuholen.

Ein paar Eindrücke wollen wir hier aber doch wiedergeben und in den nächsten Tagen und Wochen immer mal wieder auf den Bildern zu sehende Ereignis herausgreifen und ein bisschen dazu recherchieren. Es ist wichtig für uns als Stadtgesellschaft von heute, ein Gefühl für die Kämpfe von gestern zu bekommen und wie bedingungslos und radikal sie geführt wurden – besonders wichtig wird dies werden, wenn die Politik es nicht schafft, den Mietenwahnsinn in seinem zehnten Jahr endlich mit friedlichen Mitteln zu bremsen.

Außerdem gibt es derzeit Hausbesetzungen oder Ladenbesetzungen, die der Kategorie „Verbleib-Widerstand“ zuzuordnen sind, durchgeführt von Kollektiven, die offizielle Mietverträge hatten, diese aber von den Eigentümern gekündigt bekamen, weil mehr Rendite aus den Häusern herausgequetscht werden soll. Es gibt bestimmte Eigentümer in der Stadt, die sich dabei besonders negativ hervortun, häufig entstehen solche Situationen durch Eigentumsübergänge. Ein einigermaßen solider Vermieter verkauft seine Immobilie an Heuschrecken und alles steht auf der Kippe, was ein Kiezhaus und einen Kiez ausmacht.

Die Ausstellung hielt einige Überraschungen für uns bereit, daher müssen wir auch das eine oder andere aus der Ankündigung korrigieren:  Die ersten Fotos sind aus den frühen 1970ern, nicht, wie der Flyer es vermuten lässt, von 1979/80. Und nach der Wende war es keineswegs ruhig und alle Linken waren schockiert über die Wiedervereinigung, sondern ein Teil der Besetzerszene zog in den Osten, wo sich heute noch „Rudimente“ dieser Szene finden, etwa in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain. Aus der Zeit direkt nach der Maueröffnung zeigt die Ausstellung Fotos, die bürgerkriegsähnliche Zustände in einigen Straßen dokumentieren.

Wenn man bedenkt, wie niedrig die Mieten in jenen Zeiten der großen Kämpfe waren und was wir uns heute gefallen lassen, haben wir auch Fragen an uns selbst zu stellen. Dass die Politik immer einfach weitermacht, wenn wir uns nicht wehren, versteht sich von selbst. Wo kein Widerstand, da keine Stadtdemokratie. Es ist noch nie etwas vom Himmel gefallen, nicht einmal ein kommunalisiertes Kiezhaus. Alle, die kämpfen können, alle, welche die Ressourcen dafür haben, müssen das tun. Wir sind sicher, der Mietenwahnsinn ist noch nicht vorbei, auch wenn gerade der Deckel vorbereitet wird, auch wenn man einzelne  Häuser „rettet“ und immer mal wieder ein Gesetz ein wenig verschärft, das dem Mieter_innen-Schutz dient. Das Grundproblem, dass Wohnungen als Ware behandelt werden und in Zeiten ökonomischer Schieflagen, das alles vagabundierende Kapital in die Immobilien treibt, verschärft es sich rapide. Die Besetzer_innen der vergangenen Jahrzehnte wussten: Solange dies nicht der Fall ist, wird kein Frieden sein in der Stadt.

Erste Fotoeindrücke vom 6. Juni:

TH

Veranstaltungsempfehlung vom 13. Mai 2019:

Die Vernissage rechtzeitig anzukündigen, haben wir leider verpasst. Aber die Fotoausstellung „Die Häuser denen, die drin wohnen“ läuft noch bis zum 6. Juni 2019.

Es bleibt also genug Zeit, um die Fotos und Beschreibungen dazu anzuschauen, die von den Hausbesetzungen seit den 1980ern erzählen.

Die Häuserkämpfe von einst und die Art, wie die Menschen in Berlin sich heute gegen den Mietenwahnsinn wehren, gehören für uns zusammen. Es kommt nichts aus dem Nichts. Spekulation und Verdrängung enden nicht von alleine. Zeit, sich anzuschauen, was die Besetzer seit den 1980ern draufhatten, welches Gepräge ihre Aktionen aufwiesen und worum es (ihnen) ging.

Wer die Vergangenheit nicht kennt, tut sich schwer damit, die Zukunft zu gewinnen.

In den 1990ern wurde es ruhiger, doch es war eine trügerische Ruhe. Sie wurde in Berlin vor allem durch die Wiedervereinigung ausgelöst und die plötzliche Möglichkeit, sich überall frei zu bewegen und, wie es zunächst aussah, an vielen Orten recht günstig wohnen zu können. Der einst in Kreuzberg konzentriere Widerstand hatte sich räumlich ausgeweitet, aber er ging auch im Strohfeuer der Vereinigungsbesoffenheit unter.

Dennoch haben einige Kollektive weitergemacht und sich u. a. in den zentralen Vierteln des Ostteils angesiedelt, haben sich neue Projekte gebildet, wo man seit vielen Jahren und bis heute wieder versucht, sie auszuräumen.

Im Bundestagswahlkampf 2017 hatten die Kreuzberger Grünen den Slogan „Die Häuser denen, die drin wohnen“ wieder ausgepackt, um an die Tradition des Viertel uns die Vergangenheit vieler ihrer Mitglieder und Sympathisant_innen zu erinnern – und die Bundespartei war nicht amüsiert.

Daran kann man sehen, wie Verbürgerlichung voranschreitet, wenn man nicht aufpasst und nicht immer wieder hinterfragt, wer steht für was und wie wollen wir leben – und was ist aus unseren Träumen geworden. Haben wir sie aufgegeben fürs Einfädeln in den Mainstream? Viele haben das getan und es ist nicht so, dass wir niemanden persönlich kennen, der das getan hat.

Aber jetzt müssen wir uns wieder neu orientieren und raus aus der Komfortzone, wenn wir wenigstens Inseln der Sozialen Stadt bewahren wollen.

„Am 12.12.1980 räumte die Polizei in Kreuzberg eine Neubesetzung am Fraenkelufer und ging massiv mit Tränengas und Knüppeln gegen die Unterstützer_innen vor. In dieser Nacht entwickelten sich Krawalle, wie Kreuzberg sie lange nicht mehr erlebt hatte. Es war der Startschuss in eine neue Ära der Hausbesetzer_innen-Bewegung im damaligen Westberlin. Innerhalb weniger Monate wurden 160 Häuser besetzt. Ein Heer von Spekulanten, die mit leerstehenden Altbauhäusern ihren Reibach machen wollten, wurden vereint zurückgeschlagen.“

So beginnt die Beschreibung  zur Ausstellung.

Wie ging es weiter? Ein Jahr später kam es zu einem dramatischen Todesfall, verursacht durch Polizeigewalt. Die Berliner Linie wurde entwickelt, nach der Hausbesetzungen binnen 24 Stunden geräumt werden.

Wir haben auch derzeit Besetzungen zu vermelden, aber in der Regel in der Form, dass Mietende, deren Verträge abgelaufen sind, in ihren Räumen bleiben. Sie dürfen keinesfalls zwangsgeräumt werden.

Wie es sich verhält, wenn eine lediglich symbolische Neubesetzung eingerichtet werden soll, hat man am 6. April 2019 im Anschluss an die große Demonstration gegen den Mietenwahnsinn gesehen – und wieder war es in Kreuzberg, im Wrangelkiez:

Ganz alte Schule, hat die Polizei sich massiv und physisch gegen die Stadtgesellschaft positioniert und anschließend in Pressemitteilungen, vorsichtig ausgedrückt, ihr Verhalten stark beschönigt und dabei nicht nachweisbare Behauptungen aufgestellt.

Gibt es Konsequenzen seitens der Politik wegen dieses unverhältnismäßigen Einsatzes? Wir haben derzeit nicht den Eindruck. Alles läuft wie gehabt, deswegen müssen auch die vielfältigen Formen von Kämpfen gegen das Spekulantentum wieder zur Routine einer widerständigen Stadt werden.

Zu den alternativen Projekten, die in der großen Zeit der Hausbesetzungen entstanden sind, zählt auch die Regenbogenfabrik in der Lausitzer Straße, in der die Ausstellung stattfindet – und in der Nähe liegt das gefährdete Kunst- und Hausprojekt Lausitzer Straße 10-11 („Lause bleibt“).

Wir haben gerade gesehen, das in der Lause ansässige Bildarchiv „Umbruch“  ist Veranstalter der Fotoausstellung. Hier geht’s zum Original-Veranstaltungshinweis auf Facebook.

TH

SMH 370


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