Filmfest 739 Cinema
Avanti finito
Avanti, Avanti! (Originaltitel Avanti!) ist eine romantische Komödie von Billy Wilder aus dem Jahr 1972, die er als US-amerikanisch–italienische Koproduktion in Italien filmte. Als Vorlage diente das gleichnamige Theaterstück von Samuel A. Taylor, das vier Jahre zuvor am Broadway gelaufen war.
Was Billy Wilder in den 1940ern gemacht hat, wissen wir. Er hat sich als Regisseur sehr schnell etabliert, nachdem er zuvor nur Drehbücher schreiben durfte. Von Komödien bis zu wirklich finesteren Films noirs („Frau ohne Gewissen„, 1944) hat er sich bereits in mehreren Genres bewährt. In den 1950ern standen wenigen ernsten Filmen wie „Sunset Boulevard“ (1950) enorme Erfolge bei Komödien gegenüber, die eine ganz unterschiedliche Tonart hatten, sein Schaffen mündete 1960 in dem herausragenden „Das Appartement„. Dann brachte er Jack Lemmon und Walter Matthau zusammen, war aber nicht der Regisseur, der davon am meisten profitierte, es war Gene Sacks mit „Ein seltsames Paar“ (1968). Und in den 1970ern, im Zeichen von New Hollywood? Noch einmal übernahm Jack Lemmon eine Rolle bei Billy Wilder, die an frühere Darbietungen erinnert, aber die Zeiten hatten sich geändert. Mehr dazu steht in der –> Rezension.
Handlung (1)
Wendell Armbruster, ein spießiger US-amerikanischer Industrieller und Familienvater, reist am Wochenende auf die italienische Insel Ischia, weil sein Vater dort bei einem Autounfall tödlich verunglückt ist. Er muss die sterblichen Überreste umgehend in die Heimat überführen, denn das pompöse Begräbnis des Multimillionärs soll schon kommenden Dienstag stattfinden. Auch der einflussreiche Politiker Henry Kissinger hat seine Teilnahme zugesagt.
Unterwegs begegnet Wendell wiederholt der englischen Verkäuferin Pamela Piggott, die das gleiche Reiseziel hat wie er. Die beiden steigen auf Ischia im selben Hotel ab, und bald erfährt Wendell, dass Pamelas Mutter im selben Auto wie sein Vater ums Leben kam. Entsetzt muss er feststellen, dass sein Vater und Pamelas Mutter ein Verhältnis hatten und seit zehn Jahren während der Sommerferien das Hotelzimmer teilten.
Vor Ort sind eine Fülle von Formalitäten zu erledigen. Wendell wird dabei mit den Tücken der italienischen Bürokratie und einer ihm völlig fremden Lebensart konfrontiert. Trotz der tatkräftigen Unterstützung des Hoteldirektors Carlucci tauchen immer neue Hindernisse auf. Die Winzerfamilie Trotta, in deren Weinberg das verunglückte Auto gestürzt war, fordert einen Ausgleich für die verursachten Schäden. Weil Wendell sich weigert, den geforderten Preis zu bezahlen, entwenden die Trottas die Leichen, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Erst als Wendell nachgibt, werden die Toten wieder in die Leichenhalle zurückgebracht. (…)
Rezension
„Billy Wilder versuchte den Misserfolg des Films in den Staaten zu deuten: ‚Eine wirklich mutige und dramatische Enthüllung wäre es gewesen, wenn der Sohn herausgefunden hätte, sein verunglückter Vater sei nach Italien gereist, nicht weil er dort eine Freundin hatte, sondern weil er schwul war und nackt mit dem Hotelpagen im Auto gefunden wurde. Das wäre dann ein wirklich mutiger Film geworden. So ist der Film einfach zu bieder, zu brav, zu mild … Damit fällt keinem die Popcorntüte aus der Hand.‘ Andererseits zählt er Avanti Avanti, der in Europa durchaus erfolgreich anlief, zu den Filmen, die er selbst wirklich mochte.“
Der Film ist nicht nur ein wenig brav, sein Titel, besonders die deutsche Variante, in der das „Avanti“, gedoppelt wurde, suggeriert auch das typische Wilder-Tempo, das dieses Alterswerk nicht mehr hat. Nicht umsonst klingt der Name des Schauplatzes ein wenig nach dem Ischias-Nerv, der vor allem dann ins Gerede kommt, wenn er eingeklemmt ist, also bei Menschen der etwas älteren Jahrgänge. Roger Ebert empfand den Film als eine halbe Stunde zu lang und vielleicht war er sogar ein wenig dated, als er herauskam. Die klassischen Filmemacher, die ihren Peak um 1960 hatten, konnten auch später noch mit gutem Kino aufwarten, aber der Stil hatte sich eben deutlicher gewandelt, als sie es in ihrem Alter noch nachvollziehen konnten oder wollten.
Trotzdem ist „Avanti, Avanti“ ein echter Wilder, nicht nur, weil Jack Lemmon die Hauptrolle spielt, der mit seiner sympathischen Art, Spießer darzustellen, für mich einer der besten Schauspieler seiner Generation war. Dies nicht nur in Komödien, wenngleich er durchaus ernste mentale Probleme der USA eben so darstellen konnte, dass man sie menschlich verstehen kann und ihre Universalität erkennt. Stellenweise war mir „Avanti, Avanti!“, was die USA und Italien angeht, etwas zu klischeehaft dargestellt, aber dass da nichts dran ist, kann man nun auch nicht sagen. Die Seitenhiebe werden ziemlich gleichmäßig verteilt und es ist nicht ohne Weiteres zu erkennen, ob Wilder hier Partei ergreift – der Film ist eher milde ironisch als eine beißende Satire wie „Das Appartement“, die bis heute wohl beste Kombination aus Gesellschaftskritik und berührender Menschlichkeit, die in den USA entstanden ist.
In „Avanti, Avanti“ überwiegt eindeutig das – allzu – Menschliche und im Stil der Zeit ist der Film auch ein wenig offensiver, es gibt ein paar Szenen für Liebhaber üppiger Brüste und die Sprache („Fettarsch“) ist eindeutig nach dem Ende des Production Codes in den 1960ern und vor der PoC ab den 1990ern angesiedelt. Allerdings nur stellenweise, sonst wäre dies ja nicht so ein liebenswerter und beschaulicher Film. Auch der eindeutig vollzogene Ehebruch, den Wilder ja in früheren Filmen immer schon gerne schärfer andeutete, als es der damals noch intakte Code im Grunde erlaubte, ist kein moralischer Aufreger mehr.
Dem Film kommt sein italienisches Setting zugute. Zwar hat Billy Wilder immer sehr auf die Dekors und Details geachtet, aber malerisch waren seine Filme eher selten, seine Filmsprache war, anders als etwa die von Alfred Hitchcock oder John Ford, immer dem Sujet untergeordnet, kein Selbstzweck oder prägendes Merkmal seiner Arbeiten. So erhielt er sich aber auch eine große Flexibilität, die Genres und Stimmungen betreffend und die Stimmung von „Avanti, Avanti“ ist romantischer als in irgendeinem anderen Wilder-Film, den ich bisher gesehen habe – mir fehlen insbesondere von den Spätwerken noch ein paar, ich glaube aber, diese übrigen sind weniger pittoresk.
Das Drehbuch stammt aus der Feder von I. A. L. Diamond, mit dem Wilder fast alle seine großen Erfolge ab Mitte der 1950er zusammen feiern konnte und der bis zum Ende des jeweiligen Schaffens dessen kongenialer Wortefinder war. Die Plots, die daraus erwachsen sind, haben nicht nur diesen Wilder-Touch, die Mischung aus Komödiantischem und Tragischem und damit eine grandiose Tragikomik, sondern bestechen ebenso durch ihre Logik. Psychologisches und sachlich Glaubwürdiges gingen eine Verbindung ein, die auch in diesem Film wirkt. Auch wenn er manchmal langatmig ist, dieses Spiel mit den beiden Generationen und in welche Situationen es führt, ist sehr gekonnt und routiniert dargestellt. Am Ende tritt zwar der amerikanische Diplomat wie ein „Deus ex Machina“ auf, wie es an einer Stelle in der Wikipedia formuliert ist, aber da der Plot ja auch eine Kriminalhandlung einwebt, kann man nur sagen: So sicher gestaltet müsste man sich die Handlungen vieler Krimis wünschen.
Finale
1972 war eine Zeit, in der gerade ein hartes, raues Kino in Mode kam oder der Abgesang auf die alte Zeit, besonders in Spätwestern, zelebriert wurde. Der Film des Jahres war „Der Pate“, der alles andere in den Schatten stellte und bis heute zu den besten Kinostücken aller Zeiten gerechnet wird. Eine leichte, besinnliche und schon etwas altersmelancholische Komödie wäre vielleicht ein paar Jahre später wieder erfolgreich gewesen, etwa während des Romantikbooms der 1990er, aber zwischen Vietnam und Watergate war nicht so viel Platz für einen im Grunde doch zauberhaften und sehr warmen Film – der aber dank einiger typischer Wilder-Diamond-Kniffe und dem ebenso typischen Spiel von Jack Lemmon nie ins Sentimentale abgleitet.
76/100
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2018)
(1), kursiv, tabellarisch
Regie | Billy Wilder |
Drehbuch | I. A. L. Diamond, Billy Wilder |
Produktion | Billy Wilder, Alberto Grimaldi, Jack Lemmon |
Musik | Carlo Rustichelli |
Kamera | Luigi Kuveiller |
Schnitt | Ralph E. Winters |
Besetzung | |
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