Briefing 399-UD Böllerverbot, Feuerwerk, Silvesterfeuerwerk, Jahreswechsel 2023/2024, Einzelne und Gruppen, Migrationsdebatte
Nach der Umfrage nun die Petition, zuvor ein paar Betrachtungen. Wir werden nichts mehr daran ändern können, was in der Nacht von Samstag auf Sonntag gelaufen ist, zum Jahreswechsel 2023/24. Aber gerade werden noch ein paar übriggebliebende Böller verschossen, ganz in unserer Nähe.
Was ist passiert? Hier eine ganz gute Zusammenfassung, die den gesammten Irrsinn verdeutlicht, sie ist auch in der folgenden Petition erwähnt.
Dass es weniger häufig zu schweren Ausschreitungen gekommen sein mag als im Vorjahr, ist zwar erfreulich, ändert aber nichts an der Gesamtbetrachtung, die sich vor allem auf die Menge der verfeuerten Böller und Raketen bezieht und an den gesamten Lärm, Dreck und alle Verletzungen, die damit auch dieses Jahr wieder verbunden waren. Wir wollten eigentlich dieses Mal nur einen Artikel dazu schreiben, und zwar vor dem Ereignis. Jetzt gibt es doch ein Update, weil Campact heute eine Petition erstellt hat. Lesen Sie aber bitte auch unterhalb der Petition weiter, die wir unbedingt zur Unterschrift empfehlen. Wir geben unterhalb der Petition noch ein paar persönliche Gedanken weiter. Einen Polizeieinsatz haben wir dieses Mal beispielsweise selbst mitbekommen.
Wir nehmen aus gegebenem Anlass auch Stellung zu der immer stärkeren Vermischung von Silvesterknallerei und Migrationsdebatte.
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Furchtbares neues Jahr
Das Jahr beginnt mit Böllern und Tausenden Verletzten – schon wieder. Nach diesem Silvester ist klar: Die gefährliche Knallerei muss aufhören. Doch Innenministerin Nancy Faeser sperrt sich. Mach jetzt mit und fordere das Aus für die Böllerei.
Unterzeichne jetzt für ein Böllerverbot
Hallo Thomas,
Raketenlärm, Müllberge, abgesprengte Hände: Die Böllerei sorgt wieder für eine Schreckensnacht zu Silvester. Während sich auf den Straßen die durchweichten Knallerreste zu Müllhaufen türmen und die Feinstaubschwaden langsam abziehen, wird die ganze Bilanz der Neujahrsnacht sichtbar: Tausende Verletzte, mehrere Tote und erneut Angriffe auf Polizei- und Rettungskräfte.[1]
Und trotzdem: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sträubt sich gegen ein Böllerverbot.[2] Bereits im letzten Jahr appellierten wir an die Ministerin. Dieses Jahr, nach einer weiteren grässlichen Silvesternacht, darf es keine Ausreden mehr geben.
Unsere Chance: In Umfragen plädieren immer mehr Menschen für ein Böller-Aus.[3] Deshalb starten wir jetzt einen Eil-Appell. Die Knallerei schadet Mensch, Tier und Umwelt, wir müssen sie stoppen! Noch ist der Böller-Irrsinn allen präsent. Jetzt braucht es Dich, Thomas, damit Faeser der gefährlichen Pyrotechnik endlich ein Ende setzt.
Unterzeichne jetzt für ein Böllerverbot
Es war ein gewaltiges Aufgebot: Im ganzen Bundesgebiet waren Polizist*innen im Dienst, Berlin erlebte den größten Polizeieinsatz, den es jemals zum Jahreswechsel gab.[1] Nötig ist das vor allem wegen der gefährlichen Böllerei. Doch statt die endlich zu verbieten, mutet Innenministerin Faeser lieber Tausenden Beamt*innen einen gefährlichen Einsatz zu.
Dabei wäre ein Böller-Stopp auch für überforderte Ärzt*innen, Rettungskräfte und Pflegepersonal ein Segen. Jedes Jahr sind die Notaufnahmen extrem belastet, weil der Knaller in der Hand explodiert oder die Rakete aus Versehen eine Passantin trifft.[4] Wer ein Haustier hat, weiß genau, welche Qualen Hunde und Katzen mit ihren empfindlichen Ohren in der Neujahrsnacht leiden. Und auch für viele Wildtiere ist das allgegenwärtige Donnern gefährlich.[5]
Alles spricht gegen die private Knallerei. Trotzdem hat Innenministerin Nancy Faeser noch nichts unternommen. Dabei hat sie als Ministerin gerade ohnehin einen schweren Stand – spätestens seit ihrer Wahlschlappe als Spitzenkandidatin für die Hessen-Wahl.[6] Jetzt muss sie merken, wie unbeliebt sie sich macht, wenn sie nicht endlich handelt. Es kommt auch auf Deine Stimme an, Thomas: Bitte mach gleich mit. Gemeinsam fordern wir Faeser mit Hunderttausenden Unterschriften auf, den Böller-Irrsinn zu beenden.
Unterzeichne jetzt für ein Böllerverbot
Herzliche Grüße
Luise Neumann-Cosel, Teamleiterin Kampagnen
PS: Viele Kinder trifft der Böller-Wahn erst am Morgen des Neujahrstages. Ahnungslos spielen sie mit den bunten Knallern – und nicht alle sind schon explodiert. Krankenhäuser sprechen teilweise von einer „zweiten Welle“ von Notoperationen.[7] Bitte setze Dich heute noch für einen friedvollen Jahreswechsel ein.
[1] „Fast 400 Festnahmen in Berlin, drei Tote bei Böllerexplosionen“, Süddeutsche Zeitung online, 1. Januar 2024
[2] „Faeser lehnt bundesweites und generelles Böller-Verbot ab – Politik verurteilt Krawalle“, Handelsblatt online, 2. Januar 2023
[3] „Repräsentative Umfrage: Mehrheit für ein Böllerverbot“, Redaktionsnetzwerk Deutschland, 27. Dezember 2023
[4] „An keinem anderen Tag im Jahr verletzen sich so viele Menschen“, Welt Online, 30. Dezember 2019
[5] „‚Vögel fliegen oftmals bis zur Erschöpfung und fallen dann vom Himmel‘“, rbb 24, 29. Dezember 2022
[6] „Faeser verpasst Direktmandat“, Spiegel Online, 8. Oktober 2023
[7] „‚Gehen davon aus, dass durchgehend operiert wird‘“, Tagesspiegel, 28. Dezember 2022
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Im Laufe des gestrigen Neujahrestags hatten wir an einen kleinen Freundeskreis dies geschrieben:
Bei mir war Silvester so: Ich war von 16 bis 18 Uhr zwei Stunden auf dem Fahrrad und konnte mir in aller Ruhe oder auch nicht die Vor-Silvester-Verfehlungen in Sachen Böllerei anhören, musste beim Fahren auch immer aufpassen, aber in der Gegend, in der ich unterwegs war, ist es nicht ganz so dramatisch wie in einigen anderen Vierteln.
Um 20 Uhr war ich bei einer Nachbarin zum Essen eingeladen, dafür durfte ich ihr neues Smartphone einrichten. Kurz vor Mitternacht haben wir uns mit einer weiteren Nachbarin getroffen und es gewagt, uns unter die Leute in dem Ausgehviertel zu mischen, an das meine Wohnstraße angrenzt, mit einer Flasche Schaumwein natürlich.
Auf eine Weise ist es beeindruckend, was Menschen in diese Nacht reinstecken, auch finanziell. Einmal explodierte ein garantiert nicht genehmigter Großböller direkt vor der Kirche in unserem Kiez, nicht weit von einer Gruppe von Kirchgängern, die mit Wunderkerzen (süß 😉) feierte und ich habe erstmals einen typischen Silvester-Polizeieinsatz (ganz klein, nur drei Einsatzwagen mit jeweils ca. 6 Polizist:innen) miterlebt.
Unweit von uns feierten Menschen, die zu einem Restaurant gehören, besonders ausgelassen, und einmal wurde von dort aus eine Rakete, waagerecht über den Boden, durch eine Reihe parkender Autos hindurch, direkt auf uns geschossen. Meine Nachbarin wollte nicht wahrhaben, dass das Projektil von dort kam, weil sie die Leute kennt, vorher noch kurz drüben war, um sie zu begrüßen. Ein kleiner Disput zwischen uns kam auf und dann die Polizei. Ich sagte: Ich hab sie nicht gerufen, aber offenbar haben sich andere Leute beschwert. Sie wollte es immer noch nicht einsehen und hat versucht, den Polizeieinsatz bezüglich seines wirklich eindeutigen Grundes zu dekonstruieren.
Viele Menschen sind in ihrer Wahrnehmung so auf Subjektivität gepolt, dass sie es nicht zulassen können, dass andere Menschen, die sie schätzen, auch mal doof oder übergriffig sein können. Stattdessen werden ganze Bevölkerungsgruppen für Einzeltaten verantwortlich gemacht. Ich kann euch sagen oder schreiben … das hat mich am meisten geärgert, nicht die Böllerei an sich, weil es so typisch für die Fehlstellungen in unserer Gesellschaft ist.
Selbstverständlich war das ganze nach ein paar Minuten erledigt, mit meiner Nachbarin habe ich öfters solche Diskussionen, aber sie hat auch nette Seiten 😉Wir sind so gegen 1 Uhr 30 auseinandergegangen, ich hab noch etwas übers Leben nachgedacht und gegen 3 Uhr bin ich eingeschlafen. Nicht so viel später als manchmal sonst.
Das Feuerwerk hat wieder die alte „Vor-Corona-Stärke“ erreicht, vielleicht war es auch etwas mehr. Wir hatten auch darüber gesprochen, dass in manchen Ländern dieser ganze Quatsch (meine Einstellung dazu, aber die beiden anderen haben ja auch nicht selbst gefeuerwerkt) gänzlich verboten ist. Mein Eindruck ist nicht, dass den Menschen in den „Verbotsländern“ etwas Wesentliches fehlt, wohl aber, dass einige dieser Länder dafür bekannt sind, dass man dort rücksichtsvoller miteinander umgeht als bei uns.
Alles andere über Berlin könnt ihr hier nachlesen, der eben erwähnte Polizeieinsatz war zu klein, um in den Bericht zu finden, bei dem es um Berlin, andere deutsche Städte, das Land und die Welt geht.
300 Festnahmen in Berlin – zwei 18-Jährige sterben (msn.com)
Kurz vor Silvester erschien in Berlin ein sozialarbeiterisch gefärbter Artikel über die neuzeitliche Verknüpfung der Silvesterknallerei mit der Migrationsdebatte, der vor allem auf die Zuschreibungen abhebt, die anlässlich der Krawalle von 2022/23 seitens bestimmter Politiker:innen vorgenommen wurden. Dazu haben wir noch etwas Schönes gefunden:
Es ist klar, dass es in ärmeren und dicht besiedelten Vierteln in vielen Bedeutungen des Wortes knalliger zugeht als zum Beispiel in dem Villenviertel im Westen, durch das wir vorgestern am Abend mit dem Rad gefahren sind. Das war immer schon so. Aber gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, Artikel wie den obigen zu posten, der natürlich nicht die Aufmerksamkeit erhält wie die Clickbait-Skandalisierungen vieler Medien, die wiederum von vielen Rechten hingebungsvoll gelikt werden. Uns ist im Verlauf des Lesens folgendes eingefallen: Wir würden gerne die Menschen kennenlernen, die sich an solchen Aktionen beteiligen. Und es gibt viele, viele Menschen zwischen den zivilgesellschaftlich Aktiven und den Dreckschleudern in dieser Stadt, die wir nicht sehen, die in Ruhe ihr Leben leben, sich nicht ständig erklären und rechtfertigen wollen und weder herausgehoben aktiv sind für die Gesellschaft, noch die Gesellschaft ver- oder missachten.
Leider wird Silvester zu einem Brennglas für alle Verwerfungen in dieser Gesellschaft hochstilisiert, was es nicht ist. Denken wir mal an den berüchtigten Ersten Mail in Berlin, wie er früher war. Ganz andere Gruppen, aber eine noch mächtigere Krawallstärke. In gewisser Weise nicht unberechtigt, ebenso wie der Frust mancher Menschen über einige systemimmantente Rassismen und Diskriminierungen, der sich möglicherweise an Silvester entlädt.
Am Ende war es für uns so: Wir würden gerne mal mitmachen, aber nicht, um den Silvestermist wegzuräumen, sondern ganz allgemein, um der BSR ein wenig zu helfen. Man muss sich ja nicht gleich als Ersatz-Müllräumdienst sehen, der dafür sorgt, dass die Stadt wieder einmal am Service sparen kann, einmal im Monat oder auch einmal im Quartal wäre schon ein Zeichen. Und das Böllerverbot. Es würde ermöglichen, sich auf den beträchtlichen Alltagsdreck zu konzentrieren, der in Berlin vorhanden ist und diesen als ein allgemeines gesellschaftliche Problem zu markieren, das beinahe unterschiedslos von den unterschiedlichsten Gruppen in dieser Stadt verursacht wird. Wir wohnen beispielsweise in der Nähe eines Parks, der nach Sommerpartys wie eine veritable Müllhalde aussieht. Und es sind nicht die Gruppen, denen die Politik gerne jedes Fehlverhalten in dieser Stadt in die Schuhe schieben will, die in unserer Gegend für diese Verwüstungen verantwortlich sind, sondern diejenigen, bei denen so getan wird, als seien sie allesamt gesellchaftsdienliche Jungstaatsbürger:innen.
Vor dieser Art von Populismus von SPD bis AfD können wir nur warnen, denn er wird die Stadt noch unfriedlicher machen, das ist voraussehbar. Die Probleme verschwinden dadurch nicht, sondern werden missbraucht für Stimmungsmache in der Migrationsdebatte.
Wir haben unsere persönlichen Eindruck auch gepostet, weil wir langsam diese hemmungslos subjektive und wirklichkeitsverstellende Zuschreibungs- und Hassmentalität nicht akzeptieren mögen. Klar, wir könnten uns auch zurückziehen, bestimmte Verbindungen kappen, deren Entstehung ohnehin eher zufällig war, aber wir setzen uns manchmal doch lieber auseinander und werden da noch mehr deutlicher werden müssen. Die beklagenswerte beschränkte Weltsicht vieler Menschen gibt es auch in Berlin, mitten in der Innenstadt, wo man sie nicht vermuten würde. Sie ist hier derzeit noch nicht mehrheitsfähig, aber sie zeigt sich auch bei uns immer unverfrorener. Und versteckt sich dann, wenn die wahre Einstellung Einzelner in Gruppen kaschiert werden soll, weil diese Gruppen noch nicht nach rechts freidrehen. Es ist dann schwer, diese Menschen „dingfest“ zu machen und zu enttarnen, die sich zwar in Einzelgeprächen, nicht aber in Gruppen rassistisch äußern. Die Einzelfeigheit, verbunden mit ständigem Nerven, wenn man „entre nous“ ist, kommt vor dem Freidrehen in der Masse, wenn man sich stark genug dazu fühlt.
Ein Böllerverbot ist hingegen eine gesamtgesellschaftliche Nützlichkeit, die viele Gruppen ein wenig in ihrem Verhalten dämpfen wird. Ähnlich wie die Verkehrswende, die natürlich auch nicht ganz milieuneutral ist und einige Individuen stärker in ihrem Drang, sich eitel zu produzieren mehr betreffen wird als diejenigen, die das ohnehin lächerlich finden. Im Grunde ist dieser Silvester-Unsinn, sind viele Erscheinungen von Entgrenzung nur eines von vielen Symptomen, die zur Diagnose einer Gesellschaft als krank führen. Die Politik will nicht einmal an den Symptomen kurieren, geschweige denn die Ursachen angehen. Im Gegenteil, die Neoliberal-Rechten sehen die Zeit gekommen, wieder einmal die Gesellschaft etwas mehr zu spalten, indem sie jedwede Gruppe versuchen gegen jedwede andere Gruppe aufzubringen. Am besten geht das, wenn es ums Geld geht. Wir glauben ürigens nicht, dass in Deutschland tatsächlich nur 180 Millionen Euro für Silvesterknallerei ausgegeben werden. Das wären ja nur etwas mehr als zwei Euro pro Einwohner:in. Die illegalen Erwerbe von Feuerwerk eingerechnet, muss das wesentlich mehr sein, auch wenn die Mehrheit nicht schießt.
Summarisch: Zum Schutz Dritter, aus Umwelt- und Tierschutzgründen muss man auch mal ein Symptom bekämpfen. Das heißt ja nicht, die Ursachen aus den Augen zu verlieren. Deswegen für ein allgemeines, uneingeschränktes Böllerverbot.
TH
Alle Jahre wieder … kommt nicht nur Weihnachten, kommt nicht nur ein neues Jahr, sondern kommt auch die Diskussion über das private Feuerwerk an Silvester auf. Eigentlich ist es ja an Neujahr, zumindest sollte es so sein, weil erst ab 00:00 geschossen werden soll. In Wirklichkeit wird dann aber zurückgeschossen, denn der Krach startet weit vor der erlaubten Zeit. Tage, manchmal Wochen früher.
Über Jahre hinweg haben wir uns klar für ein Böllerverbot eingesetzt, es hat sich nichts geändert. Eine lärmige, andere gefährdende Minderheit darf weiter weitgehend tun, was sie will. Es ist ein bisschen so, als ob für eine Nacht im Wilden Westen, nachdem gerade ein Sheriff gewählt worden war, dieser die Stadt verlässt und der Zustand der Gesetzlosigkeit für eine Nacht wieder Einzug hält. Was dann passiert, zeigt alle Kennzeichen der zivilisatorischen Verwahrlosung, konzentriert dargeboten wie in einem grausamen, nicht unbedingt schlechten, sondern realistischen Western, innerhalb weniger Stunden.
Sie können sich denken, wie wir abgestimmt haben, und da wir das schon seit Jahren tun, machen wir auch kein Hehl daraus. Trotzdem zuerst der Link zur diesjährigen Umfrage. Auch diese Umfragen haben bereits eine Tradition vorzuweisen:
Feuerwerk und Böller gehören für viele Deutsche genauso zu Silvester wie Bleigießen, (mindestens) ein Glas Sekt, gute Vorsätze oder „Dinner for one“. Der historische Grund für das Feuerwerk liegt in dem Lärm, den die Böller und Raketen erzeugen. Mit ihm sollten früher böse Geister vertrieben werden. Zum vergangenen Jahreswechsel gaben die Menschen in Deutschland laut dem Verband der pyrotechnischen Industrie für Böller, Raketen und Batterien 180 Millionen Euro aus.
Kurz vor dem Jahreswechsel werden erneut Rufe nach einem Verbot von Silvesterfeuerwerken laut. Beispielsweise seitens der Polizei, welche sich auf Angriffe durch Böller vorbereitet. Aus Sicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, braucht es „keine ungeregelte Knallerei“, um an Silvester ausgelassen zu feiern. „Feuerwerkskörper schaden der Umwelt und dem Klima“. Ferner riefen sie bei manchen Menschen Angst hervor und Kriegserinnerungen wach, so Reinhardt gegenüber der Rheinischen Post.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund ist gegen ein generelles Böllerverbot zu Silvester. „Wir sollten nicht immer nur mit Verboten arbeiten, sondern mit Überzeugung“, zitiert boerse.de den Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) rechnet in diesem Jahr mit einer ähnlich hohen Nachfrage nach Silvesterfeuerwerk wie im vorigen Jahr.
Wir haben unseren Klick selbstverständlich beim totalen Verbot gesetzt. Das private Feuerwerk betreffend, nicht das öffentliche. Wir haben aber einen kleinen Vorschlag, den wir in der Form in den vergangenen Jahren nicht gemacht haben. Warum es nicht diese Sache in Berlin umgekehrt regeln wie bisher? Anstatt ein paar Placebo-Verbotszonen ein paar Erlaubniszonen? Ein Sportstadion oder gar das Tempelhofer Feld als zentrale Anlaufstelle für alle, die einen Knall haben? Wer sich dort gegenseitig verletzt oder umbringt, ist selbst schuld. Alle anderen hätten Ruhe. Oh ja, natürlich muss die Stadtreinigung dann viel, viel aufräumen, möglicherweise sogar abgetrennte Körperteile. Aber selbst das wäre doch an einem zentralen Ort besser zu erledigen als über die ganze Stadt verteilt. Wir finden, das ist ein Vorschlag, über den man wirklich einmal nachdenken sollte, wenn man sich schon nicht zur Optimallösung des kompletten Verbots durchringen kann.
Ein wenig Lesestoff haben wir natürlich auch noch:
Silvester: Soll privates Feuerwerk verboten werden? | WEB.DE
Der Artikel ist aufgeteil in pro Verbot und contra Verbot. Da wir die Pro-Meinung überwiegend teilen, konzentrieren wir uns kurz auf die Contra-Meinung. Böller-Lyrik vom Feinsten. Wie arm muss man sein, um die Silvesterknallerei als Booster des Sozialen zu verherrlichen? Da muss das übrige Leben ja wirklich ganz böse schlimm aussehen. Unsere Nachbarschaft macht zum Beispiel im Sommer ein Hoffest und heute Abend werden wir uns mit einigen Anwohner:innen zum Anstoßen treffen. Natürlich ohne Knallerei. Auch krass: Städte als Gesamtkunstwerk. Wenn Feuerwerk etwas Kunstvolles hat, dann wenn es ein großes, gut choreografiertes ist, wie man es bei der Pyronale in Berlin (im Sommer) auf allerhöchstem Niveau bewundern kann. Aber das Beschießen anderer Menschen mit Böllernals Kunstwerk zu definieren, ist wirklich jenseits der Zivilisation. Siehe oben. Der Western. „Deutschland würde eine der wenigen Traditionen verlieren, mit der sich Menschen quer durch die Gesellschaft identifizieren können. Das wäre es nicht wert.“ So schließt die Contra-Meinung ab. Wie tief dieser Satz blicken lässt, darüber müssten wir eine Abhandlung schreiben, aber dazu reicht die Zeit dieses Jahr nicht.
Deshalb in Kürze: in einem komplett entspiritualisierten, zivilisatorisch niedergehenden, gesellschaftlich total auseinanderfallenden Land das gemeinsame Gefährden von sich und anderen als Identifikationselement darzustellen, dazu fehlen uns beinahe die Worte. Und es ist auch rein sachlich grundfalsch, wie man daran sieht, wie viele Menschen sich ein Verbot wünschen. Wenn es eine Identifikation gibt, dann eher vonseiten jener, die für ein Verbot kämpfen, mit ihren Mitstreiter:innen.
Wir haben gerade bemerkt, dass es unter dem Artikel selbst eine Umfrage gibt: 57 Prozent stimmen den Argumenten des pro Verbot argumentierenden Journalisten zu. So viel zur Einigung einer zwar auch diversen, aber vor allem divergenten Gesellschaft durch gemeinsames Feuerwerken.
Daraus ergibt sich aber ein weiterer kleiner Vorschlag: Wir erkämpfen uns ein Böllerverbot und nehmen diesen Sieg zum Anlass für eine Diskussion über zivilisatorische Mindeststandards. Da es hier eine breite Basis der Zustimmung gibt, kann man den Austausch, von diesem Punkt ausgehend, vertiefen und erweitern.
Wo dürfen Sie allgemein auch jetzt schon nicht böllern?
Wo Böllern zu Silvester diesmal verboten ist | tagesschau.de
Wo ist Böllern in Berlin an Silvester 2023 verboten?
Hier ist das Böllern in der Silvesternacht in Berlin verboten | rbb24
Eine der Verbotszonen liegt, wie schon im letzten Jahr, sogar bei uns in der Nähe, aber umschließt leider nicht den eigenen Kiez. Offenbar hält man uns hier für vernünftiger, aber der Effekt war bisher immer, dass sich das Böllern, wenn in den Verbotszonen tatsächlich kontrolliert wurde, in die Nachbarschaft verlagert hat. Also auch in unsere Richtung. Fast 3.000 Polizist:innen sollen für Ordnung in der Stadt sorgen, von Ruhe kann man ja nicht sprechen. Wir sehen voraus, dass das wieder einmal nicht gelingen wird.
Nun zu unserer eigenen „Böllerverbots-Legacy“. Wir wir uns letztes Jahr auch nach Neujahr noch für ein Böllerverbot eingesetzt haben, lesen Sie hier. Fünf Artikel allein zu Silvester 2022/23.
UPDATE: Es böllert schon, aber weniger? (Statistik Feuerwerk-Import) +++ Die Wildgänse fliehen
Alle Jahr wieder: Der Kampf um ein Böllerverbot
Auch im Jahr zuvor waren wir nicht untätig:
Dauerhaftes Böllerverbot? | Frontpage | Umfragen | Civey | Verbot 2021 wegen Corona – und weiter?
Im Jahr 2020 war es aus bekannten Gründen etwas ruhiger, daher bezieht sich der nächstältere Artikel auf das Jahr 2019:
Und hier wiederum ein Jahr zuvor.
Die Anti-Böllerei-Artikel haben also bei uns Tradition. Deswegen gibt es auch in diesem Jahr einen. Was wir nicht tun werden: Die Argumente aus den vergangenen Jahren wiederholen und aktualisieren. Im Grunde ist es immer das Gleiche. Wwir haben mit Schmunzeln zur Kenntnis genommen, dass wir nach einem halben Jahr „neuer“ Wahlberliner den Regierenden Bürgermeister mit einem „@“ direkt adressiert hatten. Fünf Jahre später sind wir kaum weiter als zuvor, nur dass die Krawalle immer schlimmer werden, die sich mit Silvester verbinden. An eine Wirksamkeit berechtigter Bürger:inneninteressen gegenüber der Politik glauben wir ohnehin nur noch sehr begrenzt. Trotz des Rechtsdralls in Deutschland, der natürlich auch die Haltung in Richtung pro Böllerei verschiebt, gibt es aktuell immer noch eine relative Mehrheit von 42 Prozent für ein komplettes Böllerverbot, 34 Prozent sprechen sich für Verbotszonen aus, nur 23 Prozent bestehen auf einer generellen Erlaubnis.
Da auch dieser Artikel der letzte von uns sein könnte, den SIE persönlich in diesem Jahr lesen: Einen guten Start in neue Jahr! Bleiben Sie gesund. Überleben Sie und Ihre Lieben und Ihre Tiere irgendwie die Silvesternacht!
TH
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